7. Perspektiven- und Datenvielfalt bis Manzoni und Marconi

Dieses Schlusskapitel ist weniger als Zusammenfassung konzipiert – das Konzentrat der jeweiligen Ergebnisse findet sich in den entsprechenden Unterkapiteln des 6. Kapitels und insbesondere in der eben dargelegten Rekapitulation der vier Teilkorpora (Kap. 6.5) – denn als kritischer Rückblick und vielseitiger Ausblick.

7.1 Rückblick

Die Zielsetzung dieser Arbeit war es, im Zuge eines Perspektivenwechsels nationalphilologisch eingeengte Erwartungshorizonte aufzubrechen und die Mehrdimensionalität von gedruckter Mehrsprachigkeit am Beispiel der Italia spagnola von der Produktion über die Rezeption zur Sprachreflexion im 16. und 17. Jahrhundert zu illustrieren. Die Forschung reduzierte die lange Dauer des Kontakts zwischen italo- und iberoromanischen Sprachen und Varietäten auf italienischem Boden auf sein (lexikalisches) Resultat ebenso wie sie die Rolle des Buchdrucks ergebnisbezogen auf die Standardisierung beschränkte. Die vorliegende Fallstudienanalyse war zwar ebenfalls, über die sprachliche Quantifizierung der gedruckten Schriftlichkeit, resultatbezogen angelegt, fokussierte aber gleichermaßen die kommunikationsräumlichen Vorgänge, integrierte also den Kontext sowie den Ko-Text ausgewählter Druckwerke als erklärende Variablen für Mehrsprachigkeit.

In Ermangelung eines methodischen ›Königswegs‹ in der romanischen Sprachgeschichts- wie auch in der historischen Mehrsprachigkeitsforschung wurde die quantifizierende und qualifizierende Methodenkombination als sinnvoll erachtet, um die Validität der ›bemessenen‹ Mehrsprachigkeit sicherzustellen. Das hierfür aufgrund der unzureichenden Quellenlage entwickelte Korpus birgt Schwachstellen: Bei der Interpretation der Daten muss mitbedacht werden, dass es sich beim Gros der inventarisierten Editionen um ›große‹ Titel handelt, die aufgrund des Zusammenspiels ihrer hochwertigen Produktion, ihrer Auflagenstärke und ihres Inhalts in (Groß-)Bibliotheken erhalten geblieben sind. Die Einspeisung der in der Regel unkatalogisierten kleineren Produktion, vor allem der administrativen Spezialproduktion, die oft zwei- oder dreisprachig war, könnte nur durch Direktkonsultation in Archiven und Bibliotheken vor Ort erfolgen – Letztere würde vermutlich insbesondere zu einer Verschiebung der Korrelation von Sprache und der Diskursdomäne der Verwaltungsschriftlichkeit führen (populäre Lesestoffe lassen sich hingegen vornehmlich der Religion oder Literatur zuordnen und führten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu keiner erheblichen Ergebnisänderung). Einschränkend wirkt ferner die Tatsache, dass sämtliche Editionen erfasst wurden und diese aufgrund der bestehenden, unumgänglichen Katalogisierungstradition und technischer Limitationen1 nicht hinsichtlich des Verhältnisses zu ihren Nachdrucken, Neu- oder Folgeauflagen, zur Auflagenhöhe und zum Seitenumfang spezifiziert werden konnten. Die Bestimmung und die Zuordnungen der bzw. zu Diskursdomänen war ebenfalls ein schwieriges Unterfangen – die aufgezeigten Korrelationen müssen in diesem Punkt als potenziell tendenziös angesehen werden. Ein Nachteil für die Validierung der statistisch ermittelten mehrsprachigen Verhältnisse war dadurch gegeben, dass keine explizit sprachpolitischen Maßnahmen existierten2 – bis auf Ausnahme von Sardinien, womit die Behauptung entkräftet werden kann, die spanischen Habsburger hätten auf aktive sprachplanerische Maßnahmen verzichtet. Eine nicht wirklich zu lösende Frage war und ist die der Zirkulation und Distribution der spanischen Druckwerke innerhalb Italiens. Auch der damit in Zusammenhang stehende Buchimport (aus Spanien, den Niederlanden, Frankreich, etc.) und Buchexport (insbesondere nach Spanien) bleibt noch weitgehend unklar, da die buchhistorische Forschung und die gesichteten Druckwerke selbst hierzu quasi keinerlei Auskünfte gaben.3 Eventuell könnte ein Blick in die Verwaltungsakten, die zum Beispiel in den entsprechenden Beständen des Archivo General de Simancas4 aufbewahrt werden, klären, ob und welche Direktiven bzw. Aufträge es von Seiten der spanischen Regierung in und außerhalb Italiens diesbezüglich gab. Auch Inventarlisten von Privatbibliotheken – ob die des Vizekönigs Toledo oder derjenigen von weniger hochstehenden Persönlichkeiten (vgl. Nicolini 1946; Pane 1975a, 85f.; Kap. 6.5, Anm. 4) – können Aufschluss über die Buchzirkulation geben. Trotz der angesprochenen methodischen Defizite dürfte von einer ausreichenden Generalisierbarkeit der präsentierten empirisch-statistischen Fakten auszugehen sein, vor allem da diese mit einem Blick in die Druckwerke selbst, durch die (historische) Sekundärliteratur und den Vergleich der Teilkorpora ausbalanciert werden konnten. Für das Korpus an sich spricht, dass es zu den datenreichsten Bibliografien von Druckwerken in und mit spanischer Sprache aus diesem Zeitraum gehört; es ist dank der integrierten Suchfunktionen eine benutzerfreundliche Datenbank und bietet – vor allem zusammen mit dem USTC (seit 2014 online) – eine solide Ausgangsbasis für die weitere Erforschung (vgl. Kap. 7.2).

Die diachrone Studie hat gezeigt, welch hohen methodischen Aufwand und intensive Quellensichtung5 die historische Mehrsprachigkeitsforschung erfordert. Außerdem wurde deutlich, wie komplex und facettenreich der Gegenstandsbereich der historischen Mehrsprachigkeit ist, da er immer von Individuen, Kollektiven, Institutionen, Texten, spezifischen Kommunikationssituationen und anderen externen Gegebenheiten abhängt und nicht einheitlich theoretisierbar ist. Methodologisch können aus der Erfahrung dieser Arbeit sicherlich Fall- und Vergleichsstudien mit einer möglichen Perspektiveneinengung bis auf die Einzelsprecherebene und somit zwangsläufig mit kleinen zu analysierenden Raumeinheiten Abhilfe schaffen. Nicht nur muss Mehrsprachigkeit, wie gezeigt wurde, idealiter in der Kombination von verschiedenen Betrachungsebenen, nämlich der territorialen, sozialen, institutionellen und individuellen analysiert werden,6 sondern hat meines Erachtens auch die Meta-Ebene, also die der (literarischen) Sprachreflexion und die der Perzeption als begleitende Perspektiven mit einzubeziehen. Es hat sich herausgestellt, dass hierbei dem Paratext eine Schlüsselposition zukommt: Er schlägt nicht nur die Brücke zwischen dem Druckwerk und den textexternen Faktoren, sondern bietet buchstäblich Raum bzw. Spielraum für praktizierte, in den meisten Fällen literarische Mehrsprachigkeit (zum Beispiel in Form von Lobsonetten). Darüber hinaus wird oftmals – obgleich in den untersuchten Drucken weit weniger häufig, als vermutet – in den ein- und ausleitenden Diskursen wie Widmung, Vorrede, Leserhinweis, Erratum die Zwei- und Mehrsprachigkeit des Widmungsträgers, des Autors, der potenziellen Adressaten, des Druckers und schließlich des Texts selbst thematisiert. Will man also Mehrsprachigkeit in gedruckten Werken erforschen, steht an erster Stelle ein analytischer Blick in die potenziell aufschlussreichen ›Beiwerke‹, zu denen theoretisch und empirisch fundierte linguistische Studien fehl(t)en.7

Sowohl in der quantitativen wie auch in der qualitativen Analyse ließ sich kein hoher bzw. intensiver Mehrsprachigkeitsgrad ermitteln: Die vergleichsweise geringe Produktion allgemein spanischer Drucke (hauptsächlich im Cinquecento) und speziell spanischer Sprachlehrwerke und die überdominante Produktion von Übersetzungen vom Spanischen ins Italienische, die vor allem mit dem hohen Prestige des Toskoitalienischen sowie der Universalsprache und der »lingua dell’impero spagnolo« (Wilhelm 2013, 146) Latein in der gedruckten Schriftlichkeit erklärbar sind (vgl. Kap. 6.5), belegen dies;8 die fehlende Sprachpolitik, Sardinien ausgeschlossen, tut ihr Übriges. Die These von Venedigs Langzeitrolle und Rolle als Druckzentrum für die spanische Buchproduktion wird mit den erhobenen Daten eindeutig revidiert.

Die statistischen Befunde korrespondieren mit den qualitativen Befunden: Überraschend ist die Tatsache, dass in den Druckwerken selbst Mehrsprachigkeit kaum bis gar nicht thematisiert und allenfalls karikiert wird.9 Die große Ausnahme bildet Sardinien: Auf der Insel müssen tatsächlich solch massive Verständigungsprobleme vorgeherrscht haben, dass diese zu einer expliziten Problematisierung der ›babylonischen Verwirrung‹ (im Hinblick von Predigtkompetenzen) oder Würdigung von Mehrsprachigkeit (im Hinblick auf literarischen Ausbau) führten.

In der analysierten Sprachreflexion geht es zwar um ein Mehrsprachigkeitsideal, dieses basiert aber auf der Beziehung der muttersprachlichen Idiome zu den klassischen Sprachen und/oder mit der toskanischen Leitvarietät – die Dimension konkreter ›gelebter‹ Kontaktsituationen (mit der spanischen Sprache) hält hier keinen Einzug.

Die Studie bringt mit diesen tendenziell ›negativen‹ Befunden das Theoriegebäude mehrerer Arbeiten zur Mehrsprachigkeit in der Vormoderne ins Wanken, die »eine tendenzielle Mehrsprachigkeit Europas im Mittelalter annehmen, die erst durch die neuzeitlichen Standardisierungen innerhalb großräumiger Sprachregionen aufgelöst« worden sei (Moos 2008b, 696).10 Für die hier untersuchten frühneuzeitlichen Fälle gilt (bis auf Sardinien) in gleichem Maße die konstatierte mittelalterliche »geringe Neugier […] auf Sprachdifferenzen« (Ders. 2008b, 699) sowie die »Vergleichgültigung von Fremdsprachen und deren Erwerb« (Ders. 2008b, 693). Die Schlussfolgerungen, die sich aus der größtenteils indifferenten Haltung ziehen lassen, sind multikausaler Art – man möchte allerdings eher Fragen denn Antworten formulieren:

–    Gab es keine (ausreichenden) bzw. fehlende Kontaktsituationen zwischen autochthonen und allochthonen Sprechern – dafür spräche zum Beispiel die räumliche Segregation von Spaniern und Lombarden in Mailand oder auch die generell fehlende Dokumentation von Mischehen, die sich in hispanisierten Nachnamen widerspiegeln müsste – oder gab es nur Zusammentreffen auf der höchsten, meist institutionellen Ebene?

–    Ist dem Sprachkontakt das Konzept der Interkomprehension bzw. rezeptiven Mehrsprachigkeit zu Grunde zu legen, das auf dem geringen innerromanischen Abstand zwischen Italienisch und Spanisch basiert, der sich vermutlich beim Aufeinandertreffen bestimmter Varietäten dieser Sprachen wie zum Beispiel Neapolitanisch und Aragonesisch noch weiter verringerte (vgl. auch Schwägerl-Melchior 2013)?

–    Ist die italienische Sprache als in der gedruckten Schriftlichkeit bereits fest verankertes, überörtliches, höher konnotiertes Verständigungsmittel (zu) dominant?11

–    Auch langsame und stetige »Akklimatisierungsprozesse« (Moos 2008a, 696) an die kommunikationsräumliche Umgebung, die Moos für mittelalterliche Pilgerreisen in Erwähnung zieht, sowie die gerade in Sizilien und Neapel gegebene relative Entscheidungsautonomie und geringe Beteiligung der Masse an der politischen Organisation scheinen plausible Gründe für das weitgehende Stillschweigen der Quellen über Sprachkontakt zu sein.

Als Kronzeuge für Mehrsprachigkeit (im Königreich Neapel) fungiert Perles y Campos mit seiner relativ spät erschienenen Gebrauchsgrammatik Gramatica española, O’ modo de entender, leier, y escrivir Spañol (Perles y Campos 1689, Neapel): Zum einen ist er selbst Kronzeuge für die These, Geistliche – neben der militärischen Elite – als eine der polyglottesten Personengruppen in Wort und Schrift im Cinque- und Seicento einzustufen, was sich auch anhand weiterer Druckwerke bestätigen lässt. Zum anderen ist er Kronzeuge dafür, dass Spanischkompetenzen seitens der gebildeten Italiener bzw. Neapolitaner allgemein aus höheren Kreisen und speziell aus der höheren Verwaltungsebene durchaus vorhanden, aber nicht einwandfrei waren. Er beweist als Katalane und mit den in der Grammatik zu findenden katalanischen Interferenzen ferner die ›diffuse‹ Präsenz der spanischen Sprache. Die von Perles y Campos direkt und indirekt zum Ausdruck gebrachte Elitemehrsprachigkeit kann nach Maßgabe des Buchdrucks als paradigmatisch für die erörterten Fälle des spanischen Italien betrachtet werden.

7.2 Ausblick

Ging es eingangs dieser Arbeit darum, einen Perspektivenwechsel in der italienischen Sprachgeschichtsschreibung anzuregen, so soll in den abschließenden Betrachtungen die sich aus der vorliegenden Arbeit ergebende Perspektivenvielfalt für weitere Forschungen aufgezeigt werden.

Eine mittel- bis langfristige Perspektive besteht in der Korpusperfektionierung, Korpuserweiterung und in der weiteren spezifischen Korpusauswertung.

1)  Ein technisches Ziel ist es zunächst, zusätzliche Filtermöglichkeiten der Datenbank TISIT16–17 zu programmieren, zum Beispiel die oben erwähnte Suchfunktion nach Seitenumfang und Auflage des Druckwerks. Erstrebenswert wäre eine Crowdsourcing-Komponente, um den interdisziplinären Dialog im Internet mit Italianisten, Hispanisten, Buchhistorikern, Historikern und Bibliothekaren aus der ganzen Welt zu eröffnen: In einem Open-Source-System könnten diese selbst als Katalogisatoren fungieren, indem sie neue Titel einspeisen oder bereits bestehende Datensätze mit bisher gänzlich fehlenden oder unzulänglichen Zusatzinformationen vom Titel bis zum Standort des Exemplars anreichern und/oder modifizieren. Denkbar und wünschenswert wäre die systematische Aufnahme volkssprachlicher Drucke des Halbstiefels der spanischen Territorien genauso wie die Einspeisung außerhalb von Italien gedruckter spanischer Titel des entsprechenden Zeitraums.

2)  Eine Weiterführung der Korpusanalyse müsste bedeuten, einige in der Arbeit erwähnte, aber nicht im internationalen Fernleihverkehr bestellbare bzw. nicht reproduzierbare Druckwerke im Original an ihrem Aufbewahrungsort oder in effizienter Weise online in mittlerweile digitaler Form zu begutachten. Ferner müssten diejenigen Druckwerke, die zum Beispiel aufgrund ihrer Zweisprachigkeit Interesse weckten, aber in der Arbeit nicht ausreichend behandelt werden konnten, einer sprachexternen und -internen Detailanalyse unterzogen werden. Ein Desiderat besteht außerdem in der innerhalb der Studie kaum berücksichtigten sprachinternen Analyse bestimmter grammatikalischer Phänomene sowie Interferenzphänomene einzelner Texte, die auf der von Wilhelm vorgeschlagenen Verflechtung von interner und externer Variation fußen müsste (Wilhelm 2013, 146f.). Gerade der Brückenschlag von diachroner Varietätenlinguistik zur Mehrsprachigkeitsforschung wurde bisher kaum realisiert – hier besteht großer Forschungsbedarf.12

3)  Überdies könnte eine Typologisierung hinsichtlich der zeitgenössischen Bezeichnungen der eigenen und fremden Idiome/Volkssprachen13 (»italiano«, »toscano«, »volgare«, »castigliano«, »spagnuolo«, »catalano«, »lingua materna/nostra«, »proprio/naturale idioma«, »lingua sarda/napoletana/siciliana«, etc. – und dasselbe aus spanischer Sicht) in den Titeln und in den besprochenen Paratexten/Texten in Abhängigkeit von diversen hineinwirkenden Faktoren wie Herkunft des Autors, Diskurstradition, Übersetzung/Übersetzungsrichtung, erreichter Ausbaugrad des Idioms oder sprachreflektorischer Gehalt des Texts geleistet werden.14 Eine Systematisierung der von Autoren bewusst oder unbewusst gesetzten Benennungen könnte der nachlässigen Handhabung der Terminologie in der italienischen Sprachgeschichte entgegensteuern, wo meist eine Ausdehnung des Terminus »italiano« oder eine Vermischung von nationalsprachlich orientierter und originalsprachlicher Nomenklatur (»italiano« – »volgare«) stattfindet, die die (teleologische) Forschung sogar an sich beeinträchtigt.

4)  Das Korpus kann ferner als Ausgangsbasis für die Vertiefung der Analyse von Mehrsprachigkeit in einer mehrsprachigen Institution dienen, zum Beispiel im Verwaltungswesen, in der Kirche15 oder in Akademien, wobei hierzu Nachforschungen in den entsprechenden italienischen Bibliotheken/Archiven unabdingbar wären. Besonders für Mailand ist die Produktion und die sprachliche Untersuchung der Diskurstradition der quasi in Serie hergestellten gride und der damit verbundenen Mehrsprachigkeit beim Militär ein Desiderat (vgl. Kap. 6.3.6.2). Genauso könnten die bisher unterbelichteten dortigen religiösen Belange, zum Beispiel sprachliche Predigtprobleme und damit verbundene Anpassungen an die Zuhörerschaft, wie sie nachweislich in Sardinien, nicht jedoch in Neapel stattfanden, vertieft untersucht werden.

5)  Des Weiteren bestünde die Möglichkeit einer Fortführung der Korpusanalyse bzw. eine Übertragung des Auswertungsverfahrens der vier Teilkorpora in der Paralleluntersuchung des Kommunikationsraums der Roma spagnola, zu dem bereits hilfreiche historische und linguistische Vorarbeiten geleistet wurden:16 Der Fall scheint durch Roms Stellung als zweitgrößtes Druckzentrum während der beiden Jahrhunderte und als Kirchenstaat mit enger Verbindung nach Spanien sowie große spanische Kolonie mit eigener Infrastruktur äußerst vielversprechend und würde eine förderliche Ergänzung für die vier erörterten Fallstudien bieten (vgl. Kap. 2.1.1).17 Das Gesagte gilt in gleichem Maße für das ›spanische Bologna‹ (vgl. Kap. 2.2).18 Nicht direkt mit der spanischen Herrschaft verbunden, aber dennoch von Relevanz – nimmt doch Italien einen prominenten Platz in der sephardischen Diasporageschichte ein – wäre die Analyse der ebenfalls repertorisierten Judaika, das heißt der judenspanischen und hebräischen Drucke sowie Übersetzungen in beide Richtungen im Druckort Ferrara; auch hier liegt die Erforschung einer Mehrsprachigkeitskonstellation brach.19

6)  Aus einer globalen Perspektive heraus könnte man ebenso die ›Heimatgalaxis‹ des spanischen Italien verlassen und diese mit der Dynamik der Produktion spanischer Texte (aber auch ihre Korrelationen mit Diskursdomänen) in Flandern20 oder sogar Neu-Spanien21 kontrastieren – die bereits mehrmals erwähnten Grundlagenkorpora der spanischen Buchproduktion der südlichen Niederlande liegen praktisch zur Auswertung bereit (Peeters-Fontainas 1933; Ders. 1956; vgl. Kap. 3.3.1; Kap. 6.5.1.1).22 Damit würden die bisher weder sprach- noch buchhistorisch erforschten Verbindungslinien innerhalb der spanischen Habsburgermonarchie in Europa und der Neuen Welt ins Zentrum gerückt und freigelegt.

7)  »Mehrsprachigkeit im Spiegel des Buchdruckes: der Fall xy« – die weitere Entwicklung des gedruckten Sprachenmarkts, vor allem die Beobachtung des domänengebundenen, sukzessiven Rückgangs der lateinischen Sprache, wäre in einer Fortführung der Fallstudie von Relevanz. Italien ist gerade aufgrund seiner wechselhaften Geschichte prädestiniert für die Erforschung kommunikationsräumlicher Konstellationen späterer Epochen wie zum Beispiel des Königreichs beider Sizilien oder des Königreichs Savoyen, durch das die französische Sprache enorm an Prestige gewinnt23 (die französische Einflussnahme macht sich bereits in der Publikation französischer Druckwerke aus dem Korpus in Mailand bemerkbar, vgl. Kap. 6.3.8).

Der Titel bzw. die Fragestellung kann im Grunde so lange Anwendung finden, bis das Zeitalter der Gutenberg-Galaxis zu Ende geht bzw. hinter dem so genannten »Marconi-Sternbild« (McLuhan 2001, 188) verschwindet, das heißt der Erfindung der drahtlosen Telegrafie durch Guglielmo Marconi (1874–1937) am Ende des 19. Jahrhunderts. Schon etwas eher erstrahlt auch der letzte große ›Stern‹ der italienischen Sprachgeschichte: Die ›bereinigte‹, das heißt toskanisierte dritte Version der Promessi Sposi (Manzoni [1927] 1840)24 des Nationaldichters Alessandro Manzoni (1785–1873), mit welcher gemäß der italienischen Sprachgeschichtsschreibung der Weg zum sprachlichen Einheitsstaat geebnet wurde.

Die »mediale[n] Phase der italienischen Sprachgeschichte« (Krefeld 2011, 272) ging und geht aber kontinuierlich weiter, was sich änderte, waren die medialen Standardisierungsinstrumente: Bewegte Bilder und Ton lösten bewegliche Buchstaben ab bzw. überlagerten diese25 und führten gerade in Italien zu signifikanten sprachlichen Effekten,26 wenn auch nicht unverzüglich und zwangsläufig zur Standardisierung. Bis heute präsentiert sich die italienische Nationalsprache in einer inneren Auffächerung, so dass die eingangs von Bembo festgestellten »tante forme e faccie di volgari ragionamenti« (Bembo 1525, XII; vgl. Kap. 1) nichts an Aktualität eingebüßt haben. In den so genannten Neuen Medien oder vielmehr in den Social Media, in denen die Crowd mitredet bzw. -schreibt, haben sie sogar eine zusätzliche Tiefendimension gewonnen.

1 Eine systematische Erfassung war in dem Umfang und aufgrund des Fehlens entsprechender Vorinformationen aus den Katalogen bzw. den Druckwerken selbst nicht möglich; gleichwohl sind die Felder hierfür angelegt.

2 Anders als in der Untersuchung von Fellerer, dem die existierende Sprach- und Statusplanung in Galizien eine gute Bewertungsgrundlage für die Analyse der Verwaltungsschriftlichkeit bot (vgl. Fellerer 2005). Aus theoretischer Sicht interessiert sich Kremnitz für Sprachpolitik als historischen Aspekt von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit (Kremnitz 1994, 45–49 und 80–88).

3 »La storia dell’esportazione del libro spagnolo poi, fuorché le terre d’America, è ancora in gran parte inesplorata.« (Morreale 1995, 38). Eines der rar gesäten Beispiele für einen genehmigten Buchexport aus Neapel liefert der Paratext des Nachdrucks der Restauracion de la antigua abundancia de España, o prestantissimo vnico y facil reparo de su carestia presente […]. Reimpresso con licencia en Madrid (Caxa de Leruela [1631, Neapel] 1731) von Miguèl Caxa de Leruela, der das folgende Druckprivileg von 1632, das in der Erstausgabe aber fehlte, enthält: »Suma del Privilegio. Tiene licencia el Licenciado Don Miguèl Caxa de Leruela, para poder traer del Reyno de Napoles los libros, que en èl se huvieren impresso, intitulados: Restauracion de la antigua abundancia de España, y privilegio por diez años para poderle imprimir, refrendado de Juan Laso de Vega, Secretario del Rey nuestro señor. En Madrid à tres de Febrero de mil y seiscientos y treinta y dos años.« (Ders. [1631] 1713, a5).

4 Für das spanische Italien relevant sind vor allem die unter den Consejo de Italia fallenden Bestände der secretarías provinciales (Secretaría de Nápoles, Secretaría de Milán, Secretaría de Sicilia) und die Visitas de Italia. Darüber hinaus könnte der Fondo Estado einiges Material bieten.

5 War es um die Bestandszugänglichmachung im Internet noch vor einigen Jahren relativ schlecht bestellt (vgl. Schneider 2010), so war im Verlauf der eigenen Recherchen deutlich zu beobachten, dass eine Digitalisierung von Druckwerken insb. durch Großbibliotheken wie die BSB oder die BLO und seit 2004 meist in Kooperation mit dem Unternehmen Google Books mit privatwirtschaftlichen Mitteln stark zugenommen hat (Vgl. Google Books, URL: http://www.google.com/googlebooks/about/ und die Kooperationspartner, URL: http://www.google.com/googlebooks/library/partners.html; zur Zwischenbilanz der Public-Private-Partnership zwischen der Bayerischen Staatsbibliothek und Google vgl. bspw. Hilpert 2011, URL: http://www.hbz-nrw.de/dokumentencenter/produkte/digitalisierung/aktuelles/2011-05-18-V01_Massendigitalisierung_BSB_Google.pdf [Zugriff vom 20.10.2014]). Nicht nur werden dadurch die Bestände von Archiven, Museen und Bibliotheken gesichert, sondern es profitieren vor allem historisch arbeitende Wissenschaftler davon, digitale Sammlungen benutzen und dadurch Forschungszeit und -kosten sparen zu können. Die Übertragung öffentlicher Ressourcen an die Privatwirtschaft wird jedoch auch als unkontrollierbar kritisiert, vgl. z.B. Wimmer 2012, URL: http://www.b-i-t-online.de/heft/2012-04/fachbeitrag-wimmer.pdf (Zugriff vom 20.10.2014). Im Zentrum der internationalen Konferenz »Zugang gestalten! Mehr Verantwortung für das kulturelle Erbe« (Berlin, 13.–14.11.2014) stand die Zustandsanalyse zahlreicher geglückter wie mit Schwierigkeiten behafteter Digitalisierungsprojekte, vgl. URL: http://www.zugang-gestalten.de (Zugriff vom 15.11.2014).

6 »Eine integrierte Behandlung der drei Aspekte – häufig, aber nicht ausschließlich geografisch motivierter Sprachkontakt, soziale Di- bzw. Polyglossie und individueller Bi- bzw. Multilingualismus – ist, soweit ich sehe, ein theoretisches und empirisches Desideratum. Es ist weder in dieser Arbeit, noch, soweit mir bekannt, anderenorts als in Ansätzen eingelöst.« (Fellerer 2005, 276). Furrer präsentiert in seiner Studie zur »vierzigsprachigen Schweiz« drei vertiefende Fallstudien zu Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit in einer Region (die Waadt im ausgehenden 18. Jh.), einer sozialen Gruppe (die frühneuzeitlichen Militärauswanderer) und einem Individuum (Kaspar Stockalper vom Turm) (Furrer 2002). Di Salvo legt eine originelle ethnolinguistische Fall- und Vergleichsstudie zwischen süditalienischen Migranten in den englischen Städten Bedford und Cambridge vor, aus der individuelle und regionale Mehrsprachigkeitsprofile resultieren (Di Salvo 2012). Auch Barbarić kombiniert in seiner soziolinguistischen Studie zum mehrsprachigen (Küsten-) Dalmatien im 20. Jh. die drei Ebenen Region, Gruppe und Individuum, indem die Entwicklung des überindividuellen kommunikationsräumlichen (v.a. stadträumlichen) Sprachverhaltens auf der Basis demografischer Daten und einzelner sprachlicher Lebensläufe rekonstruiert wird (Barbarić im Druck).

7 Zu Paratexten als Orten der Sprachreflexion vgl. auch Gruber 2014, 229–242.

8 Lievens beurteilt das Spanische als »lingua del potere«: »impara a convivere accanto all’italiano, non senza cercare di rivendicare a sé quella stretta parentela con la lingua latina che ne avrebbe sancito la superiorità sul toscano […].« (Lievens 2013, 7).

9 Beccaria äußert sich dazu wie folgt: »Voglio dire che lo spagnolo, in quanto lingua molto affine, è sentito quasi come una storpiatura dell’italiano ostentatamente esagerata, o una sua brutta copia, una sua ironica variante. […] a mio avviso lo spagnolo veniva con tanta insistenza adoperato dal comico, anche perché sentito e rivissuto come variante linguistica vistosamente caricata del proprio idioma« (Beccaria 1968, 267, Anm. 13).

10 Vgl. Kremnitz 1994, 45f.; Moos 2008a; Ders. 2008b; Putzo 2011.

11 Diese Argumentation stützt Beccaria: »L’intacco dello spagnolo sull’italiano avviene in un momento poco ›propizio‹: quando l’influenza spagnola si esercita sull’italiano, si direbbe sia ormai troppo tardi; il toscano ha da tempo acquistato il senso d’una interna autonomia, la consapevolezza della propria originalità formale; aperto è vero a tutti gli influssi, ma permeato da un senso di unità e di distinzione vivacissimo; anche le oscillazioni secentesche, come le tendenze edonistiche cinquecentesche, non giocano che su una superficie di raffinatezza strumentali.« (Beccaria 1968, 259). Vgl. ebenso die Aussage von Lievens 2013, 7; vgl. Kap. 7, Anm. 8.

12 Auch Schwägerl-Melchior weist auf dieses Desideratum hin (vgl. ihre Exemplifizierung am Ende der Arbeit, Schwägerl-Melchior 2014, 416f.). Eine kombinierte Behandlung findet sich immerhin in der Studie von Fellerer 2005 (Wortfolgevarianten im Polnischen und alternierende Substantivendungen im Ruthenischen im mehrsprachigen Galizien vom 18. bis 20. Jh.).

13 Vgl. hierzu Hafner [u.a.] im Druck, insb. zu den Benennungen in Italien und Spanien. Sanson diskutiert die Verwendungen der Termini »lingua materna/naturale/volgare« im Rahmen der questione della lingua (Sanson 2007, 215–247). Zur Bezeichnung »italiano« aus synchroner Sicht vgl. Krefeld 2010b, 61f., URL: http://www.romanistik.uni-muenchen.de/downloads/links_personen/krefeld/it-var-ling.pdf (Zugriff vom 10.07.2014).

14 Diese Typologisierung wurde nur für Sardinien im Ansatz realisiert, vgl. Kap. 6.1.7.

15 Zur kirchlichen Sprachpolitik in Sizilien vgl. die Studie von D’Agostino 1988; eine erste Analyse zu Akkomodationsstrategien in Neapel präsentiert Kropp, die eine starke Toskanisierung im religiösen Bereich konstatiert und die allgemeine prekäre Quellensituation moniert (vgl. Kropp 2011).

16 Die historischen Grundlagen hierzu hat Dandelet erarbeitet (Dandelet 1995; Ders. 1997; vgl. Kap. 2.1.1, Kap. 2, Anm. 19 und Anm. 20; Misiti 1992 beleuchtet Rom als Druckort im Cinquecento und den auf spanische Drucke spezialisierten Drucker Salamanca (zu diesem auch Lievens 2002, 17–20); Gruber analysiert literarische, dramatische und sprachdidaktische Werke, die den Sprachkontakt widerspiegeln (Gruber 2014); eine städtische Sprachgeschichte Roms legt Trifone vor (Trifone 2008, insb. 48–59).

17 Sowohl zweisprachige Druckwerke als auch Übersetzungen sind hier von Relevanz und können ausgewertet werden, z.B. das in der ersten Hälfte des 16. Jh.s elfmal in Rom erschienene italienisch-spanische Schachbuch Libro da imparare giochare à Scachi, et de belissimi partiti […] In lingua Spagnola, & Taliana [sic] des Portugiesen Damiano de Odemira (vgl. EDIT16 und Odemira o.J., PURL: http://purl.pt/23728 [Zugriff vom 10.08.2014]) oder die italienische Übersetzung der Vita interiore del illustrissimo, eccellentissimo, e venerabil signore D. Giovanni di Palafox e di Mendoza (Palafox y Mendoza 1693, Rom), in der im Leserhinweis die zweisprachige Ausgabe begründet wird: »Considerando però […] che vi saranno non pochi che possederiano con perfezzione l’Idioma Spagnolo; e altri ancora che bastantemente intenderiano, aiutati dall traduzzione; si è stimato riuscirebbe à tutti grato darlo al torchio in ambedue fauelle, e in modo, che con un medemo libro si potesse soddisfar l’antedetto.« (Palafox y Mendoza 1693, o.S.), URL: Permalink: http://hdl.handle.net/2027/ucm.532512084x (Zugriff vom 10.08.2014).

18 Eine hierfür nützliche Monografie mit einigen Hinweisen auf in Bologna gedruckte spanische Flugblätter und Drucke aus dem 17. Jh. stammt von García Cueto, vgl. García Cueto 2006, insb. 467–472 und z.B. 41.

19 Arnold skizziert den hebräischen Buchdruck auch in kleineren Druckorten (Arnold 2002, insb. 87–108); zum Buchdruck in Ferrara vgl. Petrella 2004c. Zu Übersetzungstätigkeit der Judenspanier in Italien im 16./17. Jh. vgl. Minervini 1995, URL: http://cvc.cervantes.es/literatura/aispi/pdf/06/06_233.pdf (Zugriff vom 10.07.2014). Zum kommunikativen Raum der Sepharden allgemein vgl. Krefeld 2004a, 118–123.

20 Vgl. auch die verschiedenen Beiträge zum Druckort Antwerpen in Béhar/Blanco/Hafner im Druck. Eine sprachgeschichtliche Arbeit zum Spanischen in Flandern im 17. Jh. offeriert Verdonk 1980.

21 Antonio de Mendoza führte als erster Vizekönig von Neu-Spanien (1535) die Münzprägung und den Buchdruck ein, für Letzteren betraute er den deutschen Drucker Johann Kromberger, dessen »Casa de Juan Cromberger« mit einem 10-jährigen Privileg für Mexiko ausgestattet wurde.

22 Für Neu-Spanien ist der IB16 (und in Zukunft auch der IB17), der mehr als 19.000 spanische Drucke des 16. Jh.s, auch diejenigen aus Peru und Mexiko, beinhaltet, ein gutes Recherchewerkzeug. Vgl. die Zielsetzungen der 1. Zugänglichmachung, 2. der Konsverierung und 3. der Digitalisierung spanischer Drucke des »Iberian Book Project« (IB), URL: http://www.ucd.ie/ibp/index.html (Zugriff vom 10.12.2014).

23 Eine Zeitzeugin spricht gar vom Französischen als Nationalsprache: »le nostre tre lingue nazionali sono il francese, il piemontese e il genovese« (zit. nach Reutner/Schwarze 2011, 158).

24 Der Roman ist bekanntlich in der ›spanischen Lombardei‹ in den Jahren 1628–1630 situiert und spiegelt ein Stück historische Realität wider – auch in dieser Hinsicht schließt sich also der Kreis. Zu den im Roman zahlreich enthaltenen spanischen Passagen und Hispanismen vgl. Mele 1908, URL: http://archive.org/details/spagnuolospagnol00meleuoft (Zugriff vom 10.08.2014).

25 Je nach Definition des Gegenstandsbereichs ›Medium‹ bzw. ›Medien-Ensemble‹ gelangen Medienhistoriker zu ähnlichen mediengeschichtlichen Stadienkonzepten wie bspw. erstens primäre Mündlichkeit, zweitens Schriftlichkeit (800/700 v. Chr.), drittens Typografie (ca. 1455), viertens Analogmedien/audiovisuelle Massenmedien (ca. 1900), fünftens multimedialer Verbund auf digital-elektronischer Basis (ca. 2000). Eine gröbere Epocheneinteilung wäre nur zweigeteilt in »Graphosphäre« und »Videosphäre« (vgl. Tholen 2005, 158f.).

26 Diese siedelt Cortelazzo auf zwei Ebenen an: Zum einen führten insbesondere die »mezzi non alfabetici« wie Hörfunk und Fernsehen ab den 1960er Jahren in ihrer Funktion als ›Sprachschule‹ zu einer Italianisierung der Bevölkerung. Auf der strukturellen Sprachebene sei der Einfluss der Massenmedien vor allem im lexikalisch-stilistischen Bereich spürbar gewesen (Cortelazzo 2000, 37–53).