6. Analyse von vier Teilkorpora

6.1 Sardegna spagnola

6.1.1 Sprachgeschichtliche Perspektiven

Sardiniens Sprachgeschichtsschreibung orientiert sich stark am historischen Periodisierungsmodell, das heißt der sukzessiven Abfolge von Einwanderern bzw. Eroberern von vorchristlicher Zeit bis zum Insel-Status als so genannte Autonome Region 1948.1 Entsprechend der komplexen historisch-politischen und zusätzlich intern-geografischen Gliederung werden die Perioden der (einzel-)sprachlichen Entwicklung angesetzt, wodurch eindimensionale Perspektivierungen entstanden sind: Entweder wird – unter bis heute gültiger Federführung von Wagner (Wagner [1950] 1997) – das »profilo evolutivo della lingua sarda nell’isola« entlang der »lingua sarda antica dei Giudici e dei Condaghi e la lingua sarda moderna« (Blasco Ferrer 1984, XIf.; Ders. 1988) erstellt und dabei das statische Konzept der sequenziellen Schichtung angewendet, vorwiegend der superstratischen Einflüsse bzw. Gebersprachen auf das Sardische und seiner Varietäten (vgl. Wagner 1922; Sanna 1957).2 Oder es wird die Geschichte der progressiven Ausbreitung des Italienischen auf der Insel rekonstruiert, die sich in einer Klammerstruktur der »italianizzazione primaria« (11.–14. Jahrhundert) und der »italianizzazione secondaria« (ab 1720 bis heute)3 um die katalanisch-spanischen Jahrhunderte winde (vgl. Loi Corvetto 1992, jedoch auch mit Seitenblicken auf das Varietätengefüge der Insel). Alternativ stehen die »espansione dell’uso della lingua catalana nell’isola« (Carbonell 1984) oder die Entwicklung und (Omni-)Präsenz des Korsischen und der Korsen (vgl. Maxia 2006) im Vordergrund.4 Anstelle einer Darstellung der stafettenartigen Übernahme der Sprachen5 wurde die Rekonstruktion eines dynamischen Zusammenwirkens der autochthonen sardischen Varietäten – Logudoresisch, Campidanesisch, Sassaresisch, Galluresisch, Nuoresisch – mit den verschiedenen Territorialsprachen auf Basis der Kommunikationspraxis der Sprecher in Wort und Schrift bisher nur im Ansatz verwirklicht (vgl. Cadeddu 2013; Lörinczi 20066).7

Dass Sardinien ein exemplarisches kommunikationsräumliches Untersuchungsobjekt darstellt und mit mehreren, unterschiedlich verwendeten, verbreiteten und prestigebehafteten H-Varietäten und mehreren untergeordneten L-Varietäten für eine illustrative Polyglossiestudie8 geeignet ist, soll in den nächsten Teilkapiteln anhand der Periode der Sardegna spagnola demonstriert werden: Die Insel war als Kommunikationsraum zeitweise in zwei Territorien eingebettet und damit trotz ihrer zentralen strategischen Lage im Mittelmeerraum aus Sicht des iberischen und italienischen Festlandes geopolitisch randständig.9 Gilt diese Abgeschiedenheit auch für sprachliche Entwicklungen oder kann die Insel als mehrsprachige Schnittmenge sowohl der beiden Halbinseln als auch der Schwesterinsel Korsika10 gesehen werden? Bestätigt sich das Vorurteil der doppelten – externen und internen – Isolation Sardiniens in Bezug auf die Sprache(n) (vgl. Brigaglia/Mastino/Ortu 2006, VII), so dass Sardinien in diesem Zeitraum als ›Sprachinsel‹ bezeichnet werden kann?

Um ein möglichst authentisches Bild der Mehrsprachigkeit in dieser Zeit zu erhalten, sollen zwei questioni della lingua beleuchtet werden, die der Einführung im Jahr 1566 und der Sonderrolle des insulären Buchdrucks vor- und nachgeschaltet sind, genauer gesagt diese mitbedingen und daraus resultieren: Die eine Sprachdebatte wird hauptsächlich von Out-Group-Sprechern geführt und betrifft die kommunikativ-pragmatische – mündliche – jesuitische Praxis; Zielgruppe sind Priester und Gläubige. In der anderen Sprachenfrage reflektieren In-Group-Sprecher über ein bzw. ihr literarisches Kommunikationsinstrument – der Diskurs ist somit auf die Schriftlichkeit bzw. Literarizität (des Sardischen) bezogen; Adressat ist die Bildungselite. Beiden ist die kommunikativ ›erlebte‹ sprachliche Variation der (Sprach-)Insel, die Perzeption, gemein (vgl. Kap. 1, Anm. 21). Das Bild wird schließlich komplettiert von der handschriftlichen Diskurstradition der Dramatik, die Aufschluss gibt über die inszenierte und stereotypisierte Mehrsprachigkeit und Rückschlüsse erlaubt auf vorhandene Repräsentationen der Sprecher. Der Kern dieses Kapitels, das korpusbasierte Verhältnis der Buchproduktion zu sprachlicher und domänenspezifischer Distribution, soll auf diese Weise ergänzt bzw. validiert werden.

6.1.2 Zeitgenössische Raumperspektiven (14.–17. Jahrhundert)

Eine Betrachtung der insulären Sprachgeschichte aus zeitgenössischer Perspektive heraus liefert erstaunliche Parallelen zu Kategorien der aktuellen perzeptiven Varietätenlinguistik (vgl. Krefeld 2008), vor allem die wiederholte Beobachtung eines inselspezifischen markanten Stadt-Land-Gegensatzes und somit indirekt die eines Bestehens unterschiedlicher Sprechergruppen. Ferner ist aus frühen Zeugnissen – und späteren Belegen aus der questione della lingua sarda – ein metasprachliches Bewusstsein für den archaischen bzw. Latein konservierenden Charakter des Sardischen zu postulieren, der erst in jüngerer Zeit von Linguisten in Frage gestellt bzw. korrigiert wird.11

6.1.2.1 Einzelaussagen: Dante, Pompilio, Arquer, Carillo

Das erste überlieferte metalinguistische Zeugnis zur (Sprach-)Insel findet sich in Dantes raumbezogener und zugleich klanglicher Sprachreflexion De vulgari eloquentia (Dante [1304] 2011, I, XI, 7). Dante ist der Meinung, die mit Italien lediglich »assoziierten« Sarden (vgl. Ders. [1304] 2011, I, X, 5) besäßen gar keine eigene Sprache:12 »Sardos etiam, qui non Latii sunt, sed Latiis adsociandi videntur, eiciamus, quoniam soli sine proprio vulgari esse videntur« und hyperbolisiert (im Widerspruch zu seinen theoretischen Annahmen) »gramaticam tanquam simie homines imitantes; nam domus nova et dominus meus locuntur.« (Ders. [1304] 2011, I XI 7).

Während Dante ein abwertendes Urteil fällt, spricht ein zweiter Zeitzeuge, der römische Humanist Paolo Pompilio, wie Dante ein Festlandbewohner, circa 148513 dem sardischen Idiom ebenfalls, aber im sprachursprünglichen Sinne, das Charakteristikum der Latinität zu: »tum in sonum tractusque transeunt sardinensis sermonis, qui ut ipse novi, etiam ex latino est« (zit. nach Coseriu/Meisterfeld 2003, 176; Lörinczi 1998, 6).

Eine erste, quasi soziolinguistische Studie ›aus erster Hand‹ legt 1550 der prominente Zeitgenosse Sigismondo Arquer, selbst polyglott und ein sprachliches Spiegelbild der Insel, vor.14 »De Sardorum Lingua« bildet einen Abschnitt seiner berühmten und überhaupt ersten Inselbeschreibung Sardiniae brevis historiae et descriptio (Arquer 1550)15, die er für Sebastian Münsters erfolggekröntes Weltkundebuch Cosmographia Universalis (Münster [1544], 1550, 5. Aufl.)16 konzipierte.17

Abbildung 15: Sigismondo Arquer, »Sardinia insula« (in Sebastian Münster, Cosmographia Universalis, Basel 1550, 356).

Abbildung 15: Sigismondo Arquer, »Sardinia insula« (in Sebastian Münster, Cosmographia Universalis, Basel 1550, 356).

Hier heißt es nun, ganz im Unterschied zu Dante, »Habuerunt quidem Sardi olim linguam propriam«, diese sei aber durch intensiven Sprachkontakt mit »Latinis, Pisanis, Genuensibus, Hispanis et Afris, corrupta [fuit] multum lingua eorum, relictis tamen plurimis vocabulis; quae in nullo inveniuntur idiomate.« (Arquer [1550] 1987, 29). Anschließend kommt der Sarde auf den lateinischen Erbwortschatz im Zuge der Romanisierung zu sprechen, der vor allem für das gebirgige Inselinnere, die Barbagia, gelte. Diese Ausgangsbedingungen haben zur Folge,

[6] […] est quod Sardi in diversis locis tam diverse loquuntur, iuxta quod tam varium habuerunt imperium; etiamsi ipsi mutuo sese recte intelligant. Sunt autem duae praecipuae in ea Insula linguae, una qua utuntur in civitatibus, et altera qua extra civitates. Oppidani loquuntur fere lingua Hispanica, Tarraconensi seu Catalana, quam didicerunt ab Hispanis, qui plerumque magistratum in eisdem gerunt civitatibus: alii vero geniunam retinent Sardorum linguam. En habes utriusque linguae discrimen in dominica oratione. (Arquer [1550] 1987, 29; Arquer [1550] 2008, 30f.)

Die kommunikationsräumliche Verteilung der Sprachen auf der Insel ist also nach Arquer inner- und außerstädtisch komplementär: Iberoromanisch als städtische Verwaltungssprache versus Sardisch als genuines, ländliches Inselidiom; als kontrastive Sprachprobe fungiert hierfür die Diskurstradition der sonntäglichen Predigt in Form des »Pater noster«18 auf Latein, Katalanisch und Campidanesisch.19

Ähnlich strukturiert wie Sigismondo Arquer, der eventuell die Vorlage war, aber noch detaillierter schildert auch Martin Carillo, Generalvisitator aus Saragossa, gut 60 Jahre später in seiner in Barcelona gedruckten Relacion al rey don Philipe nuestro señor: Del nombre, sitio, planta, conquistas, Christiandad, fertilidad, ciudades, lugare, y gouierno el reyno de Sardeña (Carillo 1611)20 zunächst die besondere, hierarchisierte Sprachsituation der Insel, um dann ebenfalls exemplarisch das »Vater Unser«, das »Ave Maria« und das Glaubensbekenntnis auf Sardisch folgen zu lassen:

[7] El Reyno de Sardeña tiene peculiar, y particular lengua que llaman Sarda, la qual no se halla, ni se sabe que estè en otra parte del mundo: aun en el mismo Reyno ay alguna differencia de la deste cabo de Caller [Cagliari; T.A.], à la del otro cabo de Sacer [Sassari; T.A.], en las Ciudades principales hablan, y entendien la lengua Castellana, y Catalana. La Catalana es la mas ordinaria en este cabo de Caller, por auer mas comunicacion con Catalanes y Castellanos, en el otro cabo vsan mas la Italiana, y Genovesa, por tener mas comunicacion con Italia y Genoua: todos entienden la lengua Sarda como la comun al Reyno, y se conserua tanto en las aldeas que no entienden otra lengua, la qual simboliza mucho con la Griega y Latina mas que con ninguna otra lengua, y tiene vocablos della hasta los mismos Articulos de la lengua griega: deue de ser sin duda su origen de las dos, la latina de los Tuscos, y Lascos antiquissimos que la posseyeron, y ay frases enteras en latin como es esta, vna columba mea est in domo tua21, que es latin, y Sardo, hauia disciplinas, y escuelas donde se aprendian estas lenguas […]; las oraciones en lengua Sarda van aqui. (Carillo 1611, 81f.)

Im Einklang mit Arquer zeigt sich bei Carillo das Phänomen der Hispano- bzw. Katalanophonie der großen Städte, abweichend vom Fiskalanwalt des Regno berichtet er aber nicht von einer Stadt-Land-, sondern von einer Stadt-Stadt-Komplementarität, indem er, jeweils bedingt durch die unterschiedliche Außenkommunikation, für Cagliari die katalanische und Sassari die italienische und genuesische22 Vehikularsprache konstatiert. Ferner geht aus den Beobachtungen die Eigentümlichkeit der sardischen Sprache, ihre Verwendung als insuläre Gemeinsprache, ihr Status als niedriger eingestufte L-Varietät »en las aldeas que no entienden otra lengua« (gemeint ist das nicht urbanisierte Inselzentrum) sowie ihre Latinität und vermeintliche Gräzität hervor.

Zu betonen ist, dass in allen zitierten zeitgenössischen Quellen der alltäglich-mündliche Sprachgebrauch (Sprechfertigkeiten und Hörverstehen) nachgezeichnet wird, um den es primär auch im nächsten Kapitel geht. Ausgehend von diesen Befunden soll dann im übernächsten Kapitel die polyglossische Verteilung der ›Sprachen der Distanz‹ im Druck gegenübergestellt werden.

6.1.2.2 Mehrsprachigkeit als Hindernis für religiöse Bildung: die questione della lingua gesuita (1560–1600)

Im Folgekapitel über das sardische Sittenbild hält Arquer noch eine relevante Information über die mangelnde Bildung und Lateinkenntnis der Priester bereit:23 »indoctissimi sunt, ut rarus inter eos, sicut et apud monachos, inveniatur, qui latinam intelligat linguam. Habent suas concubinas, maioremque dant operam procreandis filiis quam legendis libris« (Arquer [1550] 1987, 31). Auch andere Zeitgenossen bezeugen aus der Außenperspektive, dass die Bildungssituation auf der Insel misslich war – so beklagen sowohl der Bischof von Castellaragonese De Cotes24 als auch der Erzbischof von Cagliari Parragues de Castillejo25 die abergläubische Weltsicht und Einfältigkeit der Bevölkerung und des Klerus. Die umfangreichen, inventarisierten Privatbibliotheken von einzelnen bibliophilen Klerikern und Rechtsgelehrten wie Arquer, Antonio Parragues de Castillejo, des Sassaresen und Juristen Giovan Francesco Fara und Monserrat Rosselló, die allesamt humanistisch ausgerichtet sind und den intensiven Buchimport aus Italien und Frankreich belegen26, scheinen als Ausnahmen die Regel zu bestätigen.27

Der Ausbau der schulischen Bildungseinrichtungen sowie die Schaffung religiöser Ordenshäuser im Zuge der Gegenreformation wie die der Jesuiten wurden daher von der sardischen Bildungselite begrüßt (vgl. Turtas 1989), obgleich damit die Kontroll- (und Sprach-)Instanz Kirche Einzug auf der Insel halten sollte.

Vor und während der Gründung von Jesuitenkollegs (1562 Sassari, 1564 Cagliari, 1581 Iglesias, 1588 Alghero, 1650 Olbia) ging es neben allgemeinen organisatorischen und logistischen Problemen wie Geldbeschaffung, der Suche nach geeigneten Räumen für Schulen, Bibliotheken etc. auch um die Frage nach der Sprachverwendung in den Kollegs, im Schulunterricht sowie in Katechese und in der Volkspredigt – »territorio del volgare« (D’Agostino 1988, 40).28 Die Verantwortlichen sahen sich vor das spezifische Insel-Problem gestellt, wie es angesichts der ausgeprägten Sprachenvielfalt, einer »confusión en esta tierra acerca de las lenguas« (zit. nach Turtas 1981, 63) möglich war, zu »confessar, aconsejar, conversar y predicar fuera de las ciudades« (zit. nach Ders. 1981, 61). Eine damit einhergehende Frage war die der erforderlichen Sprachkompetenzen seitens der nach Sardinien entsandten Lehrer und Priester. Im sprachgeschichtlich aufschlussreichen Briefverkehr (1560–1600) zwischen den Jesuiten vor Ort und den spanischen Autoritäten auf dem Festland wird der Konflikt ausgetragen, sich entweder dem Diktum des Gründers der Jesuiten, Ignacio von Loyola29 anzuschließen und somit im akkomodativen Sinne der Sprecher, Zielgruppe der Seelsorge, Predigt und Bildung, für die Etablierung des Sardischen einzutreten oder aber den institutionellen Lösungsvorschlag ›von oben‹ zu akzeptieren und für die Durchsetzung des Spanischen zu sorgen.

Die vom Kirchenhistoriker Turtas bereits 1981 aufgerollte Sprachfrage wird aus mehreren Gründen nochmals aufgegriffen bzw. soll neu perspektiviert werden: Zum einen wird dadurch deutlich, wie auf der Insel das Potenzial von Sprache als Instrument der Herrschaftsausübung des Klerus und der spanischen Habsburger bemerkenswerterweise ganz bewusst eingesetzt wird – anders als etwa in Neapel, wo Spanisch nicht als Politikum wahrgenommen wurde (vgl. Büschges 2007) und auch in der Verkündung (i.e. Predigt, Mission) nicht aufscheint (vgl. Kropp 2011). Die Feststellungen, dass »hinsichtlich der Predigtkompetenzen […] die Sprachkenntnis kaum je explizit zum Problem wurde« und »dass noch im Spätmittelalter die Sprachfamilie der Romania verschiedenen Meistern der Predigt erlaubte, von Sizilien bis Spanien ungefähr dieselbe Predigt in romanice zu halten, indem sie ihr durch kleinere Anpassungen der Aussprache und des Wortschatzes den jeweils erforderlichen Lokalkolorit gaben« (Moos 2008a, 25f.), lassen sich mit dem Problemfall Sardinien, wo das Phänomen der innerromanischen Interkomprehension von beiden Seiten, Predigern wie Laien, nicht funktionierte, falsifizieren. Darüber hinaus ist die Diskussion, insbesondere im Vergleich zu den anderen analysierten drei Kommunikationsräumen, ein seltener sprachhistorischer Beweis insofern, als Sprecher im Territorium einer anderen Sprache (bzw. beim Aufeinandertreffen mit autochthonen Sprechern) die diatopische Sprach- und Varietätenlandschaft, die bis heute ausgesprochen komplex ist, perzipierten – und dokumentierten. Diese komplementäre Perspektive ist schließlich wertvoll für die Bewertung der Druckschriftlichkeit, in der sich das Sprachpanorama nur bedingt widerspiegelt.

Den Auftakt zu dieser vor allem für Sassari virulenten questione della lingua gesuita30, in der der bisher bezeugte Stadt-Land-Kontrast und die Nord-Süd-Divergenz erneut bestätigt und sogar weiter verfeinert werden, bildet der Brief des portugiesischen Gründers des Jesuitenkollegs von Cagliari Francesco Antonio31 vom 01.09.1561, in welchem er feststellt, dass:

[8] La lengua ordinaria de Cerdeña es la sarda como de Italia la italiana. En algunas villas empero usan la corça, aunque también entienden la sarda. En la çiudad de Cáller y del Alguer [Alghero; T.A.] la ordinaria y común es la catalana, aunque también hay mucho de la sarda. En esta çiudad de Sáçer algunas personas prinçipales hablan mediocremente la española, pero la común es sardo y corço, o italiano que le es vezino. (Zit. nach Turtas 1981, 61)

Eine erfolgreiche katechetische Unterweisung erfordere seiner Meinung nach ein italienisches Sprachprofil (L1 oder L2) oder »a los menos tengan buen natural y façilidad para deprender la variedad de lenguas que por acá se usa.« Der zweite Verantwortliche, der Katalane Baldassare Pinyes, greift knapp drei Monate später (24.11.1561) erneut die problematische städtische Sprachenpluralität auf:

[9] En lo de la lengua sarda, sepa vuestra paternidad que en esta ciudad no la hablan, ni en el Alguer, ni en Cáller: mas sólo la hablan en las villas. En esta ciudad se hablan quatro o sinco lenguas: quién catalán, quién castellano, quién italiano, quién corso, quién sardo: de modo que no hay lengua cierta sobre que el hombre pueda hazer fundamento: todavía se pone algún ciudado en que se hable sardo; pero no es posible que se haga como en Italia o Flandes y Francia, que hablan todos los de una ciudad una lengua y acá no es assí. (Zit. nach Turtas 1981, 63)

In Analogie zu Antonio seien seines Erachtens sardische Grundkenntnisse für die Dorf-Seelsorge, in der sprachheterogenen Stadt Sassari aber Italienischkenntnisse gefragt; Cagliari und Alghero seien, da hispanophon, nicht tangiert:

[10] Y assí he procurado de yr por los medios, procurando de aprender el sardo medianamente; aunque, como digo, en esta ciudad no le hablan, más tienen lengua por sí quasi como corcesca; y en lo común hablamos todos castellano. Y para l predicar en la ciudad no hay otra lengua con que poder predicar, sino fuese la italiana. Aunque más se huelgan de la castellana, máxime en Cáller y en Alguer. (Zit. nach Turtas 1981, 63)

Trotz dieser ›Bittschreiben‹ soll die auf dem spanischen Festland als vorbildlich angesehene Situation kopiert werden, wonach durch eine voluntaristische, explizite Sprachpolitik die spanische Sprache vor- und festgeschrieben und eine Anpassung nicht an, sondern seitens der autochthonen Bewohner gefordert wird. Diese Statuszuordnung in Form des Beschlusses (1567) von Francesco Borgia, Spanisch in den Kollegs, im Unterricht und in der Predigt festzulegen, wird zusätzlich verstärkt durch die Forderung einiger spanischer Adeliger nach Spanisch-Unterricht für ihre Kinder (vgl. Turtas 1989, 294). Auch das Stamento militare forderte 1565, die auf Italienisch abgefassten brevi von Iglesias, Bosa und Sassari auf Sardisch oder Katalanisch zu übersetzen – »que lleys del Regne stiguen en llengua straña« schien eine Unerhörtheit – woraufhin Philipp II. verfügte, dass jene »abolits talment que no reste memoria de aquells« (zit. nach Wagner [1950] 1997, 185, Anm. 185).32 Zu dieser De-Italianisierungsstrategie zählt des Weiteren 1569 die Visitation des Provinzials der Provinz Aragón, Antonio Cordeses, mit dem Ziel der Einführung der »modi di Spagna in ogni cosa« und drei Jahre später das von Philipp II. ausgesprochene Universitätsbesuchsverbot für Sarden in Italien (vgl. Sanna 1957, 197f.).33 Aus der weiteren Briefdokumentation geht allerdings hervor, dass diese Art der Sprachgesetzgebung und die sprachliche Realität auseinanderklafften. Der kalabrische Studienpräfekt Bernardino Ferrario bemerkte 1569, dass »quelli che si confessano tutti sono sardi, li quali parlano sardo overo italiano; pochissimi sono quelli che in spagnolo et molto rari« (zit. nach Turtas 1981, 75f.). Er selbst ließ sich wegen der obligatorischen, aber ihm fehlenden Italienischkenntnisse in die neue Welt versetzen (vgl. Ders. 1981, 75). Ähnlich argumentierte der General Francesco Borgia im Brief vom 16.02.1570 an den Landesverwalter Sardiniens (und bittet später ebenfalls um seine Versetzung nach Südamerika): »la lengua española en la qual se habla, confiessa y predica no es tan entendida especialmente ay en Saçer como sería la italiana y que por unos pocos principales pierden muchos el fructo que se les podría hazer.« (Zit. nach Ders. 1981, 77). Er forderte deswegen eine pro-italienische Lockerung der Sprachregelung in Sassari,34 um den geringen Integrationsgrad der sardischen Gläubigen zu erhöhen:

[11] […] credo que no conviene dexar la lengua española, especialmente haviendola introduçida ya tanto; más creo que sería bién que algunas vetzes se prediche en italiano especialmente haviendo ay quién lo haga bién, porque si no se han de servir de la lengua de los italianos, no es mucho que ellos sientan alguna desconsolación de estar donde no hagan fruto. (Zit. nach Turtas 1981, 77)

Die divergente Kommunikationssituation betraf außer Sassari aber auch südlichere Gebiete wie beispielsweise die Erzdiözese Ales der Provinz Oristano; hier verzichtete der Spanier Pietro Clement auf das Amt des Erzbischofs, da er die Sprache vor Ort nicht beherrschte und dafür auch keine Dolmetscher, wie wohl sonst üblich für Nichtmuttersprachler, engagieren wollte, »perché né lui conosceva la lingua dei suoi sudditi né essi conoscevano la sua« (zit. nach Turtas 1989, 294f.).

Schließlich lassen sich am Visitationsbericht von Fabio Fabii (01.02.1583) die zumindest in und um Sassari gültigen, nähesprachlichen und polyglossischen Verhältnisse im öffentlichen Raum sowie Spracheinstellungen ablesen35: Spanisch fungierte als ›Hoch‹-/Prestige- und schulische Unterrichtssprache sowie als Sprache der Predigt in den Städten; dörfliche Predigtsprache war indessen Sardisch (und blieb es nachweislich bis 1655),36 das als Gemeinsprache der Insel mehr Wertschätzung erfuhr als das »barbarisierte« Sassaresisch,37 aber schwierig zu lernen gewesen sei und daher idealerweise von Muttersprachlern zumindest in den kleineren Kirchengemeinden (nicht aber im städtischen und repräsentativen Dom) zu Missionszwecken eingesetzt werden sollte.38

[12] Pare che con la lingua castigliana venghi più honorato il re et i principali della terra si sforzano di parlarla, massime che la sassarese ha molta barbarie et la stimano meno che la commune sarda la quale corre per l’isola. Dicevano che se i nostri predicassero in altra lingua che nella castigliana, non sariano uditi cosi volentieri, anzi s’offenderian gli offitiali et può essere che i nostri si siano inclinati più facilmente alla castigliana come più elegante et pregiata. Parimente nelle scuole di grammatica non si usa altra lingua che la castigliana quando si esplica il latino, si danno compositioni o frasi et in tutto il resto. Solamente nelle missioni de’ nostri a ville si predica in sardo, perché non intendono la castigliana né l’italiana et però è necessario che quelli che si mandano siano naturali, perché con grandissima difficoltà altri l’apprendono. Havendo inteso il parer di molti nostri, sardi et spagnoli, che saria stato gran servitio di Nostro Signore et frutto dell’anime far predicare i nostri anche nella lingua sarda, se non nel domo, almeno in altre chiese et parochie prencipali, acciò la maggior parte del popolo, che intende il castigliano, non sia defraudato della sua parte almeno in quaresima […]. (Zit. nach Turtas 1981, 80)39

Die breite Masse der sardischen Laien schien also, sofern sie nicht der höheren Schicht der »personales principales« angehörte, nicht in die spanische Gesellschaft integriert und offensichtlich unfähig, aber auch verständlicherweise desinteressiert, ihr sprachliches Verhalten an der herrschenden Gruppe auszurichten. Im Gegenteil, die unbefriedigende ›passive‹ Kommunikationssituation zwang die Jesuiten zu mehr sprachlicher Elastizität und Aufweichung der spanischen Direktiven. Sardinien verhält sich hier komplett anders als das süditalienische Königreich Neapel, in dem keine sprachlichen Akkommodationsprozesse an die Zuhörerschaft zu konstatieren sind – Toskanisch scheint dort als Predigt- und Prestigesprache schon vor dem Tridentinum verankert gewesen zu sein (vgl. Kropp 2011, 217).

Turtas apostrophiert eine für das Ende des Cinquecento gültige definitive Marginalisierung des Sardischen bzw. eine künstliche Zurückdrängung in die »villas« der Insel aufgrund einer von spanischer Seite durchgesetzten ›Monokultur‹, die sich zugleich durch die schwache bzw. ebenfalls unterdrückte Konkurrenz der italienischen Sprache entfalten konnte. »Non è un caso che, a parte le due edizioni della ›Carta de logu‹ […] l’attività editoriale in Sardegna non presenti, durante tutta la seconda metà del Cinquecento, che due titoli sardi e per di più ›poetici‹« (Turtas 1981, 86). Dieser Befund leitet über zur Einführung des Buchdrucks auf Sardinien und zur Fragestellung, ob sich die im jesuitischen Sprachendiskurs aufgezeigten Verhältnisse auch in der gedruckten Schriftlichkeit widerspiegeln.

6.1.3 Makroanalyse: der Buchdruck und gedruckte Mehrsprachigkeit in Sardinien

Entgegen der zeitlichen Rahmung der vorliegenden Arbeit bietet es sich an, die Sprach- und Druckgeschichte40 Sardiniens bereits im Inkunabelzeitalter beginnen zu lassen – aufgrund der Tatsache, dass dieses Kapitel schnell erzählt ist und mitten in ein Sprachkontaktszenario führt: Es wurde auf der zweitgrößten Insel im Mittelmeer nur eine einzige Inkunabel gedruckt,41 nämlich Hugo de Sancto Charos Speculum ecclesiae, laut Kolophon 1493 erschienen in Cagliari bei Salvatore da Bologna, »mestre de stampa a requesta de mestre nicolau dagreda aragones« (Sancto Charo 1493, 34r), bezeichnenderweise in katalanischer Übersetzung.42 Ungeachtet der noch nicht ausdiskutierten »questione della protoedizione« (Balsamo 1968, 33)43 belegt dieses Büchlein dennoch die Existenz bzw. Zirkulation von gedrucktem Schrifttum44 und die Relevanz der katalanischen Sprache, welche sich, als Konsequenz der politischen Expansion des Königreichs Aragón zwischen 1323 und 147845 und weit darüber hinaus, ausgehend vom Gravitationszentrum Cagliari, vorwiegend im ganzen Süden der Insel verbreitete.46 Im weniger katalanisch geprägten Norden entsteht die »colonia alloglotta« (Sanna 1957, 201) von Alghero, die bis heute eine katalanische Sprachinsel darstellt.

6.1.3.1 Cinquecento

Erst 73 Jahre nach diesem mutmaßlichen sardischen Wiegendruck, ein ganzes Jahrhundert nach Einführung des Buchdrucks auf dem italienischen Festland und zwei vermeintliche cagliaritanische Druckwerke47 später beginnt 1566 mit der Gründung einer Offizin durch den Kanoniker Nicolò Canyelles48 die eigentliche Geschichte des gedruckten Buchs bzw. der gedruckten Schriftlichkeit im Süden der Insel – und mit einem weiteren Rückstand von 50 Jahren auch im Norden. Nicht nur in seinem mit vergleichsweise lange Zeit fehlenden Bildungsinstitutionen – unter anderem den Hauptabnehmern von Druckwerken49 – begründbaren ›Spätentwicklertum‹50 nimmt das Regnum Sardiniae eine Sonderstellung in der Gutenberg-Galaxis ein. Auch das ausgeprägte mehrsprachige Insel-Profil schlägt sich in der Sprachverteilung der Druckwerke und im dort ausgetragenen Sprach(en)bewusstsein nieder. Dabei schimmern in ökonomischer und sprachlicher Hinsicht immer wieder die polaren Bezugspunkte zu Spanien und Italien durch, wie wir im Folgenden sehen werden.

Beeindruckt und inspiriert von der 1561 infolge der Gegenreformation gegründeten und von Paolo Manuzio geleiteten Stamperia del Popolo Romano (1561–1574),51 aber auch und vor allem als notwendige (werbetechnische und profitable) Reaktion auf die oben geschilderte Gründung der Jesuitenkollegs installierte der Sarde Canyelles mit ungefähr der Hälfte an Personal und Grundausstattung52 nach römischem Vorbild in Castello, der Altstadt von Cagliari, eine Druckerwerkstatt mit dem primären Ziel der christlichen Bildung und Erbauung für Jedermann (vgl. Balsamo 1968, 81; Anatra 1982, 233). Obschon der Theologe Gründer, Inhaber und Finanzier der Offizin war, so fungierte er weder als Geschäftsmann noch Typograf, sondern als Herausgeber vorwiegend religiöser Schriften – programmatisch sein Initialwerk Catechismo des französischen Jesuiten Edmond Auger (Auger 1566)53, ein Nachdruck in spanischer Übersetzung, der in das oben nachgezeichnete Bild der jesuitisch gewollten Dominanz des Kastilischen passt (Kap. 6.1.2.2). Das erste gedruckte Handbuch für Beichtväter Breve directorium ad confessarii ac poenitentis munus recte obeundum […] (Polanco 1567) erschien ein Jahr später (vgl. Toda y Güell 1890, 163, Nr. 429). Als Prokuratoren bzw. Direktoren stellte er 1567 den »bibliopola« Stefano Moretto54 und den »impressor« Vincenzo Sembenino aus Salò an, der von 1571–1573 die Druckerei in Eigenregie leitete.55 Er war es 1571 auch, der eine Buchhandlung angliederte, um die Rentabilität des allein nicht ertragsfähigen Druckbetriebs durch den Vertrieb von regelmäßig aus Neapel und Spanien importierten Büchern in Cagliari vor allem für das in Castello ansässige elitäre Publikum aus Katalanen und Spaniern selbst zu steigern. Auch über Buchhändler und Geschäftspartner in Sassari sollte das Geschäft lukrativer werden. Canyelles enge Beziehung zu den insularen Jesuitenkollegs (vgl. Turtas 2004, 160–166)56 spiegelt seine Publikationsliste57 wider: Der ›Löwenanteil‹ seiner insgesamt 57 Titel58 entfällt mit 70% auf den religiösen Bereich, inklusive 13 Titel für den Schulgebrauch59 – Adressaten der zur Hälfte auf Latein publizierten Werke waren folglich Geistliche, Gläubige und Schüler.60 Es folgen zwei weitere Bereiche mit weitaus geringerer Titelanzahl, nämlich lokale Drucke61 und administrative Texte des Reichs. Circa die Hälfte dieser 57 Drucke wurden auf Antrag und Kosten Dritter hergestellt – neben dem Buchhandel wurden also Maßnahmen der externen Fremdfinanzierung ergriffen, einerseits durch die Kirche (die erzbischöfliche Kurie, Jesuiten und andere Bruderschaften), andererseits mittels der »dilatazione degli apparati burocratici, giudiziari e di governo, tipica dell’età di Filippo II, che in Sardegna culmina nel 1564–1573, con l’istituzione del Tribunale Supremo della Reale Udienza« (Olivari 1992, 847). Als Giovanni Maria Galcerino aus Brescia die Offizin übernahm (1586–1597; 1613–1714)62 und Pietro Zias aus Neapel für zwei Jahre als Drucker und Mitarbeiter anstellte, »ormai la tipografia si limitò ad una attività esclusivamente di carattere ufficiale, a servizio del Governo viceregio e della Chiesa« (Balsamo 1968, 82). Der Neapolitaner Martino Saba, Interimsdirektor zwischen 1598 und 1623, produzierte weniger als ein Buch pro Jahr; erst ab 1616 kam die Monopolproduktion konkurrenzbedingt wieder in Schwung, da in Sassari die erste Druckerei – ebenfalls auf Initiative und Kosten eines Klerikers, des Erzbischofs von Oristano, Antonio Canopolo aus Korsika (1616–1621) und ebenfalls infolge der Errichtung einer Bildungsinstitution, nämlich der Universität Sassari 1617 – entstand.

Im Jahresdurchschnitt werden im Cinquecento nur 2,32 Titel produziert (im Seicento sind es 1,56 Titel); der Auflagendurchschnitt fällt ebenfalls eher bescheiden aus: Die Untergrenze liegt bei 250 Exemplaren (auch im Seicento) (vgl. Anatra 1982, 242; ferner Toda y Güell 1890, 15); die Auflage von 1.000 Stück des Handbuchs Breve instruction de como se ha de administrar el Sacramento de la Penitencia […] (Medina 1597) von Bartolomè de Medina stellt wohl nicht die Obergrenze, sondern eine Ausnahme dar. Im Leserhinweis informiert der Drucker diesbezüglich und auch über die Nützlichkeit des Spanischen: »me mandó su Señoría Illustriss. Imprimiese mil volúmenes, que por yr en Romance seria de grande provecho para los penitentes que no saben Latin, y aun para los que lo saben, Curas y Confessores doctos, por entender ellos y preciarse del lenguaje Castellano.« (Zit. nach Toda y Güell 1890, 136, Nr. 283).

Von den bisher skizzierten klerikalen Buchproduzenten,63 Distributoren, Konservatoren (in den Kollegs) und Rezipienten ist auch die Sprachverteilung der Druckwerke abhängig während dieser »fase pioneristica col suo 48% di titoli in latino, 25% in castigliano e 22% in catalano. […] Marginale è l’incidenza del sardo«, welche nach Anatra 2,5 Titeln (≈ 2,5%) entspricht und von je einem italienischen und mehrsprachigen Druckwerk ›überboten‹ wird (vgl. Anatra 1982, 237f., 242). Diese quantitativen Daten der sardischen cinquecentine, für die allgemein immer noch ein »censimento insulare« fehlt64, können mit denen der Datenbank EDIT16 2014 und denen meines eigenen Korpus tabellarisch wie folgt zusammengefügt werden:

Tabelle 6: Sprachliche Distribution der cinquecentine Sardiniens im Vergleich (1566–1600); Datenset 5: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Tabelle 6: Sprachliche Distribution der cinquecentine Sardiniens im Vergleich (1566–1600); Datenset 5: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Prozentualisiert lassen sich die eigenen Korpusdaten wie folgt darstellen:

Abbildung 16: Sprachliche Distribution der eigenen repertorisierten cinquecentine Sardiniens in Prozentzahlen (1566–1600).

Abbildung 16: Sprachliche Distribution der eigenen repertorisierten cinquecentine Sardiniens in Prozentzahlen (1566–1600).

Die im Diagramm visualisierte erhobene Distribution nach Sprachen führt wieder zum Anfang des Kapitels und zu den thematisierten komplexen Sprachverhältnissen in Sardinien. Die ermittelten Annäherungswerte an die gedruckte Schriftlichkeit der Insel zeigen, und dies in weitaus stärkerem bzw. konträrem Ausmaß zu jener sprachlichen Verteilung Gesamtitaliens im Secondo Cinquecento (vgl. Abb. 3), ein Bild der Mehrsprachigkeit bzw. Zerklüftung. Der dem Spanischen quasi gleich gewichtete Anteil der katalanischen Sprache (der fast ausschließlich von der Diskurstradition der öffentlichen cride und Pragmatiken abgedeckt wird) belegt, dass das katalanische ›Erbe‹ fortdauert und das sprachpolitische Programm der Spanier noch nicht in Gänze greift. Die prozentual unterrepräsentierten sardischen und italienischen Texte spiegeln das königliche, anti-italienische ›Imprimatur‹, aber auch die durch Leseinteressen gesteuerten Präferenzen der zum Großteil elitären – katalanischen und spanischen – Adressaten bzw. Abnehmer »dai nobili, […] dai funzionari regi, dai magistrati dei tribunali, dagli avvocati, dai mercanti, da donne di una certa istruzione, da artigiani, da studenti che frequentavano gli atenei italiani e spagnoli.« wider (Olivari 1992, 846; auch Quaquero 1994, 131). Der Leserkreis besteht aus einer dünnen, aber eben potenten Oberschicht, wie sich auch aus dem minimalen prozentualen Anteil an iberischem Namensgut im demografischen Vergleich schließen lässt (vgl. Maxia 2006). Die im Vergleich mit den anderen Kommunikationsräumen des spanischen Italien überraschend wenigen zwei- und mehrsprachigen Drucke bezeugen einerseits die Funktionalität, andererseits den ›Poetizitätsgrad‹ der darin enthaltenen Sprachen, wie in der Analyse einzelner Drucke gezeigt wird (vgl. Kap. 6.1.4).

6.1.3.2 Seicento

Der Madrilene Onofrio Martín, der in den Jahren 1653, 1657 und 1688 die Druckerei von Canelles/Galcerin leitete, etablierte 1665 die zweite Druckerei in Cagliari (bis 1675); 1670 wurde er von der Königin persönlich zum »Impresor Rl. en esse Reyno de Cerdeña« ernannt (vgl. Toda y Güell 1890, 279). Sein Sohn verkaufte die väterliche Offizin 1679 an den Dominikanerorden (bis 1767) und initiierte 1695 eine eigene (bis 1739, allerdings zeitweise mit unterschiedlicher Inhaberschaft).65

Die sassaresische Druckerei des Korsen Antonio Canopulo/Francisco Scano de Castelvì66 & Söhne (1623–1681, mit den Direktoren Gobetti aus Trient, Bribo, Seque) litt unter der Finanzkrise der Universität, vor allem aber unter der Rivalität zu Cagliari,67 das seine Vorrangstellung als Druckzentrum der Insel vehement verteidigte.68 Bereits die sassaresische ›Inkunabel‹ von 161669 El triunpho y martirio esclarecido de los illustriss. SS. Martyres Gavino, Proto, Yanuario […] dirigido a la Illustriss y Magnificentiss ciudad de Sacer, Cabeca de la Provincia Turritana (Gillo y Marignacio 1616), ein Stadtlob im von der Stadt finanzierten Premiumdruck, war ein anticagliaritanisches Statement gegen die Inanspruchnahme Cagliaris als Fundort der Reliquien der drei Nationalmärtyrer, wie aus der Widmung an die Stadt selbst resultiert:

[13] Estas Octavas hablan de la Ciudad […] de Sacer […] de los quales hasta hora ha havido poca noticia en el mundo. Porque han callado siempre y no se han dado á conocer hablando. Por no haver tenido hasta ahora la comodidad de la Emprenta, que sirve de lengua, para communicar los conceptos, á los ausentes, y á los presentes. (Zit. nach Toda y Güell 1890, 120, Nr. 219)

Sassaris Produktion blieb aus den genannten Gründen moderat; mit ganzen 28 Druckwerken im Seicento war sie der Hauptstadt, die 247 Drucke vorweisen kann (davon 56 cinquecentine und 18 o.J.), nach meinen Daten numerisch weit unterlegen. Die quantitative Kapazität der Insel war jedoch generell im Vergleich zu Italien extrem gering, wie Gemelli überspitzt, aber treffend formuliert: »è certo che più stampa in Venezia il sig. Remondini in due anni, di quello che stampato abbia la Sardegna in due secoli.« (Gemelli 1776, 56, I, Anm. d).70 Auch litt die Inselproduktion zunehmend unter Verschleiß. So beklagte 1683 der bibliophile Bischof von Bosa, Giorgio Soggia Serra, der Sassaris zweite Druckerei 1686 gründete,71 in einem Brief an den Literaten und Bibliothekar des Großherzogs Cosimo III. der Medici von Florenz Antonio Magliabecchi, der ihn dazu ermutigte, selbst Bücher zu drucken:

[14] […] non è possibile stampare le mie opere con questi caratteri di Sassari che sono affatto consumati e la stamperia è distrutta; non ho potuto stamparle in Cagliari andatovi a posta quest’anno, perché aver quelli caratteri sono antichi assai, né basterebbero a stampare trecento libri. (Zit. nach Toda y Güell 1890, 281)

Daher bezog Soggia Serra 1686 neue Buchstaben aus Rom und ließ den römischen Drucker Giuseppe Brandino einschiffen, so dass 1686/1687 die »tipografia servitiana« mit einer Presse starten konnte. Hier lässt sich also eine dritte Parallele zu den vorherigen Initiatoren Canelles und Canopolo ausmachen – allesamt Bischöfe, die nach ihrer Auslands- bzw. Italienerfahrung, aus persönlicher Passion und gekoppelt an religiöse Institutionen, Druckereien auf der Insel eröffneten. Da Serra aber für den Druck seiner vorwiegend lateinischen Werke theologischen Inhalts72 vergebens nach geeignetem Fachpersonal auf Sardinien suchte, ließ er gleichzeitig auch in Rom bei Angelo Bernabò drucken. Neun Titel wurden in 1.700 Exemplaren (700 im Folio-, 1.000 im Oktavformat) zum Nutzen des Ordens in Sassari »composti et impressi« und dann nach Livorno und von dort aus nach Florenz an die Santissima Annunziata di Firenze verschifft – mit der Bitte an Magliabecchi um Versand auch an andere Kollegs in Italien. Diese letzte religiöse Druckerei (bis 1795) ist also ein singuläres Beispiel dafür, dass die Insel Bücher nicht nur importierte, sondern auch, obgleich in minimalem Ausmaß, exportierte.

Domänenspezifisch halten sich gemäß Anatra in der ersten Hälfte des Seicento die religiöse und die weltliche Produktion ungefähr die Waage. Während in der Religion ein besonders hoher Anstieg an Heiligenlegenden im Gegensatz zum Cinquecento zu verzeichnen ist – diese klettern von 10,5% auf 25,5%, zusammen mit Gebetstexten decken sie 43,5% der insgesamt 52% an religiösen Titeln ab –, wird die ›Laienproduktion‹ zu 60% durch Regierungsakten repräsentiert (vgl. Anatra 1982, 239). Insgesamt verringert sich dann während der zweiten Hälfte des Seicento die religiöse Buchproduktion der Insel »con la sua incidenza ridotta al 35,4%« (Ders. 1982, 241) im Verhältnis deutlich – allein 43% entfallen auf die prestigereiche und alles in allem wohlwollende ›staatliche Bedarfsproduktion‹ in spanischer Hand.73

In sostanza, il generoso tentativo del Canelles moriva in gran parte con lui per la oggettiva difficoltà a competere con la consolidata capacità produttiva delle principali editorie europee, con le quali stentava a confrontarsi, presso il pubblico colto sardo, persino l’editoria spagnola. […] la stamperia sarda nel corso del secolo trovava un suo dimesso, ma più armonico, rapporto con il mercato interno, che le permetteva di assestarsi su non disprezzabili livelli produttivi, sia pure ricorrendo al supporto di un maggior numero di centri di produzione (due nella prima metà; tre nella seconda metà del Seicento). (Anatra 1982, 241)

In sprachlicher Hinsicht ist nach den statistischen Daten von Anatra die Veränderung zum vorherigen Jahrhundert zwischen 1600 und 1650 »dato dalla caduta verticale del catalano (che scompare quasi: solo tre titoli) e del latino (che si riduce ad un 13,5%) e dalla forte espansione del castigliano, che monopolizza il 77% dei titoli« (Ders. 1982, 239). In der zweiten Hälfte des Seicento potenziert sich die Entwicklung der sprachlichen Distribution der insgesamt 156 Editionen, 35 davon aus Sassari: Prozentual sind 86,6% der Editionen auf Spanisch, 12,2% auf Latein und 0,02% auf Sardisch (≈ 1 Titel); bezieht man die drei vorausgehenden sardischen Titel mit ein, so werden insgesamt 4% erreicht (Ders. 1982, 241f.).

Die Daten des vorliegenden Korpus weichen im katalanischen Sprachsektor auffällig davon ab – hier wurden knapp 50 Druckwerke mehr als bei Anatra katalogisiert (Anatra 1982). Sie alle sind, wie bereits zwischen 1566 und 1600, Verwaltungsdokumente. Im Gegensatz zu den Forschungsergebnissen von Anatra, der keinen einzigen katalanischen Druck registriert, werden sie sogar selbst in der zweiten Jahrhunderthälfte noch pari zum Spanischen publiziert; ab circa 1640 stellt sich dann ein leichter Kippeffekt zugunsten des Spanischen ein: 33 katalanische versus 41 spanische Texte. Darüber hinaus gibt es meinerseits nur Ergänzungen bzw. Modifikationen bezüglich der Übersetzungen und der zweisprachigen Editionen. Die folgende Tabelle zeigt die Auswertungen der beiden Korpora im Vergleich:

Tabelle 7: Sprachliche Distribution der secentine Sardiniens im Vergleich (1601–1700); Datenset 6: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Tabelle 7: Sprachliche Distribution der secentine Sardiniens im Vergleich (1601–1700); Datenset 6: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

In Prozentzahlen lassen sich die eigenen sprachlichen Korpusdaten wie folgt veranschaulichen:

Abbildung 17: Sprachliche Distribution der eigenen repertorisierten secentine Sardiniens in Prozentzahlen (1601–1700).

Abbildung 17: Sprachliche Distribution der eigenen repertorisierten secentine Sardiniens in Prozentzahlen (1601–1700).

Aus der tabellarischen Aufsplittung des Korpus nach Domänen geht die Dominanz der religiösen und administrativen Druckwerke hervor; nicht einmal 10% nimmt zusammengenommen die literarisch-geschichtliche Produktion ein:

Tabelle 8: Diskursdomänenspezifische Distribution der sardischen Drucke und Anteil an der Gesamtproduktion im 16. und 17. Jahrhundert nach Ambrosch 2015.

Tabelle 8: Diskursdomänenspezifische Distribution der sardischen Drucke und Anteil an der Gesamtproduktion im 16. und 17. Jahrhundert nach Ambrosch 2015.

Die nachstehende Tabelle zeigt die Korrelation von Sprache und Domäne aller Druckwerke aus dem Teilkorpus:

Tabelle 9: Korrelationen von Sprache und Diskursdomäne der sardischen Drucke (in Klammern: Drucke außerhalb der Insel) nach Ambrosch 2015.

Tabelle 9: Korrelationen von Sprache und Diskursdomäne der sardischen Drucke (in Klammern: Drucke außerhalb der Insel) nach Ambrosch 2015.

Das letzte Schaubild zeigt schließlich die statistische Gegenüberstellung der nach ›Drucksprachen‹ gefilterten Editionen des Regnum Sardiniae im 16. und 17. Jahrhundert. Was sich eklatant ändert, ist der spanische Anteil, der sich im 17. Jahrhundert im Vergleich zum Cinquecento in der rechtlichen und literarischen Domäne verzehnfacht und im religiösen Bereich verdreifacht.

Letztendlich spiegeln die präsentierten Daten nicht den ›echten‹ Sprachenmarkt der Insel wider – sie zeigen aber eindeutige polyglossische Tendenzen. Deutlich wird vor allem die dominante Rolle des Katalanischen und Spanischen im Druck als Folge der institutionellen Verdichtung von Regierung, Kirche und Druckereien, wobei spanische Druckwerke im Lauf des 16. Jahrhunderts förmlich boomen und diejenigen in katalanischer Sprache weit überflügeln. Der iberoromanischen Großproduktion steht eine klare Unterprivilegierung des Italienischen und Sardischen, die sich im Druck oder vielmehr unter Druck befinden, während beider Jahrhunderte gegenüber.

Schärfentiefe des Korpus soll mit der nun folgenden Einzelanalyse von ein- und mehrsprachigen Druckwerken und nach Möglichkeit deren Paratexten erreicht werden.

Abbildung 18: Sprachliche Distribution der sardischen cinquecentine (nur aus Cagliari) und secentine im statistischen Vergleich auf Basis von Ambrosch 2015 und Anatra 1982 (1566–1700).74

Abbildung 18: Sprachliche Distribution der sardischen cinquecentine (nur aus Cagliari) und secentine im statistischen Vergleich auf Basis von Ambrosch 2015 und Anatra 1982 (1566–1700).74

6.1.4 Mikroanalyse: Einzeldrucke

6.1.4.1 Katalanische Druckwerke

L’uso del catalano, sempre affiancato all’uso del sardo, fu più ampio nelle città che nei villaggi e più intenso nella pianura del Campidano, al sud dell’isola, che non al nord, e nelle zone interne. Però […] si andò estendendo da tutte le parti, forse a partire da Cagliari; e toccò i diversi livelli sociali, non come lingua propria – anche se alcuni settori l’adottarono –, ma come lingua sovrapposta che occupò una parte importante dello spazio d’uso della lingua scritta. (Carbonell 1984, 94)

Die seit 1355 bestehende diskursive Entfaltung des Katalanischen in der distanzsprachlichen Rechtsdomäne wird in der gedruckten Schriftlichkeit weitergeführt. Nahezu sämtliches Verwaltungsschrifttum erscheint im Druck: Gesetze, Verträge, Parlamentsakten wie zum Beispiel die repräsentativen Capitols de Cort del Stament des Cagliaritaner Rechtsgelehrten Francesco Bellit (Bellit 1572 und Ders. 1590 in zweiter Auflage in Folio und guter Papierqualität),75 Pragmatiken wie zum Beispiel die Pragmatica sanctio super moderatione salariorum notariorum et scribarum (Anonym 1567a) oder jene »en augment de la agricoltura« (Anonym 1590)76, Edikte wie zum Beispiel die Edictes per lo bon governo y administratio de la iusticia (Anonym 1572) bestätigen den Status der katalanischen Rechtssprache. Auch öffentliche Aushänge77 wie beispielweise zahlreiche cride über generelles (Feuer-)Waffenverbot, die Herstellung von Falschgeld oder die Sicherheit der Insel sind bezeichnenderweise auf Katalanisch, während ihre Pendants, die mailändischen gride, entweder auf Italienisch oder Spanisch im Druck erschienen (vgl. Kap. 6.3.6.2).

Abbildung 19: Katalanische Pragmatica Real über Tierhaltung und Schlachtung, Cagliari, gedruckt zwischen 1579 und 1585, Titelblatt.

Abbildung 19: Katalanische Pragmatica Real über Tierhaltung und Schlachtung, Cagliari, gedruckt zwischen 1579 und 1585, Titelblatt.

Der Einsatz der gedruckten spanischen Verwaltungssprache ist erst ab dem Seicento zu beobachten, aber auch nicht flächendeckend.78 In der Minderheit befindet sich im administrativen Bereich das Lateinische, das wahrscheinlich auf die katalanischen Rechtsgewohnheiten während der aragonesischen Herrschaft zurückzuführen ist; einen lateinisch-katalanischen Mischtext stellt beispielsweise Responsum ad causam quac in Regia Audientia praesentis Sardiniae Regni vertitur super missione in possessionem Baroniarum, & Castrorum […] (Sanna y Oliver 1599) des Sassaresen Gabriel Sanna y Oliver dar (Toda y Güell 1890, 179, Nr. 485).79

Ein weiteres Beispiel für ein Druckwerk mit katalanischem Anteil ist der Pestilenz-Traktat Ectypa Pestilentis Statvs Algheriae […] (Tiberio 1588) von Angeliero Quinto Tiberio, neapolitanischer Leibarzt von Maria von Österreich: Bis zur Seite 92 ist der Text auf Latein verfasst, von Seite 93 bis 119, knapp einem Drittel des Buches entsprechend, findet aber ein funktionaler Code-Wechsel ins Katalanische statt, da nun in 57 Paragrafen praktische Instruktionen gegen die Pest an die »Consiglieri« von Alghero80 erfolgen (Balsamo 1968, 160, Nr. 56).81

Als drittes – liturgisches – Beispiel für ein anwendungsbezogenes, mehrsprachiges Buch sei das Rituale administrandi baptismum atq. Alia sacramenta qvae ad parochos pertinent […] (Anonym 1587; 1589; 1594) vorgestellt.82 Im letzten Teil des Buchs werden auf jeweils drei Seiten katalanische »Advertiments de las coses que son obligats los Rectors, y Curats de fer en las llurs Parochies« (Anonym 1587, 286–288) aufgeführt; ihnen vor- und nachgeschaltet sind lateinische Segnungen bzw. Litaneien. Bevor das Rituale mit den »Letanias que se cantan en la Santa Casa de Loreto« (295–295) schließt, werden die Hauptgebete auf Sardisch dargeboten. Diese »Sa doctrina Christiana a sa lingua Sardisca« (289–292) wird im Eingangsbrief wie folgt begründet:

[15] Finalment enseñaran ala hora de la Missa los dies de festas la Doctrina Christiana a tot lo poble, y apres mig jorn ajuntaran tots los jouens y miñyons en la Iglesia, essent alli tots congregats enseñaran la dita Doctrina Christiana. Y perche la tenga cadahun curat en llengua Sardesca de la prouincia de Caller pera poderla enseñar mes facilment, se ha hodenat que se estampa ala fi del present Batisteri. (Anonym 1594, 286, zit. nach Balsamo 1968, 169)

Dieser Ritus ist also ein gedrucktes Hilfsmittel für Hispanophone und zugleich der Beweis dafür, dass auch noch in den 1590er Jahren und sogar im Umland von Cagliari83 eine sprachliche Anpassung an Laien, explizit an die kommende Generation (»jouens y miñyons«) stattfand.

Katalanisch bleibt aber im Druck nicht nur auf den administrativen Bereich und auf die Funktion als informativ-instruktive Sprache beschränkt,84 wie im Eingangszitat bereits angeklungen ist – im Druck kann dies allerdings nur durch ›Leerstellen‹ nachgewiesen werden. Im Bereich der devotionalen Populärliteratur stehen die beiden nicht mehr erhaltenen Hagiografien Vida de sant Anthiogo (Anonym 1560 Cagliari?, bei Moretto; vgl. Manca 2002, XXIX, Anm. 3585) und Vida del beneaventurat Sanct Mauro (Anonym 1573, Cagliari) exemplarisch für eine große Nachfrage. Letztere wurde mit einer Auflagenhöhe von mehr als 312 Ausgaben per Kolporteur bis nach Sorgono, das heißt mitten ins Herz der Insel vertrieben (vgl. Anatra 1982, 235; Balsamo 1968, 136f., Nr. 23) und wäre demnach

[…] un’altra testimonianza dell’estensione fino ai villaggi di montagna della conoscenza della lingua catalana nella Sardegna di quell’epoca. In effetti non è verosimile che nel centro geografico dell’isola si cercasse di vendere un libriccino d’interesse locale, del quale si era fatta una tiratura normale per quell’epoca, se la gente di Sorgono non lo avesse capito. Sarebbe anche la conferma dell’esistenza di un genere letterario creato senza dubbio nell’isola: queste due narrazioni agiografiche potrebbero essere le sole conservate di un gruppo più vasto. (Carbonell 1984, 98)86

Darüber hinaus sind an (para-)liturgischer Verbrauchsliteratur Verlustanzeigen von gedruckten katalanischen – aber als akkultureller Reflex auch sardischen, ebenfalls verlorenen – so genannten goigs (bzw. gosos/gozos)87 zu beklagen. Dabei handelt es sich um eine hagiografisch-dramatische Diskurstradition zwischen Dichtung und Volkslied, die ebenfalls lediglich eine bibliografische Existenz führt. Die in den spanischen Recopilaciones de las Indulgencias, gracias, perdones, estaciones, remisiones de pecados y thesoros celestiales, que los Summos Pontifices concedieron á todos los seglares assi hombres como mugeres […] (Anonym 1604, Cagliari) integrierten Litaneigebete und gosos auf Katalanisch, die über sechs Seiten nach dem Haupttext einnehmen, sind sicherlich kein Einzelbeispiel (vgl. Toda y Güell 1890, 82f., Nr. 53).

Eine letzte interessante Information in Bezug auf die Distribution von gedruckten administrativen Texten und deren mündlicher Feilbietung liefern zwei Kolophone.

1)  Am Ende des Crida general sobre la prohibissió de las armas de Foch stellt sich ein ambulanter (katalanischer?) Straßenverkäufer vor: »La present Crida es estada publicada per mi, Manuel Cordellas, Corredor publich de la present Ciutat, per los llochs publichs y acostumats, en Caller á 25 de Maig 1657.« (Zit. nach Toda y Güell 1890, 97, Nr. 125).

2)  Noch deutlicher wird die kommunikative Strategie eines Kolporteurs in Fernando Moncadas Pregón General […] (Moncada [1700] 1780, Cagliari).88 Dabei handelt es sich vermutlich um das erste (oder eines der ersten) zweisprachige spanisch-italienische – bzw. sogar dreisprachige, zählt man das katalanische Kolophon hinzu89 – Druckwerk, das der Rechtsdomäne zuzuteilen ist. Der vom Vizekönig Fernando de Moncada herausgegebene Erstdruck dieser wichtigen insulären Gesetzessammlung, die bis ins Jahr 1827 gültig war (vgl. Mattone 1989, 389),90 datiert von 1700 und war einsprachig Spanisch verfasst. In der Subskription nach dem Haupttext attestiert der »corredor publich« Albert Ledda seine städtische Dienstleistung inklusive üblicher Verkaufstechniken »ab alta veu« und »de trompena, y tambors« (Moncada [1700] 1780, 101) jedoch nicht in spanischer, sondern in katalanischer Sprache – vermutlich seine Muttersprache, wahrscheinlich aber im Jahr 1700 generell immer noch geläufige Amtssprache im öffentlichen Raum, das heißt in Cagliari »y los apendissis« (Ders. [1700] 1780, 101):

[16] Certifique y fas fée de veritat yo Albert Ledda corredor publich, y iurat de las corts de esta present ciutat de com vuy die present tinch publicat lo retroscrit pregò co grida per los llochs publichs, y acostumats del present castell de Caller, y los apendissis a son de trompena, y tambors, y ab alta, et inteligible veu, segons la serie, y tenor; en fée de lo qual fas la present certificatoria fermada de ma mia propria. Caller y agosto a als 23 de 1700. (Moncada [1700] 1780, 101)91

Ungeachtet der aufschlussreichen internen Mehrsprachigkeit dieses Druckwerks ist die Tatsache von Belang, wie sich in der sprachlichen Druckgeschichte dieser und anderer Verordnungen, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zweisprachig erschienen, die Verschiebung der Sprachverhältnisse (in der Verwaltungsschriftlichkeit) widerspiegelt: Spanisch verschwindet trotz des ab 1764 offiziellen Status der italienischen Sprache (vgl. Wagner [1950] 1997, 186f. und Kap. 6.1, Anm. 5) nicht abrupt, sondern bleibt in einer noch weitgehend zu erforschenden (Übergangs-)Phase der spanisch-italienischen Zweisprachigkeit weiterhin bestehen.92

Das im letzten Zitat erwähnte Castello, Cagliaris Altstadt, in dem wie erwähnt auch Canelles seine Druckerei betrieb, wurde unter der spanischen Verwaltung befestigungstechnisch restrukturiert; ebenso wurden im Zuge der Hispanisierung, um die es im folgenden Abschnitt geht, neue Kirchen und religiöse Orden, unter anderem das Jesuitenkolleg im Real Castillo installiert.

6.1.4.2 Spanische Druckwerke

Die Korpusanalyse der spanischen Druckwerke bestätigt mit einem herausragenden Spitzenwert ab 1600 eindeutig das, worüber auch in der Forschung Einigkeit herrscht:93 die Hispanisierung der Insel im Seicento:

È con la fine del Cinquecento che si afferma la progressiva e totalizzante ispanizzazione della cultura sarda. La svolta è evidente nella produzione letteraria delle classi colte, ma le manifestazioni della cultura religiosa e popolare non appaiono meno chiaramente connotate. Celebrazioni ecclesiastiche, feste popolari, giostre e tornei, poesia popolare religiosa (gosos, letteralmente ›lodi‹) si rifanno totalmente ai modelli d’importazione iberica, come dimostrano le fonti letterarie, le espressioni figurative, i repertori architettonici e di documenti musicali di cui disponiamo. (Manconi 2006, 236)

Zwar gibt es, wie oben erläutert, ab der zweiten Hälfte des Cinquecento einen breiten Überschneidungsbereich mit dem Katalanischen im öffentlichen, administrativen Bereich,94 aber ab circa 164095 und in den anderen Domänen, vor allem der Literatur und der Religion, wird das Spanische gewissermaßen absorbiert.96 Dies äußert sich zum einen im Schaffen sardischer Autoren, die sich für pragmatische oder literarische Zwecke aktiv, aber nicht unbedingt in Perfektion des Spanischen bedienen. Zum anderen macht sich die Dominanz der spanischen Sprache im großen spanischen Bücherbestand der Insel bemerkbar: Er umfasst vielfältige Diskurstraditionen: von der Historiografie, Chronistik (auch die der »Indie«), Literatur, Lyrik, geistlichen Dramatik (vgl. Kap. 6.1.7) bis hin zur umfassenden spanischen literatura de cordel97 und den bereits erwähnten gosos, deren Verbreitung vornehmlich über den mündlichen Kanal, das heißt Gesang, erfolgte. Die Autoren spanischer Werke, seien es Katalanen, Spanier oder Sarden, »sono prevalentemente esponenti del ceto feudale o della burocrazia del Regno« (Maninchedda 2000, 189). Durch die begrenzten Möglichkeiten des insulären Druckwesens und/oder durch Migration bzw. temporäre universitäre oder berufliche Auslandsaufenthalte in Spanien und Italien ließen sie ihre Bücher bevorzugt außerhalb drucken98 – hier ist im Übrigen eine deutliche Verbindungslinie zu den sizilianischen Autoren zu ziehen, die ebenfalls ihre Werke in Spanien publizierten (vgl. Kap. 6.2.3.1; Kap. 6.2.5). Sardische Kleriker und Rechtsgelehrte mit hohen Posten wie der Governador Giuseppe Delitala y Castelvì,99 der Philosoph Carlo Buragna,100 der Erzbischof von Cagliari Francisco Vico,101 der Jesuit Antioco del Del Arca,102 der in Saragossa tätige Medizinprofessor Thomas Porcello103 oder Giuseppe Zatrilla y Vico104 zählen zu diesen »tipici esponenti del mondo ispanico« (Alziator 1954, 139)105 und bilden quasi eine lokale »colonia letterata« (Brigaglia 1982, zit. nach Marci 2005, 102). Da sie neben ihrer Schriftstellerei auf Spanisch mitunter auf Latein und Italienisch publizierten, verkörpern sie auch textübergreifende Mehrsprachigkeit (vgl. Kremnitz 2004, 13–16). Ausgeschlossen scheint für sie zu sein, Sardisch als Literatursprache parallel zu verwenden. Zwar zeugen ihre Werke kaum von manifester Mehrsprachigkeit,106 etwa in der Bildung von Paratexten wie Glossaren, dennoch ist ihre Mehrsprachigkeit stets latent vorhanden, da sich unter der einsprachigen Oberfläche Interferenzen verbergen können wie in El Forastero (Arnal de Bolea 1636, Cagliari),107 »ricco di latinismi, italianismi, sardismi e francesismi« (Marci 2005, 92).108 Autor des nach den erhaltenen Exemplaren zu schließenden relativ erfolgreichen höfischen Romans, der in Kalabrien, Madrid und Cagliari spielt, ist Jacinto Arnal de Bolea: Laut Frontispiz war er oberster Buchhalter und Sekretär des Herzogs de Villasor, der wiederum in enger Verbindung zur spanischen Monarchie stand. Arnal de Bolea stellt eine der wichtigsten Figuren der sardisch-spanischen Literatur dar (vgl. García Sánchez 2011, XIf.).109

Abbildung 20: Jacinto Arnal de Bolea, El Forastero, Cagliari 1636, Titelblatt.

Abbildung 20: Jacinto Arnal de Bolea, El Forastero, Cagliari 1636, Titelblatt.

Speziell die intertextuellen Verweise der sardischen Autoren auf spanische cancioneros sowie Vertreter und Themen des Siglo de Oro und die prinzipielle Entscheidung für das Spanische setzen eine hispanophone Leserschaft voraus. Primär ist das männliche – und weibliche110 – Zielpublikum in der städtischen spanisch-sardischen Oberschicht zu situieren. So ließ beispielsweise die Ehefrau eines Richters der Reale Udienza von der Eheschrift De institutione foeminae Christianae (Vives 1524) von Juan Luis Vives eine Version »en romance castellano« drucken, um die anderen »signore molto illustri« des vizeköniglichen Hofes auf dieses Buch aufmerksam zu machen (vgl. Anatra 1982, 234). Sekundär ist aber in der Provinz durch die im obigen Zitat erwähnte Vereinnahmung des öffentlichen Raums der Spanier und der buchstäblich populären Lesestoffe von einer mindestens rezeptiven Kompetenz des Lese- und/oder Hörverstehens der spanischen Sprache auszugehen.

Juan Coloma aus Elda, Vizekönig Sardiniens (1570–1577), lobt beispielsweise in seiner religiösen Gedichtsammlung Decadas de la Pasion de Nuestro Señor Jesuchristo […] (Coloma 1576, Cagliari) den »gasto y trabajo« von Canyelles »en entroduzir las estampas« und richtet sein Werk an die »personas eruditas, y de buen gusto« (zit. nach Pirodda 1993, 20).

Ein weniger elitärer, zumindest lateinunkundiger Leser wird im Leserbrief der Breve instruction de como se ha de administrar el Sacramento de la Penitencia […] (Medina 1597) (vgl. Kap. 6.1.3.1) sowie in der Exposicion sobre el psalmo XLIII que comiença eructauit cor meum del presentado F. Martin de la Carcel de la Orden de Predicadores (Carcel 1600, Cagliari, bei Saba)111 fokussiert:

[17] Y aunque lo declare en Latin salee aora en Romance, y no en estylo tan subido como era razon: y su argumento pedia: mas sale de manera que sin ser estudiado o interpretado pueda ser entendido de los que en esta Ciudad de Caller bien, Y aun aquesta es la causa […] que sale en lengua castellana, porque sea el libro mas comun, y puedan entretenerse un rato todos los no latinos y afficionados a leer, que no lo pudiendo hazer por la penuria de libros que hay en aqueste Reyno, emplean muchos ratos en ocio y aun en dañado negozio. (Carcel 1600, 6r)

Der Autor zielt auf das cagliaritanische ›iberisierte‹ Stadtpublikum (und beklagt dabei den Büchermangel auf der Insel), das anscheinend auch offen ist für Lokalgeschichtliches, wie der Drucker Saba im Leserhinweis der religiösen Schrift Devoción y Milagros del Santissimo Crucifixo de Galtelli. Y en especial del sudor sanguíneo que sudó el año 1612 […]112 (Cagliari, 1614) erläutert:

[18] A venido á mis manos estos dias una relacion summaria del prodigioso Milagro del Santissimo Crucifixo de Galtelli que havia meses que corria por manos de algunos desta Ciudad. Pareciome que haría un gran servicio á Dios N. S. si la estampasse, para que vista por mas personas, se acreccentasse la devocion á tan sancta Imagen, etc. (Zit. nach Toda y Güell 1890, 159)

Vier gedruckte Übersetzungen, zwei aus dem Italienischen113, je eine aus dem Lateinischen und Katalanischen114 – allesamt aus der religiösen Domäne – sind zu verbuchen. An sonstigen lokalen, pragmatischen Verwaltungsdrucken auf Spanisch seien die infolge der die Inselbevölkerung halbierende Pest (1652–1657)115 erschienenen prophylaktischen Traktate herausgegriffen.116 Ein konkretes Zusammenspiel von spanischer und sardischer Literatur war – mit Ausnahme der intratextuellen Mehrsprachigkeit beim »poeta trilingue« Gerolamo Araolla, auf den im nächsten Abschnitt eingegangen wird – in keinem registrierten Druckwerk festzustellen (vgl. auch Kap. 6.1.5.1).117 Damit sind wir bei den Rara des Korpus angelangt: den Druckwerken in bzw. mit inkludierter sardischer Sprache.

6.1.4.3 Sardische Druckwerke

Der älteste gedruckte sardisch-arborensische Text, die oben bereits erwähnte Carta de Logu (Anonym [1395] 1560),118 untermauert seinen Status als rechts- und sprachhistorisches Monument mit einer Druckgeschichte, die sich über 350 Jahre (circa 1480–1827) erstreckt und insgesamt zehn Ausgaben umfasst119 und die auch die beiden permanenten Bezugspunkte zum spanischen und süditalienischen Festland verdeutlicht.

Eine Schlüsselrolle spielt der vom sardischen Juristen Girolamo Olives Lateinisch kommentierte und glossierte Druck aus Madrid (Olives 1567), der auch der Edition von Sassari 1617 zu Grunde liegt, die wiederum im Premiumdruck und ›logudorisiert‹ erschien.120 Das Sprachdenkmal sei »un esempio mirabile di ciò che avrebbe potuto essere la lingua sarda se non fosse stata deviata nel suo cammino dalle influenze esterne« (Lepori 2005, 16), wie Lepori bemerkt. In der Tat wurde die vergleichsweise umfangreiche und sprachlich relativ homogene sardische Schreibtradition (insbesondere die vielen condaghes ›Urkunden‹) in ihrer ersten Ausbauphase während der Richterzeit unterbrochen – das »sardo cancelleresco«121 ›sinkt‹ durch die katalanische Verwaltungsschriftlichkeit der königlichen Kanzlei auf den umgangssprachlichen Status zurück. In diesem Zusammenhang ist der verlorene Condaghe de s’abadia de sa S.S. Trinidade de Sacargia […] (Anonym 1660, Cagliari/Sassari)122 zweifach bemerkenswert: Es ist das einzige gedruckte Verwaltungsdokument auf Sardisch neben der Carta de Logu und liegt zudem in einer für die Inselproduktion absolut untypischen Ko-Edition vor. Eine Anknüpfung an die schriftlichkeitsgebundene Funktion der sardischen Vernakularsprache erfolgt 1557 mit der Heiligenlegende Sa vitta et sa morte, et passione de sanctu Gauinu, Prothu et Ianuariu123 (Cano o.J., o.O.)124 von Antonio Cano – »la più antica opera conosciuta, con valenza esclusivamente letteraria, in lingua sarda« (Alziator 1954, 11).125 Diese national-religiöse Dichtung, die von Araolla, »Doctore in ogni dretu, & Canonigu Bosanu« (Titelblatt), wiederaufgegriffen und 1582 in Cagliari neu veröffentlicht, das heißt gedruckt wird,126 ist einerseits Ausdrucksbedürfnis volkstümlicher Frömmigkeit und andererseits Ausbruch aus der bestehenden sprachlichen Stagnation, wie aus dem bekannten, ebenfalls auf Sardisch verfassten Geleitbrief an den Erzbischof von Sassari127 hervorgeht (auf den in Kap. 6.1.5.1 nochmals gesondert eingegangen wird):

[19] Mas comente sos pagos si desint à ischrier in limbas foristeras, qui fuit a tempos passados, & qui corrimus dare lughe sassu Sole, per esser da sos naturales alzada in su colmu restai sa nostra impolida & ruggia, havende materia de accreschirela, & pulirela in ischrier sos successos antigos dessu Regnu; dessos quales pro sa negligencia insoro non si’inde agatat testimoniale alguno auctenticu. (Araolla 1582, zit. nach Wagner 1915, 76)

Araolla war der bewusste schriftsprachliche Ausbau des Sardischen (genauer: des Logudoresischen) ein Anliegen – er sollte Anstoß sein für die Emanzipationsbewegung der limba nostra Sarda. Die Zielsetzung des »magnificare, & arricchire sa limba nostra Sarda« mittels »vocabulos et epitethos d’ issa limba non dissonantes da sa insoro« (Ders. 1582, zit. nach Wagner 1915, 76) ist aber auch klar rezipientenorientiert, denn Hagiografien sind »destinate ai fedeli meno colti: siamo comunque di fronte ad un allargamento del pubblico« (Quaquero 1994, 132).

Buchstäblich publikumswirksame Nutzung liegt auch mehreren Katechismen wie der Cathecismu o Instrussione christiana in sardu (Anonym 1566a)128 zu Grunde, die unverzüglich nach Einführung des Buchdrucks erschienen, charakteristischerweise aber nicht überliefert sind und den »uso del sardo ad un registro più elevato ma sempre popolare/divulgativo« bezeugen (Lörinczi 2006, 39).129 Auch »tanti sonetti, canzonetti, gaudii, o lodii (gosos) ed altri componimenti poetici dati alla luce in diverse occasioni« (Spano 1840, II, 101)130 gehören wohl zur autochthonen, aber nicht überlieferten und/oder nicht katalogisierten Eigenproduktion auf Sardisch.

Ebenfalls publikumswirksam bzw. unterhaltsam präsentieren sich die sardischen Texteinschübe in den außerhalb der Insel gedruckten Los diez libros de fortuna d’amor (Lo Frasso 1573, Barcelona) des ›Migratentenliteraten‹ Antonio de Lo Frasso »militar, Sardo, dela Ciudad de Lalguer« (Ders. 1573, Titelblatt).131 In einer »Glosa Sarda« (Ders. 1573, 240–244) und zwei Sonetten (Ders. 1573, 149vf. und 157v)132 – den ersten gedruckten bukolischen Gedichtformen auf Sardisch überhaupt, weswegen sie hier nicht unerwähnt bleiben sollen – des Hauptprotagonisten, des sardischen Hirten Frexano, soll den barcelonesischen Damen die »lengua montañesa y de nuestra patria« (Ders. 1573, 149r) vorgestellt werden »para ver la difercia del canto y lengua Castellana ala Sarda« (Ders. 1573, 239v), was leider eher misslingt. Die sprachexotische Charakterisierung des Sardischen klingt bereits in der Vorrede an den Leser an, in der sich der Autor rechtfertigt, als Nicht-Muttersprachler, aber als umso sprachtalentierterer »Hafenstädter«133 auf Spanisch (für ein spanisches Zielpublikum) zu schreiben und nicht in der

[20] […] natural Sarda, no por falta que no sea muy buena, y muy cumplida de vocablos, tanto como alguna otra, excepto que fuera de mi patria por ser tan estraña, no se dexa entender tan comunmente como las otras, y por quanto enlas ciudades y puertos de mar, la gente de mas lustre se precian aprender toda manera de lenguaje, y leer algunos libros destrañas lenguas, de manera que razonablemente los mas dellos dan razon de si en algunas lenguas diferentes dela propia, yo como el menor dellos auiendo frequentado la mayor parte de mis dias en España porque mas comunmente la gente goze de mis baxezas, he quesido escriuir llanamente en lengua castellana en phrasis pastoril y cortesano, porque gusten delo que mejor les paresciere, pues no soy el primero ni pienso ser postrero de los que han escrito y escriuen diferentes de sus propias lenguas, y en disculpa de todo esto, me doy jentamente con mis lijeras obras, por simple cordero, para que con el reluziente y agudo cuchilllo de vuestro subtil juyzio, corteis dela poetica carne que mas a vuestro proposito vereis. (Lo Frasso 1573, 5vf.)

Abbildung 21: Antonio Lo Frasso, Los diez libros de fortuna d’amor, Barcelona 1573, Titelblatt.

Abbildung 21: Antonio Lo Frasso, Los diez libros de fortuna d’amor, Barcelona 1573, Titelblatt.

6.1.4.4 Italienische Druckwerke

Die italienische Sprache war, was ihren gedruckten Status angeht, vom gleichen ›Schicksal‹ betroffen wie Sardisch. Italienisch wurde weiter auf der Insel gesprochen und geschrieben, aber zunehmend unter- bzw. verworfen, wie in der questione della lingua gesuita deutlich wurde. Das Dekret Philipps II., die Kommunalstatuten von Sassari »en llengua genovesa o italiana« und jene von Bosa und Iglesias »en llengua pisana o italiana« ins Katalanische zu übertragen, zeugt auch von der sprachrechtlichen Unterdrückung seitens der Spanier (vgl. Kap. 6.1.2.2).134 Erneut sollten 1606, wieder im Auftrag des Stamento militar, die Stadtverordnungen von Cagliari, Sassari, Alghero, Bosa und Iglesias »en llengua italiana, del temps dels Pisans y Genouesos« und die in Oristano gültige Carta de Logu ins Katalanische oder Lateinische übersetzt und als Sammelband gedruckt werden (vgl. Sanna 1957, 197).135

In einer anderen pragmatischen Diskurstradition schaffte es 1569 trotz dieser sprachpolitischen Maßnahmen ein Büchlein in den Druck: Der Catechismo »in nostra lingua Italiana«136 geht konform mit der Rolle des Italienischen im Rahmen der jesuitischen Sprachenfrage. Es schließt sich die Frage an, ob weitere solcher Drucke mit der Zwecksprache Italienisch konsumiert, das heißt verbraucht wurden und daher nicht mehr erhalten sind.

Beim zweiten – und letzten – cagliaritanischen Druck in italienischer Sprache im Cinque- und Seicento handelt es sich um die wohlgemerkt von Araolla persönlich per Imprimatur autorisierte Gedichtsammlung Rime diverse (1595) von Pietro Delitala137, die einen Nachhall auf die italienische Sprachdebatte darstellt.

Nach der bemerkenswerterweise auf Spanisch verfassten Widmung an Gastone di Moncada erläutert der Autor im Leserhinweis, dass ihm von der Publikation im »idioma Toscano« abgeraten wurde, denn

[21] […] più obbligato era scriuere in lingua Sarda come materna, o Spagnola come più usata, e ricevuta in questa nostra Isola, che in Toscana, lengua veramente molto aliena da noi. (Delitala 1595, 5, zit. nach Balsamo 1968, 171)138

Abbildung 22: Pietro Delitala, Rime diverse, Cagliari 1595, Titelblatt.

Abbildung 22: Pietro Delitala, Rime diverse, Cagliari 1595, Titelblatt.

Unbeeindruckt von dieser Kritik und

[22] […] presupposto, che la nobilissima lengua toscana sia in questo Regno, da pochissimi intesa esattamente, e quelli sian persone che con animo netto mi notino gli errori, e con clementia me ne riprendano (che essere non può schortese un che sia dotto) il che il volgo per tutto l’oro del mondo non farebbe; mi è parso conveniente per questa mia prima arroganza, mandar in luce in lengua Toscana […]. Bosa il 19 di agosto 1595. (Delitala 1595, 5, zit. nach Balsamo 1968, 171)

Alziators Annahme einer entsprechenden italophonen Leserschaft der Rime sieht Loi Corvetto durch das Vorhandensein italienischer Klassiker wie Dante, Petrarca und Sannazaro in den Inventaren einiger Insel-Intellektueller (vgl. Kap. 6.1, Anm. 26) gestützt (Alziator 1954, 112; Loi Corvetto 1992, 394).139 Im Vergleich stellt diese Rubrik jedoch nur einen Bruchteil des Bestandes; außerdem kann meiner Meinung nach auch durch das Fehlen in den genannten, aber auch in anderen Bibliotheken von philologischen, italienischen oder zweisprachigen Sprachlehrwerken (der questione della lingua)140 die Argumentation entkräftet werden, das Italienische sei (als Literatursprache) auf der Insel präsent gewesen. Der Tre-Corone-Fundus oder Bembo selbst werden auch bei den Repräsentanten der questione della lingua sarda nicht explizit erwähnt. In Anlehnung an Araollas bewirktes »piccolo miracolo di un pur minuto […] Rinascimento sardo« (Virdis 2006, 3) bleibt es auch hier bei einem Kurz-Reflex der toskanischen questione della lingua.

Einen anderen Fall von italianità präsentiert im Seicento der bereits vorgestellte Salvadore Vidal, der im Gegensatz zu Delitala als ein Vertreter par excellence der literarischen textübergreifenden Mehrsprachigkeit angesehen werden kann. Seine in Sassari 1639 veröffentlichte und dem Vizekönig Sardiniens gewidmete Hagiografie Madriperla seráfica della Vita et Miracoli del B. Salvatore da Orta, frate Minore de la Regulare osservanza, di natione Catalano della religiosa Provincia di Sardegna (Vidal 1639) ist Teil seines zum Großteil in Italien publizierten Gesamtwerks in verschiedenen Sprachen.141 Ebenso publizierten einige weitere Sarden (punktuell) auf Italienisch, jedoch nicht in loco, sondern in Italien, wohin sie migriert waren oder pendelten (vgl. Loi Corvetto 1992, 896).

6.1.5 Mehrsprachigkeit als Triebfeder für literarisches Schaffen: die questione della lingua sarda (1582–1627)

Im Gegensatz zum oben vorgestellten Lo Frasso, der als Sarde auf Spanisch schreibt (vgl. Kap. 6.1.4.3), entscheidet sich Araolla für die weniger verbreitete sardische Sprache. Auf die bestens erforschte,142 stolz und oft zitierte Gedichtsammlung des Sprachvirtuosen Rimas diversas spirituales (Araolla 1597, Cagliari), die auf seine 1582 veröffentlichte Hagiografie folgt, sei nachdrücklich verwiesen. Dabei handelt es sich um das einzige dreisprachige, aber hauptsächlich sardischbasierte literarische Werk, mit dem der »poeta trilingue« (Loi Corvetto 1994, 874) die Emanzipation des Sardischen beweisen will: »Qu’es lengua entre las otras muy hermosa« (Araolla [1597] 1915, 10). Prozentual entfallen 81% des Texts auf Sardisch, 10% auf Spanisch und 9% auf Italienisch (vgl. Anatra 1982, 238). Vor allem auf das letzte Sonett wird besondere Betonung gelegt, da Araolla hier die drei Sprachen miteinander vereint (je zwei Verse pro Sprache, im letzten Vers dreisprachig gemischt). Kaum erwähnt wird dabei, dass auch der gesamte vorgeschaltete Paratext mehrsprachig ist: Der sardischen Widmung an Don Blasco de Alagon und dem sardischen Leserhinweis Araollas folgen vier Lobsonette (Sardisch, Italienisch, Spanisch und Sardisch) auf den Autor und ein Schlusssonett an den Widmungsträger von Araolla selbst. Die hier vorliegende (para-)textinterne Mehrsprachigkeit ist Stilmittel und Abbildung der externen Sprachenrealität zugleich.

Ma l’Araolla considera il sardo come una varietà che affianca lo spagnolo e l’italiano nelle diverse modalità comunicative, fornendo […] una testimonianza dei molteplici sistemi linguistici utilizzati in Sardegna. (Loi Corvetto 1994, 875)

Araollas Anstoß zur Wiederbelebung des verblassten Sprachbewusstseins und zum Ruhm einer einst kultivierten schriftlichen, aber zwischenzeitlich fremdsprachlichen Tradition führt zur späten Fortsetzung der italienischen questione della lingua. Dabei geht es im Falle Sardiniens des Seicento aber nicht um die Selektion und den Purismus einer Sprache und eines Stils für die literarische Schriftlichkeit, sondern um deren praktische, kompromissbereite Um- und Durchsetzung, und zwar notwendigerweise mit Hilfe anderer Referenzsprachen für die religiöse Literatur. Bembos Mehrsprachigkeitsideal (vgl. Kap. 1, Anm. 5) wird auf der Insel um eine moderne und gebräuchliche Sprache, nämlich Spanisch, erweitert. Der Diskurs ist engstens mit der lateinischen Sprache verbunden, aber Sardisch wird nicht wie Italienisch prozessual, das heißt im Sinne einer renaissanceklassizistischen Imitatio aktualisiert, sondern latein-konstitutiv, quasi als sein grammatikalischer ›Klon‹, angesehen.

6.1.5.1 Gerolamo Araolla (1582/1597): Sa vida, Su Martiriu, et Morte dessos gloriosos Martires Gavinu, Brotho, et Gianuari/Rimas spirituales diversas

Mit der questione della lingua sarda wird gewissermaßen die »erste Phase, in der es schon als Verdienst anerkannt wird, wenn ein Autor sich überhaupt des neuen Sprachwerkzeugs bedient« (Kloss 1978, 49) – und dies sogar, wie Araolla es tut, expliziert! – durchschritten. Dabei wird Araolla, »figlio del Rinascimento e dell’Umanesimo« (Virdis 2006, 12), als erster öffentlicher Autor und Förderer Sardiniens selbst zur Autorität, zum »padre di nostra poesia« und »rigeneratore del sardesco dialetto«, wie Spano patriotisch hervorhebt (Spano 1840, 8 und 109).

In der Widmung auf Sardisch an Don Blascu de Alagon (Araolla [1597] 1915, 2–7), welcher »tengiat cognitione de sa limba Sarda, comente tenet de sas de pius« (Ders. [1597] 1915, 6f.), erläutert Araolla mit den Rimas spirituales diversas »faguer imprimer custas figgias mias spirituales in diversos tempos & per varios accidentes nasquidas« (Ders. [1597] 1915, 7), welche er schon lange versprochen hatte:

[23] […] isquende su gustu & delettu, qui in leer cosas poeticas sentit, como siant Latinas o Toscanas o in quale si siat attera limba, & in sos annos passados quando fuit in custu Regnu Juan Aguilera criadu se sa sua mi dimandait cun grande istancia algunas compositiones in idioma Sardu […]. (Araolla [1597] 1915, 6)

Nach der neu edierten Heiligenlegende legt Araolla also seine lyrische Eigenkreation »[e]n vario Idioma y lenguas« (Ders. [1597] 1915, 8) vor – ohne weitere sprachliche Anmerkungen bzw. Forderungen wie im Paratext der Sa Vida, Su Martiriu, et Morte […] (Ders. 1582). Hier proklamiert er, den bewussten Sprachausbau mittels ›fremdsprachiger‹ Lexik befördern zu wollen; der Perfektionsgrad einer ›verarmten‹ Sprache werde seiner Meinung nach durch gegenseitigen Austausch erreicht, so wie es bei »sos eccellentes et famosos Poetas italianos et Spagnolos« (Ders. [1597] 1915, 76) funktioniere.

6.1.5.2 Salvatore Vidal: Urania Sulcitana (1638, Sassari)

Als gravierenden Mangel des Sardischen sieht desgleichen Salvatore Vidal143 in seiner Hagiografie des Heiligen Antiogo Urania Sulcitana, De sa Vida, Martyriu, & Morte de su Bonauenturadu S. Antiogv. Patron de sa Isola […] (Vidal 1638, Sassari) die lexikalische Armut des Sardischen an. Das ›Manifest‹ Araollas findet seinen Widerhall in Vidals – spanischem und 51 Seiten langem – Widmungsschreiben an den »patrizio cagliaritano e uditore della Sacra Rota« Don Iuan Dexart. Die in »cinco palabras« (Vidal [1638] 2004, 110) gegliederte Widmungsrede ist eine Beweisführung für das Leistungspotenzial des »sardo«, wobei der erste Argumentationspunkt den Ursprung und die Systemhaftigkeit des Sardischen, der zweite den mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch und der dritte den nötigen lexikalischen Ausbau betrifft (Ders. [1638] 2004, 110–125).144

Die erste These des Ursprungs bzw. der maximalen Nähe des Sardischen zum Latein im Vergleich zu anderen Sprachen, insbesondere zu Spanisch und Italienisch, schöpft Vidal aus dem insulären Argumentevorrat. Die sardo-lateinische Deckungsgleichheit (»congruidad«, Ders. [1638] 2004, 113) illustriert er auf mehreren Ebenen, genauer:

1)  auf der lexikalischen Ebene unter Aufstellung einer 111 Lexeme umfassenden sardischen Wortliste, die den spanischen, weniger lateinischen Entsprechungen gegenübergestellt ist, sowie einer Liste von 16 cagliaritanischen versus logudoresischen Beispielen;145

2)  auf der Satzebene: Hier führt er sardische, zum Spanischen kontrastive Beispielsätze an;

3)  auf morphologischer Ebene, indem er die Flexionsendung der 3. P. Sg./Pl. auf »-t« herausstellt: »et«/»cum«/»est«/»sunt«/»sumus«/»erat«/»fuit« seien identisch mit Latein;

4)  auf der Ebene der korrekten, ›latinisierenden‹ sardischen Aussprache.

Im zweiten Punkt, der einer Art sprachlichen Beichte gleichkommt, betrachtet er das Sardische als (unbrauchbares) Kommunikationsmittel; er beklagt in diesem Zusammenhang: »porque en Flore[n]cia Florentin, y en Toscana Toscano, y aqui Castellano, y otras le[n]guas, estos es, Catelan [sic], e Italiano, y no Sardo se habla. Y no me basta al animo de hablarle sin mucha comunicacion, y tiempo.« (123). Er selbst ist nämlich durch seine fast 20-jährige Abwesenheit von Spracherosion betroffen; einerseits aufgrund der Tatsache, dass »hablan los Religiosos siemper Castellano« (122), andererseits aufgrund seiner individuellen Wortfindungsschwierigkeiten. Die lexikalischen Lücken möchte er – in betonter Analogie zum ›waschechten‹ Sarden »Doctor Araola« – mit externen Entlehnungen füllen: »me sirvo de vocablos ajenos [italianos, spagnolos; T.A.] por parexerme mas graves, y sentenciosos, y que tienen mas elegancia, y emfase: ya que nuestra lengua està tan falta, y pobre, no porque no los tenga, sino porque no los usa.« (123). Der Sprachschatz lässt sich aber – so sein dritter Punkt, in welchem er Entlehnung und Sprachwandel weiter verteidigt – genauso auch intern, das heißt durch das varietätenreiche Sardische selbst erweitern, das allein im Inselsüden »70 mañeras differentes de lenguaje; y no lleguè a Logudor, ni a Gallura« (124) umfasse. »[M]e sirvo, ratione metri, de vocablos Campidaneses, otras vezes, de Montañeses, y todos son Sardos, porche se usan en Sardeña.« (125). Vidal zielt, kurz zusammengefasst, eindeutig auf die fehlende diastratisch und diaphasisch hoch markierte Verwendung des Sardischen im intellektuellen Milieu ab – als hochmobiler Sprecher und vielsprachiger Schriftsteller bzw. Dichter stößt er auf die Grenzen der sardischen Sprache als ›geschmeidiges‹ und vielseitiges Schreibinstrument. Seine Perspektive bzw. Perzeption als Bildungs- und Arbeitsmigrant ist par excellence die einer »outsiders over-identification« mit der sardischen Sprache, ähnlich wie dies bei Bembo diagnostiziert wurde (vgl. Burke 2004, 58; vgl. Kap. 1, Anm. 9).

6.1.5.3 Übersetzungen vom Italienischen ins Sardische – Gian Garipa (1627): Legendariu de santas virgines et martires

Die Entfaltungsphase im dichterischen und divulgativen Schrifttum des Sardischen geht so weit, dass man sich an Übersetzungen vom Italienischen ins Sardische wagt, mit denen das Sardische bzw. das logudorese illustre unter Qualitätsbeweis gestellt wird. Die sardische Übersetzung der Dottrina Cristiana Breve (Bellarmino 1598) des Kardinals Roberto Bellarmino146, die in Dialogform gehaltene und an »pizinnos« und »personas simples« (siehe die ebenfalls sardisch gehaltene »Prefassione«, 1598, 5) gerichtete Doctrina Christiana breve […] de inparare fiat univforme & pius facile custu Santu exersissiu de inparare sas personas ignorantes & y sos pizinnos m sas cosas dessa Santa Fide. Voltada in Linba Sarda dae sa Italiana pro vtile dessu Regnu de Sardigna […] (Bellarmino [1601, Rom]147 1616, Sassari148) sei hier als vergleichsweise bemerkenswert frühes, erstgedrucktes Beispiel für einen Katechismus in der sardischen Volkssprache genannt.149

Ein Zugeständnis an die Statuserhöhung und Offizialisierung des Sardischen machte einige Jahre vor Vidal auch Gian Garipa150 mit der Übersetzung Legendariu de santas virgines et martires […] (Garipa 1627, Roma)151 – er hält die hagiografische Tradition weiterhin hoch.

Abbildung 23: Gian Garipa, Legendariu de santas virgines et martires, Rom 1627, Titelblatt.

Abbildung 23: Gian Garipa, Legendariu de santas virgines et martires, Rom 1627, Titelblatt.

Im »Prologu Assu deuotu Letore« (Garipa [1627] 1998, 59–61) des religiösen Erbauungsbuchs bedient er sich zweier Aufhänger:

1)  Das verteidigungsfähige Alleinstellungsmerkmal des Sardischen ist wie bereits bei einigen Vorgängern das der Latinität. Neben dem Verwandtschaftstopos der »limba latina sarda« (Ders. [1627] 1998, 60) und dem hohen Verständlichkeitsgrad für Italiener, Spanier, aber wiederum generell alle Lateinkundigen macht der Priester auch ein zielgruppenorientiertes Nutzenversprechen für die Insel, sofern das Spanische mit dem Sardischen als Unterrichtssprache ersetzt würde. Die Bestnote vergibt Garipa sozusagen der italienischen Humanistensprache »pro esser meda imitadore dessa Latina« (Ders. [1627] 1998, 59), welche er zugegebenermaßen nur defektiv beherrsche.

2)  Seine Argumentation verstärkend, bezieht er aber auch Stellung zur erreichten ›Druckreife‹ des Sardischen und zu den Vorteilen des Buchdrucks, der »die Möglichkeiten der schriftlichen Distanz-Kommunikation plötzlich ins Unermessliche steigert« (Trabant 2001, 33). Sardisch hat hier im Vergleich zu »totas sas naciones« Aufhol- und Konservierungsbedarf an »istoria, & materias morales iscritas in limba vulgare« (Garipa [1627] 1998, 60). Der Leserhinweis soll ob seiner linguistischen Relevanz in Gänze wiedergegeben werden:

[24] Sendemi vennidu à manos in custa Corte Romana vnu Libru in limba Italiana, nouamente istampadu, […] lu voltao in limba Sarda pro dare noticia de cuddas assos deuotos dessa patria mia dijosos de tales legendas: persuadendemi det dare guítu, & satisfacione, assos qui non intenden limbas istragnas, non si poden passijare, recreare, e leare gustu in sos ispaciosos prados, & floridas enas dessos libros Latinos, Italianos, & Ispagnolos; […] Las [los libros; T.A.] apo voltadas in Sardu menjus, qui non in atera limba pro amore dessu vulgu […] qui non tenjan bisonju de interprete pro bilas declarare, & tambene pro esser sa limba Sarda tantu bona, quantu participat dessa Latina, qui nexuna de quantas limbas si platican est tantu parente assa Latina formale quantu sa Sarda, pro tenner sa majore parte dessos vocabulos vsuales, & quotidianos dessos quales si seruit, ò latinos veros, e formales, ò latinos corruptos cun sa differenzia specifica qui la differenciat de totas sas ateras. Pro su quale si sa limba Italiana si preciat tantu de bona, & tenet su primu logu inter totas sas limbas vulgares pro esser meda imitadore dessa Latina, non si diat preciare minus sa limba Sarda pusti non solu est parente dessa Latina, pero ancora sa majore parte est latina vera […] Et quando cussu non esseret, est suficiente motiuu pro iscrier in Sardu, vider, qui totas sas nationes iscriven, & istampan libros in sas proprias limbas naturales in soro, preciandosi de tenner istoria, & materias morales iscritas in limba vulgare, pro qui totus si potan de cuddas aprofetare. Et pusti sa limba latina Sarda est clara & intelligibile (iscrita, & pronunciada comente conuenit) tantu & plus qui non quale si querjat dessas vulgares, pusti sos Italianos, & Ispagnolos, & totu cuddos qui tenen platica de latinu la intenden medianamente […] Et si in Sardigna mostraren sos mastros sa gramatica in sardu assos istudiantes, sensa duda bi diat aer in Sardigna degue voltas plus Latinos, qui non bi at como cun su Ispagnolu. […] perdona sas faltas, qui in custa translacione tenjo comissas, qui credo non den esser pagas in particulare pro non tenner bene platica sa limba Italiana […]. (Garipa [1627] 1998, 59–61)

Offensichtlich trifft das Buch auf einen ungesättigten Markt, denn das im Leserhinweis angesprochene Zielpublikum ist diatopisch, diastratisch und nicht zuletzt verkaufsstrategisch zwiegespalten: Einerseits richtet sich Garipa »pro amore dessu vulgu« (Ders. [1627] 1998, 59) »[a]ssas honestas, et virtuosas Iuuenes de Baonei, & Triei in sa Isula de Sardigna« (57), an all diejenigen, denen es an fremdsprachlichen Kompetenzen mangele und die dank der Übersetzung ins Sardische auf einen »interprete« (59) verzichten können152 – folglich an die Schüler seiner Gemeinde in der Provinz Ogliastra. Andererseits sollen sich damit auch »sas Damas, & noblesa romana« (59) angesprochen und wohl unterhalten fühlen (ähnlich übrigens wie die Barceloner Gesellschaft im Druckwerk von Lo Frasso, die allerdings wenig Gefallen an der exotischen sardischen Sprache fand, vgl. Kap. 6.1.4.3).

Nach der Bewerbung des Sardischen im Paratext verdient auch die Sprachform des Basistextes selbst Erwähnung.153 Sie führt nämlich wieder zu den beiden anderen Autoren der questione della lingua sarda. Garipa, in Orgòsolo geboren, »non favorit unu logudoresu perifèricu (de capu de susu, in su casu nostru), ma tzentrale (sende chi b’includat carchi caraterìstica nugoresa).« (Wolf 1998, 28). Der Text ist folglich durch die Berufsorte Baunei e Triei von Garipas Nuoresisch, aber auch Campidanesisch gefärbt – neben zahlreichen Kultismen, Hispanismen und Italianismen und zuzüglich einer italianisierten Syntax.154

Somit ist mit den drei vorgestellten Autoren und ihren Werken die Sprachlandschaft der Insel quasi abgedeckt: Araolla, gebürtiger Sassarese, plädiert für eine sardische Literatursprache unter Verwendung (aber ohne Nennung!) des nördlichen Logudorese; Vidal, in Cagliari geboren, aber lange im ›freiwilligen Exil‹, diskutiert auch die Rolle der anderen Inselvarietäten und bezog bewusst bzw. notgedrungen Campidanesisch und andere zentrale Gebirgssprachen ins prestigereiche Logudoresische mit ein; Garipa schließlich weist in seiner Übersetzung mit strategischer Leserbindung zentralsardische Interferenzen auf, ohne jedoch wie Araolla (Inspirationsquelle: Cano) und Vidal (Inspirationsquellen: Araolla und eigener Sprachverlust) eine Literatursprache proklamieren zu wollen. Die letzten beiden autorisieren das Sardische, das heißt Logudoresisch, zum Ebenbild des Lateinischen und kanonisieren explizit und implizit Araolla. In der Retrospektive wird damit versucht, den ersten der zwei sprachplanerischen Stützpfeiler nach Haugen 2004 zu realisieren – das status planning, also die Veränderung der gesellschaftlichen Position einer Sprache. Sie – und weitere sardophile Autoren bzw. ›Lokalisten‹155

[…] non scrivono di Sardegna o in sardo per inserirsi in un sistema isolano, ma per iscrivere la Sardegna e la sua lingua – e con esse, se stessi – in un sistema europeo. Elevare la Sardegna ad una dignità culturale pari a quella di altri paesi europei significava anche promuovere i sardi, e in particolare i sardi colti, che si sentivano privi di radici e di appartenenza nel sistema culturale continentale. Perciò, anche quando scrivono in sardo (come fa l’Araolla), anziché in latino o in italiano, lo fanno sì per esigenze di comunicazione interna – forse è il caso di ricordare che non pochi di questi erano sacerdoti con una naturale inclinazione per i generi e i toni didascalico-moraleggianti – ma anche per rispondere a quella complessa esigenza di riconoscimento, integrazione e legittimazione che abbiamo visto attiva già nei primi docmenti medievali. (Maninchedda 2000, 178)

Weitere Gemeinsamkeiten der drei Kleriker bestehen in ihrer gelehrten, alt- und neusprachlichen Kompetenz, in ihrer hohen Mobilität (vor allem in ihren Rom-Aufenthalten) und den damit Hand in Hand gehenden vielfältigen Sprachkontakten sowie in ihrer Verhaftung im Orbit des Druckwesens. Ihre individuelle und die innerhalb und außerhalb der Insel konkret erlebte Mehrsprachigkeit, auf die sie intertextuell verweisen, und der Buchdruck sind Impulsgeber für ihr literarisches Schaffen.

Erst 1782 wird Matteo Madao wieder am sardischen nationalen Sprachbewusstsein rütteln und einen ersten (grammatikalischen und lexikalisch-etymologischen) Kodifizierungsversuch unternehmen156 – ein Novum und aus italienischer Perspektive ein Anachronismus zugleich.

6.1.6 Zwischenresümee

Die polyglossischen Regelmäßigkeiten im drucksprachlich-strategischen Gebrauch lassen sich wie folgt zusammenfassen:

–    Die lateinische Sprache spielt hauptsächlich im religiösen Bereich (Synode, Schule – aber hier weniger als Vermittlersprache) eine Rolle; im Allgemeinen und in der Administration im Besonderen wird sie marginal distanzsprachlich verwendet.

–    Katalanisch dominiert in der gedruckten Verwaltungsdomäne, hat aber auch volkstümlich religiöse und erbauliche Funktion (Hagiografien) und wird öffentlich nähesprachlich verwendet (cride, gosos).

–    Spanisch baut seinen bereits im Cinquecento geplanten Status als ›Hoch‹sprache – in einem doppelten Sinn als dominante Sprache der Administration und prestigereicher Literatursprache – im Lauf des folgenden Jahrhunderts aus, das somit zum »Seicento indiscutibilmente ispanico« mutiert, »la poesia, il romanzo, l’oratoria sacra, la storiografia sono tutte improntate sui modelli spagnoli« (Alziator 1989, 138).157

–    Sardisch dient einerseits als religiöse Zwecksprache und spiegelt seinen Status als »lingua del popolo« (Lepori 2005, 25) wider; in den Einzelunternehmungen zur Hebung des Prestiges im Rahmen der questione della lingua sarda fungiert »sa limba Sarda«, angesehen als Haupterbin des Lateinischen, als Literatur-/Dichtersprache, Identitäts-/National-/Muttersprache und Ausbausprache. Auffällig ist, dass mehr sardische Druckwerke in Sassari als im iberisierten Cagliari – »madre de forasteros« (Arnal de Bolea 1636, zit. nach Marci 2005, 93) publiziert wurden.

–    Die 2,5 Titel auf Italienisch beschränken sich auf den religiösen und literarischen Diskursbereich (Katechismus, Heiligenlegende, Lyrik). Dieser Befund legt den Schluss nahe, dass Italienisch tatsächlich eine Fremdsprache darstellte – mindestens in Bezug auf das höchste Register, das der Dichtung, wie Delitalas Feststellung in den Rime Diverse (vgl. Zitat 21; Zitat 22) impliziert. In der Katechese scheint Italienisch ebenfalls eine ephemere Option gewesen zu sein.

Die Unterprivilegierung des Italienischen und die untergeordnete Rolle des Sardischen im Vergleich zur spanischen ›Importsprache‹ und zur lateinischen »überdachende[n] Kultursprache« (Rindler Schjerve 2003, 798) sind auch in der letzten, für die Sardegna spagnola relevanten Diskurstradition der Dramatik zu registrieren.

6.1.7 Inszenierte Mehrsprachigkeit: geistliche Dramatik/Lyrik

Der Appendix der sozusagen indigenen Domäne der religiösen Dramatik158 wäre, da die betreffenden Dokumente vorwiegend handschriftlich vorliegen,159 verzichtbar, gibt aber allzu interessanten Aufschluss über die inszenierte Mehrsprachigkeit und Polyglossie, als dass er in einer kommunikationsraum- und quellenbasierten Studie wie der vorliegenden ignoriert werden sollte.

Insbesondere die Jesuiten waren Förderer des katholischen Glaubens in auf den Evangelien basierenden Zeremonien, Prozessionen und Festen; sie fungierten sowohl als Auftraggeber als auch teilweise als Protagonisten von Theaterstücken und Passionsspielen zur propagatio fidei. Welche Sprache(n) beherrschte aber die Theaterpraxis, welche Sprachen werden den Figuren in den Mund gelegt (und zu welchem Zweck)? Aus der in diesem Hinblick unsystematischen Sekundärliteratur160 resultierte, dass die Volksstücke des (Jesuiten-)Theaters161 auf Latein, Italienisch, Sardisch, Spanisch und/oder in gemischter Form oder auch in verschiedenen sprachlichen Versionen aufgeführt wurden. So wurde beispielsweise die Divi Gavini tragoedia, an der die Mitarbeit Araollas vermutet wird, »rappresentata nel 1574 e 1576, messa in scena dagli studenti del collegio gesuitico sassarese la prima volta in latino, la seconda in castigliano; lo spettacolo fu poi replicato tre o quattro volte« (Virdis 2006, 62). Ein Hinweis dafür, dass die gebildeten Städter spanische Dramatik bevorzugten (vgl. Karlinger 1981, 54), ist auch die einzige gedruckte »Comedia en romance« El saco imaginado […]162 (Arca 1658, Sassari) des sardischen Jesuiten Antioco del Arca, der sich selbst als »primer Lope sardo« betitelt. Die Urfassung der wohl musikalisch begleiteten Alegra, festiva, y devota rapresentacion de algunas de las Virtudes, y prodigios que por virtud divina obrò tanto en Cerdeña como en España el milagroso Beato Salvator de Horta »se escriviò antes à instancia de algunos devotos in idioma vulgar de Serdeña, por el auctor deste libro y por el mismo se traduze en humilde castellano«, wie der Autor Giovanni Maria Contu informiert;163 ebenso wurde 1680 eine Komödie von Augustin Moreto in Cagliari auf Spanisch gespielt (Pirodda 1993, 69).

Die Übernahme der Tradition der populären spanischen autos sacramentales äußert sich aber auch dadurch, dass nur der Paratext (i.e. die Regieanweisungen) auf Spanisch belassen und der Haupttext mit sardischen quartine ›aufgefüllt‹ wurde. Das älteste geistliche Drama mit logudoresischem Basis- und spanischem Begleittext ist die Pasion de Christo nuestro Señor des Cagliaritaners Giovanni F. Carmona (Carmona 1629); das Gleiche trifft auf das geistliche Spiel der Storia di San Luxorio von Pietro Quessa Capay164 zu. Das erste der drei Passionsspiele (»Comedias«) von Antonio Maria da Esterzili (Esterzili 1674?), die Conçueta del Naçimiento de Christo,165 ist aufschlussreich hinsichtlich der Sprache des Regiebuchs und der sprachlichen Rollenverteilungen: Die Regieanweisungen, die Titel und Namen sind auf Spanisch, genauso wie die zentrale, erhabene Figur des Heiligen Agostino und die Diener die Hoch-Sprache Spanisch sprechen; die Dialoge erfolgen indessen im volkstümlichen Register des Campidanesischen – mit Italianismen, Katalanismen, Logudorismen und einer Tendenz zum sardo illustre (vgl. Urciolo/Wagner 1959, XVI).166 Logudoresisch bleibt als illustres Idiom den – auch in der Realität höhergestellten, vermögenderen – Schäfern vorbehalten und zeigt sich auch hier wie bereits in der questione della lingua sarda gewissermaßen als die unmarkierte H-Varietät des Sardischen; erstaunlicherweise wird sie in den Primärquellen jedoch nie als »logudorese« benannt.167

Eine Schlüsselstelle in Bezug auf soziale Mehrsprachigkeit und Repräsentationen findet sich im »dramma misto« des Cagliaritaners Giovanni F. Carmona Alabanças de los Santos de Sardeña (1631). Hier treten zwei stereotypisierte Figuren auf: der spanische »Ciudad« und der sardische »Pastor« aus »Suedi«, dem Hinterland Cagliaris168 (vgl. Bullegas 1976, 78–82). Diese ›komische‹ Begegnung spiegelt den Gegensatz zweier Welten, die der spanischen Oberschicht und der archaischen, ursardischen Hirtenzivilisation, auch sprachlich wider: Als der Spanier feststellt, dass er von seinem Gegenüber nicht verstanden bzw. missverstanden wird169, wechselt er – nach der Diskriminierung als rustikaler »pastor bozal« (zit. nach Bullegas 1976, 98) – offenbar mühelos und mitten im Satz selbst ins Sardisch-Logudoresische, aber mit spanischem Schibboleth.170 Der Städter macht damit und erneut am Ende des Dialogs, wenn er dem Hinterwäldler gewährt, der »oratione« beizuwohnen, aber sie nicht zu stören, seine höhere Position bzw. sprachliche Überlegenheit deutlich:

[25] Ciudad: Que tienes di pastor de que te espantas? / que nunca has uisto pueblo congregado?

Pastor:     Eite mi nais si seu coiadu?

Ciudad:   Que no me entiendes? O, que pastor bozal aqui me vino.

Pastor:    A fidi tengu sidi e estau fadiadu / scipiais que es meda atesu su caminu / e si a biri mi ais, riscotu os apa dari / e ancora os tengu casu aparichadu.

Ciudad:   Mejor sera que en sardo tambien able / pues algo ello se y no oigamos. Nada mi su pastori de undi seis?

Pastor:    De Suedi mi senori e manti cumandadu / portari unu presenti a monsignori.

Ciudad:   Jmoi jà mi jntendeis su que apu nadu.

Pastor:    Narademi eite este tanta genti in compagnia / e de quali santu feisti inoxi festa? / que biu totu sa io e’ is fenestras / prenas de genti que esti maravila.

Ciudad:   Non bieis que hoj feus sa festa e prosesioni / di santu giorgiu nostru ecu sa Jmagini. […]

Ciudad:   Pesadiosindi e basti sa oratione / no disturbeis sa festa que eus a fari / miradi qui os ispetanta a mesari.

Pastor:    A una parti cuadu mapa istari / fina a biri sa festa a comprimenti / e totu apusti in bida apa contari. (Zit. nach Bullegas 1976, 98–100)

Dieses diskursfunktionale Code-Switching des Spaniers wie auch die sprachliche Karikatur171 des Sarden stellen das Gegenbeispiel der von Blasco Ferrer veranschlagten insulären Diglossiesituation ohne oder mit passivem Bilinguismus (i.e. Gruppenbilinguismus der Sarden)172 dar (vgl. Kap. 6.1, Anm. 8). Hier outet sich der wahrscheinlich ohnehin polyglotte »ciudad« (bzw. der dahinterstehende Autor mit seinen Repräsentationen) als sehr wohl zweisprachig – er kann sich problemlos auf unterschiedliche Gesprächsniveaus einstellen. Überdies kann die karikierende Wirkung des Dialogs nur funktionieren, wenn auch das städtische Publikum bzw. die städtische Sprechergruppe das Spiel mit dem Stadt-Land-Topos begreift und die sprachlichen Standesunterschiede als solche perzipiert – und die Unterhaltung damit als realistisch erachtet.

6.1.8 Zusammenfassung

Das letztgenannte Beispiel von imitierter Mehrsprachigkeit deckt erneut drei polyglossische Regelmäßigkeiten auf, die hinter der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit der Insel im Cinque- und Seicento stehen:

1)  Erstens die von der spanischen Prestigesprache beherrschte oder zumindest stark beeinflusste Domäne der (religiösen) Literatur.

2)  Zweitens die starke ›Kulturdifferenz‹ zwischen Stadt und Land und der diatopisch-diastratische bzw. diglossische Gegenpol der Sprecher intra und extra muros.173

3)  Drittens die sprachliche Anpassungswilligkeit und -leistung der spanischen Akteure (seien es Jesuiten, Kolporteure oder weltgewandte Städter) an das Gros der einheimischen Sarden, für das die katalanische oder spanische Sprache wahrscheinlich nicht interkomprehensibel war. Die diaphasische Varianz der Spanier ist wohlgemerkt auf Nähesituationen beschränkt; in distanzsprachlicher Kommunikation sind es demgegenüber gebildete Sarden, die ins Spanische wechseln können oder wollen – in der Regel aus literarischen Gründen. Diese literarische Mehrsprachigkeit entwickelt sich aus der gesellschaftlichen Situation und kulturellen Infrastruktur heraus, meist wählen Individuen aber auch infolge eines Wechsels der Bezugsgesellschaft (Migration nach Spanien, Italien) die prestigereiche spanische Sprache als Ausdrucksmittel der Akkulturation. In den seltenen Fällen, in denen die Wahl auf die ›Kleinsprache‹ Sardisch fällt, soll ein literarisch-symbolisches Verhältnis zur Heimatinsel illustriert werden.

Außerdem ist die Passage aus der geistlichen Dramatik ein letzter schlagender Beweis dafür, dass auf der Insel seit Arquers Glottografie (1550) (vgl. Zitat 6) kein Stillschweigen über Sprachdifferenzen, das heißt keine Gleichgültigkeit der Quellen, und zwar weder der Primär- noch der Paratexte, gegenüber den verwendeten Sprachen in einzelnen Kommunikationssituationen herrscht. Die Sprachenvielfalt Sardiniens hat Zeitzeugen und an Sprachfragen beteiligte Akteure seit jeher beeindruckt – oder irritiert, so dass Fremdsprachenprobleme der Kommunikanten offen thematisiert, problematisiert oder karikiert, und Auto- und Heterorepräsentationen von Sarden und Katalanen/Spaniern offengelegt wurden.

Damit haben wir es mit einem faktischen Sonderfall von historischer praktizierter Mehrsprachigkeit zu tun – der äußerst komplexe Ausnahmefall bzw. Extremfall im Vergleich zu den anderen Kommunikationsräumen des spanischen Italien, die, soviel sei vorausgeschickt, eher Grenzfälle mehrsprachiger Praktiken darstellen; auch der Konnex zwischen spanischer Sprache und Machtausübung der habsburgerischen Monarchie war in Sizilien, Mailand und Neapel nicht (stark) ausgeprägt und in der Praxis wurde zumeist pragmatisch gehandelt (vgl. Büschges 2007, 31; Schwägerl-Melchior 2014, 408–419; vgl. Kap. 6.5).174 Die Mehrdimensionalität und Komplexität des Begriffs Mehrsprachigkeit wird im Falle Sardiniens besonders gut greifbar: Die territoriale Mehrsprachigkeit äußert sich in der extremen binnensardischen Zerklüftung, die (sprach-)historisch doppelt sprachkontaktinduziert ist, einmal durch die genuesisch-pisanische, einmal durch die aragonesisch-spanische Herrschaft. Nicht zu unterschätzen ist die in der gedruckten Schriftlichkeit keine Rolle spielende, aber in der questione della lingua gesuita doch mehrfach bezeugte korsische Sprache (»corço«)175: Die ab dem Quattrocento einsetzende Korsophonie der Insel ist, wie Maxias Forschungsergebnisse eindrücklich beweisen,176 mit dem geringen räumlichen Abstand zur Schwesterinsel zu erklären.

Die soziale Mehrsprachigkeit ist in insulärer Abhängigkeit von der institutionellen Mehrsprachigkeit zu sehen: Die spanische Regierung und der Jesuitenorden, der im ekklesiastischen Bereich eine quasi monopolistische Rolle einnimmt und die sprachliche Hierarchie hinsichtlich der Predigt- und pastoralen Umgangssprache zeitweise in Frage stellt, fordern die spanische Sprache im öffentlichen Kommunikationsraum ein und steuern auch die Drucklandschaft ›von oben‹. Auf der Ebene der individuellen Mehrsprachigkeit gibt es reichhaltige Abstufungen von aktiver und passiver bzw. rezeptiver Beherrschung von Sprachen und/oder Varietäten sowie von metasprachlichem Wissen autochthoner und allochthoner Sprecher bzw. Schreiber mit einem hohen Bildungs- und Mobilitätsgrad. Ihre literarische Mehrsprachigkeit manifestiert sich weniger in textinterner (Sprachwechsel innerhalb des Textes, exemplarisch Araolla), als in textübergreifender Mehrsprachigkeit (das heißt Sprachwechsel von Werk zu Werk). Aus dem Kollisionsfall mehrerer Sprachen und Varietäten erwächst auf der Ebene von reflexiver Mehrsprachigkeit die Beschäftigung mit dem Ausbau des Sardischen. Weder in der Buchproduktion177 noch in der Buchkonservation in loco ist jedoch eine zielgerichtete Mehrsprachigkeit mit (auto-)didaktischen Absichten wie zum Beispiel spanisch-sardische Glossare, Wörterbücher oder andere Regelwerke zu konstatieren. Ob solche sprachlichen Hilfsmittel importiert wurden, verlustig gegangen sind oder die (polyglotten, gebildeten) Insulaner diese tatsächlich nicht benötigten, ist eine nicht mehr kontrollierbare Frage, die sich aus diesem Negativ-Befund ableiten lässt. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang auch die Figur des Korrektors auf Sardinien nicht ausfindig zu machen.

Die einzig sichere, das heißt stabile, da von Anbeginn mehrfach bezeugte Diglossie ist die zwischen Stadt und Land (Spanisch versus Sardisch), wobei es innerhalb der Stadtkategorie zwischen dem auch im Buchdruck widergespiegelten hispanisierteren capo di sotto und dem mehrsprachigeren bzw. ›logudorisierteren‹ capo di sopra erhebliche Unterschiede gibt. Die insuläre Dynamik der Polyglossie im Druck kann auf Basis der Korpusdaten schematisch wie folgt dargestellt werden:

Tabelle 10: Polyglossie der gedruckten Schriftlichkeit auf Sardinien im 16. und 17. Jahrhundert.

Tabelle 10: Polyglossie der gedruckten Schriftlichkeit auf Sardinien im 16. und 17. Jahrhundert.

Mit diesen polyglossischen Verhältnissen kann Sardinien, zusammen mit der räumlichen Distanz, die das Navigieren zwischen Italien und Spanien erheblich erschwerte178 und zur Insularität beitrug179, sowie mit der großen zeitlichen, mehr als 100-jährigen Distanz zur Erfindung des Buchdrucks als eine (Sprach-)Insel in der Gutenberg-Galaxis definiert werden.

1 In chronologischer Reihenfolge: Phönizier und Punier, Römer, Byzantiner, Sarazenen, Pisaner und Genuesen, Aragonesen, Spanier, Savoyer, Italiener. Vgl. die Überblicksdarstellung in Rindler Schjerve 2003, 792–795.

2 Mit Schwerpunkt auf Lexikon, Toponomastik und Onomastik. Die Begriffe der Adstrat- oder Kontaktsprachen, von denen mit Ausnahme von Rindler Schjerve 2003 nie die Rede ist, würden jedoch gerade kein Machtgefälle der Sprachen implizieren.

3 Sogar von einer dritten, massenmedial bedingten Italianisierung ab den 1950/1960er Jahren (»italianizzazione terziaria«) ist die Rede, vgl. Rindler Schjerve 2003, 794 und 798.

4 Maxias onomastisch-demografische Studie, in der die korsisch-sardischen Dauerkontakte vom Quattro- bis Ottocento nachgezeichnet werden, lässt die Sprachgeschichte Sardiniens in einem neuen Licht erscheinen (vgl. Maxia 2006; vgl. auch Kap. 6.1.8).

5 Besiegelt sind, ebenfalls nach Wagner, die einzelnen sprachlichen Ablösemomente im administrativen Bereich (Wagner [1950] 1997, 184–187: Bis 1600 Edikte auf Katalanisch; ab 1602 Hispanisierung und ab 1643 Spanisch in ausschließlicher Verwendung in Gesetzestexten; bis 1649 in Sassari Edikte auf Logudoresisch (Spanisch nicht vor 1610); bis 1624 Verwendung des Sardischen im Priesterarchiv Macomer, anschließend Katalanisch und Spanisch, ab 1824 Italienisch (wobei das erste italienische Dokument bereits aus dem Jahr 1791 datiert); ab 1764 inselweit Italienisch per Gesetz in Gericht, Schule und im Druck; bis Mitte des 19. Jh.s Spanisch in der Kloster-Kommunikation.

6 Vgl. Lörinczi 2006, URL: http://www.sotziulimbasarda.net/gennaio2006/st.socioling.sardo.pdf (Zugriff vom 10.07.2014).

7 Dazu zählt auch eine Umkehr von Auffassungen, nach denen Sprachen erst mit schriftlichen Quellen existieren, vgl. Maxias ›Vordatierung‹ der erst ab dem 18. Jh. belegten Brückenvarietäten zum Korsischen, d.h. Galluresisch und Sassaresisch, welches »invero costituisce una varietà di corso, fortemente influenzata dal logudorese e ricca di ligurismi che già nella prima metà del XVI aveva soppiantato definitivamente il sardo. Il medesimo dato si rivela determinante per affermare che il gallurese non è il risultato di immigrazioni corse di data relativamente recente ma che anch’esso, pur con dinamiche diverse rispetto al sassarese, si affermò in Sardegna entro il Cinquecento« (Maxia 2005, 523).

8 Blasco Ferrers Diagnose einer »diglossia senza bilinguismo/con bilinguismo attivo« (Blasco Ferrer 1988, 885) mit der Verteilung des Katalanisch-Spanischen als High- und des (an sich inexisten) Sardischen als Low-Varietäten greift meines Erachtens zu kurz. Zu den Begriffen »Diglossie« und »Polyglossie« vgl. insb. Kremnitz 2004; zudem Bochmann 1988; Sinner 2001. Anwendung in einer historischen mehrsprachigen Konstellation findet Polyglossie bei Fellerer 2005, insb. 13–17.

9 Historiker-Meinungen zur Insellage sind nicht widerspruchsfrei; während Ortu feststellt, Sardinien sei zwischen 1479 und 1720 »inevitabilmente ridotta, nel quadro di una monarchia dagli orizzonti enormemente dilatati, alla condizione di una insignificante periferia« (Ortu 2006, 168), resümiert Manconi: »Fra Medioevo ed età moderna la Sardegna è la regione del Mediterraneo inserita in maniera più salda e duratura nell, orbita politica e culturale della Spagna.« (Manconi 2006, 221). In der Tat zeigte die spanische Regierung nur marginales politisches Interesse an Sardinien, so befand sich bereits Karl V. 1535 nur auf einmaliger Stippvisite in Cagliari und Alghero auf dem Weg nach Afrika. Aufgrund der geringen Einwohnerzahl, des fehlenden kulturellen Lebens und der wirtschaftlichen Schwäche – Sardinien konnte nie mit dem Kornexport Siziliens mithalten – war die Investitionswilligkeit eher gering: Der jährliche finanzielle Zuschuss Spaniens von 15.000 Dukaten am Anfang des Seicento, der regelmäßig ans sardische Parlament floss, war im Vergleich zu dem 1,5 Millionen umfassenden Posten für Sizilien, Mailand und Neapel (allein 600.000 Dukaten) um ein Vielfaches kleiner (vgl. Ortu 2006, 183).

10 Für Korsika ist die Frage bereits von Maxia positiv beantwortet worden (vgl. Maxia 2006). Eine weitaus geringere (lexikalische) Rolle spielt im Vergleich Sizilien. Bis auf einige Sizilianismen aus dem Fischereiwesen und expressiven Bereich, die sich im Campidanesischen finden, fehlen sprachliche Reflexe zur bzw. von der Nachbarinsel, vgl. Sanna 1957, 205.

11 Vgl. Lörinczi 1993; Mensching 2004; Koch 2004; Krefeld 2004b, URL: http://www.romanistik.uni-muenchen.de/downloads/links_personen/krefeld/mito_smontare_sardo.pdf (Zugriff vom 10.07.2014).

12 Ungeklärt, aber ziemlich unwahrscheinlich ist, dass Dante überhaupt selbst auf der Insel war (vgl. Giunta/Gorni/Tavoni 2011, 1261).

13 Ex libro primo notationum Pauli Pompilii. De Antiquitate linguae latinae. Caput Vicesimum (Pompilio 1485?, III, 1, T 301), Cod. Lat. Vat. 2222, vgl. Pompilio 1485?, URL: http://ww2.bibliotecaitaliana.it/xtf/view? docId=bibit001284/bibit001284.xml&chunk.id= d6220e120&toc.depth=1& toc.id=d6220e120&brand=newlook (Zugriff vom 20.10.2014).

14 Arquer stammte aus einer katalanisch-sardischen Familie und studierte in Pisa und Siena Jurisprudenz und Theologie (vgl. Stella 1982, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/sigismondo-arquer_%28Dizionario-Biografico%29/ [Zugriff vom 10.07.2014]). Er sprach folglich Sardisch, Katalanisch, Italienisch, Spanisch und Latein und schrieb auf Latein, Spanisch und Italienisch, wie aus seiner interferenziellen Briefkorrespondenz hervorgeht – »certamente varia le competenze« (Loi Corvetto 1994, 870).

15 Vgl. Thermes 1987; Loi Corvetto 1994, 870–872; Laneri/Turtas 2008, URL: http://www.filologiasarda.eu/pubblicazioni/libro.php?sez=34&id=782&pdf=12888 (Zugriff vom 10.07.2014).

16 Arquer war mit seinem Beitrag im zweiten Buch über Süd- und Westeuropa einer der über 120 »Standespersonen, Gelehrten, Künstler[n]« (Hantzsch 1899, 50), die an diesem Erdkunde-, Welt- und Städtebuch in 18-jähriger Vorbereitungszeit mitwirkten (vgl. Ders. 1899, 63f.). Vgl. Hantzsch 1899, insb. 50–69, URL: http://digital.slub-dresden.de/fileadmin/data/290819733/ 290819733_tif/jpegs/290819733.pdf (Zugriff vom 25.11.2014).

17 In italienischer Übersetzung 1558 in Basel erstgedruckt (vgl. Münster 1588, Permalink: http://purl.pt/21907 [Zugriff vom 20.10.2014]), 1588 erneut in Basel und 1575 in Köln erschienen. In Italien erfuhr dieses Kapitel als Plagiat bzw. leichte Adaptation (»Isola di Sardigna«) in zwei erfolgreichen geografischen Texten zusätzlich enorme Resonanz (vgl. EDIT16 2014): Alberti, Leandro 1561): Descrittione di tutta l’Italia, et isole pertinenti ad essa […] und Porcacchi, Tommaso (1570: L’isole più famose del mondo descritte da Thomaso Porcacchi […] (beide Venedig), vgl. Petrella 2004b, URL: http://www.consiglio.regione.campania.it/cms/CM_PORTALE_CRC/servlet/Docs?dir=docs_biblio&file=BiblioContenuto_2387.pdf (Zugriff vom 10.07.2014); vgl. zu Porcacchi auch Kap. 6.2, Anm. 10.

18 Dieses dreisprachige Sprachexempel wird, wie Coseriu nachweist, in zahlreichen europäischen Vaterunsersammlungen bis ins 19. Jh. hinein zitiert (und dabei teilweise auch das Katalanische als vermeintliche sardische Varietät missinterpretiert), vgl. Coseriu 1980.

19 Diese südsardische Varietät ist leicht mit Arquers Herkunft aus Cagliari zu erklären.

20 Vgl. Carillo 1611, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/ucm.5320771918 (Zugriff vom 10.09.2014).

21 Derselbe Beispielsatz findet sich übrigens zitiert in Vidals Argumentation der Latinität des Sardischen in der Urania Sulcitana (Vidal [1638] 2004, 112), vgl. Kap. 6.1.5.2.

22 Nach Maxia waren im Cinquecento 60% der Bevölkerung ligurischer und korsischer Herkunft. »Peraltro, la base corso-ligure del dialetto sassarese poté formarsi in parte già in terra di Corsica dove le due varietà interagivano ormai da oltre due secoli. Il fondo corso-ligure del sassarese probabilmente ha un suo pendant nella lingua di contatto portata dai corsi che avevano intensi rapporti con le colonie genovesi.« (Maxia 2006, 251).

23 Wegen Verbreitung häretischer Ideen wie dieser und Verbindungen zu Lutheranern wie Sebastian Münster endet Arquer nach einer Gefängnisstrafe auf dem Scheiterhaufen (vgl. Stella 1962).

24 De Cotes schreibt 1546 »che, su circa 1.500 persone, neanche un centinaio conosceva il ›Credo‹ o le preghiere più elementari, la pratica della confessione era disattesa dai 4/5 delle persone che vi erano obbligate, senza dire che, fra queste, ›i nove decimi hanno l’abitudine di giurare il falso, praticano l’usura, sono dediti a mille superstizioni e ad altre pratiche che è meglio non riferire per iscritto‹; insomma, concludeva sconsolato il vescovo, sarebbe stato molto meno faticoso evangelizzare gli indios di Perù che tentare di riformare quei cristiani.« (Zit. nach Turtas 1989, 273).

25 Vgl. Toda y Güell 1890, 44–58; Alziator 1954, 80–82; Barbieri 2004a, 76f., URL: http://www.consiglio.regione.campania.it/cms/CM_PORTALE_CRC/servlet/Docs?dir=docs_biblio&file=BiblioContenuto_2387.pdf (Zugriff vom 10.07.2014). Parragues berichtet 1560 Philipp II. über die sardischen Priester, die sich nicht von Feldarbeitern unterscheiden würden: »Los mas destos apenas saben leer, ninguna inteligencia ni noticia de la ley de Dios ni de la ley de la iglesia no saben ensegnar los parrochinos mas del pater noster y el ave Maria y la confession general en sardesco tanto che yo tengo por milagro como Dios los conferma en el Christianismo. […] los qui viniessen de fuera no podrian aprovechar a los pueblos qui lo han menester por ser estraña la lengua de esta ysla […] ansí qui el mejor remedio de todos sería haber un estudio en esta ysla.« (Zit. nach Alziator 1954, 79).

26 Von Parragues’ ca. 500 Büchern stammen 50% aus Venedig und Basel, 28% aus Lyon und Paris, 4% aus Rom, 3% aus dem restlichen Italien, 8% aus Deutschland, 5,5% aus den Niederlanden (3,4% Antwerpen), 1,5% aus Spanien; zwei Titel wurden in Cagliari gedruckt (vgl. Anatra 1982, 235f.). Die ca. 1.100 Titel vorwiegend juristischer Natur von Fara verteilen sich wie folgt: 352 aus Venedig, 249 aus Lyon, 86 aus Rom, 53 aus Paris, 39 aus Basel, 30 aus Antwerpen und Löwen (vgl. Olivari 1992, 851).

27 Eventuell geben diese prominenten Inventare, die den Kern der späteren Universitätsbibliothek von Sassari bildeten (vgl. Quaquero 1994, 131) aber ein verzerrtes Bild ab: »Tale fortunata situazione fornisce un largo materiale di studio, mettendo però in ombra altre raccolte di minor peso e rilevanza, che certo ci furono, ad esempio, presso le chiese e i conventi o gli uffici della pubblica amministrazione. La presenza di tali inventari ha poi fatto apparire per lungo tempo inutili altri tipi di ricerche, come quelle appunto sul patrimonio realmente conservato nelle biblioteche stesse.« (Barbieri 2004a, 77). Paba weist zudem auf die noch zu erschließende handschriftliche hispano-sardische Literatur in den Bibliotheken hin, vgl. Paba 1996, 18, URL: http://www.sardegnadigitallibrary.it/mmt/fullsize/2010072310433400001.pdf (Zugriff vom 10.07.2014).

28 Zum »potere plurilingue« (D’Agostino 1988, 13) des Konzils von Trient und seinen Beschlüssen zur Vervolkssprachlichung der Liturgie vgl. Dies. 1988, 13–41. Zum Gebrauch der volkssprachlichen Gemeinsprache in der frühneuzeitlichen Volkspredigt mit fundierten bibliografischen Angaben vgl. Kropp 2011.

29 »In concionibus etiam, et in sacris lectionibus eo modo proponendis, qui aedificationi populi conveniat (qui a Scolasito diversus est) se etiam exerceant, studeantque ad id munus obeundum linguam populo vernaculam bene addiscere.« (Constitutiones Societatis Iesu, 1558, 47).

30 Trotz einer höheren Einwohnerzahl (im Jahr 1589 decken Sassari und Cagliari bei 254.016 Insel-Einwohnern zusammen 56,1% und im Jahr 1627 60,9% der Inselbevölkerung ab) war die Stadt im Norden »meno favorita dalla monarchia aragonese prima e da quella spagnola poi perché di minor valore strategico e perché la sua popolazione resta prevalentemente sarda. Viceversa Cagliari ed Alghero, oltre a svolgere il ruolo di porti e presìdi costieri, sono state interamente ripopolate da catalani e appaiono più affidabili nella fedeltà al sovrano.« (Ortu 2006, 171).

31 Antonio legt auch Selbstzeugnis über den Kontakt mit dem Sardischen ab: Nach fünf Monaten könne er auf Sardisch beten und sich in juristisch-moralischen Diskussionen des Sardischen bedienen (vgl. Turtas 1981, 61).

32 Letztendlich segnete Philipp II. im Juni 1565 den Vorschlag des Vizekönigs Madrigal der katalanischen Übersetzung ab (zit. nach Wagner [1950] 1997, 185).

33 Diesem Verbot wird aber nicht Folge geleistet, wie die Absolventenzahlen der »natio sarda« an der Universität Pisa zeigen: ca. 150 in der ersten Hälfte des Cinquecento, ca. 270 in der ersten Hälfte des Seicento, vgl. Turtas 1989, 291f.

34 In Predigtmissionen ab den 1570er Jahren in entlegenere Gegenden wird hingegen die Verwendung des Sardischen präferiert, so berichtet der Vize-Landeshauptmann Pelegrí (an General Borgia 21.10.1570) von zwei Jesuitenpatern, die ständig »por las villas predicando (como predican) en sardo, que es cosa nueva porque antes no oyan sermones en las villas sino en italiano y no entendiam la quarta parte dél.« (Zit. nach Turtas 1981, 60, Anm. 6).

35 Die lateinische Sprache steht in der gesamten Korrespondenz nicht zur Debatte – sie war zwar rechtmäßig, aber eben nicht bzw. nicht mehr, d.h. ab dem Konzil von Trient, funktional.

36 Im Jahr 1655 ist im Jahresbericht des Kollegs verzeichnet, jeden Sonntag sei »adhortatio evangelica quae habetur primo mane« und zwar »in vernacula lingua« (zit. nach Turtas 1981, 83).

37 Die Stigmatisierung des Sassaresisch-Korsischen geht so weit, dass »los ciudadanos dessean desterrar esta lengua de la ciudad (de Saçer) por ser apegadiza de Córsegua y entrodusir la española« (Turtas 1995, 117, zit. nach Maxia 2006, 251).

38 Dieser Vorschlag wurde offensichtlich befolgt: Von den 92 Jesuiten im Jahr 1591 bzw. 123 Jesuiten im Jahr 1600 waren 74 bzw. 95 Sarden (aus Sassari, Cagliari, Iglesias, Alghero, Tempio, Gallura) und die Hälfte des ausländischen Personals süditalienischer Provenienz (vgl. Turtas 1981, 83).

39 Der schwierige Fremdspracherwerb des Sardischen betrifft auch Iglesias, wo nach Vorstellung vom Kollegvorstand Gerolamo Lupino alle spanischen Geistlichen »se diessen muy de veras a aprender y exercitar en lengua sarda si no la saben: habilidad no falta« (Brief vom 23.04.1585, zit. nach Turtas 1981, 82).

40 Einen komprimierten Überblick über die nicht sehr ausgeprägte Forschung zum Buchdruckwesen auf Sardinien ist in Barbieri 2004a, 76–79 zu finden. Den monumentalen Werken von Toda y Güell, der eine Bibliografie von Handschriften und Drucken von 1493 bis 1720 inklusive relevanter Archivdokumente erarbeitete (Toda y Güell 1890, URL: http://ia600502.us.archive.org/12/items/bibliografiaespa00toda/bibliografiaespa00toda.pdf [Zugriff vom 10.08.2014], und vor allem Balsamo, der die Anfänge der Presse in Cagliari und die Annalen von Canyelles und dessen Nachfolger bis 1623 präsentiert (vgl. Balsamo 1968) – und einige Spekulationen über den insularen Prototypografen von Di Tucci revidiert (vgl. Di Tucci 1954) –, folgen bis auf den auch in linguistischer Hinsicht interessanten Beitrag von Anatra wenige Studien (vgl. Anatra 1982). Eine kontroll- und zensursystematische Untersuchung bietet Rundine (Rundine 1996). Zu Sassari vgl. Rundine 1984; Olivari 1992. Zu den frühen, in sardischen Bibliotheken aufbewahrten Drucken vgl. Petrella 2004c; vgl. eher aus aktueller Perspektive Cossu Pinna 1992 und Quaquero 1994.

41 In der Universitätsbibliothek Cagliari werden 20 Inkunabeln in volgare konserviert, davon neun katalanische, je fünf italienische und spanische und eine sardische, die Carta de logu von Eleonora d’Arborea, gedruckt in Barcelona 1492 (vgl. Carbonell 1984, 96). Zu den in den Bibliotheken von Alghero, Oristano und Sassari aufbewahrten Wiegendrucken vgl. Barbieri 2004a, Ders. 2004b und Ders. 2000c, URL: http://www.consiglio.regione.campania.it/cms/CM_PORTALE_CRC/servlet/Docs?dir=docs_biblio&file=BiblioContenuto_2387.pdf (Zugriff vom 10.07.2014).

42 Vgl. Toda y Güell 1890, 187, der das in Palma de Mallorca aufbewahrte Unikat auch entdeckte; Balsamo 1968, 118; Carbonell 1984, 96; Wittlin 1998.

43 Balsamo erhebt große Zweifel an der Datierung, an der völligen Unbekanntheit sowohl des (ambulanten?) italienischen Druckers als auch des aragonesischen Herausgebers und an der fehlenden zeitgenössischen Erwähnung des Drucks; außerdem betont er das Faktum, dass zu der Zeit auch in Italien keine einzige Inkunabel auf Katalanisch veröffentlicht wurde. Ferner war die Anreise nach Sardinien strapaziös und gefährlich, zumal mit einer Handpresse im Gepäck (vgl. Balsamo 1968, 33–41).

44 Im Quattrocento sind für Alghero und Cagliari (häufig jüdische) »scriptores«, »libraters«, »ligatores librorum« und »assaonadores pellium« bezeugt (vgl. Quaquero 1994, 131). Eine Achse Cagliari–Barcelona wurde bereits 1492 gebildet, als ein Sarde vom Barceloner Buchhändler Posa »librorum de stampa« orderte; auch 1504 wird ein gewisser Galcerin Sala, Buchhändler, und 1511 Enrico Squirrol, Drucker und Buchhändler aus Barcelona genannt (vgl. Olivari 1992, 884f.). Giorgio Bert, flämischer Buchhändler auf Sizilien, versuchte 1502 ein Filialnetz im Mittelmeer aufzubauen, deswegen sandte er »certi libri di stampa et altri robbie et merchi« über »Iohan Peri di Tornay, so facturi, in Sardigna, per teniri potiga in la cita di Cagliari« (zit. nach Resta 1995, 820, Anm. 38) – das Unternehmen scheiterte jedoch und der Vertreter kehrte mit seiner unverkauften Ware nach Palermo zurück. Die ersten italienischen Buchhändler auf Sardinien sind erst in der Mitte des Cinquecento dokumentiert: Im Jahr 1554 ist der Lombarde Hieronimus Luchadello in Cagliari aktiv, 1561 der »libreter« Stefano Prato, 1569 der »librarius« Antonio Bizioyer, ebenfalls Lombarde, ab 1557 der »bibliopola Calari habitador« Stefano Moretto und schließlich 1591 Sartorio Prato aus Modena, der erste Papierhändler (»charter«) (vgl. Di Tucci 1954, 136 und 137). Aus Sassari stammen »Blasii Sabata quondam libraii« († 1598) und »Johan Maria Mongiolino llibreter« (†1580) (vgl. Turtas 2004, 157, Anm. 51 und 52, vgl. URL: http://www.consiglio.regione.campania.it/cms/CM_PORTALE_CRC/servlet/Docs?dir=docs_biblio&file=BiblioContenuto_2387.pdf [Zugriff vom 10.07.2014]).

45 Mit der Schlacht von Macomer konnte die ganze Insel, d.h. auch der Norden vereinnahmt werden, wodurch Sardiniens Unabhängigkeit endete.

46 Überdeutlich die zeitgenössische Bescheinigung, wonach »parlan la llengua catalana molt polidament axi com si fos en Catalunya.« (ca. 1444 im Libre dels feyts darmes de Catalunya von Joan Gaspar Roig i Jalpí, zit. nach Carbonell 1984, 96). Noch 1610 wird die »lengua Lemosina« (gemeint ist Katalanisch) als gesprochene Sprache auf der Insel konstatiert, so in der Decada primera de la Historia de la Insigne, y Coronada Ciudad y Reyno de Valencia (Escolano 1610, 88f., vgl. http://bvpb.mcu.es/es/consulta/registro.cmd?id=405444 [Zugriff vom 20.10.2014]). Zur katalanischen Sprache vgl. Carbonell 1984 und Pau 1998, 334–339; Martí Sentañes skizziert den kultur- und sprachgeschichtlichen Forschungsstand (Martí Sentañes 2009, 16–19). Überaus informativ auch die von Maninchedda herausgegebenen Kongressakten, vgl. Maninchedda 1998, Bd. 1, URL: http://www.academia.edu/6328809/La_Sardegna_ e_la_presenza_catalana_ nel_Mediterraneo_vol._1 (Zugriff vom 10.07.2014).

47 Zwar tragen die Grammatica latina (1557) von Andrés Semper, Rhetorik-Lehrer aus Valenzia auf Sardinien (nach Maxia allerdings aus Korsika, 2006, 232), sowie der sardische Gesetzestext schlechthin und Relikt der Richterzeit, die Carta de Logu (1560) von Eleonora d’Arborea, im Frontispiz den Erscheinungsort »Callerii«, allerdings wurden sie nicht von, sondern auf Geheiß von Stefano Moretto, dem pionieristischen »libraio-editore« Cagliaris, der Wahrscheinlichkeit nach in Lyon oder Spanien gedruckt (vgl. Balsamo 1968, 119f.; 41–49). Während von der Schulgrammatik, in der das Verb »amare« auch auf Katalanisch konjugiert ist, kein Exemplar mehr vorhanden ist (bereits zweimal vor 1557 in Valenzia publiziert; in zweiter Edition 1585 bei Canelles), ist die Carta ein Unikat und erschien, da von großem allgemeinen Interesse und Prestige, des Weiteren mehrmals in Spanien, Italien und Sardinien (vgl. Kap. 6.1.4.3).

48 Canelles (ca. *1515 Iglesias–†1585) wurde nach seiner Ausbildung in Rom Bischof von Bosa (1577–1585).

49 Der Katalane Bartolomé Pinyes, der 1559 als Leiter des Jesuitenkollegs nach Sardinien kam, beklagte sich, dass »los libros se han aquí con difficultad« und diejenigen aus dem Bischofspalast »se pierden de polvo« (zit. nach Turtas 2004, 146f.). Er informierte 1565 in einem Brief über die »mucha necessidad de libros para el curso que se lee« und schlug vor, diese in Rom »en el Campo de Flor« zu erwerben (zit. nach Ders. 2004, 151). Die Beschaffung von Büchern, vor allem für das diesbezüglich unterversorgte Sassari, stellte eines der bereits erwähnten Probleme während der Gründungsjahre dar. Die genannte Latein-Grammatik von Semper erklärt sich aus diesem Bedürfnis heraus (vgl. Kap. 6.1, Anm. 47).

50 Diese Entwicklung passt ins Bild der allgemein ›verspäteten‹ Insel; so betont Alziator »quel tipico ritardo e sfasamento delle manifestazioni isolane per cui i sardi si attardarono nell’uso del punico quando dovunque imperava il latino, costruirono in stile gotico in pieno secolo XVI, continuarono a cantare laudi italiane dopo cento e più anni di dominio spagnolo e non abbandonarono lo scrivere e il parlare in castigliano dopo innumerevoli decenni di cultura italiana.« (Alziator 1948, 153). Sanna ergänzt: »Gli influssi della poesia italiana si sono fatti sentire in Sardegna con ritardo di secoli.« (Sanna 1957, 201).

51 Canelles besaß als Bibliophiler in seiner umfangreichen Bibliothek (3.000 Titel nach Toda y Güell 1890, 276) viele von Manuzio im Klima des Tridentinums (1545–1563) gedruckte Bücher.

52 Zwei aus Rom importierte Handpressen und 15 Setzkästen sowie weitere Ausstattung (vgl. Barberi 1968, 55f.). Das Investitionskapital betrug 3.000 Dukaten (vgl. Anatra 1982, 236).

53 Der Katechismus (Erstdruck 1563, Lyon) ist ein europaweiter Verkaufsschlager. Im Jahr 1567 wurde er in Cagliari erneut auf Spanisch, 1569 dann aber in italienischer Übersetzung gedruckt (vgl. Balsamo 1968, 121f.). Das Privileg des Vizekönigs von Sardinien, D. Alvaro de Madrigal, das er Canelles und »in sua assenza al suo stampatore Vincenzo Sembenino« gewährte, wird in der Sekundärliteratur als erstes gedrucktes und für die Insel gültiges Privileg (auf zehn Jahre) erachtet: »Por la grande despesa e travaio que ha sostenido y sostiene en traer las estampas a este Reyno de Sardeña el Reverendo Miçer Nicolau Canyelles, doctor en drechos y canonigo de la Seu de Caller, y por la honrra y beneficio resultantes della a este Reyno, al qual ninguno hasta aqui ha traydo estampa alguna, havemos mandado conceder y despachar las presentes.« (Toda y Güell 1890, 72).

54 Maxia bestimmt den Nachnamen Moretto mit hoher Wahrscheinlichkeit als korsisch (Maxia 2006, 23).

55 Auf Sembenino, der einen Berufswechsel zum »aromatoio« vollzog und Canyelles Leichnam selbst einbalsamierte, folgte Francesco Guarnerio aus Lyon (1577–1591), über den nichts Biografisches bekannt ist.

56 Vgl. Turtas 2004, URL: http://www.consiglio.regione.campania.it/cms/CM_PORTALE_CRC/servlet/Docs?dir=docs_biblio&file=BiblioContenuto_2387.pdf (Zugriff vom 10.08.2014).

57 Vgl. die Bestandsaufnahme von Balsamo 1968, 121–174.

58 Von diesen 69 Titeln erscheinen 31 in den ersten 10 Jahren in 51 Bänden, drei Titel pro Jahr entsprechend.

59 Darunter lediglich zwei Klassiker, die emblematisch sind für den fehlenden Humanismus in Sardinien »le Epistole di Cicerone e le Metamorfosi di Ovidio, che restano gli unici classici latini stampati in Sardegna, non solo nel XVI […] ma tutto il XVII secolo. Il loro tiepido successo – alla morte del Canelles, nel 1585, restavano invendute 30 copie di Ovidio e ben 256 di Cicerone – testimonia della ristrettezza fisica più che di una scarsa rispondenza dell’ambiente colto urbano« (Anatra 1982, 234).

60 In Sassari waren im Jahr 1568 400 und 1597 500 Studenten registriert; in Cagliari im Jahr 1600 400, im Jahr 1609 800 und 1617 schließlich 1.000 (Olivari 1995, 847).

61 Z.B. De rebus sardois (Francisco 1580) von Giovanni Francisco, nach Arquer das zweite Werk eines sardischen Historikers über seine Heimat.

62 Galcerino begründet eine Druckerdynastie: Ihm folgen sein Enkel und Urenkel, welche die Druckerei in Cagliari bis auf eine Unterbrechung zwischen 1598–1623 (Martino Saba) bis 1714 weiterbetreiben.

63 Zehn Titel stammen von jesuitischen Autoren. Siehe auch Balsamo 1968, 91 und Nr. 76.

64 Vgl. das in Bertolucci vorgestellte Projekt »Paris« das nach meinen Recherchen bis heute nicht als (Online-)Katalog veröffentlicht wurde: »Le biblioteche censite sono state in totale 66 […] per un totale di 9.360 opere catalogate su oltre 11.000 volumi. […] il nostro Catalogo riguarda le edizioni sia italiane sia straniere presenti in Sardegna. Dal censimento sono emersi alcuni dati interessanti: in ambito italiano le città maggiormente rappresentate sono Venezia, Roma, Firenze con opere stampate dai più importanti tipografi ed editori del tempo (Manuzio, Giunti, Giolito de’ Ferrari ecc.); le opere stampate all’estero provengono prevalentemente da Lione (Guillaume Rouillè), Parigi (Jean Petit, Josse Badius), Salamanca, Colonia, Anversa e Basilea. Si è riscontrato che gli argomenti delle opere trattano materie religiose, giuridiche, umanistiche ma anche scientifiche (sono numerose ad esempio le opere di medicina) e di argomenti vari e curiosi che testimoniano una vivacità culturale e rapporti che forse noi non immaginavamo nella Sardegna del Cinquecento.« (Bertolucci 2004, 219, URL: http://www.consiglio.regione.campania.it/cms/CM_PORTALE_CRC/servlet/Docs?dir=docs_biblio&file=BiblioContenuto_2387.pdf [Zugriff vom 10.07.2014]).

65 Von 1665–1668 Bettelorden der Mercedarier; von 1695–1696 Onofrio Martín junior in Partnerschaft mit Nicolas Pisa aus Barcelona (der wiederum 1660, 1666, 1668 Direktor bei Galcerin war) und dessen Schwiegersohn Juan Antonia Pisa; von 1704–1715 und 1721–1723 Real Convento de Buenayre.

66 Der Adelige Francesco Scano de Castelvì war Inhaber der Kanzlei des Generalleutnants Sardiniens und Gouverneurs von Sassari und Logudoro, vgl. Toda y Güell 1890, 280.

67 Zum Streit um den kirchlichen wie politischen Primat der beiden Erzdiözesen, der sich an den invenciones der »corpi santi« (1614–1616) entzündete, vgl. Manconi 2004, XVI–XXVI.

68 Vgl. Toda y Güell 1890, 11–14 und 297–304; Olivari 1992, 857. Cagliari bat z.B. den Vizekönig Duque de Almonacir, den sassaresischen Druckern die Pflicht aufzuerlegen, nichts ohne ausdrückliche Erlaubnis der Real Audiencia zu drucken; nach Einspruch des Bürgermeisters von Sassari annullierte Philipp IV. diesen Beschluss 1637 in einer Carta Real. Im Jahr 1682 baten cagliaritanische Offizielle abermals den Bürgermeister des capo di sotto, jedem heimlichen Drucker die Todesstrafe anzudrohen und jeden nicht in Cagliari ansässigen (d.h. sassaresischen) Drucker von der Insel zu vertreiben. Vier Jahre nach diesen Querelen verbat der Vizekönig Conde de Fuensalida im zehn Jahre gültigen Privileg an den Drucker Giovanni B. Galcerin (vgl. Toda y Güell 1890, 71, Nr. 18 und 277f.), andere Bücher auf der Insel zu drucken und Bücher »extra Regnum« zu importieren oder ohne Erlaubnis von Galcerin heimlich zu verkaufen – so wie es bereits zuvor seinem Vater und Onkel, ebenfalls königliche Drucker, garantiert worden war.

69 Im selben Jahr erschien auch die Hagiografie La vida y milagros de las BB Vergines Justa, Bustina y Enedina, deren handschriftliche Fassung in Oristano kurz zuvor gefunden worden war – damit sollte auch der Markt in Oristano, wo Canopolo bereits Bischof war, erweitert werden. Der dritte Titel von 1616 ist die sardische Übersetzung aus dem Italienischen Declarassione de su Symbolu Apostolicu de su Cardinale Ballarminu voltada dae limba italiana in sardu von Pietro Gambella, Sekretär des Erzbischofs von Sassari, die bereits 1601 in Rom gedruckt wurde, vgl. hierzu Kap. 6.1.5.3.

70 Die Druckerdynastie der Remondini, ab 1750 in der venezianischen Buchdruckergilde verzeichnet, fertigte praktisch industriell Bücher mit 40 Pressen und ca. 1.000 Mitarbeitern (vgl. den Artikel »Remondini«, URL: http://it.wikipedia.org/w/index.php?title=Remondini&oldid=62968190 [Zugriff vom 10.09.2014]).

71 Soggia verbrachte 30 Jahre in Rom und Pisa als Vizetheologe und Lehrer in Konventen in der Toskana, in Bologna, Venedig, Cesena und Florenz (vgl. Loi Corvetto 1992, 896).

72 Rundine führt eine Liste mit 22 Handschriften auf, die Soggia drucken wollte – die alle bis auf ein italienisches Manuskript dem Titel nach lateinische Manuskripte waren (Rundine 1984, 514).

73 Toda y Güell attestiert eine positive Einstellung der »autoridades« gegenüber dem Buchdruck: »lo honraron y protegieron: el Gobierno lo defendió de las rancunias locales: las imprentas estuvieron casi siempre en manos de españoles: los impresores fueron exaltados en rango y en distinciones: los libros mismos, exceptuados de las ordinarias leyes del tráfico, gozaron de privilegios que ningún otro país han conocido.« (Toda y Güell 1890, 283f.)

74 Die Daten beziehen sich im 16. Jh. nur auf Cagliari; aus dem 17. Jh. stammen von den angegebenen 210 Druckwerken 29 aus Sassari (26 spanische, zwei sardische, ein zweisprachiges).

75 Oder auch die Capitols de Cort del Estament militar de Sardenya, ec., y de nou añadits y stampats los capitols dels parlaments respectivament celebrats per los señors Don Joan Coloma y D. Miguel Moncada (Coloma/Moncada 1591, Cagliari) und die Rubrica de tots los reals privilegis concedits a la magnifica ciutat de Caller por los serenissimos Reys de Arago von Pietro Giovanni Arquer (Arquer 1603, Cagliari).

76 Interessanterweise dann ohne Sigel von Canyelles, aber mit Preisauszeichnung.

77 Das Format dieser eher kürzeren Texte zwischen acht und 45 Seiten variiert zwischen Folio oder dem Quartformat.

78 Pau behauptet, dass erst zu Beginn des Settecento »la lingua catalana venne dimenticata rapidamente e scomparve dall’uso scritto pubblico e privato, tranne che ad Alghero. È un fenomeno in una lingua esogena che non è più lingua del potere.« (Pau 1998, 348).

79 In EDIT16 typischerweise nur als einsprachig lateinisch deklariert (vgl. EDIT16 2014, CNCE 58140). Es wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere solcher mehrsprachiger Schriftstücke gedruckt.

80 Bekanntermaßen glich Alghero aufgrund seiner militärischen Wichtigkeit einer »colonia alloglotta« der Katalanen in der logudoresischen Zone (und ist bis heute Herberge des Katalanischen geblieben); Sarden waren zumindest tagsüber ausgeschlossen, vgl. Sanna 1957, 195.

81 In der zweiten Edition zehn Jahre später namens Quincti Tyberii Angelerii Epidemiologia siue tractatus de peste […] (Tiberio 1598, Madrid) wurden diese Instruktionen wiederum auf Spanisch übersetzt, Tiberio 1598, 94v, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/ucm.5325109586 (Zugriff vom 20.10.2014).

82 Vgl. Balsamo 1968, 157f., Nr. 52; 160f., Nr. 57; 168f., Nr. 70; EDIT16 2014, CNCE 8278. Im Geleitbrief (ebenfalls bemerkenswerterweise auf Katalanisch) informiert der Erzbischof von Cagliari Francesco Del Vall, mit dem vorliegenden Druck einen obligatorischen Einheitsführer für Form und Zeremonien der Sakramente offerieren zu wollen mit strengen Auflagen in Form von Bußgeld gegen potenzielle Verstöße. Toda y Güell registriert des Weiteren eine cagliaritanische Edition von 1622: »El texto ofrece bastantes variantes con los Rituales ó Baptisterios que en época anterior se publicaron en Cerdeña.« (Toda y Güell 1890, 76, Nr. 31).

83 Selbst ein weiteres Jahrhundert später enthalten die Costituzioni sinodali della Diocesi di Cagliari (Anonym 1698) die gebräuchliche »Sa Dotrina Christiana a sa lingua sardisca« und zwar »in un Campidanese popolare anche se un po’ castiglianeggiante« (Lepori 2005, 27). Dieses theologische Regelwerk ist nicht bei Toda y Güell registriert (vgl. Toda y Güell 1890).

84 Noch 1738 erschien in Cagliari ein Verwaltungstext mit katalanisch-sardischer Funktionsteilung: »Esso contiene i capitoli di grazia, cioè le convenzioni e gli accordi stipulati tra i baroni di Ogliastra e la comunità rurale di Tortolì tra il 1455–1621 e raccolti in un volume dopo il 1655. I capitoli sono redatti in catalano (con interferenze sintattiche sarde secondo Maninchedda 1996: 73), mentre il sommario è in sardo, e in sardo sono gli atti che registrano i giuramenti prestati dai capitani, dai luogotenenti e dagli scrivani della regione.« (Lörinczi 2006, 39).

85 Vgl. Manca 2002, URL: http://www.filologiasarda.eu/pubblicazioni/libro.php?sez=34&id=730&pdf=116 (Zugriff vom 10.08.2014).

86 Diese These untermauern die Forschungsergebnisse von Pau: Nicht nur in Cagliari und Alghero ist Katalanisch in handschriftlichen Verwaltungsakten gebräuchlich gewesen, sondern es erstreckte sich sogar bis in die »piccoli centri rurali dell’interno dove era ben radicato.« (Pau 1998, 347).

87 Vgl. Bullegas 1976, 58; Atzori 1978; Maninchedda 2000, 177.

88 Der vollständige Titel lautet: Pregón General mandado publicar por el excelentisimo señor D. Fernando de Moncada, Aragon, La Cerda, y Caetano Duque de San Juan, Conde de Camarata, Señor del Villanueba, Comendador de Belvis de La Sierra, en la orden de Alcantara, del Consejo Supremo de Guerra de Su Magestad, su Virrey, Lugarteniente, y Capitan General del presente Reyno de Cerdeña. Sobre todas la materias pertenecientes à la buena adiministracion de justicia, facil y mas breve despacho de las causas asì civiles, como criminales, aumento de la agricultura, prohibicion de armas, privilegios, exenciones, y obligaciones de los soldados, y labradores, vgl. URL: http://www.sardegnadigitallibrary.it/mmt/fullsize/2009040715164600076.pdf (Zugriff vom 10.08.2014). Der Pregon wird 1780 erneut in Cagliari aufgelegt.

89 Dadurch war sie auch preiswerter, wie der Drucker im Kolophon verrät: »Lo Stampatore avvisa, che la tassa di tre reali sopra notata era per questo Pregone nel solo idioma Castigliano; ora comparendo colla sua traduzione Italiana, si è fissatto [sic] il prezzo a soli reali cinque legato in brochure. Per lo stesso prezzo, e con simile legatura potrà aversi il Formolario per la costruzione de’ processi criminali pubblicato con Pregone del Marchese Rivarolo anc’esso [sic] colla sua traduzione Italiana, e nella stessa forma di questo Pregone.« (Moncada [1700] 1780, 101).

90 Unklar bleibt, ob weiterhin in zweisprachiger Version.

91 In der rechten Kolonne unter dem italienischen Text befindet sich die italienische Übersetzung.

92 Dieses Forschungsdesiderat gilt in gleichem Maß für die katalanisch-spanische Phase der Zweisprachigkeit (vgl. Kap. 6.1, Anm. 95).

93 Vgl. z.B. Sanna 1957, 195–202; Maninchedda 1993; Ders. 2000; Manconi 2006. Demgegenüber gelangt Blasco Ferrer zu der Auffassung, dass der »apporto effettivo del castigliano« als Superstrat »molto limitato quantitativamente e qualitativamente (soltanto il lessico è stato intaccato)« (Blasco Ferrer 1988, 888) gewesen sei.

94 Lörinczi sieht in der katalanisch-spanischen Alternanz im administrativen Bereich noch erheblichen Forschungsbedarf. An den handschriftlichen Statuten der Handwerkergilden lässt sich diese Überlappung auch noch im 17. Jh. besonders gut beobachten: Die Sprachwahl des Katalanischen oder Spanischen und die Zusätze und Aktualisierungen in einer dieser Sprachen und/oder auf Latein differieren je nach Zunft (vgl. Lörinczi 2006, 38).

95 Ab 1644 zeigt das Korpus mehr spanische als katalanische Verwaltungstexte an, was dem obenstehenden Befund von Wagner entspricht (Wagner [1950] 1997) (vgl. Kap. 6.1, Anm. 5).

96 Im Einklang damit lassen sich Hispanismen gehäuft in der administrativen Fachsprache, im religiösen Bereich und in der Poesie und Metrik finden (vgl. Sanna 1957, 201 – auch mit weiteren Beispielen). Nach Blasco Ferrer sind die Hauptkanäle von Hispanismen »senza dubbio i gosos o inni laudativi-encomiastici cantati in tutta l’isola e le opere drammatiche.« (Blasco Ferrer 1988, 888).

97 Die Inselbibliotheken weisen ungemein reiche Sammlungen an Populärliteratur, d.h. meist bebilderte, lose Blätter wie romances, pliegos sueltos und relaciones de comedia auf (vgl. für das 18. Jh. Ledda/Romero 1985; Maninchedda 1993, 62f.). »L’utilizzazione dei pliegos è discussa: potrebbero essere stati usati come copioni per dialoghi nelle riunioni di società, oppure servire a una lettura o a una rappresentazione private sostituitive delle rappresentazioni teatrali pubbliche proibite in certi periodi.« (Pirodda 1993, 69).

98 Nach Toda y Güell erschienen im Zeitraum von 1493–1800 102 Bücher von Sarden im Ausland, überwiegend in Spanien (60 davon auf Spanisch und 42 auf Latein); detailliert: Madrid (20), Barcelona (12), Florenz (9), Mailand (7), Rom (4), Saragossa und Neapel (je 3); Venedig, Brüssel, Valencia, Mantua, Macerata, Spoleto, Genua, Toledo (je 1) (vgl. Toda y Güell 1890, 201–214).

99 Delitala y Castelvì, aus nobler Familie, war bereits mit 15 Jahren im spanischen Militärdienst in Spanien. Er wird als der bedeutendste sardische Literat des 17. Jh.s angesehen, vgl. Alziator 1954, 141–148. Von ihm stammt bspw. Cima del monte Parnaso español con las tres mvsas castellanas […] (Delitela y Castelvì 1672, Cagliari, URL: http://books.google.de/books?vid=BNC:1001249046 [Zugriff vom 10.11.2014]).

100 Batalla peregrina entre amore […] (Buragna 1651, Mantova). Im Leserhinweis der italienisch-griechisch-lateinischen Poesie del signor D. Carlo Buragna. Con la vita del medesimo (Buragna/Susanna 1683, Neapel, posthum) lobt Cesare di Capoa Buragnas Mehrsprachigkeit: »piu rare oltre alla Greca alla Francesca [sic], e alla Spagnuola favella, di cui molto intendevasi, cosi francamente, ed egregiamente nel latino, e nel volgar idioma dettava« (Buragna/Susanna 1683, a3, URL: http://books.google.de/books?id=Rfmllt2BYKoC [Zugriff vom 10.11.2014]).

101 Historia General de la Isla y Reyno de Sardeña […] (Vico 1639, Barcelona, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11021172-1 [Zugriff vom 10.11.2014]).

102 El saco imaginado […] (Arca 1658, Sassari), vgl. Kap. 6.1.7.

103 Información y Cvración dela peste de Caragoca y Praeservacion contra peste en general […] (Porcello 1565, Saragossa, Permalink: http://fama.us.es/record=b1553135~S5*spi [Zugriff vom 11.10.2014]); vgl. Kap. 6.2.3.3.

104 Engaños y desengaños del profano amor (Zatrilla y Vico 1688, Neapel, Permalink: http://archive.org/details/engaosydesengaos00zatr [Zugriff vom 20.10.2014]) und Poema Heroyco. Al Merecido plauso del unico oraculo de las Musas […] (Zatrilla y Vico 1696, Barcelona).

105 Zum Literatenkreis auf Sardinien vgl. auch Maninchedda 2000, 178–182 und Ders. 1993; ferner Alziator 1954; Pirodda 1993; Porcu 2008, 11–15 und Marci 2005, 69–105 mit angeschlossener Titelliste sardischer Autoren vom 4. Jh. bis zum Jahr 2005 (Marci 2005, 343–360).

106 Porcello entschuldigt sich beim Leser, ähnlich wie dies Lo Frasso tat (vgl. Kap. 6.1.4.3), für eventuelle sprachliche und stilistische Fehler in der »anerkannten« spanischen Sprache: »pues que para ello no le ayuda su lengua natural: porque es Sarda« (zit. nach Alziator 1954, 124).

107 Vgl. Arnal de Bolea 1636, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/ucm.5327667136 (Zugriff vom 10.09.2014).

108 Vgl. Marci 2005, URL: http://www.filologiasarda.eu/files/documenti/pubblicazioni_pdf/strumenti_ letteratura/In_presenza_di_tutte_le_lingue_del_mondo.pdf (Zugriff vom 10.09.2014). Die Analyse der Interferenzen oder gar Code-Switching-Phänomene der sardischen Autoren stellt ein Forschungsdesiderat dar.

109 Vgl. García Sánchez 2011, URL: http://www.filologiasarda.eu/catalogo/autori/autore.php?sez=36&id=650 (Zugriff vom 07.09.2014). Arnal de Bolea legt damit ein bedeutendes Zeitzeugnis der Insel ab, vgl. García Sánchez 2011, URL: http://www.filologiasarda.eu/files/documenti/pubblicazioni_pdf/cfselforastero/01introduzione.pdf (Zugriff vom 10.09.2014).

110 Einige spanische Werke sind adeligen Frauen bzw. Herzöginnen von Spanien und Portugal gewidmet (vgl. Toda y Güell 1890, 68, Nr. 3, 76, Nr. 32, 95, Nr. 118). Zwei Novenen zur Geburtsvorbereitung der weiblichen Gläubigen (beide o.J., aber wohl Mitte oder Ende des 18. Jh.s gedruckt) sind zudem in Toda y Güell registriert (Ders. 1890, 111, Nr. 185 und 148, Nr. 348).

111 Die zweite Edition erschien in gleicher Form im Jahr 1605 in Barcelona, aus dieser stammt auch das Zitat.

112 Der Titel lautet weiter: Todo fielmente sacado y recogido sumariamente de los processos originales de la información que se hizo el mismo año y el siguiente de 1613 (Galtelli befindet sich acht Kilometer westlich von Orosei in der Provinz Nuoro).

113 Espejo espiritual del principio y fin de la vida humana »traducido de Italiano en Castellano por el RMA Xirronis« (Elli 1631, Cagliari). Exercicio de la vida cristiana compuesto en lengua toscana por el P. Gaspar Loarte, y traduzido agora nuevamente por Angelo Roger en vulgar castellano (Loarte 1574, Cagliari) – dieser Text erscheint des Weiteren 16 Mal in Italien im Cinquecento (vgl. EDIT16 2014).

114 Indulgencias del Cordón del Seraphico Sant Francisco Traduzída de lengua Latina (Antiogo de Doni 1594): Libro intitulado directorivm cvratorvm. Compuesto por el Ilustr. Y Reverendiss. S. D. Fray Pedro Míirtyr Coma, Obispo de Elna: nuevamente traduzido de lengua Cathalana en vulgar Castellano. Obra muy necessaria, y provechosa para todos (Pedro Comar 1590). Laut Toda y Güell handelt es sich beim letzten Titel um eine der schönsten Ausgaben des cagliaritanischen Drucks im 16. Jh. (Toda y Güell 1890, 99, Nr. 132).

115 Vgl. hierzu Manconi 1993. Sassari verlor dadurch sein damaliges Primat als bevölkerungsreichste Stadt mit 10.000 Einwohnern. Cagliari verdreifachte seine ca. 4.000 Bewohner bis 1688 auf 12.276 (Sassari: 8.403) und übernahm damit auch in dieser Hinsicht die Rolle als »cap y clau« des Regno; Oristano, Alghero und Iglesias brachten es zusammen auf nur ungefähr 5.000 Bürger (vgl. Ortu 2006, 171).

116 Instrvccion de las prevenciones, que se han de dipsponer en tiempo de contagio. Escrita por el D. Lorenzo Nicolas Sporrin Aduogado Fiscal de la Real Visita de Cerdeña (Sporrin 1652, Cagliari); Tratado vniversal en que se declara, que sea peste, de que causas provenga este contagio con quaremedios se han de preuenir sus suercas y qvales sean los antidotos con que se ha de preseruar von Juan Nuñez de Castro (Nuñez de Castro 1652, Cagliari).

117 In sardischen Bibliotheken und Archiven brachliegende zweisprachige Handschriften wie der Canzoniere ispano-sardo (vgl. Paba 1996) sind in dieser Hinsicht eine vielversprechende Alternative bzw. Ergänzung der gedruckten Schriftlichkeit. Dabei handelt es sich um eine Anthologie spanischer und 17 logudoresischer-galluresischer Gedichte (die Gedichttitel und redaktionelle Hinweise sind nur auf Spanisch), die sowohl Autoren aus dem Siglo de Oro und pliegos sueltos-Einflüsse als auch »i vari generi della produzione poetica isolana del periodo« (Ders. 1996, 283) vereinen. Der anonyme Anthologist, evtl. aus dem Umfeld von José Delitala y Castelví (vgl. Kap. 6.1, Anm. 99) und mutmaßlicher Kleriker, weist nach Paba schriftbasierte Interkomprehension durch spanische Grafeme im Sardischen auf (Ders. 1996, 24).

118 Die Carta wurde von den Aragonesen als Carta del Regno anerkannt (vgl. Rindler Schjerve 2003, 793). Vgl. hierzu Loi Corvetto 1994, 868; Lörinczi 2006, 43. Eine neue kritische Edition bietet Lupinu 2010.

119 Ca. 1480 Cagliari oder Barcelona?; 1560 Cagliari? (EDIT16 2014, CNCE 9731); 1567 Madrid; 1607 Neapel (»pro Tarquiño Longi [königlicher Hofdrucker; T.A.], ad instancia de Martille Saba Stampador en Callaris, M.DC. VII«); 1617 Sassari; 1571; 1628, 1708, 1725 jeweils Cagliari; 1805 Rom.

120 Nach und nach wurde die Carta, auch druckstrategisch für ein breiteres Publikum, aktualisiert und vereinfacht, indem eine Anpassung ans Logudoresische auf der phonetischen, lexikalischen und morphologischen Ebene erfolgte und Kultismen, Archaismen und veraltete Fachwörter getilgt bzw. ersetzt wurden (vgl. Lupinu 2010, 8, Anm. 14 und Anm. 29, URL: http://www.filologiasarda.eu/pubblicazioni/pdf/carta_de_logu/intro.pdf [Zugriff vom 10.08.2014]).

121 Vgl. Rindler Schjerve 2003, 793 und 798f. Zu den ältesten sardischen Schriftdokumenten und condaghi vgl. Blasco Ferrer 1985, 219–228; Pirodda 1992, 10–15; Lepori 2005, 13–20; Tola 2006, 12–34.

122 Der vollständige Titel lautet: Condaghe de s’abadia de sa S.S. Trinidade de Sacargia instituida, et fundada dae su Serenis. Gonstantinu de Lacón, Ree et Juyghe qui fuit de Logudore, cun sa Illustris. Donna Marcusa de Gunale mugere sua. Et restaurada dae sa S. C. R. M. de Philippu Re Nostru Catholicu et christianissimu istendardu et immobile columna de sa Sancta Ecclesia Cath. Romana. Istampadu cum lissencia de su ordinariu de sa Citade de Calaris per Martine Saba. De ordine de su Nob. Et Reverendo Don Paulu Caitta abbade de dicta abbadia. Et como novamente in Tatari, a instansia de su Reverendu Juan Franciscu Satta Vicaria de sa dicta Ecclesía et de Jusepe Solinas, oberaju in su presente annu de 1660. In Tatari, in sa Istampa de Hieronymu de Castelvi, Aguiló et Logu, annu 1600. Per Antoni Seque (vgl. Toda y Güell 1890, 99f., Nr. 135).

123 Die Viten der turritanischen Protomärtyrer Proto, Gavino und Gianuario, der heutigen Schutzheiligen von Porto Torres, wurden vor Cano bereits von Alepus beschrieben und bleiben ein ›Klassiker‹ bis ins 19. Jh., vgl. Araolla (Araolla 1582; 1615) und vgl. die Historia muy antigua, llamada el Condaghe o Fundaghe: de la fundacion, Consecracion e Indulgencias del Milagroso Templo de Nuestros Illustriss. Martyres y Patronos S. Gavino, S. Proto y S. Januario en lengua sarda antigua (Rocca 1620, Sassari) von Francesco Rocca, Generalinquisitor der Insel – der achtseitige sardische Anteil fehlt bezeichnenderweise in den vorherigen rein spanischen Ausgaben von Rom (1547) und Venedig (1595).

124 Toda y Güell 1890, 87, Nr. 94; EDIT16 2014, CNCE 8899. Vgl. Wagner 1915; Loi Corvetto 1994, 874–876–878.

125 Der Erzbischof Sassaris Antonio Cano (†1478?) ist als Autor handschriftlich auf dem vermutlich in Lyon, Saragossa, Valladolid oder Italien publizierten Druck notiert (vgl. Alziator 1954, 39f.). Laut Alziator ist das Werk geprägt von Katalanismen und einem Italianismus (Alziator 1954, 37f.). Vgl. die Herausgeberschaften von Wagner 1912; Alziator 1976; Manca 2002, URL: http://www.filologiasarda.eu/pubblicazioni/libro.php?sez=34&id=730&pdf=116 (Zugriff vom 10.07.2014); Sole 2002.

126 Gedruckt in Cagliari in eleganter Erscheingsform und in zweiter Auflage 1615 in Mondovì im Auftrag des sardischen Buchhändlers Bernabe Gazale, inklusive eines condaghe. Außerdem fungiert Araolla als prototypisch sardischer Text der Anthologie in Spanos berühmter Ortografia Sarda (Spano 1840, II, 187–219).

127 Die Widmung an Don Alonso de Lorca ist abgedruckt in Wagner 1915, 76f.; Loi Corvetto 1994, 875f.; Tola 2006, 51f., URL: http://www.sardegnadigitallibrary.it/mmt/fullsize/2010011412221400006.pdf (Zugriff vom 10.07.2014) (die letzten beiden jeweils mit italienischer Übersetzung).

128 Geschrieben vom Bischof Fragus und auch auf dessen Geheiß 1566 und 1568 in Cagliari gedruckt (vgl. Manca 2002, LVII, Anm. 94). Bereits 1555 heißt es in einem Synodendekret »demandatum fuit curatis omnibus et singulis ut habeant libellos dotrine cristiane qui leguntur hidiomate sardisco, secundum visitacionem, sub pena excomunicationis. Placuit Sante Synodo« (zit. nach Manca 2002, LVI).

129 Lepori nennt des Weiteren die (zweisprachige?) Suma de sa dotrina cristiana decrarada de duas maneras, cun àteras cosas netzessàrias a su cristianu qui si queret salvare (Pala 1624, Barcelona); der Autor sei ein Dominikaner namens Bartolomo Pala (Lepori 2005, 27). Dieser Text/Autor ist nicht in Toda y Güell katalogisiert und konnte auch nicht durch andere Online-Kataloge verifiziert werden, vgl. Toda y Güell 1890.

130 Gerade diese führt Spano in seiner Übersicht über die Buchproduktion in sardischer Sprache »in lingua nazionale, cioè logudorese« bis zum Jahr 1839 nicht auf (vgl. Spano 1840 II, 101–105 und Anm. 1–26). Vgl. Spano 1840, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/mdp.39015008492632 (Zugriff vom 10.08.2014)

131 Vgl. Lo Frasso 1573, URL: http://bdh-rd.bne.es/viewer.vm?id=0000115695&page=1 (Zugriff vom 20.10.2014). Zur Biografie vgl. Pignatti 2005, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/lo-frasso-antonio_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 10.07.2014); zum Inhalt und literarischen Wert vgl. Alziator 1954, 100–102.

132 Enthalten ist ferner auch ein singuläres, katalanisches Sonett (Lo Frasso 1573, 322v), vgl. hierzu Piludu 1998.

133 Lo Frasso stammt aus Alghero und befindet sich im Barceloner Exil; sein Buch widmet er seinen zurückgebliebenen Söhnen (vgl. Pignatti 2005).

134 Des Weiteren fehlt Italienisch bis ins 18. Jh. in den ansonsten mehrsprachigen Pfarrakten (auf bzw. mit Sardisch, Lateinisch, Katalanisch, Spanisch), den Quinque librorum (vgl. Carbonell 1984, 94). Die Akten von Locoj (1578–1689) sind zwischen 1578–1642 auf Sardisch, Katalanisch und Latein, zwischen 1643–1689 auf Spanisch dokumentiert (Murru Corriga 1993, 58, zit. nach Lörinczi 2006, 36). Demgegenüber veranschaulicht Loi Corvetto den Gebrauch des Italienischen in der handschriftlichen, pragmatischen und literarischen Schriftlichkeit an diversen Beispielen und konstatiert ein Nord-Süd-Gefälle, welches bereits in den Kapiteln 6.1.2.1 und 6.1.2.2 deutlich wurde: Sassari kann eine eindeutig breitere administrative Dokumentation z.B. in Form von Abschriften, Briefen, Statuten auf Italienisch vorweisen, während in Cagliari nur die Akten der Erzbruderschaft der genuesischen Händler, welche die sprachliche Hinterlassenschaft der Stadtrepublik repräsentieren, auf Italienisch verfasst sind (Loi Corvetto 1992, 895f.). Buchstäblich »paroli« gegen die radikale Hispanisierung des Klerus bot des Weiteren auch in den 1570er Jahren ein Konsortium verschiedener sardischer (aber auch sizilianischer und maltesischer) Generalminister, Priore und zehn verschiedener Orden: Aus dem Bericht an den Papst, einer Synthese ihrer italienischen Rückantworten auf die Frage nach dem spanischen oder italienischen Zugehörigkeitsgefühl, geht der unbedingte Wille hervor, wie jeher »sottoposti alla cura et familia della Italia« (zit. nach Sanna 1957, 199f.) sein zu wollen.

135 »Per la stessa ragione si tradussero in spagnolo testi come il Condaghe di S. Michele di Salvenor e si rimaneggiarono, per interpolarvi elementi utili ai fini della politica spagnola, altri atti o cronache antiche, come il Condaghe della SS. Trinità di Saccargia o il Libellus Judicum Turritanorum.« (Sanna 1957, 197).

136 »[A] mia preghiera da Messer paolo Vederotti, Modenese, huomo molto honorato e dotto«, wie aus der Widmung, datiert auf Neapel 28.8.1569, vom Bolognesen Giovan Battista Cappello an den »Molto Magnifico Signor Detio Imperatio« hervorgeht (3–6, zit. nach Balsamo 1968, 131). Es handelt sich dabei um die Übersetzung der spanischen Versionen von 1566 (vgl. Kap. 6.1, Anm. 53).

137 Delitala stammt aus Bosa und gilt als erster Sarde, der auf italienisch dichtete und der formal von Torquato Tasso und inhaltlich petrarkistisch geprägt war (vgl. Alziator 1954, 111–115).

138 Diese Bewertung würde, sofern sie auch auf die Nähesprache abzielt, auch Maxias These stützen, der eher von einer ligurisch-korsischen als genuin genuesischen Basis des Italienischen in Sardinien ausgeht. Darüber hinaus sind in Maxias Analyse italienische Nachnamen stark unterrepräsentiert (Maxia 2006).

139 Arquer besaß Ausgaben von Dante und Petrarca (auf Latein), Fara die Divina Commedia, die Arcadia und Pietro Bembo (unklar ist dabei jedoch, ob die Prose oder ein anderes Werk); Parragues die »commedia del Dante ab coment in f° in venetiis in pell« (zit. nach Toda y Güell 1890, 51).

140 Verzeichnet sind in den Großbibliotheken lediglich griechische, lateinische und hebräische Wörterbücher und Grammatiken.

141 Vgl. die Auflistung in Martini 1837, 351f.

142 Vgl. Wagner 1915, insb. VII–XXVI; Bossong 1990, 164–169; Loi Corvetto 1994, 874–878; Tola 2006, 51–61; Virdis 2006, insb. die Sprachanalyse 63–90, URL: http://www.filologiasarda.eu/pubblicazioni/libro.php?sez=34&id=770&pdf=12703 (Zugriff vom 10.07.2014).

143 Vidal alias Giovanni Andrea Contini wurde 1575 in Cagliari geboren und war Franziskaner, ein beeindruckender Prediger und arbeitsamer polyglotter Polygraf: Er beherrschte jedes Genre und schrieb auf Latein, Italienisch, Spanisch – und eben Sardisch, besaß Griechischkenntnisse und unterrichtete orientalische Sprachen (vgl. Bullegas 2004, 7–20; Alziator 1954, 163–8). Sein 19-jähriger Auslandsaufenthalt führte ihn von Korsika über Madrid nach Italien (Rom; Toskana, wo er enge Kontakte zu den Medici pflegte, die seine Bücher auf eigene Kosten druckten; Nord- und Mittelitalien), bis er schließlich 1636 nach Sardinien gelangte. Auch auf der Insel war er nach eigenen Aussagen krankheitsbedingt produktiv: Innerhalb von zwei Jahren verfasste er sechs Bücher, u.a. die Urania Sulcitana, und hatte vor, auch das Leben des Sant’Antioco auf Spanisch zu publizieren.

144 Der vierte Punkt ist hier nur von sekundärem Interesse. Hier erklärt Vidal den Unterschied zwischen Predigern, Poeten und Historiografen und verteidigt seine Schrift hinsichtlich potenzieller Fiktionalität (Vidal [1638] 2004, 124). In der »Quinta« weist er erneut auf die partielle Bevorzugung des Campidanesischen statt des Logudoresischen aus Reim- oder Metrikgründen hin und nimmt eventuelle Kritiken vorweg (Ders. [1638] 2004, 125–129). Er schließt mit einem Epilog bzw. einer Eloge auf den Bewidmeten, die eine etymologische Wortspielerei des Namens Dexart enthält (Ders. [1638] 2004, 130–135).

145 Cagliaritanisch erkennt Vidal als das genuin elegantere Latein an; wegen der »Korruption« durch intensiven fremdsprachlichen Einfluss während Cagliaris Entfaltung als Hafen- und Handelsstadt habe sich nun Logudoresisch als »mas elegante y terso que el cabo de Caller« entwickelt (Ders. [1638] 2004, 120). Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang, dass Vidal cagliaritanischer Muttersprachler ist.

146 Zusammen mit der Dichiarazione Più Copiosa Della Dottrina Cristiana (Bellarmino 1598) handelt es sich um einfache, auf Geheiß von Papst Klemens VIII. entstandene Katechismen, die bis zum Ende des 19. Jh.s in Gebrauch waren, 350 Editionen erlebten und in 60 Sprachen übersetzt wurden (D’Agostino 1988, 49; Olivari 1992, 855 Anm. 3); vgl. auch den Artikel »Roberto Bellarmino«, URL: http://it.wikipedia.org/w/index.php?title=Roberto_Bellarmino&oldid=66942972 (Zugriff vom 10.08.2014).

147 Beim renommierten Drucker Luigi Zanetti (1590–1611), der seine Offizin neben dem Collegio Romano hatte, dessen Rektor Bellarmino von 1592–1594 war. Zanetti (und seine Druckerfamilie), die auch Texte auf Griechisch und Spanisch publizierten, druckte die Dottrina in italienischer Version bereits 1598 und 1600 (vgl. EDIT16 2014, CNCE 38960 und CNCE 64564).

148 Es handelt sich dabei um das zweite gedruckte Buch Sassaris.

149 Im Vergleich dazu erschien auf der Nachbarinsel erst 1691 die sizilianische Version desselben Textes von Bellarmino »nellu nostru linguaggiu paisanu« (vgl. Kap. 6.2.4.3) – zuvor sind keine sizilianischen Katechismen bezeugt, stattdessen aber schon 1599 ein Nachdruck von Bellarminos italienischem Original (vgl. D’Agostino 1988, 49 und 54f.; die sizilianischen Katechismen des 18. Jh.s sind dort nach Diözesen zusammengestellt, Ders. 1988, 55f.).

150 Garipa war ein Intellektueller aus Orgosolo und Priester in Baunei und Triei. Um das Erscheinungsjahr herum hat er wohl am päpstlichen Hof gewohnt; ansonsten beschränkte sich seine Tätigkeit nur auf Sardinien (vgl. Zucca 1998, 29–33).

151 Es handelt sich dabei um eine gemischte Übersetzung bzw. verbesserte Adaptation zweier Quellen, des Leggendario delle santissime Vergini (Anonym, 1620, Rom) und des mehrbändigen Kompendiums Flos Sanctorum (Alonso de Villegas, 1580–1603) (vgl. Zucca 1998, 37–40).

152 »[A]ssos qui non intenden limbas istragnas, non si poden passijare, recreare, e leare gustu in sos ispaciosos prados, & floridas enas dessos libros Latinos, Italianos, & Ispagnolos«; »qui non tenjan bisonju de interprete pro bilas declarare« (Ders. [1627] 1998, 60).

153 Eine historische Grammatik- und Interferenzanalyse bietet in nuce Wolf 1998, 7–28 – in extenso steht diese indes noch aus.

154 Spano ist noch anderer, sprachpatriotischer, Auffassung: »Sebbene nato in Orgosolo, dove la gorgia logudorese non vige tanto armoniosa, e vissuto in Baunei e Triei ville della Barbagia marittima dove la lingua logudorese regna viziata per il commercio della parte meridionale, pure nel suo Legendariu […] trattò una lingua pura, armoniosa e grata, in modo che meritevolmente potrebbe chiamarsi questo secolo e il precedente, il Secolo aureo della logudorese favella.« (Spano 1840, II, 109).

155 Maninchedda identifiziert einen »cenacolo sassarese« (Maninchedda 1993, 57) an Insel-Intellektuellen (i.e. Fara, Araolla, Bellit, Lo Frasso, Delitala), deren Textkorpus seiner Meinung nach ohne die spanische Repressionspolitik den Anfang einer Literatur- und Wissenschaftstradition hätte bilden können.

156 Saggio d’un’opera, intitolata il ripulimento della lingua sarda lavorato sopra la sua analogia colle due matrici lingue la greca e la latina, primo studio sistematico sulla lingua sarda e tentativo già organico di rivalutarne le origini e il ruolo, di ricostruirne la grammatica e le etimologie e di predisporne un dizionario, peraltro incentrato sui vocaboli di derivazione greca e latina (Madao 1782, Cagliari, bei Titard), vgl. http://dbooks.bodleian.ox.ac.uk/books/PDFs/590643460.pdf (Zugriff vom 10.07.2014). Dieses zweibändige Manuskript wurde nie in Gänze veröffentlicht (vgl. Sanna 1957, 25f.; Ders. 2007, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/matteo-madao_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 10.07.2014); Madao 1997, 9–18). Der erste Band enthält 100.000 ›Erbwörter‹ aus dem Latein; der zweite 20.000 vermeintliche Gräzismen (vgl. Sanna 1957, 26). Madao folgen die sprachgeografisch komplementären Arbeiten von Vissentu Pirru: Saggio di Grammatica sul dialetto sardo meridionale (1811) und von Spano: Ortogafia sarda nazionale ossia grammatica della lingua logudorese paragonata all’italiana (1840, 2 Bde.); vgl. hierzu Rindler Schjerve 2003, 795 und 799.

157 Das spanische ›Erbe‹ dauert noch in der literarischen Produktion im Settecento an.

158 »Per tre secoli, dal XII al XIV, per quanto sporadica e discontinua, la drammatica religiosa fiorisce e si perpetua nell’Isola.« (Alziator 1948, 153 und Ders. 1954, 182–205). Die dramatischen Texte sind auch deswegen von Bedeutung, da insgesamt kaum auf Sardisch publiziert wurde (vgl. Wagner 1959, XVI). Zur sardischen Theatergeschichte vgl. Bullegas 1976; Ders. 1998.

159 Einen Titelkatalog von 129 auf der Insel aufbewahrten und 50 verloren gegangenen hispano-sardischen Manuskripten und Kodices bietet Toda y Güell 1890, 219–268. Ihre linguistische Auswertung steht noch aus.

160 Vgl. Bullegas 1976, 27–34, Turtas 1981, 67; Pirodda 1993, 69; Manchinchedda 2000, 180f.

161 Anlässe dafür konnten sein Semesterbeginn, Karneval, Empfänge von Vizekönigen oder neuen Bischöfen, vgl. Turtas 1981, 67f. und Anm. 23.

162 Der Titel lautet weiter: Comedia famosa del M.R. P. Antiogo del Arca de la Comp. De Jesus, Aguila de los laureados, y primer Lope Sardo, Compuesta ad Honor de los illustrissimos Martyres y Patrones deste reyno de Cerdeña, Gavino, San Proto, y San Ianuario, naturales de Torres, unica Colonia de Romanos, Dedicata A su muy Ilustre, y fidelissima Ciudad de Sacer, Doctor Pablo Ornano, Sassares, Pleban de Usini y Tissi, En Sasser en la imprenta de Hyeronimo de Castelvi, y Logu por Antonio Segne.

163 Karlinger weist diesen Vermerk irrtümlicherweise Arcas El saco imaginado zu (Karlinger 1981, 54).

164 Vgl. Alziator 1948, 154–156. Das Werk enthält auch ein evtl. hymnisches Gedicht auf Logudoresisch (vgl. Lepori 2005, 26); zudem tritt der Diener Barrilottu auf, »uno dei pochissimi personaggi con qualche carattere comico in tutta la storia della drammatica religiosa« (Alziator 1954, 195) – eine Sprachanalyse seiner Passagen wäre lohnend.

165 Vgl. Alziator 1954, 186–194; Urciolo/Wagner 1959; Bullegas 1992; Ders. 1976, 93–142; Esterzili 2006 URL: http://www.filologiasarda.eu/pubblicazioni/libro.php?sez=34&id=772&pdf=12809 (Zugriff vom 10.07.2014).

166 Die Interferierbarkeit durch Iberismen, Campidanismen und Logudorismen resultiert aus dem Transitionsgebiet der Barbagia (vgl. das etymologische Glossar in Urciolo/Wagner 1959, 149–242): Der Autor Esterzili stammt aus dieser bergigen Zwischenzone zwischen Campidano und Logudoro, dem Land der Hirten (heute Nuoresisch).

167 Vidal verwendet als Einziger das Ethnonym »Logudoro« (die Provinz Sassari meinend): »Logudoro, habla mas elegante y terso que el cabo de Caller« (Vidal [1638] 2004, 120).

168 Die Ortschaft Suelli befindet sich ca. 45 Kilometer nördlich von Cagliari.

169 Die Homophone sp. congregado ›versammelt‹ – altsard. coiuadu ›verheiratet‹ und (me) vino (sp. ›kommt (mir da entgegen)‹; ›ich treffe auf‹ und sard. vino ›Wein‹) führen zu Verwechslungen beim Hirten.

170 Beim ciudad tritt das saliente phonetische Merkmal des spanischen Approximanten [j] zutage in »jmoi«, »jà«, »jentendeis«, »jmagini« und »hoj« (aus dem Spanischen hoy; auf Sardisch hingegen oe, das grafisch ebenfalls mit <j> realisiert und ans Sardische angepasst wurde).

171 Zu inszenierten Stereotypisierungen und Sprachkarikaturen von Spaniern im vizeköniglichen Neapel vgl. Gruber 2010; Dies. 2014, 172–185.

172 Diese gilt nach Blasco Ferrer sowohl für Katalanisch als auch dann für Spanisch (H-Varietäten vs. Sardisch als L-Varietät) (Blasco Ferrer 1988, 885, 888).

173 Im Jahr 1589 deckten Cagliari und Sassari zusammen 56,1% und im Jahr 1627 60,9% der Inselbevölkerung ab (vgl. Ortu 2006, 171).

174 Einen kurzen, aber aufschlussreichen Einblick in die vergleichsweise außergewöhnlichen sprachlichen Alternanzen in verschiedenen Parlamentsakten der Insel zwischen dem 16. und 17. Jh. gewährt Cadeddu: Katalanisch und Lateinisch fungierten quasi stets als Basissprachen; Spanisch hatte eine prestigebehaftete Funktion und diente z.B. für Eröffnungsreden der Parlamentssitzungen und die Rückantworten der drei stamenti (z.B. durch einen Erzbischof als deren Repräsentant) (Cadeddu 2013, 21–24); einige Dokumente wurden auch auf Sardisch formuliert. Der Gebrauch aller insulär gebräuchlichen Sprachen wertet Cadeddu als »segno di un’abilità comunicativa« (Dies. 2013, 24), die hingegen in der vizeköniglichen Verwaltungskommunikation höchstens rudimentär zu finden ist (vgl. Schwägerl-Melchior 2014).

175 Diese und andere auf Basis der Raumkonstruktionen der Kommunikanten in den Primärquellen geäußerte Bezeichnungen, die teilweise von heutigen linguistischen Benennungen differieren – die aus der Retrospektive wichtigste literarische Varietät, das »logudorese«, fehlt bspw. –, sind eine vertiefte Betrachtung wert (vgl. Kap. 7.2).

176 Überall auf der Insel sind korsische Nachnamen im Cinque- und Seicento nach den sardischen zweitplatziert, wenn sie nicht sogar die Mehrheit stellen, z.B. in der Alta Gallura. Wie zu erwarten überflügeln sie diese in Sassari sogar in der ersten Hälfte des 16. Jh.s weit (vgl. Maxia 2006, 94f.). Sogar in Stampace (historisches Stadtviertel von Cagliari) stellt 1654 die korsische die zweitgrößte Gruppe nach der autochthonen sardischen, und sogar ein Fünftel der Bevölkerung konnte als süditalienische regnicoli aus Neapel oder Sizilien identifiziert werden (Ders. 2006, 237). Der Anteil an iberoromanischem Namensgut ist im prozentualen Vergleich minimal und lässt auf eine zwar zahlenmäßig geringe, aber eben mächtige Oberschicht schließen.

177 Die einzigen beiden produzierten philologischen Werke stellen die (Schul-)Grammatik De Institione Grammaticae. Libri III […] von Manuel Alvares (Cagliari, 1686 und 1756) – Objektsprache Latein, Metasprache Spanisch – (vgl. Toda y Güell 1890, 71, Nr. 18) sowie das verlorene handschriftliche Diccionario de la lengua española (Pilo 1686?, Sassari) des Sassaresen Francisco Ansaldo Pilo dar (vgl. Toda y Güell 1890, 262, Nr. 773; Niederehe 1999, Nr. 1037).

178 Sardinien war unter spanischer Regierung nicht einmal im Besitz einer eigenen Militärflotte. Das Postschiff nach Barcelona diente nicht zur Personen-Beförderung – die Wartezeiten auf einen Passagierplatz in einer Galere nach Italien und Spanien waren daher lang (vgl. Paba 1996, 13).

179 Zum Begriff und Konzept der »Insularität« vgl. Lätsch 2005, 21–28.

6.2 Sicilia spagnola

6.2.1 Sprachgeschichtliche Perspektiven

Per quanto la Sicilia sia stata sempre, dalla più remota antichità in poi, una terra in cui sono state in uso, l’una accanto all’altra, varietà linguistiche diverse ed in cui bi- e plurilinguismo sono stati diffusissimi, dando luogo in certi periodi a vera e propria diglossia, non conosco nessuno studio che, almeno per alcuni momenti di questa lunga storia linguistica, cerchi di dare una risposta alla ben nota domanda formulata da J. A. Fishman: ›Who Speaks What Language to Whom and When?‹ (Varvaro, 1977, 1)

Varvaro selbst stellt sogleich mit seiner dem Zitat folgenden soziolinguistischen Studie unter Beweis, dass der Sprachgeschichtsschreibung Siziliens durch die Fragestellung nach den konkreten historischen Prozessen und Ausprägungsformen von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit innovativer beizukommen ist als mit der herkömmlichen statischen stratigrafischen Methode, mit der die sprachlichen Einflüsse im Lexikon als Spuren bzw. Resultate von Kontaktsituationen untersucht werden (vgl. Rohlfs 1984; auch Ruffino 2001). Die kontaktlinguistische Analyse seines Briefkorpus (1394–1680)1 deckt einen dynamischen Gebrauch der katalanischen, sizilianischen, lateinischen, italienischen und spanischen Sprache in der Verwaltungskommunikation während der aragonesischen und spanischen Herrschaftsperiode zwischen 1302 und 17132 auf, der sich wie folgt zusammenfassen lässt:

Tabelle 11: Hierarchische und dynamische Sprachverwendung in einem sizilianischen Briefkorpus (14.–17. Jahrhundert) nach Varvaro 1977.

Tabelle 11: Hierarchische und dynamische Sprachverwendung in einem sizilianischen Briefkorpus (14.–17. Jahrhundert) nach Varvaro 1977.

Diese laut Eigenaussage »constatazioni episodiche« (Varvaro 1977, 7), die de facto aber überaus aufschlussreich sind hinsichtlich der sozialen Mehrsprachigkeit und Polyglossie, und andere Beobachtungen münden kurze Zeit später in zwei Sprachgeschichten Siziliens (Varvaro 1979; Ders. 1981).3 Letztere fällt aus dem Rahmen der italienischen sprachhistorischen Tradition, da sie sich vorbildlich am »raumorientierten Pol« (Krefeld 2004a, 138) bewegt, das heißt nicht die italienische Nationalsprache, sondern den kommunikativen Raum beleuchtet.

Gewinnbringend ist darüber hinaus die gegen den Strich des sprachhistoriografischen Mainstreams gebürstete luzide Darstellung der kirchlichen bzw. tridentinischen Sprach(en)politik und -praxis Siziliens im Settecento von D’Agostino (1988).4 Die wenigen weiteren sprachgeschichtlichen Arbeiten zu Sizilien5 konzentrieren sich hingegen klar auf die Italianisierung der Insel (vgl. Alfieri 1992; Dies. 1994; Dies. 19906) und/oder widmen sich der »silenziosa competizione«7 zwischen Sizilianisch und Italienisch im Zuge der Toskanisierung (vgl. Lo Piparo 1987a; Ders. 1987b).

Die politische »Sicilia asburgica« sprachlich entweder als »castigliana« oder »toscana« etikettieren zu wollen (vgl. Alfieri 1992, 812f.)8, scheint hinfällig angesichts einer bereits zeitgenössisch vermerkten Dreisprachigkeit9 der »Isola di Sicilia« (Porcacchi 1572, 54) mit Hang zur italianità, auch im nähesprachlichen Bereich:

[26] Sono i Siciliani d’ingegno acuto, & subito; nobili nelle inuentioni; & per natura facondi, & di tre lingue, per la uelocità loro nel parlare, nel quale riescono con molta gratia faceti, & ne’ motti acuti: & ancho oltra modo son tenuti loquaci: onde presso gli Antichi si troua come in prouerbio Gerrae Siculae, cioè chiacchiere Siciliane. Dicono gli scrittori, che queste cose furono da’ Siciliani con la forza del loro ingegno inuentate: l’arte oratoria; i uersi bucolici, ò pastorali; gli horiuoli; le catapulte machine di guerra; la pittura illustrata; l’arte del Barbieri; l’uso delle pelli di fiere; & le rime. […] Parlano in lingua Italiana: ma però men bene, & con minor dolcezza: & nel uestire & nel resto uiuono similmente come gl’Italiani. (Porcacchi 1572, 54)10

Das treffendere, kommunikationsraumbezogene Label wäre also – im Einklang mit Varvaro – »plurilingue«, weil es dem intensiven territorialen Sprachkontakt entspricht, wie ihn auch Alfieri skizziert:

[A]lti burocrati ed ufficiali spagnoli tedeschi e fiamminghi, beneficari ecclesiastici ›italiani‹, mercanti genovesi e toscani, artigiani lombardi, e manovalenza rurale calabrese movimentavano ulteriormente il già ricco panorama etnico e linguistico isolano […]. (Alfieri 1992, 813)

Im Sinne einer forschungsstrategischen Verschiebung zugunsten einer Kommunikationsraumgeschichte ist danach zu fragen, welche Sprachen und Varietäten wie in der Mündlichkeit und Schriftlichkeit zusammenflossen und wie sie funktional verteilt waren (vgl. Soares da Silva 2009; Ders. 2013)11 bzw. von den Kommunikanten funktionalisiert, instrumentalisiert und möglicherweise auf einer bewussten, metasprachlichen Ebene perzipiert – etwa glorifiziert oder stigmatisiert – wurden.

Die übergeordnete Fragestellung dieses Kapitels lautet in Analogie zum Eingangszitat von Varvaro: Wer druckte in welcher/n Sprache/n bei wem, für welche/n Empfänger/Abnehmer welche Druckwerke? Zunächst wird die insuläre Buchdruckgeschichte skizziert und der im Korpus widergespiegelte ›Sprachenmarkt‹ analysiert, um im Rahmen der Analyse von Einzeldrucken und deren Paratexten sowie der Vertreter und Positionen der questione della lingua siciliana den Grad und die Praktiken von reeller und inszenierter Mehrsprachigkeit zu rekonstruieren – letztendlich auch um zu sehen, ob die oben im Schaubild dargestellten sprachlichen Momentaufnahmen von Varvaro zumindest mit der gedruckten pragmatischen Diskursdomäne korrespondieren (vgl. Tab. 11).

6.2.2 Sizilien und Sardinien – zwei Inseln in der Gutenberg-Galaxis

Zwischen den beiden spanischen Randregionen Sardinien und Sizilien lassen sich in der Geschichte des Buchdrucks einige Parallelen feststellen12: Die bisher erfasste Produktion der beiden Inseln ist im Vergleich zum italienischen (und auch spanischen) Kontinent dürftig, wobei Sizilien als zweitwichtigster Standort nach Neapel im Süden ein deutliches Produktionsplus im Gegensatz zur Nachbarinsel aufweist.13 Die Produktion war ferner auf jeweils zwei rivalisierende Druckorte konzentriert, wobei in Sizilien neben Palermo und Messina ab 1536 auch in Catania, im Erzbistum Monreale und in Trapani publiziert wurde, allerdings nur in minimalem Umfang.14 Permanenter Garant für die Entwicklung des Buchdrucks beider Inseln waren öffentliche Institutionen, die aber auch eine strenge Zensur ausübten (vgl. Lorenzini 2007, 45–57). Beide ›Provinzen‹ bedienten in erster Linie den lokalen Markt, Sizilien jedoch auch Malta und Kalabrien,15 und waren notwendigerweise abhängig von kontinentalen Druckzentren mit erheblich höheren Kapazitäten, wodurch die Kosten stiegen: Während Sardinien sich nach Neapel und Spanien orientierte, unterhielt Trinakria enge Beziehungen zu Venedig, welche im Cinquecento für die »necessitata emigrazione del prodotto intellettuale« (Resta 1992, 823) sorgten. Vorwiegend erfolgte der Bücherimport, dem nicht selten Warensendungen, zum Beispiel Lebensmittel oder Stoffe angeschlossen waren, um den teuren Schifftransport zu rentabilisieren, über venezianische Buchhändler bzw. Druckerdynastien wie die Familien Giunti, Sessa, Guerra oder Pederzano, die auf der Insel Filialen einrichteten.16

6.2.2.1 Makroanalyse: geografische, sprachliche und domänenspezifische Distribution der Druckwerke im Cinquecento

Anders als das Regnum Sardiniae, eindeutiger Nachzügler in der Gutenberg-Galaxis, war Sizilien bzw. Palermo einer der frühen Orte Italiens, in welchem die neue Drucktechnik Einzug hielt dank Andreas Veyl aus Worms, »eius artis Professor«, der auf Geheiß des Senats im Jahr 1478 die Stadt-Statuten (Consuetudines felicis urbis Panhormi) publizierte (vgl. Evola 1953, 350). Ihm folgte im Quattro- und Cinquecento qualifiziertes Fachpersonal aus Deutschland, den Niederlanden und Norditalien, bis zunehmend Sizilianer selbst das Handwerk der Typografie und des Buchhandels praktizierten (vgl. D’Angelo 1967). Sie trugen, zusammen mit den Jesuiten, denen ab der Mitte des 16. Jahrhunderts die Zuständigkeit der Bildung der Insel oblag17, zur Verbesserung der Bildungsbeteiligung der Sizilianer bei. Offensichtlich herrschte ein noch größerer Bildungsnotstand als in Sardinien: »qu’estas montañas de Sicilia fuesen d’Indias«, so das Urteil des Jesuiten Girolamo Domènech (zit. nach D’Agostino 1988, 42). Er konstatierte 1547 eine aufgrund fehlender »leccion pública en gramatica« drastische »ignorancia entre los clérigos, cosa para no poder creer si no lo viese«, die er 1563 wiederholt zu beklagen hatte: »en este Reyno, reyna grande ygnorancia, a la qual sería necessario dar remedio« (zit. nach Dies. 1988, 43).18 Domènech initiierte daher nach dem Vorbild der Presse des Collegio romano in Messina auch eine eigene Druckerei mit dem Plan einer angeschlossenen Papierfabrik, der allerdings nicht realisiert wurde (vgl. Manzi 1971, 297, 299).

Den im 16. Jahrhundert quantitativ höchsten (Katalogs-)Bestand an Drucken weist Palermo auf – von höherer Qualität sind demgegenüber diejenigen aus Messina. In Catania wurde trotz langer Universitätstradition19 erst ab dem Jahr 1536 publiziert, und überdies nur drei Werke. Monreales Eigenproduktion beläuft sich auf zwei Regelwerke, wovon die Constitutiones synodales metropolitanae Ecclesiae ciuitatis Montis Regalis […] (Farnese 1554 und 1582) den ersten prototypischen Prestigedruck eines vermeintlichen Selbstverlages darstellen20 und sich in eine Reihe von weiteren, ab circa der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gedruckten Akten der sizilianischen Diözesansynoden einreihen.21 Hinsichtlich Format und Papierqualität zeigt sich laut Resta eine Präferenz für den Quartdruck und für hochwertiges Material, das durch fehlende sizilianische Papiermühlen stets teuer eingeschifft werden musste (Resta 1992, 821f.).

Palermo stellt auf Basis der Daten von BEPA 1998 ein Sechstel der Kleinproduktion der italienischen Halbinsel von insgesamt 2.863 Editionen, welche den 15.503 Editionen aus den großen Druckzentren (Venedig, Rom, Florenz, Mailand, Bologna, Neapel, Brescia, Turin, Padua, Pavia) gegenüberstehen (vgl. Santoro 1994, 108). Palermo bringt damit kaum weniger Druckwerke hervor als Neapel (491), ist aber führend vor Brescia (421), Turin (314), Padua (303), Pavia (232) – und dem Inselkonkurrenten Messina (140) (vgl. BEPA 1998, 11). Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die leicht voneinander divergierenden Zahlen bisheriger Bestandsaufnahmen:

Tabelle 12: Produktionszahlen sizilianischer Druckorte im Vergleich (16. Jahrhundert).

Tabelle 12: Produktionszahlen sizilianischer Druckorte im Vergleich (16. Jahrhundert).

Es sei betont, dass sich die referierten Zahlen auf gedruckte Bücher beziehen und das latente Gros der Produktion, das heißt lokale Gelegenheitsdruckwerke wie beispielsweise Flugblätter, in der Regel nicht beinhalten. Hinzudenken muss man sich daher einen durch schlechte Papierqualität und Konservierungs-Desinteresse begründbaren verborgenen (Absatz-)Markt, »rappresentato dalla stampa di bandi, ordinanze, e dalle numerose bolle, salveregine ecc. commisionate dal Regno o dalla Chiesa, che in quel periodo rappresentavano la committenza pubblica« (Pàstena 1995, 10).22

Die öffentlichen Autoritäten wirken demgegenüber aber auch produktionshemmend, insbesondere die spanische Zensurpolitik. Mit der vom Vizekönig Juan de la Cerda 1561 herausgegebenen Pragmatik De libris non imprimendis sine licentia Proregis sollten beispielsweise unter Androhung einer hohen Geld- und lebenslangen Galeerenstrafe »inhomentos disfamatorios y impertinentes y de inconvenientes para las cosas del Estado« unterbunden werden (zit. nach Di Natale/Cannata 2009, 27);23 zudem wird die Figur des »revisore« bzw. das Zensurorgan Collegio dei Revisori Generali eingeführt, welche die zum Druck bestimmten Manuskripte begutachteten (vgl. Lorenzini 2007, 51).24 Die Zensurpraxis der sizilianischen Inquisition bestand nach Veröffentlichung des Index (1559) in der Kontrolle von Druckern, suspekten Personen und Schiffen mit verdächtiger (fremdsprachlicher) Ladung, wie aus einem Edikt hervorgeht:

[27] […] per l’esperienza havemo visto il danno che ne ha seguito e sèguita ogni dì dalli forestieri che da lochi sospetti venino in questo Regno in molte navi et altri vasselli, portando libri, tanto in lingua latina, volgare italiano, quanto in altre diverse lingue che contengono in sé sette reprobate et dottrine et altre opinioni suspette […]. (Zit. nach Resta 1995, 781, Anm. 5)

Der insuläre Markt wurde nach EDIT16 2014 zweifellos dominiert von numerisch fast gleich gewichteten italienischen und lateinischen Drucken (287 : 213), wie aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich wird.

Tabelle 13: Sprachliche Distribution sizilianischer cinquecentine (1501–1600) im Vergleich; Datenset 7: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Tabelle 13: Sprachliche Distribution sizilianischer cinquecentine (1501–1600) im Vergleich; Datenset 7: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Druckwerke auf Spanisch und mit dem Sprachenpaar Griechisch-Lateinisch25, von denen nur jeweils zwei Titel erfasst wurden, waren marginale ›Mitspieler‹ auf dem Buchmarkt. Die Konkurrenzstadt Messina stellte im Cinquecento überhaupt keine spanischen Werke her, ganz zu schweigen von katalanischen, die mit Ausnahme von Sardinien nirgends in Italien gedruckt wurden.26 Ist diese Nichtverwendung des Kastilischen als ein Zeichen der Machtuntergrabung der spanischen Krone zu interpretieren, welche die feudalen und oligarchischen Strukturen der Insel in das staatliche System zu überführen versuchte? Äußern sich die antispanischen Unabhängigkeitsbestrebungen, die in mehreren Aufständen in Palermo (1516, 1523, 1647) und noch gravierender im bereits vorher relativ autarken Messina (1674–1678) kulminierten, sozusagen in einem Verzicht oder gar im Verbot von spanischen Drucken? Zu den nur zwei katalogisierten spanischen Titeln, bei denen es sich um zwei in Palermo erschienene Gedichtbände handelt, bzw. zur Rolle des Spanischen wird unter Kap. 6.2.3 gesondert Stellung genommen.

Nachdem bereits im 15. Jahrhundert eine Inkunabel auf Sizilianisch gedruckt wurde27, erschienen in Palermo nach den Daten von EDIT16 2014 knapp zwei Dutzend sizilianische Drucke. Die palermitanischen Pressen sind in dieser Hinsicht im 16. Jahrhundert weitaus produktiver als die Città dello Stretto, aus der nur drei sizilianische Titel stammen: Der erste Titel davon, Claudio Arezzos Osservantii dila lingua siciliana et canzoni inlo proprio idioma (Arezzo 1543), stellt das Eröffnungswerk der questione della lingua siciliana dar (vgl. Kap. 6.2.4.6). In Bezug auf die Gesamtproduktion fristet Sizilianisch ein Nischendasein: Hochgerechnet handelt es sich um einen Anteil von circa 4% der sizilianischen und circa 4,4% der palermitanischen Produktion im Cinquecento (auf Basis von BEPA bzw. EDIT16 2014) und auf die secentine Messinas bezogen um nur 1,4% (vgl. Lipari 1990). Gerade im Fall der sizilianischen Drucke ist eine Quantifizierung aus oben genannten Gründen und wegen der vielen unauffindbaren Schriften besonders schwierig (vgl. Di Girolamo/Rinaldi/Sgroi 1996, Anm. 30, 34, 37; Kap. 6.2, Anm. 13). Es ist unnötig zu betonen, dass daher diese Daten weder einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben noch der realen Produktion entsprechen können, sondern nur als Annäherungswerte zu verstehen sind.

Wie sich die cinquecentine prozentual auf Diskursdomänen verteilen lassen, illustriert die folgende Grafik auf Basis von Resta 1992:

Abbildung 24: Diskurstraditionelle Verteilung der cinquecentine (1501–1600) im Vergleich nach Resta 1992, 786.

Abbildung 24: Diskurstraditionelle Verteilung der cinquecentine (1501–1600) im Vergleich nach Resta 1992, 786.

Gesamtsizilianisch führend sind die religiösen Diskurstraditionen, gefolgt von den literarischen Erzeugnissen, die circa einem Drittel der Produktion entsprechen und die rege philosophisch-literarisch-künstlerische Tätigkeit der zahlreichen Akademien in großen und kleineren Zentren der Insel ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts widerspiegeln.28 Wissenschaftliche und administrative Texte, von denen »le raccolte di normative regie, viceregie e cittadine” (Di Natale/Cannata 2009, 24) den größten Teil darstellen, entsprechen einem Viertel der Produktion.

Während diese Verteilung auch ungefähr für die 331 palermitanischen Editionen gilt, weicht Messina mit insgesamt 149 Titeln um einige Prozentpunkte in der Domäne der Literatur (+ 11%) und der Wissenschaft (+ 5%) ab – Letztere steigt nochmals ab der Mitte des Jahrhunderts leicht an, was auf den ersten Blick in Zusammenhang mit der Gründung der Studiorum Universitas (1548) stehen mag29; diese kollaboriert aber nicht mit lokalen Druckern, sondern mit externen Offizinen, sowohl im Cinque- als auch im Seicento (vgl. Lipari 1990, 17).

6.2.2.2 Makroanalyse: palermitanische und messinesische Drucker und Buchhändler im Cinque- und Seicento

Palermos Offizinen wurden von einem halben Dutzend Drucker kontinuierlich betrieben, die anfänglich fast gänzlich aus Oberitalien stammten und die gleichzeitig oftmals Buchhändler waren. Der sizilianische Familienbetrieb der Mayda (1522–1679) hatte für lange Zeit eine Monopolstellung inne. Giovanni De Franceschi aus Pesaro, der die beiden einzigen spanischen Werke des Cinquecento druckte, war in Sizilien »stampatore camerale« und »del senato« (1589–1631), aber auch in Pesaro und zusammen mit seinem Bruder vorwiegend in Venedig aktiv (vgl. Kap. 6.2.4).

Die Schlüsselfigur im Druckwesen Siziliens und das Bindeglied zwischen dem insulären und dem kontinentalen Kommunikationsraum verkörperte der wohlhabende Veroneser Geschäftsmann Giovanni Francesco Carrara.30 Zunächst in Sozietät mit Giovanni Mayda nur in der Funktion als Herausgeber (1559–1560), dann selbst als tipografo-editore (1583–1596) war er bis 1588 quasi offizieller Drucker der palermitanischen Autoritäten, weitete aber seine Tätigkeit auch durch Verwandte in Messina aus. Carraras soziales Netzwerk in Venedig und seine Stellung als venezianischer Konsul waren für Sizilien profitabel31: Er organisierte den Buchexport aus der Lagunenstadt, er pflegte eine enge Partnerschaft mit den Druckdynastien der Giunti, insbesondere Luca Antonio junior Giunti, und den Guerra und bescherte diesen als Agent der sizilianischen Autoren Aufträge. Auf der Insel vertrieb er Lebensmittel, Papier und Druckwerke, zum Beispiel Breviere, sogar bis in entlegene Bergdörfer der Insel.32 Er kaufte gebrauchte Bücher und Büchernachlässe auf und kümmerte sich um die Bibliotheken der Jesuiten, für die er beispielsweise aus der Casa de Roma und aus Genua »10 risime di carte et 1010 libri« (zit. nach Vesco 2007, 278, Anm. 23) organisierte. Zudem versorgte Carrara viele Kollegen in der »Strata Librariorum« bzw. war dort selbst Inhaber von einigen Buchläden und nicht zuletzt von einem eigenen imposanten palazzo mit integriertem Buchladen am verschönerten Cassaro, der Hauptarterie Palermos, wo auch viele andere Händler und Handwerker aus Genua, Venedig, Savoyen und Neapel arbeiteten und lebten (vgl. Vesco 2007). Insgesamt wurden in Carraras Druckerei bzw. in seinem Auftrag 94 Werke gefertigt (vgl. EDIT16 2014), davon zwei direkt in Venedig und zwei auf Sizilianisch.

Durch seine Geschäftsbeziehungen, insbesondere zu den Giunti, die sich als einzige italienische Druckerdynastie in Spanien etablierte33, könnte Carrara theoretisch auch die auf der Insel residierenden Spanier bzw. hispanophonen Sizilianer mit spanischen Büchern versorgt haben – entsprechende Hinweise aus Primärquellen, zum Beispiel aus seiner Korrespondenz oder Darstellungen, gibt es allerdings nicht. Genauso wenig erschloss Carrara in der eigenen Produktion/Herausgabe spanischer Bücher ein Geschäftsmodell, wie dies der Drucker und Verleger Bidelli in Mailand erfolgreich tat (vgl. Kap. 6.3.5.2) – offensichtlich fehlten auf der Insel hierfür die Abnehmer. Die verhältnismäßig schwache spanische Militärpräsenz von nur circa 1.800 bis 5.000 Soldaten34 bei circa einer Million Inselbewohnern im Seicento wäre ein Erklärungsgrund dafür.35 Der Hof- und Regierungskreis um die Vizekönige schien für einen Direktvertrieb ebenfalls nicht auszureichen. Komplementär hierzu ist Carraras entscheidender Beitrag zum Import von italienischen Büchern und somit zur Verbreitung der italienischen Sprache auf der Insel zu sehen.

Im Seicento arbeiteten neben De Franceschi noch Pietro dell’Isola als »Impressore dell’Illustrissimo Senato« und Pietro Coppola als »Stampatore camerale della SS. Inquisizione e Illustrissimo Senato« – sie traten unfreiwillig in Konkurrenz zu illegalen Buchverkäufern (»gente inatta a tal mestiero«, zit. nach Di Natale/Cannata 2009, 27), durch die sie ihren guten Ruf beschädigt sahen, wie aus ihrem Protestschreiben von 1682 an den Senat von Palermo hervorgeht, das gleichzeitig den Buchimport »da’ tutte le parti d’Europa« (zit. nach Dies. 2009, 27) beweist:

[…] in ogni cantonera e per le strade vanno vendendo libri d’ogni sorte senza havere […] molti libri prohibiti e senza corretti e libri rubbati [sic] senza haver riguardo alli prohibitioni ecclesiastici e secolari ed in danno del publico. (Zit. nach Di Natale/Cannata 2009, 27f.)

In Messina folgte auf die Familiendruckerei der deutschen Spira (1479–1572) der Genuese Pietro Brea (1594–1620) und übernahm die führende Stellung; seine Söhne führten die »tipografia del Senato« (1621–1658) weiter. Die »tipografia della camera arcivescovile« leitete Giovan Francesco Bianco. Dieses sizilianische Duopol wird ab 1659 ergänzt durch Paolo Bonacota »stampatore del Senato«, der bereits in Malta aktiv war bzw. dort vermutlich den Buchdruck einführte. Während der messinesischen Revolte wurde Matteo la Rocca zuerst »stampatore del senato« und dann vizeköniglicher Drucker. Zwischen 1679–1700 waren Vincenzo D’Amico und Domenico Costa in ihrer Produktion »connesso alla riflessione teologica, alla pratica devozionale e alla limitata e controllata celebrazione di particolari vicende pubbliche e private« (Lipari 1990, 31). Die Typografen wurden, sofern sie nicht in Personalunion selbst Buchhändler waren, komplettiert von einer Reihe von librari, die im Importgeschäft vom italienischen Kontinent aktiv waren, insbesondere aus Neapel, und die sich offenbar, das heißt laut einigen Frontispizen, in einer Zunft, der Compagnia de’ librari disuniti di Messina zusammenschlossen (die Bezeichnung »alli librari« deutet auch auf eine räumliche Gruppierung hin, vgl. Lipari 1990, 43).36

Insgesamt ist eine hohe Fluktuationsrate der Arbeiter im Druckwesen auf der Insel zu konstatieren, vor allem für Druckangelegenheiten höchster Stelle, also der Regierung und der Kirche – Sizilien mangelte es in dieser Hinsicht an der Institution einer permanenten ›Staatsdruckerei‹ wie der der Malatesta in Mailand: Sie agierten über ein Jahrhundert als familiäre und königliche Druckdynastie der spanischen Regierung in italienischer, aber auch in spanischer Sprache (vgl. Kap. 6.3.5.1).37

Keiner der palermitanischen oder messinesischen Drucker oder Buchhändler war während der zwei spanischen Jahrhunderte spanischer Herkunft oder scheint nachweislich Spanischkenntnisse besessen zu haben. Auch die Figur des Korrektors ist in Sizilien nicht dokumentiert. Beide Feststellungen bündeln sich in der sich über knapp fünf Seiten erstreckenden, dem Haupttext vorgeschalteten Errata-Liste der Messina escarmentada de bajo de el yvgo de la tirania de Francia (Olphei 1675, Palermo, bei Adamo), Fadryque de Toledo gewidmet, Fürst von Villafranca und Vizekönig Siziliens. Sie ist dem Autor Sabino Olphei (oder eventuell dem Drucker?) sichtlich peinlich: »No te admires Letor de tantas erratas porque las occupaciones de el Autor no dieron lugar a la enmienda de la impression« (Olphei 1675, a9).38

6.2.2.3 Makroanalyse: geografische, sprachliche und domänenspezifische Distribution der Druckwerke im Seicento

Im Vergleich zum Cinquecento verdoppelt sich die insuläre Produktion zwischen 1600 und 1700. Aus Palermos Pressen stammen circa 3.140 secentine, »cui un 25–30% non conosciamo esemplari ma i cui titoli sono registrati nelle bibliografie antiche« (Pàstena 2012, 341)39; aus den messinesischen gehen 1.134 Druckwerke hervor (vgl. Lipari 2005, 235).

Lipari identifiziert fünf Perioden der Produktion der 902 secentine Messinas im Seicento, für die im Durchschnitt das Quartformat (davon 50% unter 50 Seiten) und das Oktavformat dominieren (Lipari 1990).40 Neun Zehntel der Auftraggeber sind messinesische Autoren und Institutionen; gut ein Viertel der Produktion (218) ist für den städtischen Eigenbedarf bestimmt, 131 Titel werden von den anderen Inselzentren oder -orten und 39 von kalabrischen Städten bestellt. Ein Blick auf die Diskursdomänen macht für Messina einen Zuwachs von 12% an religiösen Druckwerken im Gegensatz zum vorherigen Jahrhundert deutlich: Die 469 Editionen entsprechen ungefähr der Hälfte der messinesischen Gesamtproduktion im 17. Jahrhundert (vgl. Lipari 1990, 17). In den letzten beiden Dekaden stellen sie fast 80% »a testimonianza appunto dell’instaurarsi di un clima politico e culturale che lasciava solo spazi occasionali a tutte le altre manifestazioni« (Ders. 1990, 30). Mit fast identischen Zahlen bzw. Prozentzahlen stehen Literatur und Varia41 an zweiter Stelle mit 165 bzw. 166 Titeln (je circa 18%). 58 Editionen (6,4%) sind dem Bereich Medizin-Wissenschaft, 44 (4,9%) der Rechtsdomäne zuzurechnen.

In der Distribution der Druckerzeugnisse nach Sprache manifestieren sich zwei Dinge: zum einen das fortdauernde Desinteresse der Sizilianer bzw. ihre vermutliche antispanische politische – und sprachliche – Haltung, aber auch eine gewisse Teilnahmslosigkeit der Spanier selbst, Druckwerke in der Muttersprache herstellen zu lassen.42 Zum anderen wird ein zumindest für Messina – der einzigen Vergleichsgrundlage für das Seicento, denn für Palermo fehlt eine analoge Auswertung bisheriger Bestandsaufnahmen43 – bereits in der ersten Periode (1601–1620) gültiger, statistisch klar ausgeprägter Überhang an italienischen secentine im Gegensatz zu den lateinischen deutlich – 610 : 272 bzw. 67,8% : 30,2% (vgl. Lipari 1990, 16) –, was einer Verdoppelung verglichen mit den quasi gleichgewichteten Verhältnissen zwischen den beiden Sprachen im Cinquecento gleichkommt (283 : 212 nach EDIT16 2014).

Tabelle 14: Sprachliche Distribution sizilianischer secentine (1601–1700) im Vergleich (R = Religion; L = Literatur; J = Jurisprudentia); Datenset 8: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Tabelle 14: Sprachliche Distribution sizilianischer secentine (1601–1700) im Vergleich (R = Religion; L = Literatur; J = Jurisprudentia); Datenset 8: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Lipari registriert ferner 12 sizilianische und acht spanische Druckwerke (prozentualisiert 1,2% bzw. 0,8%), von denen die Hälfte nicht überliefert ist.

Letztere stehen 48 erfassten Titeln meines eigenen, gesamtsizilianischen Korpus gegenüber, die im nachstehenden Kapitel nach einleitenden Worten zum Forschungsstand näher beleuchtet werden. Die jeweilige Diskursdomäne der sieben zwei- und dreisprachigen Druckwerke ist in der Tabelle vermerkt; auf sie wird ebenfalls in den Folgekapiteln Bezug genommen.

6.2.3 Mikroanalyse: Druckwerke auf und mit Spanisch

Linguisten-Meinungen stimmen dahingehend überein, der spanischen Sprache im spanischen Sizilien eine weitgehend untergeordnete Rolle bzw. den Status einer Fremdsprache zuzuschreiben.44 Zudem wird Spanisch nicht als konkurrenzfähig mit der prestigebehafteten italienischen Sprache betrachtet.45 Schon Katalanisch beschränkte sich nach Varvaro lediglich auf die

[…] relazioni tra catalani o tra catalani e persone al loro personale servizio; la cancelleria tiene in catalano solo le corrispondenza con Barcellona o con funzionari catalani in altre località. Il castigliano appare fino dal ’400 (alcuni vicerè sono spagnoli e la loro cancelleria usa il castigliana), è normale nel ’500, ma con le stesse limitazioni del catalano. (Varvaro 1976, 94)

Ferner gab es weder »una letteratura siciliana in lingua spagnola né si conoscono tentativi da parte della classe dirigente siciliana di assumere la lingua dei propri monarchi come lingua della comunicazione alta e ufficiale« – so Lo Piparo – »[l]o spagnolo è scelto, anche se non sempre, per corrispondere col governo centrale, ma mai per usi interni.« (Lo Piparo 1987a, 743). Nähesprachliche Verwendung fand die spanische Sprache außer am Hof in den bischöflichen und inquisitorialen Palästen und in den Kasernen46, »ma il contatto con i locali è meno intimo di quanto si potrebbe pensare« (Ligresti 2006, 233, Anm. 30), schlussfolgert auch Ligresti. Demgegenüber steht der Befund einer echten »letteratura ispanofona della Sicilia« (Michel 1996, 77) sowie die Hypothese von

[…] migliaia di atti linguistici: tra soldati spagnoli da tutte le parti della Penisola iberica e militi siciliani nelle lotte comuni contro i Turchi […]; tra osti siciliani e soldati spagnoli nelle taverne, tra marinai siciliani e spagnoli, tra commercianti catalani e i loro clienti siciliani, tra funzionari spagnoli e siciliani nelle cancellerie, trag li inquisitori spagnoli e gli imputati siciliani, ecc. […] Ed è da supporre che gran parte dei contatti quotidiani meno colti fosse svolta in un miscuglio di siciliano, italiano e spagnolo. (Michel 1996, 67)

Systematische Untersuchungen zum Einfluss des Spanischen des »lungo periodo spagnolo« (Ruffino 2001, 27f.) jenseits der Dokumentation lexikalischer Entlehnungen bzw. Ephemerismen47 fehlen bis auf die oben erwähnte Untersuchung des administrativen Briefkorpus von Varvaro und Michels kritischem Lexikon der sizilianischen Hispanismen gänzlich (vgl. Tab. 11; Michel 1996, insb. 62–80). Ebenso wurde bisher die Einflussnahme des Buchdrucks – traditionell als Gradmesser der Toskanisierung verstanden – höchstens angerissen.48 Die Produktion spanischer Bücher und der Übersetzungen wurde quasi ausgeblendet.49 Erst seit 2011 erfolgt durch PRIN 2008 eine entsprechende systematische Katalogisierung im Rahmen des Forschungsprojekts »Editoria e cultura di interesse ispanico in Sicilia dal XVI al XVII secolo« der Universität Palermo, deren erste Ergebnisse Polizzi 2013 präsentiert (vgl. auch Polizzi 2013a).50 Die Bestandsaufnahme umfasst derzeit 117 palermitanische Druckwerke zwischen 1522 und 1709, davon 17 in spanischer Sprache und eines in drei Sprachen (Italienisch-Lateinisch-Spanisch).

Aufgrund des geringen Forschungsstandes ist die Korpusanalyse der Druckwerke auf Spanisch umso aufschlussreicher. Wie oben gezeigt wurde, sind diese im Verhältnis mit den anderen Sprachen der gedruckten Schriftlichkeit der Insel deutlich in der Minderzahl – jedoch platziert sich Sizilien damit immerhin an vierter Stelle der italienischen Gesamtproduktion an spanischen Büchern im Zeitraum zwischen 1500 und 1700 (vgl. Kap. 5). Auch Pàstena, einer der besten Kenner der palermitanischen historischen Buchbestände, diagnostiziert einerseits einen starken Einfluss Spaniens »con la presencia de numerosos autores y la traducción de obras españolas« (Pàstena 2013, 35). Andererseits sei es seiner Ansicht nach kurios, dass auf der Insel

[…] no se publicaron nunca las obras de Cervantes o de otros grandes autores españoles. No obstante, algunos de esos grandes libros se citan en los antiguos catálogos manuscritos de las bibliotecas monásticas. Un último elemento de perplejidad es el relativo a la ausencia de una edición impresa de la Biblia en Sicilia. España, que había producido la primera edición políglota de la Biblia llamada Complutense (1514–1517), obra maestra del arte tipográfico y ejemplo de análisis filológico, y que en 1569–1572, bajo los auspicios del rey Felipe II de España, permitió la publicación an Amberes de la Biblia políglota de Plantin, nunca imprimió una edición de la Biblia en Sicilia. (Pàstena 2013, 35)51

Als Novität und gleichzeitige Rarität haben daher die beiden einzigen cinquecentine auf Spanisch, die zwei Gedichtbände des Spaniers Bartolomè Martinez de Quintana52 Cancion primera […] con annotaciones de don Luis de Heredia und die Cancion segunda […] (Martinez de Quintana 1594 und 1595, Palermo) zu gelten.

Abbildung 25: Bartolomé Martinez de Quintana, Cancion primera de Bartolome Martinez de Quintana, Palermo 1594, Titelblatt.

Abbildung 25: Bartolomé Martinez de Quintana, Cancion primera de Bartolome Martinez de Quintana, Palermo 1594, Titelblatt.

Bemerkenswert ist, dass hier der palermitanische Rechtsgelehrte, Senatssekretär von Palermo und Numismatiker Filippo Paruta53 als Drucker (oder wahrscheinlich Auftraggeber) in Erscheinung tritt. Der polyglotte Schriftsteller würdigt in seiner auf Spanisch verfassten Widmung an D. Jerónimo de Guzmán die »tan noble composición« (Martinez de Quintana 1594) des Autors als Beitrag zu Ehren Spaniens. Nach den Gedichten folgen die spanischen »annotaciones« (Ders. 1594) des ebenfalls aus Palermo stammenden Rechtsgelehrten, renommierten Dichters und Komödienautors Luigi Eredia mit umfassendem Sprachrepertoire54, der sich zum Schluss wiederum beim befreundeten Paruta für die Verspätung seiner Kommentare entschuldigt,

[28] […] causada de haber sido necessario acudir a mis lecciones ordinarias, y buscar algunos libros esquisitos, de que hay este reino mucha falta: y yo la hubiera sentido en esta ocasion, quando D. Hánibal de Valguarnera, Baron de Gudarana, no me hubiese hecho parte de su rica y abundante librería, con la cual podemos decir que no solo se ha ilustrado a sí mismo, pero a toda la Sicilia […]. (Zit. nach Gallardo 1888, III, 664f.)

Das Zitat ist aufschlussreich, da von insulärem Mangel an »libros esquisitos« die Rede ist sowie von der beeindruckenden Privatbücherei von Annibale Valguernera, Baron von Goderano, Feudalherr und Förderer der lokalen Literatur, dessen Vater im eigenen Haus 1570 die Accademia dei Risoluti gegründet hatte (vgl. Cambareri 2009).

Die späte spanische ›Inkunabel‹ Siziliens ist ein Indiz dafür, dass in akademischen Zirkeln und im Dunstkreis des spanischen Vizekönigshofs in Palermo spanische Literatur rezipiert wurde und literarische Betätigung auf Spanisch stattfand – auch von gebildeten Sizilianern wie Paruta und Eredia, die bezeichnenderweise auch mit Siziliens bedeutendstem Dichter, dem Hofsekretär Antonio Veneziano befreundet waren (vgl. Kap. 6.2.4.6.2).

Die 48 spanischen secentine des Korpus verteilen sich zu 80% auf die Hauptstadt Palermo (39), gefolgt von Messina (8) und Catania (2). In Trapani55 und in der Privatdruckerei von Carlo Maria Caraffa in Mazzarino56, die über den Drucker Barbera in Zusammenhang stehen, wird je ein spanisches Druckwerk hergestellt.

Diskurstraditionell entfallen von den Titeln 17 auf Religion, je elf auf Literatur und Geschichte, zehn auf Administration und sechs auf Traktate. Sie haben fast allesamt einen inselinternen bzw. lokalen Aktualitätsbezug und stammen hauptsächlich von spanischen Autoren bzw. Auftraggebern aus dem spanischen Regierungskreis oder der Kirche in Spanien oder Sizilien. Aber auch einige Nachdrucke und Ko-Editionen aus Madrid, Italien (Neapel, Mailand), Cagliari oder Antwerpen befinden sich darunter.57 Thematisch lassen sich die secentine zu folgenden drei Sektionen bündeln; damit einhergehend ist auf drei elitäre Adressatenkreise zu schließen:

1)  Lokalhistorie und (religiöse) Literatur für die spanische Regierung/Potentaten und spanische Kleriker, zum Beispiel:

–   Chronologia de los Virreyes, Presidentes y de otras personas, que han gouernado el Reyno de Sicilia […]. Sacola de los Archiuos de la Real Chancilleria, y del Oficio de Protonotario del mismo Reyno, y de otras autenticas Escrituras Antonino de Amico Messines chronista de Su Magestad (Amico 1641 und 1644, Palermo, jeweils bei Decio Cirillo);58

–   La Concha de Oro Palermo, por Reina de Trinacria, coronada de Laurel inmortal, cuya perla mas preciosa es la nobilisma Santa Rosalia, honry y lustre desta fidelissima cuanto feliz ciudad, prodigio milagroso de entrambos orbes […] (Guevara 1692, Palermo, bei Pietro Coppola) von Nicolo Niño de Guevara;

–   Santa Rosalia, cuya vida prodigiosa escriuia Felix De Lucio Espinossa y Malo […] que consagra al nonbre immortal y gloriosa fama de esta santa (Espinosa y Malo 1688, Palermo, bei Agostino Epiro »Stampatore del Real Patrimonio«).59

Abbildung 26: Antonino de Amico, Chronologia de los Virreyes, Presidentes y de otras personas, que han gouernado el Reyno de Sicilia, Palermo 1640, Titelblatt.

Abbildung 26: Antonino de Amico, Chronologia de los Virreyes, Presidentes y de otras personas, que han gouernado el Reyno de Sicilia, Palermo 1640, Titelblatt.

2)  Dokumentation religiöser und höfischer/staatlicher Festivitäten in Spanien und auf Sizilien für die spanische Regierung/Potentaten und spanische Kleriker, zum Beispiel:

–   Precioso Antidoto contro la Peste del Pecado Mortal (Lanuza 1624, Palermo, bei Nicolas Bua);60

–   Pompa festiva y real aparato qve dispvso alegre y execvto gozoso el Real Monasterio de S. Lorenco, Otaua Marauilla del Mundo. En el Recibimiento de la Serensissima Reyna nuestra Señora Doña Mariana de Austria, A qvien se dedica. Diole a la estampa en señal de sv primiera y natural obligacion, vn Monje del dicho Real Monasterio. […] En Madrid, En la Imprenta Real. Y en Mecina por los Heredes di Pietro Brea (Anonym 1656, Messina, bei Brea);

–   Sermon predicado en la fiesta qve la casa professa de la Compania de Iesus de la Nobiliss. Ciudad de Mecina hico a la Beatificacion del Excelent. Señor Duque de Gandia, el gloriociss. P. Francisco de Borja, Reuerendiss. General desta sacra Religion. […] Al Excelentissimo Señor Don Alvaro Bacan Marques de S. Cruz Lugarteniente de Generalissimo de la mar, y Capitan Generale de las Galeras de Sicilia (Borja 1624, Messina, bei Iuan Francisco Blanco);

–   Panegirico al santissimo Sacramento por los buenos suçesos de la Armada. Dedicado al Serenissimo señor don Ivan de Austria y predicado en la fidelissima ciudad de Palermo, por el rev. p. maestro fr. Manuel Martinez del orden de Nuestra Señora de la merçed calçada (Martinez 1678, Palermo, bei Domingo de Anselmo).

3)  Administrative Drucksachen für (sizilianische und spanische) Verwaltungsbeamte und das spanische Militär, zum Beispiel:

–   Instruccion de la milicia ordinaria del Reyno de Sicilia, reformada en 1595 (Anonym 1615b, Palermo, ohne Drucker);

–   Resolución en defensa de la jurisdicción de las tres Ordenes Militares de Santiago, Calatrava y Alcántara, delegada por S. M. a D. Fray Ambrosio Machín Arzobispo de Callér (Anonym 1636, 3. Aufl., Palermo, bei Decio Cyrillo);61

–   Por la Ciudad de Mezina con el Viceportulano (Anonym 1631, Messina, ohne Drucker);62

–   Relación de los socorros de gente y dinero con que el Excellentissimo Señor Conde de Monterrey ha asistido a diferentes partes para defensa de la Monarquia, desde Mayo de 1631 que tomó posesion del cargo de Virrey y Capitan general del reino de Napoles, hasta fines del de 1636 (Anonym 1637; Palermo/Neapel, ohne Drucker);

–   Capitulaciones con las quales su Alteza el Sereniss. Señor Don Ivan de Avstria se a acordato con Monsiur de Nuovalle Marical de Campo por su Magestad Christianissima. En Napoles y en Palermo (Anonym 1650, Palermo, bei Nicolas Bua);

–   Instrvcciones dadas, por el excelentisimo señor conde de Santisteban Virrey y Capitan General deste Reyno de Sicilia, Alla nueva ivnta de bienes confiscados a messineses rebeldes, formada por S.E. en 12 de abril de 1679. Para el modo con que deben governarse los Ministros de ella assi en su buena administraçion y cobro, como en el de administrar la Iusticia a las partes, que como interesadas en los dichos bienes, la pidirien ante la Iunta […] (Anonym 1680a, Messina, bei »Vincente D’Amigo per Matteo la Rocca«).

Wie an den Titeln abzulesen ist, übernahm Spanisch auf der Insel mehrere Funktionen in distanzsprachlichen Kommunikationssituationen, ohne jedoch dabei als besonders prestigebesetzte Symbolsprache zu fungieren: Es war Sprache der Unterhaltung, der religiösen Erbauung, der Information und der Instruktion. Aus den Titeln ist aber auch zu erfahren, dass Spanisch nähesprachliche Verwendung im öffentlichen und offiziellen Bereich fand, da in dieser Sprache – zumindest in den Städten Messina und Palermo – gepredigt und befehligt wurde.

Auch die Übersetzungen ins Spanische oder aus dem Spanischen sowie die zwei- und dreisprachigen Druckwerke mit spanischer Beteiligung zeigen die institutionelle Verankerung des Kastilischen am vizeköniglichen Hof, in religiösen und in akademischen (Bildungs-)Institutionen.

6.2.3.1 Übersetzungen

Exemplarisch für die raren (Weiter-)Übersetzungen aus dem Italienischen ins Spanische steht die Escvela de Principes y Cavalleros, Esto es la geografia, retorica, la moral, economica, politica, logica, y fisica […] (La Mothe Le Vayer 1688, Palermo, bei Romolo).63

Der Übersetzer ist der spanische Dominikaner Alonso Manrique64, der noch zwei weitere thematisch eng verwandte Werke in die Zielsprache Spanisch übertrug (vgl. Kap. 6.2, Anm. 56). Im ersten Paratext, den vor allem in grafischer Hinsicht stark italianisierten »Aprobaciones« von Ioseph Gigante, wahrscheinlich ein sizilianischer Geistlicher, werden die potenziellen Rezipienten näher bestimmt, für die das Werk »de mucha vtilidad« (La Mothe Le Vayer 1688, 18) sei:

[29] […] no solamente à Principes, y Cavalleros: mas tambien à toda suerte de personas: aviendo sido impressa en diversas lenguas, soy de parecer, che pueda ver la luz de bajo del lenguage Español; para che tambien esta Nacion, como aquella, che siempre assido inclinada à la verdad y à obras de sugetos dignos de alabanca, tenga à de mas, que admirar, la fatiga del Autor como tambien aquella del Traductor, de quien me consta no hà hòrrado sudores para reducirla al Puerto, limandola en su lengua Castellana. (La Mothe Le Vayer 1688, 18f.)

Abbildung 27: François La Mothe Le Vayer, Escvela de Principes y Cavalleros, Palermo 1688, Titelblatt.

Abbildung 27: François La Mothe Le Vayer, Escvela de Principes y Cavalleros, Palermo 1688, Titelblatt.

Im Leserhinweis informiert der Übersetzer Manrique über die Wertschätzung des Buches in ganz Italien, die nach der Übersetzung vom französischen Original ins Italienische dem Werk beschieden war und die er nun an neugierige – aber auch weniger gebildete – spanische Leser weitergeben möchte:

[30] […] por divertir el ocio este verano passado me tome: este asumpto de traducirle en nuestro lenguaxe Español no solamente para dar à conocer à los curiosos la cosa de mayor extimacion de estas Naciones, sino para animar à los de menor engenio ha [sic] otras de mayores quilates. Es verdad, que conociendo tambien el genio de nuestra Nacion, inclinando à cosas curiosas de Paysos extrangeros, aviendose visto Damas que han trocado sus Piedras, y Perlas finas por las fingidas, y quimicas de Francia, Olanda, è Italia, juzge para commigo que bien que en España no faltan antes abundan obras mas realzadas, siendo este libro tan curioso, y estrangero seria de todos bien visto, aceptado y extimado. (La Mothe Le Vayer 1688, 22)

An die gleiche höfisch elitäre Zielgruppe der Escuela richten sich auch Los Tratados del Principe, y dela Gverra del Duque de Capignano […] (Lanario 1624, Palermo, bei Maringo).65 Autor und Übersetzer in Personalunion ist Francisco Lanario de Aragón, gebürtiger Neapolitaner mit exzellenten Spanischkenntnissen durch seine langjährige Auslandserfahrung, unter anderem als bedeutender Militärfunktionär in Flandern.66 Zusammen mit den oben genannten Beamten Paruta, Eredia sowie Antonio Veneziano und Argisto Giuffredi ist er damit einer der sizilianischen Autoren, die, in engster Beziehung zur spanischen Regierung stehend, auf Spanisch schrieben und eine damit textübergreifende Dreisprachigkeit vorweisen konnten.67 Seine Übersetzertätigkeit68 bescherte ihm und seinen Söhnen die spanische Ehrenstaatsbürgerschaft, wie er »[a] quien leyere estos tratados« betont:

[31] El haverme detenido muchos meses en la Corte [de Madrid; T.A.], y traducido en Castellano las guerras de Flandes, que yo hice, desde el año 59 asta el de 609, junto con la merçed (entre otras) que su Magestad me a hecho honrrando a mis hijos, y a mi de la naturaleza Española, me obligan (a mas de ser esta naçion aueza del Mundo) de dale en su propia lengua la primera fruta de mis consejos, y documentos, y ansi se leeran en Castillano, porque despues toda la obra que consiste en seys libros, y estos en sesenta y nueue tratados se imprimira en Italiano. E querido poner los titulos dellos al principio desta obra para que aquella se espere con mayor desseo. Añadiendo a todo lo suso dicho el hallarse en el gouierno del Reyno de Napoles Prinçipe tan grande, como justo, tan justo, como prudente, y virtuoso, para que con mas façilidad, y gusto pueda gozar deste trabajo; que por esso no los qui se imprimir en la Corte aunque los huuiese traducido alla al año asado, ni en Napoles por la necessidad que tube de venir luego à Palermo. (Lanario 1624, 5)

Aufschlussreich hinsichtlich der defektiven Spanischkompetenz seitens des Druckers ist ferner der Kommentar am Ende der dreiseitigen Errata-Liste, die das Werk beschließt: »Algunos puntos, comas mal puestas, y otras minudençias disimula, que como la imprenta es de Italiano no à podido mas.« (Ders. 1624, 188) am Ende.

Im selben Jahr erschien in Palermo ein zweites spanisches Werk von Lanario, der Breve discurso donde se muestra que los Reyes han de tener Privado Dirigid a la Cattolica Real Magestad del Rey Don Felippe IIII. (Lanario 1624, Palermo, bei Angelo de Orlandi), der hingegen ein Jahr später, 1625, in italienischer Sprache in Messina bei Giovanni Francesco Bianco für ein nun offensichtlich italienisches Publikum gedruckt wurde.

Um eine Übersetzung in die umgekehrte Richtung, das heißt vom Spanischen ins Italienische, und um ein Werk aus der Domäne der Religion handelt es sich bei der Hagiografie Vita della Ven. Madre Orsola Benincasa Napoletana Originale da Siena […] Fondatrice delle Vergine dette volgarmente Teatine […] des Missionars Francesco Maria Maggio, die erstmals 1646 in Palermo (bei Decio Cirillo), danach aber noch weitere vier Male in Süditalien erschien.69 Aufschluss im Hinblick auf die Sprachwahl des Übersetzers und der intendierten Abnehmer gibt die auf Spanisch verfasste Widmung an »Gio. D’Austria Gran Priore di Castiglia e di Leone, Governatore Gener. di tutte l’arme Maritime S.M.« (vgl. Maggio 1646, Titelblatt):

[32] No he querido valerme de la lengua Española para escrevir esta Vida; porque se que V.A. entiende la Italiana y no alterar la fuerza de las palabras que se refieren de la Madre y de sus Confesores, y por que en Napoles, y Palermo, donde se ha de introducir primero esta Santa Obra, gocen mas presto de las noticias que deseen. (Zit. nach Toda y Güell, 1929, Nr. 1.917)

Aus dem Zitat resultiert zum einen die Vertrautheit des generell sprachinteressierten Autors70 mit der spanischen und die des Bewidmeten mit der italienischen Sprache, zum anderen die ausschließlich muttersprachliche Kompetenz der neapolitanischen und palermitanischen Beichtväter, für die die Heiligenlegende »mas presto« bestimmt war und für die sie wohl exportiert wurde.

Zwei weitere Übersetzungen vom Spanischen ins Italienische wurden ebenfalls in Palermo veröffentlicht, sind aber von unterschiedlichem Druck- und Diskurstypus.

1)  Bei der Relazione del nascimento del più mostruoso Gigante, che s’habbia giammai veduto nel Mondo, o che raccontin gli Annali; il quale nacque nella Città di Iazel […] 1679 […] (Anonym 1680b, »Iazel & Palermo«, bei D’Anselmo) handelt es sich um einen vierseitigen pliego de cordel, der unmittelbar nach seinem Erscheinen in Barcelona, Valencia und Jaén – auf dem Titelblatt vom Drucker oder Setzer fälschlicherweise als »Iazel« fehlgedruckt – im selben Jahr nach Palermo gelangte und von einem erkennbar süditalienischen Übersetzer ins Italienische übertragen wurde.71 Barone sieht in diesem besonderen Archivfund den Beweis für eine »constante comunicación basada en un intercambio continuo entre el centro y la periferia del Imperio« (Barone 2013a, 106).

2)  Der ebenfalls im Rahmen von PRIN 2008 (vgl. Kap. 6.2, Anm. 50) zwar buch-, nicht jedoch sprachhistorisch erforschte und transkribierte Lettera a Aloisio XIII (Chevedo Vigliegas 1636, Palermo, bei »Erasmo de Simeone Stampator Camerale«) ist mit 30 Seiten umfangreicher sowie von größerem Format (°4) und aufgrund der lateinischen Marginalien drucktechnisch aufwendiger.72 Die Übersetzung stammt nach Polizzi höchstwahrscheinlich von einem Kleriker (Polizzi 2013b, 113) und präsentiert

[…] sin duda un hito en la historia de las traducciones entre España e Italia. Su colocación durante la presencia virreinal en Sicilia le otorga una significación especial, como uno de los efectos de reverberación de la propaganda política de la Monarquía española, que recibe el obsequio de la intellighenzia de la Isla, así como de todo el aparata administrativo y religioso siciliano. La traducción de la célebre Carta a Luis XIII de Quevedo le proporciona al texto español no tanto un necesario instrumento de mediación lingüística – puesto que las largas relaciones entre los dos países habían difundido el español en Italia, sobre todo entre las clases altas y, de hecho, no era una práctica muy frecuente la traducción de textos a todos los niveles, hasta el popular. (Polizzi 2013b, 136)

6.2.3.2 Spanisch-italienische Druckwerke

Die einzigen drei registrierten zweisprachigen italienisch-spanischen Druckwerke des Korpus, die auf der Insel produziert wurden73, sind ebenfalls Übersetzungen – einmal in die Zielsprache Italienisch, zweimal ins Spanische – mit dem Unterschied zu den eben vorgestellten, dass der spanische bzw. italienische Originaltext integriert wurde. In den drei Fällen handelt es sich um religiöse Gebrauchsliteratur und alle drei wurden im selben Jahr (1654) in Palermo vom selben Drucker Domenico D’Anselmo hergestellt und auch in einem Band vereint, weswegen sie sich im Format (°4) und im Layout (Spanisch und Italienisch bzw. Italienisch und Spanisch in zweispaltiger Gegenüberstellung) gleichen.

Im ersten Buch, La nebbia sgombrata. Difesa domenicana per la limpia, et Immaculata Concettione Della Gran Madre di Dio Maria […] (Palau/Brignone 1654, I)74, wird nicht nur bereits auf dem Titelblatt explizit auf die Zweisprachigkeit aufmerksam gemacht: »Tradotta in italiano, & arricchita di tre Indici, in ambidue le fauelle publicata […] Con nuova curiosità di ambidue lenguaggi« (Ders. 1654), der dadurch intendierte doppelte Rezipientenkreis wird auch im Privileg von Philipp IV. persönlich thematisiert:

[33] […] ha fatto stampare in Palermo in ambidue linguaggi Spagnuolo, & Italiano per commune commodità de Vassalli di S.M. con molta spesa, e suo trauaglio; E perche Eccellentissimo il suplicante dubita che alcuno sia per fraudare la sua fatica, & interesse facendo ristampare la detta Opera, ò nella maniera che l’ha fatto stampare il suplicante in ambedve le favelle, o pure solo nel linguaggio Italiano cauandola dall’opera del suplicante, ò con qualche artificio, e mutatione, il che sarebbe di grande pregiudicio & interesse di esso Esponente (Palau/Brignone 1654, I, a1)

Im Leserhinweis erklärt der Autor/Übersetzer Don Christofaro Brignone, oberster Priester von Santa Maria di Monserrato in Palermo, das Werk übersetzt zu haben »dal Castegliano originale, nel nostro Italiano, acciò li deuoti dell’Immaculata Concettione della gran Signora nella nostra Italia per l’auuenire non hauessero d’inuidiare alli Spagnuoli questa dilucidatione, che è tanto necessaria per la compita Gloria di Maria« (Ders. 1654, I, 7). Während im ersten Buch die Zielgruppe primär aus italienischen Geistlichen besteht, scheint das zweite Buch, die direkt angeschlossene Lobrede Panegirico dal molto reu. P. Gioseppe Spucces, della Compagnia di Giesù detto nella Real Cappella di San Pietro del Palazzo Regio in Palermo nel 1640. nella nouena, alla reale celebrata annualmente per hereditaria pietà di sua casa […] (Ders. 1654, II), ebenfalls übersetzt von Brignone, aber in die umgekehrte Richtung (vom Italienischen ins Spanische), primär spanischen Klerikern zu dienen. Nach lobpreisenden Worten auf den Autor Spucces, der wegen seiner beeindruckenden Fähigkeiten als Priester an den königlichen Hof in Madrid berufen worden sei, betont der Übersetzer: »Io l’hò tradotto nella fauella spagnuola, & per commodità de’ Virtuosi d’entrambe le nationi, in ambedue le fauelle publicatolo« (Ders. 1654, II, 4). Das dritte Buch, das Patrocinio della gran madre di Dio Maria […], ist ebenfalls eine Übersetzung ins Spanische von Brignone, enthält aber keine Vorrede. Innerhalb der drei Bücher wurden auch lateinische Passagen in direkter Rede eingestreut. Dieser zweisprachige Band bezeugt zum einen die individuelle Mehrsprachigkeit des palermitanischen Geistlichen Brignone, zum anderen die praktische Notwendigkeit für spanische und sizilianische Geistliche, religiöse Texte in beiden bzw. drei Sprachen eventuell als Vorlage für Rezitationen vorliegen zu haben, was auch das Quartformat nahelegt.

Italienisch und Spanisch berühren sich aber nicht nur im Bereich der Religion bzw. in kirchlichen Institutionen, sondern treffen zusammen mit Latein, das im Bereich der Religion und der Verwaltung (noch) als Universalsprache bzw. ständige ›Beisprache‹ anzusehen ist, ebenso in literarischen Werken und in der gedruckten Verwaltungskommunikation Siziliens aufeinander.

So enthält Juan Bautista Judice Fiescos Epitome de la virtuosa, i exemplar vida de Don Fernando Afán de Ribera […] (Judice Fiesco 1633, Palermo, bei Cirillo) »[v]arias Compositiones Poeticas« zu Ehren des verstorbenen Herzogs in drei Sprachen (Ders. 1633, 39–104).75 In der »Adnotacion del Autor« wird deren Reihenfolge begründet: »I bien considerado a los latinos por antiguedad de su lenguaje se pondràn primero, luego los Italianos por forasteros, i los Españolos en casa i causa propria contentaranse ser los vltimos, con no ser en cosa alguna los posteros.« (Ders. 1633, 40).

Abbildung 28: Juan Bautista Judice Fiesco, Epitome de la virtuosa, i exemplar vida de Don Fernando Afán de Ribera, Palermo 1633, Titelblatt.

Abbildung 28: Juan Bautista Judice Fiesco, Epitome de la virtuosa, i exemplar vida de Don Fernando Afán de Ribera, Palermo 1633, Titelblatt.

6.2.3.3 Zwei Fallbeispiele für trilinguismo ufficiale

Zwei Fallbeispiele sollen die Mehrsprachigkeit staatlicher Institutionen illustrieren und zeigen erneut76, dass sich unter der einsprachigen Oberfläche, nämlich dem häufig nur in einer Sprache katalogisierten italienischen bzw. lateinischen Titel, durchaus textinterne Mehrsprachigkeit verbergen kann. Der erste Fall macht deutlich, dass gerade die paratextuelle Rahmung eines Druckwerkes bei der linguistischen Analyse nicht außer Acht gelassen werden darf: Der Paratext bietet buchstäblich Raum für mehrsprachige Entfaltung und gibt – angefangen beim in der Regel auf Latein ›amtlich‹ verfassten Imprimatur – Aufschluss über die vorausgesetzten wie angesprochenen Rezipienten und über ein sprachliches Ordnungsgefüge. Im zweiten Fall lassen sich ebenfalls anhand der Sprachwahl die impliziten Rezipienten nachzeichnen.

1)  Die Informatione del pestifero, et contagioso morbo: il quale affligge et haue afflitto questa citta di Palermo, & molte altre citta, e terre di questo Regno di Sicilia, nell’anno 1575 et 1576 / col regimento preseruatiuo, & curatiuo […] (Ingrassia 1576, Palermo, bei Mayda) wurde quasi als Jahresbericht der schweren Beulenpest 1575 auf Sizilien von Giovan Filippo Ingrassia »protofisico per la Sua Maestà in questo Regno« (Frontispiz) verfasst und mit einem Druckprivileg auf zehn Jahre belegt.77 Hochoffiziell »data allo invittissimo, et potentissimo Re Filippo, Re di Spagna« (Frontispiz), richtet sich Ingrassia mit seiner Abhandlung sowohl an die breite Öffentlichkeit als auch an ein Fachpublikum und passt sich dementsprechend sprachlich an, wie er im ersten Kapitel erläutert: »[…] per intendermi ognuno quantunque minimo idiota (come intendiamo noi in questo nostro ragionamento: per lo che habbiamo scrittolo in lingua volgare, riservandone per li dotti alcune parole latine al fin di questa prima parte) […]« (Ders. 1576, 6). Auf Seite 34 folgt, ganz der wissenschaftlichen Korrektheit verpflichtet, ein Direktzitat aus dem spanischen Traktat Informacion y Cvracion dela peste de Caragoca y Praeservacion contra peste en general […] (1565, Saragossa) des sardischen Mediziners und Madrider Hofarztes Thomaso Porcello, »il cui nome degno è di esser celebrato« (Ders. 1576, 34; vgl. Kap. 6.1, Anm. 103), wie Ingrassia betont. Italienisch, Latein und Spanisch sind auch die Sprachen, die sich im Paratext, der einen Lobpreis auf den Autor darstellt, abwechseln: Im Eröffnungssonett spricht der palermitanische Senatssekretär Giuffredi – der als einziger Sizilianer Interkomprehension didaktisiert (vgl. Kap. 6.2.3.5) – den König auf Spanisch an: »Recibe o Sacro Rey de tu Vasallo / El don che de rodillas te presenta« (Ders. 1576, a1). Im zweiten Sonett wendet sich Giuffredi hingegen auf Italienisch an das Volk: »Quanto si den [sic] gradir sì rari doni / Ditel popoli voi, che foste afflitti? Per lui diciam, che dopo dio siam vivi.« (Ders. 1576, a2). Es folgen zwei Lobgedichte auf den König, das eine auf Latein, das andere auf Spanisch, von Antonio Veneziano, ebenfalls sizilianischer Senatssekretär wie Giuffredi und renommierter Dichter in der Muttersprache (vgl. Kap. 6.2.4.6.2). Abschließend würdigt Giovanni Giuffredo, Sohn von Argisto, mit einigen lateinischen Versen erneut den König.

Die verschiedenen Sprachen sind nicht zufällig gewählt und funktional verteilt: Spanisch wird als königliche Amtssprache verwendet, mit der dem König Ehrerbietung erwiesen wird; Italienisch ist Verkehrssprache, mit der »ognuno minimo idiota« (Ders. 1576, 6), also der Laien-Leser verständigt wird; Latein fungiert als gelehrte Universal- und Fachsprache.

2)  Ein zweiter Fall von textinterner Mehrsprachigkeit liegt im Sammelband Pragmaticarum Regni Siciliae Novissima Collectio, tomus tertius, sumptibus vor, der knapp ein Jahrhundert später (Anonym 1658, Palermo, bei Nicolai Bua) gedruckt wurde. Auch hier ist der lateinische Titel irreführend, denn gemäß der quantitativen Analyse von Alfieri sind 19,8% der darin zusammengefassten Pragmatiken auf Latein, 20,8% auf Spanisch und 59,3% auf Italienisch (Alfieri 1992, 822f.). Selbst von den 538 ›italienischen‹ Bekanntmachungen sind jedoch nur 92 ausschließlich in dieser Sprache; zudem sind sie von »pesanti interferenze siciliane« (Dies. 1992, 822), aber teilweise auch von Hispanismen, vor allem auf grafischer Ebene, sowie Latinismen durchdrungen – eine Tatsache, die das viersprachige »Mit- und sozusagen Durcheinander der Sprachen in der Kompetenz ihrer Sprecher und in ihrem Sprechen« (Krefeld 2004a, 144f.) bzw. in ihrem Schreiben – und in der Drucklegung – bezeugt. Die restlichen 446 Erlasse wurden zusammen mit spanischen oder lateinischen Pragmatiken herausgegeben (bzw. mündlich verkündet) und richten sich dementsprechend an unterschiedliche Empfänger. Alfieri typologisiert drei Rezipienten: Die Pragmatiken auf Italienisch entstammen der vizeköniglichen Zuständigkeit und betreffen zum Beispiel die Führung von Waffenscheinen, Jagd, Missbrauch von Ländereien, Prostitution, Vergewaltigung oder Anordnungen für Messdiener; Empfänger sind die sizilianischen Bürger. Auf Spanisch werden bürokratische Probleme und Feudalangelegenheiten reguliert; diese Erlasse richten sich »ai castigliani dislocati in Sicilia per servizio, come militari o inquisitori, o trasferitisi in cerca di onori e potere, come i numerosi titolati così preoccupati dell’etichetta da istituzionalizzarne le regole« (Alfieri 1992, 822). Die lateinischen Direktiven sind eine Machtdemonstration der Inquisitoren und an Notare, Kleriker und Mediatoren zwischen Geistlichen und Laien adressiert: Hier wird beispielsweise die Verteilung kirchlicher Einnahmen geregelt, aber auch Feudalsachen. Der Adressatenkreis ist in beiden, das heißt sowohl der sizilianischen Eigengruppe als auch der spanischen Außengruppe, zu suchen. Diese dreisprachige Sammlung, so das Resümee von Alfieri,

[…] presenta un duplice e divergente orientamento, da una parte in senso intraregionale per assicurare la decodificazione dei decreti vicereali in tutte le aree subdialettali isolane, e dall’altra in senso sopraregionale, forse in conseguenza dell’origine continentale dei viceré. (Alfieri 1992, 825)

Ausgehend von der Diskurstradition der Pragmatik ist im 16. und 17. Jahrhundert eine Triglossie von Italienisch, Latein und Spanisch in der insulären gedruckten Verwaltungskommunikation stark zu vermuten, so, wie eine Alternanz auch bei den mailändischen gride festzustellen ist – wohingegen bezeichnenderweise bei den sardischen Pragmatiken und cride tendenziell Einsprachigkeit (Katalanisch oder Spanisch) vorherrscht (vgl. Kap. 6.3.6.2 bzw. Kap. 6.1.4.1). Diese im Einklang mit Varvaros 1977 eingangs vorgestellter Untersuchung stehende These muss durch weitere Forschung noch erhärtet werden.78

6.2.3.4 Zwischenresümee: »spagnuoli – ma italianati«?

Nach diesem Überblick der spanischen Druckwerke bleibt festzuhalten, dass offensichtlich seitens der spanischen Regierung kein sprachlicher Normierungsdruck ausgeübt und kein bestimmtes sprachliches Verhalten der Untertanen vorausgesetzt wurde, sondern dass eine sprachliche Akkommodation an die jeweiligen Adressaten stattfand. Im Unterschied zu Sardinien wurde in Sizilien Sprache nicht als Politikum wahrgenommen: Das bezeichnendste Beispiel stellt vielleicht König Karl I. selbst dar, der seine Parlamentsrede während seines Inselbesuches am 22.09.1535 bezeichnenderweise auf Italienisch gehalten haben soll und Spanisch gerade nicht als Instrument der Herrschaftsausübung einsetzte (vgl. Lo Piparo 1987a, 742).

Das Konzept der Anpassung bestimmte auch die vizekönigliche »politica populista« (Isgrò 1981, 170), die einen Übergebrauch der spanischen Sprache nicht als zusätzliches trennendes Moment vom von Hunger, hoher Steuerbelastung und Naturkatastrophen79 gebeutelten Volk riskieren konnte. Geburtstage, Hochzeiten, Jubiläen, königliche Einzüge, Reitturniere80, geistliche Spiele, Komödien, Karnevalsfeste, Umzüge, Bälle, Feuerwerke, Theater- und Spektakelstücke auf der piazza wurden aus politischem Kalkül organisiert bzw. zelebriert.81 Vor allem ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gelangten die weltlichen und religiösen Festivitäten in den großen Städten zu voller Blüte (vgl. Ders. 1981, 76–85):82 Sie sollten den fehlenden direkten Kontakt zum Monarchen kompensieren und die Illusion von familiärer Vertrautheit und Liberalität Spaniens vermitteln. »Popoli gridano olé« – diese Regieanweisung einer catanesischen Prozession von 1628 steht symbolisch für die gewollte Euphorie beim Volk – und die spanische Entlehnung.83 Während im Palazzo Reale, im Palazzo Marina und exklusiv für einen ausgewählten Kreis in der Galleria di Palazzo spanische Komödien bisweilen auch in der Originalsprache aufgeführt wurden – dokumentiert ist allerdings lediglich die zu Ehren des Einzugs vom Vizekönig Herzog von Alcalá in Palermo aufgeführte Komödie Amar sin saber a quien (1632) (vgl. Ders. 1981, 295)84 – wurden diese »per un pubblico più vasto […] tradotte in italiano« (Ders. 1981, 299) öffentlich dargeboten, zum Beispiel zum Karneval 1613 auf der piazza gegenüber der Kirche Piedigrotta.

Es ist davon auszugehen, dass die breite Masse der Sizilianer also kaum bzw. nur punktuell mit der spanischen Sprache in Berührung kam und daher in der Allgemeinheit äußerst begrenzte Spanischkenntnisse herrschten. Einen anderen Alltagsbedarf an Sprachwissen hatten wahrscheinlich höhere sizilianische Funktionäre aus Militär und Verwaltung sowie weibliche Standesangehörige und auch Geistliche, die als potenzielle Zielgruppe des einzigen – gedruckten und überlieferten – spanischen Sprachlehrwerks gelten können, das zwar nicht auf Sizilien, wahrscheinlich aber als Auftragsdruck in zweiter Ausgabe in Florenz erschien und in Palermo 1593 verfasst wurde.85 Es sei aber zusätzlich, so die Bewerbung im Titelblatt, »[u]tilissime non solo per saper la lingua Spagnuola, ma per saper molte cose della Toscana« (Giuffredi 1602, Frontispiz).86

6.2.3.5 Eine adaptierte Grammatik – Argisto Giuffredi (1601): Il compendio del signor M. Troiano tratto dalle Osservationi […] con le annotazioni del Signor Argisto Giuffredi

Autor des Compendio del signor M. Troiano tratto dalle Osservationi della lingva castigliana del signor Giovanni Miranda: Nel quale in dialogo si ragiona della differenza & convenienza dell’Alfabeto Spagnuolo & Italiano col quale si può imparare à leggere, intendere, parlare e proferire la detta lingua Castigliana. Con le annotazioni del Signor Argisto Giuffredi (Giuffredi 1601) ist kein geringerer als der oben bereits erwähnte palermitanische Hofsekretär Giuffredi.87

Abbildung 29: Argisto Giuffredi, Compendio del signor M. Troiano tratto dalle Osservationi, Florenz 1601, Titelblatt.

Abbildung 29: Argisto Giuffredi, Compendio del signor M. Troiano tratto dalle Osservationi, Florenz 1601, Titelblatt.

Wie der Titel bereits sagt, handelt es sich um eine Adaptation eines zweisprachigen Best- und Longsellers, nämlich der Osservationi della lingua Castigliana (Miranda 1566, Venedig) von Juan de Miranda.88 Die Osservationi selbst erschienen 1569 als Kompendium bzw. Epilog der zweisprachigen italienisch-spanischen Dialoghi di Massimo Troiano […] tradotti nella lingua castigliana da M. Giouanni Miranda […]. Con […] due discorsi, co’ quali si può imparare à leggere, intendere, e pronunciare la lingua Spagnuola (Troiano 1569, 161–197, Venedig).89 Diesen Auszug kommentiert wiederum Giuffredi in seinem marginalisierten Lehrbuch, dessen Inhalte er zum Teil nach Palermo verlagert, wie beispielsweise aus der Erläuterung des unterschiedlichen Gebrauchs von »ser«/»essere«/»stare« hervorgeht:

[34] E lo Spagnuolo non dirà: Yo soy en Palermo, hulano no es en casa, ma Yo estoy en Palermo (benchè alcuni Spagnuoli, ma Italianati a dire il vero, dicano anche Yo soy en Palermo e Yo estoy en Palermo […] ma quando significa, come dice l’Autore, l’essenza della cosa, il verbo ser, in Ispagnuolo è il medesimo, che in Italiano, perciocchè così dice lo Spagnuolo, Yo soy soldado, tu eres frayle, aquel es letrado […]. (Giuffredi 1601, 144)

In drei Lobgedichten vor der knapp 400 Seiten umfassenden Grammatik im Handformat wird Giuffredis Sprachkompetenz thematisiert.90 Der »Señor Comendador Antonio de Vega« spricht ihm den »Efeto ilustre« zu, »reduzir en Arte […] aquella inculta parte, / Que estaua escura, del hablar Ispano« (Ders. 1601, a5). Im zweiten anonymen Lobgedicht auf Italienisch heißt es: »Giuffredi, tu doppia virtù raccolta / La innesti, e produr l’utile, e ’l diletto, / Fai dall’Ibero idioma, e’l bel Toscano« (Ders. 1601, a7). Giuffredis mehrsprachige Aktivitäten spiegeln sich auch in den Annotazioni wider, in denen er weitere, sowohl für Italiener als auch für Spanier konzipierte, jedoch nicht überlieferte Werke verschiedener Diskurstraditionen aus seiner Feder ankündigt wie: »un altro mio trattato particolare di Segretario« (Ders. 1601, 225), »un rimario di tutte le desinenze Spagnuole […] a gran soddisfazione, non solo agli Italiani studiosi di questa lingua, ma a gli stessi Spagnuoli ancora« (Ders. 1601, 237) sowie auf der letzten Seite eine korrektive Phonetik des Toskanischen speziell für Spanier:

[35] […] molti altri Spagnuoli i quali non avvertiscono, che mentre vogliono parere Italiani veri, allora si mostrano piu pretti Spagnuoli, e volendo dir, Che volete? Diranno Che bolite? ed altri sì fatti modi de’ quali io ragiono a lungo nel Trattato, che ho fatto per insegnare agli Spagnuoli la pronunzia toscana. (Giuffredi 1601, 362)

Der Autor empfiehlt den italienischen/sizilianischen Lesern intensive Lektüre: »vi convien leggere ogni sorta di libro che possiate avere in tal lingua [spagnola, T.A.] e soprattutto in versi«, nur auf diese Weise »arricchirete la vostra novella lingua« (Ders. 1601, 236).

Dabei handelt es sich um einen Ratschlag, den er bereits in einem anderen Traktat für den Privatgebrauch, den handschriftlichen Avvertimenti Christiani (1585?), einer Etiketten-Fibel für seine Söhne, aufgegriffen hat:91

[36] Dove sopra trattai de’ libri che dovrete leggere, mi scordai dirvi che leggeste libri spagnoli per intender la lingua; né ve ne fate beffe, poiché a tutti i vassalli del Re Nostro Signore ci conviene, se non parlarla, almeno intenderla per mille buoni rispetti; ben consiglio che innanzi un superiore nessuno la parli, se non la sa bene. Però intenderla ci è necessario. (Zit. nach Alfieri 1992, 818)

Der Palermitaner plädiert folglich für einen schriftbasierten Fremdspracherwerb aus Büchern – nicht jedoch aus der augenscheinlich nicht oder kaum stattfindenden mündlichen Alltagskommunikation mit Spaniern. Das Hörverstehen des Spanischen »innanzi un superiore« als lohnende Mindestanforderung für gesittete Sizilianer exemplifiziert Giufreddi mittels einer Insel-Anekdote aus dem nicht zufällig gewählten ereignisreichen Jahr 1535, dem Einzug Karls V. in Sizilien.92 Hiermit möchte er die Folgen von Unehrlichkeit aufzeigen – und offenbart bzw. karikiert damit die Sprachbarrieren der Sizilianer:

[37] Si racconta di un cavaliere di Palermo, che avendo giostrato innanzi il glorioso Carlo V, e bene domandandogli S.M. ›si tenia plato‹ (per non dire, come dicono alcuni, che rispose ›si, Signore, n’ho uno in casa grandissimo‹, che questo deve esser favola maligna o da scherzo), egli non intendendo quel che si volesse dire ›el tener plato‹, rispose: ›si, Signore‹. Che se egli avesse detto d’essere, come era, povero cavaliere, forse S.M. gli avrebbe fatto qualche grazia, per lo molto valore che mostrò quel giorno. (Zit. nach Maniscalco 2007, 70)

Die Szene zwischen dem Herrscher und dem Untertan erinnert an den komischen Dialog aus Sardinien, wo sich ebenfalls ein gebildeter Spanier aus der Stadt und ein ungebildeter sardischer Landbewohner vor allem aufgrund von Homophonie missverstehen (vgl. Kap. 6.1.7).

Giuffredi sollte der einzige sizilianische ›Philologe‹ bleiben, der durch die Modifizierung eines bestehenden zweisprachigen italienisch-spanischen Lehrbuchs Interkomprehension der italienischen und der spanischen Sprache den Inselbedürfnissen entsprechend didaktisierte und dabei die einzigen metasprachlichen Kommentare zur (defektiven) Sprachkompetenz der Kommunikanten lieferte. Die Bezeichnung »Spagnuoli ma italianati« (vgl. Zitat 34) und die erwähnten Hyperkorrektismen in Zitat 37 zeugen davon, dass die Spanier ihren Sprachgebrauch an das als vorbildlich angesehene Italienische anglichen – und nicht umgekehrt.

Die Tatsache, dass der Sprachkontakt während der langen spanischen Herrschaft kein originäres Exemplar einer Gattung für das Sprachenpaar Italienisch-Spanisch (oder Sizilianisch-Spanisch) hervorbringt, lässt man Giuffredis Annotazioni außen vor – sei es weil für die höheren Kreise keine Notwendigkeit bestand, sei es aus Gleichgültigkeit heraus –, lässt die Produktion einer messinesischen Französischgrammatik für Sizilianer im Jahr 1675 auch aufgrund ihres Entstehungshintergrundes als ›revolutionär‹ erscheinen.

6.2.3.6 Exkurs: Eine ›revolutionäre‹ Grammatik – Roberto Paris (1675): Nuova Grammatica Francese, et Italiana

Historisch wie sprachhistorisch bedeutsam ist die zweisprachige Nuova Grammatica Francese, et italiana, nella quale sono contenute tutte le Regole per imparare a ben leggere, pronunciare, intendere, parlare e scriuere la lingua Francese con molta facilità, e in breue […].93 Sie erschien trotz bzw. gerade wegen der antispanischen Revolten der Jahre 1674–167894, welche die messinesische Buchproduktion zum Erliegen brachten (vgl. Lipari 1990, 28f.), im Jahr 1675 »nella Stamperia del Bisagni«95 in Messina und war dem Stadtsenat gewidmet: Explizit ist das Widmungsschreiben an »I Signori D. Francesco Belli, Cristoforo Matorana, D. Gaspare Viperano, Pavlo Giacobb, D. Francesco Crisafi, Antonino Carvso« adressiert (Paris 1675, I, a1). Sie sollen sich, so die Vorstellung des Autors, mit Hilfe der Grammatik »alla lettura di essa [lingua francese, T.A.] nell’hore disapplicate da negotij e gouerno publico« (Ders. 1675, I, a3) widmen.

Offensichtlich war der Druck eines solchen Sprachlehrwerkes im Oktavformat für nicht frankophone, aber frankophile Messinesen in diesen Zeiten des Aufruhrs,96 in denen sogar ein Zeitungsblatt, der Giornale di Messina erschien97, eine dringende Notwendigkeit.

Es ist verwunderlich, dass sich die messinesischen Senatoren ausgerechnet an den in der französischen Grammatikografie unbekannten, pseudonymischen (?) Roberto Paris di Parigi wandten und keine bekannte Grammatik, zum Beispiel die eines Lonchamps-Franciosini importierten bzw. wie sonst für Sizilien typischerweise außerhalb, zum Beispiel in Venedig oder aber auch vor Ort nachdrucken ließen.98

Der Autor Paris, »Professore delle lingue« (Frontispiz),99 ist laut Selbstauskunft aus dem Leserhinweis seit 15 Jahren erfahrener Französischlehrer mit langjähriger Lehrpraxis in Paris, England, Schottland, Holland, Flandern, Deutschland und »per tutta l’Italia« (Ders. 1675, I, a6) und rühmt sich, bereits eine lateinisch-französische sowie eine französisch-englische Grammatik publiziert zu haben.100 Es ist anzunehmen, das diese als Vorlage dienten und Paris die Dreiteilung des Lehrwerks in Aussprache, Grammatik und konversationellen Sprachführer101 auf Messina adaptiertend ins Italienische übertrug,102 nicht ohne jedoch interferenzielle Spuren zu hinterlassen, wie beispielsweise die auffällige Realisierung des Pronomens der 1. und 2. Person Singular in Subjektposition, Lehnübertragungen aus dem Französischen wie zum Beispiel »non ci è che« (I, a5) aus dem Französischen n’il y a que; Partitivkonstruktionen »con del pane, del biscotto« (II, 73) oder beinahe systematisch erscheinende Kongruenzfehler (zum Beispiel »tre sorte« [I, 49]; »troppo acqua« [II, 66]).

Im Leserhinweis verspricht Paris mit politisch induziertem Lob einen schnellen und effektiven Selbstlernkurs der französischen Sprache – »che per lo spatio di quattro cento anni è stata esiliata da questo Regno« (I, a3) – ohne Vorkenntnisse besitzen zu müssen:

[38] […] la ragione per la quale alcuni la stimano difficile è perche quelli non hanno mai imparato altra lingua che quella di loro madre, mi pare ch’vna lingua, non si deue stimare molto difficile la quale si può imparare nel [sic] spatio di tre o quattro mesi, io l’ho insegnata a qualche persona di questa Città dentro questo termine; […]. Quello che pare il più difficile nella lingua Francese per i principianti è la lettura, niente di meno non ci è che vn [sic] studio che di otto giorni […]. […] io non dubito che tu non troui facilissime le regole che ti ho dato purche tu t’applichi solamente quindeci giorni allo studio. Le regole ch’io ho messo per traducere le parole italiane in Francese t’impareranno in vna mez’hora di tempo vna infinitá di motti Francesi. (Paris 1675, I, a5)

In jedem Fall zeigt diese pädagogische Grammatik exemplarisch, dass »der Französischunterricht […] bis ins 18. Jh. eine Einzelfallgeschichte bleiben wird.« (Kuhfuß 2014, 629; vgl. auch Kap. 6.3, Anm. 138). Die genaue sprachexterne Kontextualisierung im Netz von Abhängigkeiten der französischen bzw. europäischen Grammatikografie dieser bisher von der Forschung kaum beachteten103 Gebrauchsgrammatik sowie die sprachinterne Analyse, insbesondere die Identifizierung der Interferenzen bzw. Hyperkorrektismen aus dem Französischen, Italienischen und Sizilianischen könnte lohnender Gegenstand einer gesonderten Studie sein (vgl. Ambrosch-Baroua/Hafner im Druck).104

6.2.4 Mikroanalyse: sizilianische Druckwerke

6.2.4.1 Pragmatik

Wie im Eingangskapitel bereits angedeutet, sieht der vorherrschende Forschungstenor das Sizilianische dem ›Siegeszug‹ des Toskanischen ausgesetzt. In dieser Sichtweise der Be- bzw. Verdrängung wird mit der Veröffentlichung des ersten technisch-wissenschaftlichen Traktats auf Sizilianisch gemeinhin eine Zäsur beschrieben. Wird der oben kurz erwähnte Arezzo als »iniziatore del sicilianismo linguistico« (Alfieri 1992, 819) angesehen, so gilt Antonio Venuto als »primo rappresentante della prospettiva di italianità culturale e linguistica« (Abbamonte 2008, VIII)105 – aufgrund folgender, prominenter Passage aus seinem Traktat De Agricultura (1516):

[39] Hebi animo a questo mio librecto aprire le porte Et per el regno de Sicilia solamente donarle liberta che trascorrendo uada Et in siculo idioma constructo per esser in queste nostre parti con piu facilita da tucti inteso nobilitato ancora d’alcuni uocaboli de quella ecelsa et principal lengua toscana acioche quando accadesse che contra el mio instituto ne le Italice parti se trasportasse non fosse per la basseza del patrio parlare del tucto uilipenso (Venuto 1516, 115–19, zit. nach Abbamonte 2008, 6)

Mindestens genauso aufschlussreich wie die an Stigma und Prestige gekoppelte Autoperzeption des Raums (»basseza del patrio parlare« versus »ecelsa et principal lengua toscana« und »queste nostre parti« versus »le Italice parti«) ist der Konnex von hybrider Sprachform106, Toskanisierung und Druckgeschichte des Werks. Abbamonte beweist überzeugend in einem Abgleich der Ausgaben von 1516 und 1556107 eine (auch) von den neapolitanischen bzw. venezianischen Druckern ausgehende (Hyper-)Toskanisierung bzw. Desizilianisierung/Demeridionalisierung des Textes auf grafischer, phonetischer und lexikalisch-semantischer Ebene (Abbamonte 2008, X–XIII).108 In vortrefflicher Weise findet sich mit dem Traktat Quondams Aussage bestätigt, wonach

[…] il libro è il frutto di un lavoro di più mani che si sovrappongono: quella dell’autore, quella del compositore, quella del correttore-revisore (che agisce prima e dopo le bozze), ciascuno con la sua competenza, il suo codice culturale. Un percorso ad alto indice d’interferenza e di rischio: dell’errore come – all’opposto – dell’ipercorettismo. (Quondam 1978, 190)

Fraglich ist dennoch, mit der Abhandlung als »primo testimone della diffusione dell’italiano (toscano) nell’isola« (Abbamonte 2008, Klappentext) einen terminus post quem für ein Nachlassen politischer und sprachlicher Autonomiebestrebungen der Insel festzulegen. Erstens kann ein italienischer Einfluss bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in der Diskurstradition der »libri di segreti« nachgewiesen werden (vgl. Soares da Silva 2015); außerdem ist das Italienische auch 1478 in der Vulgarisierung bzw. Sprachmischung der gedruckten La protesta dei messinesi bezeugt, wenn auch nicht in exklusiver Form (vgl. Kap. 6.2, Anm. 27). Darüber hinaus sind in EDIT16 2014 bereits in den Jahren 1514 und 1515 zwei palermitanische Druckwerke auf Italienisch verzeichnet.109 Zweitens wird knapp 20 Jahre später nach Erscheinen von De Agricultura im Jahr 1534 mit Arezzo die Sprachdebatte um den Primat des Sizilianischen angestoßen (vgl. Kap. 6.2.4.6) – ein Indiz für eine Distanzierung vom hohen Stellenwert der Literatursprache des Festlandes. Entscheidend ist, dass Venuto Anfang des Cinquecento bewusst Fachprosa auf Sizilianisch in seiner Muttersprache verfasste, diese aber wohl aus Kapazitätsgründen außerhalb der Insel gedruckt werden musste (vgl. D’Angelo 1967, 478), und dass der Traktat in diesem Zuge durch die Zwänge des Buchdrucks im sikulo-toskanischen Idiom popularisiert – bzw. laut Venuto »nobilitiert« – wurde, und dies wohlgemerkt knapp zehn Jahre vor Erscheinen von Bembos Prose (Bembo 1525): Nach der vermutlichen editio princeps 1510 in Palermo (vgl. Abbamonte 2008, IX, Anm. 3) erschien es 1516 zunächst in einer neapolitanischen Offizin im Quartformat und ab 1536 in der Druckkapitale Venedig im Oktavformat, 1556 in °12 und 1566 in °16 (vgl. Manzi 1971, 73) – sukzessive also für einen vergrößerten Leserkreis hinsichtlich der Sprachform toskanisiert und in Bezug auf die Erscheinungsform verkleinert. Bemerkenswerterweise erscheint der ›Exildruck‹ 1589 »Di nuouo ristampato e di moltissimi errori corretto« (Frontispiz zit. nach BEPA 1998, 183; Nr. 419) wiederum in Palermo, zu dem ›druckreifen‹ Zeitpunkt nämlich, »quando le tipografie dell’isola si saranno adeguate al progresso tipografico« (D’Angelo 1967, 478).

6.2.4.2 Schöngeistige Literatur, Populärliteratur, religiöse Literatur

Der Traktat ist tatsächlich singulär im Vergleich zu den anderen Druckwerken auf Sizilianisch, die vorwiegend aus der religiös-literarischen bzw. divulgativen Diskursdomäne stammen.110 Auch einige literarische,111 lokalgeschichtliche112 und philologische cinquecentine, teilweise mit toskanischem bzw. toskanisiertem Titel, sind in EDIT16 2014 repertorisiert. Vorherrschendes Formmerkmal dieser Drucke mit überwiegend eigenbezogenen Themen ist die Versform:

La perdita della prosa è certo il più grosso cedimento di quella coscienza linguistico-culturale che aveva contraddistinto l’esperienza letteraria tre e quattrocentesca nei confronti del toscano, la cui invadenza è certo favorita dalla diffusione della stampa […]. (Di Girolamo/Rinaldi/Sgroi 1996, 379)

Die sizilianischen Literaten bedienen sich des Petrarkismus und verwenden in ihrer Schäferdichtung und Epik ein unmarkiertes siciliano aulicizzato (Dies. 1996, 373). Das Spektrum reicht im Seicento im Printsektor von der Übersetzung von Piramo e Tisbe (Aversa 1617) und L’Eneidi di Virgiliu (Aversa 1654, Palermo, bei Bua, 4 Bde.) von Tommaso Averso, der auch die ersten Theatertexte, zumindest in der ersten Fassung, komplett auf Sizilianisch schreibt (zum Beispiel La Notti di Palermu, 1638)113 über einige Hirtendichtungen bis hin zu zahlreichen, weitgehend verlorenen volkstümlichen Lesestoffen,114 zu denen auch die typischen so genannten Siciliane zählen, zum Beispiel die anonymen Li multi vuci (Anonym 1621, Neapel) oder Tuppi tuppi (Anonym 1665, Messina).115 Diese lyrischen canzonette oder contrasti von nur wenigen Seiten sind zusammen mit den Villanelle und den Napoletane charakteristische populäre Lese- bzw. auch und vor allem Vorlesestoffe für Süditalien, zirkulieren aber auf der ganzen Halbinsel,

[…] talora nel dialetto originale, talora malamente tradotti in italiano, spesso confusi tra villanelle, contrasti, zingaresche, storie in italiano o in vari dialetti, dal veneto al bergamasco, al milanese al napolitano. Queste stampe popolari documentano con la massima evidenza che una tradizione a stampa esiste dagli ultimi anni del cinquecento sino alle ristampe […] di vent’anni fa. (Nalli 1932, 14)

Sizilianisch befindet sich in den lyrischen und religiös-literarischen Diskurstraditionen stets im Windschatten der toskanischen Sprache; die sizilianischen Autoren suchen im Wortsinn Anschluss an die Halbinsel mittels oftmals bereits toskanischer Titel und durch »[…] sistematiche allocuzioni ›al lettor toscano‹ o ›all’amico lector toscano‹, premesse alle raccolte poetiche siciliane, miranti a raggiungere il destinatario non isolano, non per mera contattazione fatica, ma nella concreta e solida certezza di una identità linguistica, se non politica, italiana« (Alfieri 1990, 322), so die Interpretation von Alfieri, die sich auch teilweise im Paratext der Werke der questione della lingua siciliana bestätigt findet (vgl. Kap. 6.2.4.6).

6.2.4.3 Katechetik

Der umgekehrte Fall, dass Sizilianisch sozusagen aus seinem Schattendasein heraustreten und einen nähe- und distanzsprachlichen Geltungsbereich erobern kann, ist aber auch möglich. Er betrifft in Sizilien die Katechetik: Im Rahmen der jesuitischen/religiösen Bildungsarbeit müssen im Sinne der Gläubigen Simplifizierungsstrategien angewendet werden:

La scelta del volgare locale come strumento che permette la divulgazione del messaggio religioso è in tal caso una strada obbligata, in quanto il volgare è generalmente l’unico codice posseduto non solo dai fedeli, ma anche dalla maggior parte del clero. (D’Agostino 1988, 45)

D’Agostino rekonstruiert anhand der sprachlichen Analyse der insulären Synodenakten eine sukzessive Sizilianisierung in der christlichen Doktrin (Dies. 1988, 50–53): Nachdem zunächst sprachliche ›Einsprengsel‹ in vermeintlich einsprachigen Titeln zu konstatieren sind, wie beispielsweise der funktionale und zielgruppenorientierte Kodewechsel ins Toskoitalienische in den lateinischen Synodenakten von Syrakus (1553) und Cefalù (1584),116 häufen sich ab 1650 in den weiteren Akten die expliziten Nennungen der »vernacula lingua«/»vulgari idiomate« für konvergentes Sprechverhalten, das heißt als Mittel der Verständnissicherung (und nicht mehr nur als bloße Memorierhilfe), da Latein für die Schüler keine Verstehenshilfe (mehr) zu leisten scheint. Es bleibt allerdings unklar, welches volgare, also Italienisch oder Sizilianisch, gemeint ist, bis 1679 in den palermitanischen Akten verabschiedet wird »ut non alia quam lingua patria utantur« und infolgedessen auch eine »Doctrinam Christianam […] patrio idiomate typis ederentur« (zit. nach Ders. 1988, 45). Dabei handelt es sich um die Übersetzung einer spanischen Doktrin »nella lingua Siciliana per maggiuri commodità di tutti i Populi della sua Diocesi« (Anonym 1679, Titelblatt)117 – und damit um das einzige Druckwerk des Korpus mit dieser Übersetzungsrichtung während der spanischen Herrschaftsperiode. Während auf Sardinien die Synoden wohlgemerkt auf Spanisch verfasst sind und nach anfänglicher Sprachfrage der Katechetik (Sardisch oder Italienisch) die spanische Sprachpolitik bereits Ende des 16. Jahrhunderts offiziell keine sprachliche Alternativlösung zulässt – und dessen ungeachtet vergleichsweise früh eine vom Italienischen ins Sardische übertragene Doctrina Cristiana (Anonym 1601 Rom; 1616, 2. Aufl., Sassari) gedruckt wird – besteht auf Sizilien im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert sowohl in den Synoden als auch in der Katechese die Wahl »fra latino e lingua locale: tertium non datur« (D’Agostino 1988, 55; vgl. Kap. 6.1.4.3).

6.2.4.4 Sizilianisch im Theater

Verwendung fand das Sizilianische schließlich auch im Theater. Es wurden, zumindest in ihrer ersten Fassung, Komödien vollständig auf Sizilianisch und auch Regieanweisungen für Spektakel auf Sizilianisch verfasst, die dann aber im Lauf des Cinquecento dem Toskanischen weichen, wie sich auf Basis von Isgrò 1981 nachweisen lässt.

In der commedia popolaresca erfolgte die Verkörperung der »psicologia popolare siciliana« (Isgrò 1981, 273) mittels der Dienerfigur namens Fantastico Rapa, Todaro Calcagna, Bertu Spicchiu, Nino, Tiberio, Catonzu oder Nardu.118 Der oben bereits erwähnte erfolgreiche Komödienautor Aversa erklärt selbst, wie diese Figur als Gegenperspektive ›von unten‹ konzipiert sei: »per far conoscere al mondo, che questa nostra terra è madre non solo di persone di qualità e nobili costumi dotate, ma eziandio tra gente bassa di alcune di spirito vivace e faceto molto necessarie per la commedia« (zit. nach Ders. 1981, 316). Nicht nur durch das äußere Erscheinungsbild wie Leibesfülle und große Nase wird der »uomo volgarissimo« karikiert119, insbesondere auch durch die Mimesis der Nähesprache des Sizilianischen hebt er sich vor allem von der gewählten Ausdrucksweise seiner Herren ab. An dieser Stelle sei auf Ferlazzos Analyse der fingierten Mündlichkeit des selbstbetitelten »mezu gentilomu sicilianu« Catonzu verwiesen, Diener in Vincenzo Belandos Komödie Gli amorosi inganni (Belando 1609), der sich rühmt, »putrunu« (Schmarotzer) und »gulutu« (Schlemmer) zu sein (Ferlazzo 2010a; Dies. 2010b; vgl. auch Isgrò 1981, 314 Anm. 79).120 Die linguistische Untersuchung könnte durch einen Vergleich mit den anderen obenstehenden »servi buffi« noch vertieft werden.

Die mehrsprachige Liebeskomödie von Belando, welche in Paris erschien, aber eventuell einige Jahre zuvor bereits in Palermo gedruckt wurde,121 zeigt in Paratext und Text prototypische Aspekte der inszenierten und individuellen Mehrsprachigkeit auf:

1)  Polyphonie der Komödie und Stellenwert der Bühnensprachen: Die sozialen Rollenverteilungen spiegeln sich in der jeweiligen Sprache der Figuren wider: Auf Toskanisch sprechen die beiden ineinander verliebten Hauptfiguren; realitätsnaher reden die Alten (Venezianisch oder Bolognesisch) sowie die komischen Figuren der Diener auf Bergamaskisch, Neapolitanisch oder eben Sizilianisch wie Catonzu, der das Alter Ego des Autors Belando personifiziert.

2)  Individuelle Mehrsprachigkeit und Spracherwerb: Es ist offensichtlich, dass Belando als Autor und Theaterschauspieler über ein großes Sprachrepertoire verfügt,122 dennoch hält er es für notwendig, sich für seine defektive Sprachkompetenz beim »Benigno Lettore« (auf Italienisch) toposartig zu entschuldigen und das angehängte Glossar anzukündigen:

[40] Mi scuso anco che in cinque lingue, cioè la buona toscana, la spagnola, la siciliana, la bergamasca e la veneziana, non si può non solamente esser perito in tutte, ma perfetto in una sola; ho ben scelto i più chiari vocaboli che mi son parsi più intelligibili, massimamente nelle tre, non v’essendo regola ch’io sappia. (Belando [1609] 1985, 206)

Auch betont Belando in diesem Zusammenhang explizit, der Capitano Basilisco »favellerà castigliano piu che potrà« (Ders. [1609] 1985, 206).123 Nach dem Haupttext folgt eine Dankesrede »Al molto magnifico signore Cesare Udin, Secretario Interprete del Re Christianissimo«, aus der hervorgeht, dass Belando die spanische Sprache einst vertraut gewesen sein muss, er ihre Beherrschung aber dank der Sprachautorität von César Oudin, Autor der Grammaire et observations de la langue Espagnolle recueillies et mises en Francois (Oudin 1597, Paris)124 nun wiedererlangt hat:

[41] Ringrazio ben Vostra Signoria con quello più caldissimo affetto che sia possibile, poiché mercé vostra vi sete affaticato a limarmi la lingua spagnuola, già coperta dalla rugine dell’oblivione. Di Vostra Signoria molto Magnifica, affezionatissimo amico per sempre. (Belando [1609] 1985, 286)125

Auf der Grundlage Oudins erstellt er wohl die angeschlossene »Dichiaratione dei vocaboli oscuri spagnuoli e siciliani per Alfabeto«. Diese Wörterliste von circa 130 spanischen und 60 sizilianischen Wörtern mit ihren italienischen Entsprechungen ist eine Art Wortindex oder Kommentarapparat des Theatertextes, konzipiert »per più intelligenza del lettore« (Ders. [1609] 1985, Frontispiz; vgl. Gallina 1957, 219–226). Es stellt sich die Frage, ob damit dem Pariser oder dem sizilianischen Leser Übersetzungshilfen in den beiden Idiomen geboten wurden.

6.2.4.5 Sizilianische Lexikografie und Grammatikografie

Nachschlagewerke für einen höchstwahrscheinlich anderen Zweck, nämlich für den akademischen Unterricht und somit Produkte der Lexikografie im klassischen Sinn, stellen die beiden ersten zweisprachigen Wörterbücher des Sizilianischen dar.

Das lateinisch-sizilianische Wörterbuch von Nicolò Valla (1500) und jenes zwei- und dreisprachige (lat~siz; lat~siz~sp) des Spaniers Cristoforo Scobar (1519/1520) sind frühe Exportaufträge aus der Druckkapitale Venedig126 und regionallexikografische Produkte humanistischer Schule.127 Valla sammelte laut Vorwort für sizilianische Adressaten die gebräuchlichsten Wörter Agrigents und übersetzte sie ins Lateinische, gab aber zusätzlich auch toskanische und hybride Äquivalente an, da er sich in zweiter Linie auch an toskanische Schüler wandte.128 Scobars im Vergleich zum Vallilium wesentlich voluminöseres, aber weniger auflagenstarkes Wörterbuch in zwei Bänden129 Vocabularium Nebrissense ex Latino sermone in Siciliensem & Hispaniensem denuo traductum […]130 ist eine Umarbeitung bzw. Erweiterung mit Integration der sizilianischen Volkssprache zweier lateinisch-spanischer Nachschlagewerke seines Lehrmeisters Antonio Nebrija (Nebrija 1492/1495 beide Salamanca) und war vermutlich für den Lateinunterricht in Scobars Latein-Schule bestimmt, die er nach dem Vorbild Nebrijas in Syrakus gründete. Im lateinischen Frontispiz hofft der Autor mit seinem Werk sowohl Sizilianern als auch Spaniern nützlich zu sein: »In quo negocio bonae quantum sit frugis: quanta & Siculae posteritati & Hispane futura eruditio: a caeteris existimatum iri: quam a me in presentiarum depromi honestius putamus.« (Scobar 1519, o.S.).

Abbildung 30: Cristoforo Scobar, Vocabularium Nebrissense ex Latino sermone in Siciliensem & Hispaniensem denuo traductum, Venedig 1519/1520, Titelblatt.

Abbildung 30: Cristoforo Scobar, Vocabularium Nebrissense ex Latino sermone in Siciliensem & Hispaniensem denuo traductum, Venedig 1519/1520, Titelblatt.

Kurioserweise wurde erst 150 Jahre später, circa zur Mitte des 17. Jahrhunderts, die lexikografische Tätigkeit auf der Insel wieder aufgenommen – diesmal in einem puristischen Sinne, das heißt, indem dem Akademiewörterbuch der Crusca (1612) nachgeeifert wird (vgl. Pitré 1870). Die vier Wörterbücher blieben jedoch ungedruckt.131 Erst 1751 erschien ein sizilianisch-italienisch-lateinisches gedrucktes Großwörterbuch;132 es kann als erstes modernes und vollständiges Wörterbuch des Sizilianischen gelten (vgl. Varvaro 1976, 96).

Die Grammatikografie der Insel belegt eindeutig eine Toskanisierung; die lateinisch-sizilianische De grammatica dialogi […] cum Sicula multorum verborum, & sententiarum expositione. Accedunt facilissima tyruncularum rudimenta (Littara 1578, Palermo) von Vincenzo Littara stellt unter den anderen insulären Lateingrammatiken mit toskanischer Metasprache eine Ausnahme dar und dient wie Scobars Wörterbuch zu Unterrichtszwecken.133

Auffällig ist die Ausarbeitung orthoepischer Regeln des Italienischen, die wohl ebenfalls für den gesteuerten Zweitspracherwerb benötigt wurden.134 Exemplarisch dafür steht die Prosodia Italiana, overo l’Arte con l’uso degli accenti nella volgar favella d’Italia (Spadafora [1682] 1709)135 des palermitanischen Jesuiten Placido Spadafora. Nach ausführlicher Verteidigung des Konnex von tosko-sizilianischer Dichtung und Sprache erklärt der Autor in den »Vitii da schifarsi nel leggere«:

[42] Sogliono bene spesso i giovani Siciliani, inesperti della Toscana lingua commettere alcuni errori, ò leggendo, ò ragionando, i quali piacemi di registrar quì brevemente […]. (Spadafora [1682] 1709, o.S.)

Anschließend beschreibt er einige Unterschiede zwischen der sizilianischen und der italienischen Aussprache, zum Beispiel der Allophone des Grafems <z>: »In Sicilia ve n’ ha quattro, e forse più, che chiaramente si differentiano nella pronuntia della zeta« (Ders. 1682, o.S.); oder den unterschiedlichen Öffnungsgrad der beiden Vokale:

[43] […] l’E, e l’O: perocche non tutti van proferiti d’vna maniera, come vsaron già i Latini, appo i quali l’vno e l’altro fu sempre largo, ed aperto: il che tuttauia si mantiene in Sicilia, doue la detta lingua cominciò a corrompersi, ed hebbe i suoi natali la volgare, da chi detta oggi Toscana, e da chi Italiana. (Spadafora [1682] 1709, o.S.)

Die zwei genuinen sizilianischen Grammatiken – die Osservationi von Arezzo (Arezzo 1543) und Galeanos Grammatica siciliana (Galeano 1645) – werden im Rahmen der nachstehenden questione della lingua siciliana vorgestellt, deren Hauptziel es ist, wie eben in Spadaforas Zitat angeklungen, die Leitvarietät Toskanisch mit der sizilianischen Sprache und Dichtung gewissermaßen zu ›synchronisieren‹ und damit das Sizilianische aufzuwerten (vgl. Zitat 42). Wie wird in dieser Sprachdebatte über Mehrsprachigkeit reflektiert?

6.2.4.6 Zwischen Identität und Alterität – die questione della lingua siciliana: Arezzo, Veneziano, Galeano

Die questione della lingua siciliana wurzelt nicht in Bembo, sondern in Dante, zu dem Sizilien bereits eine traditionsreiche Beziehung pflegte (vgl. Mengaldo/Pontieri/Santangelo 1970; Krefeld 2010a).136 Eine insuläre »rielaborazione della fonte« (Mengaldo/Pontieri/Santangelo 1970) gilt für Dantes Klassiker, die Commedia, vielmehr aber noch für seine Sprachtheorie De vulgari eloquentia, die durch Gian Giorgio Trissinos Übersetzung ins Italienische im Jahr 1529 in Italien wieder Öffentlichkeit erfuhr137 und wohl auch Claudio Maria Arezzo während seines Bologna-Aufenthaltes (1529/30)138, genauso wie wahrscheinlich Bembos Prose, zugänglich wurde (vgl. Piccitto 1967).

6.2.4.6.1 Claudio Maria Arezzo (1543): Osservantii dila lingua siciliana et canzoni inlo proprio idioma

Indem Dante autorisiert und Bembo de-autorisiert wird, insbesondere aufgrund ihrer jeweiligen Kommentare zum »siculo idioma«, begründet der syrakusanische Universalgelehrte Arezzo139 mit seinen Osservationi dila lingua siciliana et canzoni inlo proprio idioma (1543, Messina, bei Spira) sozusagen die ›Monogenesetheorie‹ zum Toskanischen, die bis ins 19. Jahrhundert bekräftigt wurde (vgl. Vitale 1986, 22), wonach siciliano illustre nichts anderes sei als toscano illustre.140

Aufbau, Inhalt und Adressatenkreis von De vulgari eloquentia (1304?) schimmern auch in den Osservationi durch, nämlich:

–    in der zweigeteilten Struktur der Grammatik- und Stilfibel (20 Grammatikkapiteln folgen die »Canzoni«);

–    im nach Arezzo konstruktiveren ›Insiderpublikum‹: Nicht-insuläre Leser sind von vornherein ausgeschlossen, vor allem diejenigen, die »fanno in Italia publicamenti professioni« (Arezzo [1543] 2008, 9); Dante schrieb seinen Traktat bewusst in der Gelehrtensprache Latein und grenzte ebenfalls die Leserschaft ein;

–    in den Grundprinzipien des »poetizar in lingua vulgara« (3) und des »lassar la lingua latina et sequir la vulgara« (3).

Arezzos dantephile bzw. antibembistische Haltung zeigt sich ferner in der Zitierrate der »authoritati«, das heißt der Tre Corone und der sizilianischen Literaten.141 Auch die Grundannahme der »invention di rimi« (15) seitens der Sizilianer und Provenzalen ist beiden gemeinsam. In höchstem Einklang mit Dante befindet sich Arezzo freilich darin, die sizilianische Dichterschule als Wiege der toskanischen Literatur zu betrachten bzw. (Alt-)Sizilianisch zu definieren als

[44] […] non esseri altro salvo quillo chi hogi li thoscani per loro si hanno apropiato et quillo con lo quali Danti et tutti li altri di quillu seculo li loro poemi scrissiro. (Arezzo [1543] 2008, 6)

[45] Pari adunca chi non solo Sicilia è di Italia, ma che in quillo tempo parlava meglio chi tutta Italia. (Arezzo [1543] 2008, 26)

Arezzos Grundproblem besteht nun darin, dass das ursprüngliche Altsizilianisch zwar »più limato di altri di Italia« (3) sei und »la fama sopra li altri di Italia« (6) habe, jedoch habe es durch Infiltrationen mit fremden und eigenen Varietäten an (literarischer) Qualität eingebüßt:

[46] Como di poi sia stata issa nostra lingua turbata, io non pozo iudicare: si non fussi la causa lo miscarsi in parti con la franzesa in lo tempo di Carlo, conti di Provenza, ancorchì per poco spacio di tempo regnato havissi, e di poi con la aragonesa & catalana; o puro chi dili nostri doi, zoè di la rustica et triviali, et dila piú limata, fussi formata quista laqual al presenti ni resta. (Arezzo [1543] 2008, 6)

Sein Vorschlag, und hier befindet er sich im Windschatten von Bembos »leggi et regole dello scrivere« (Bembo 1525, 2v), lautet daher,

[47] […] limar quista nostra lingua stringendola sotta certi reguli, poi chi vidimo li scrittor greci, li latini et li siciliani ancora in quillo tempo, & hogi li thoscani, non scriviri in la composition di lor poemi di quillo modo chi lo vulgo parlar soli. Et quisto con quilla modestia chi non ni mostrassimo puri thoscani, ma fugiendo ogni affettazioni, potissimo, moderando quilli goffi vocaboli li quali per la bucca di vulgo e di nostri rustici versano, piú limata menti issi nostri rimi scriviri. (Arezzo [1543] 2008, 6)

Dass diese Kodifizierung wohlgemerkt auf die Dichtung beschränkt ist – »lassando chi in la prosa pozi ogni uno eligiri (a quilli dila nostra Academia parlando) quilla lingua chi meglio li parirà« (7) –, beweist er selbst indirekt mit seiner interferierten Sprachform142, nicht zuletzt mit seinen weiteren Schriften, bei welchen er die lateinische Sprachwahl im Nachhinein bereut (36). Die Vormachtstellung der lateinischen Sprache kritisiert er auch im Bereich des Glaubens143 – damit bezieht sich Arezzos wertende Sprachreflexion zusammenfassend auf Ursprung, Beschaffenheit und Geltungsbereich des Sizilianischen primär im Vergleich zum Toskanischen und sekundär zum Lateinischen. Über die spanische Sprache verliert der Philologe kein Wort; sie bleibt – im Gegensatz zur sardischen Sprachreflexion (vgl. Kap. 6.1.5) – ebenfalls in den Folge-Beiträgen zur sizilianischen Sprachfrage ausgeschlossen.

Letztendlich bleibt Arezzos Theoretisierungsversuch des siciliano illustre, selbstbetitelt als experimenteller Mittelweg »novo modo« zwischen »doi extremi […] o dilo puro thoscano o di lo antico et vulgar nostro siciliano idioma« (39) sowie als »povera et trepidanti operetta« (9), zumindest in den Augen der Forschung eine Art Selbstgespräch ohne direkte zeitgenössische Leserschaft und Rezeption.144

6.2.4.6.2 Antonio Veneziano (1581): Vorwort der Celia

Nachdem Dante das sizilianische volgare optioniert und Arezzo versucht hatte, dieses als buchstäblich natürlichstes Mittel der Dichtung zu nobilitieren und grammatikografisch zu erfassen,145 fand die Statuserhöhung des Sizilianischen zur Literatursprache in chronologischer Reihenfolge bei Antonio Veneziano, Senatssekretär, polyglotter Petrarkist, aber auch Dantist, eine Fortsetzung.146 In der berühmten, emotional aufgeladenen Epistola dedicatoria der Celia (1581),147 die allerdings erst 1645 im Druck erschien, rückt er wortwörtlich mit der (Mutter-)Sprache heraus und echauffiert sich über sizilianische Autoren, welche sich durch den Nichtgebrauch bzw. durch die Nichtveröffentlichung des Sizilianischen quasi selbstkasteien würden:

[48] Autri hannu avutu, ed hannu bellissimi Canzuni; ma pari, chi loru stisi si schifiassiru, nè li volinu stampari, nè lassarili vulinteri vidiri, comu si fossiru ziteddi schetti, e perdissiru pri chistu la vintura o fussiru canfora, chi l’ariu si li mangiassi. (Zit. nach Arceri 1859, XXV)

Aus seinen weiteren Erläuterungen gehen seine mehrsprachige Kompetenz und sein patriotisches Interesse an der eigenen, »mit der Muttermilch aufgesaugten Sprache« hervor, mit der er, großen Vorbildern folgend (Homer, Horaz, Petrarca),148 sein wahres Gesicht (»lu miu propriu visaggiu«) zeigen möchte und kreativ sein kann, zumal Sizilien gar kein räumlicher Geltungsbereich sei für das Toskanische:

[49] […] iu chi sú Sicilianu m’aju a fari pappagaddu di li lingui d’autru? Oh! la lingua Tuscana è cchiù comuni, ed è chiú ’ntisa; è veru in Italia, ma non in Sicilia, né appressu di li donni Siciliani, a cui la majur parti di li pueti cerca placiri,149 e fari servituti. (Zit. nach Arceri 1859, XXV)

Schließlich betont er noch die durch die Erstsprache bestmögliche Expressivität, die er jedoch der Verwendung anderer Sprachen für seriösere Zwecke gegenüberstellt:

[50] […] un grandi affettu non si basta mugghi esplicari, ch’in linguaggiu maternu, e cussí videmu, quann’unu è troppu ’n colura, o superchiu allegru dà subitu ne la propria sua lingua, pri struttissimu chi sia di parlari autri lingaggi. (Zit. nach Arceri 1859, XXV)

1645 erschien die Celia zusammen mit der lateinischen Übersetzung von Francesco Baronia Manfredi und stellt das einzige Druckwerk mit dieser Sprachenkombination dar: Celia di Antonio Vinitiani in latino fedelmente tradotta dal D.D. Francesco Baronio Manfredi. Dedicata al sig. D. Berlinghero Grauina de’ Cruyllas […] (Veneziano 1645, Palermo, bei Alfonso dell’Isola).

6.2.4.6.3 Giuseppe Galeano (1645, Palermo): Le Muse Siciliane

Während Veneziano der Gebrauch des Sizilianischen eine Herzensangelegenheit ist, knüpft Giuseppe Galeano alias Pier Giuseppe Sanclemente150 65 Jahre später wieder an Arezzo an, indem er mit seinen Le Muse Siciliane (Galeano 1645, I, Palermo, bei Bua/Portanova)151 in systematischer Weise ein Werk mit kodifizierendem und kanonisierendem Anspruch vorlegt.152

Dem eigentlichen Inhalt des Werkes – einer 798 »canzuni« umfassenden Gedichtanthologie von 21 alphabetisch (nach Vornamen) aufgelisteten sizilianischen Autoren »per tutta Italia conosciute ed ammirate« (Galeano [1645] 1996, 36), ist eine Grammatik vorangestellt. Die Metasprache des Paratextes ist im Unterschied zu Arezzo und Veneziano Italienisch, da Sizilianisch – an dieser Stelle sei an die gleiche Argumentation bei Arezzo erinnert – für Prosazwecke noch nicht genug ausgebaut sei, wie Galeano in der Widmung »Al Signor Don Ugo Notarbartolo« erläutert:

[51] E benché tutta l’opera sia nella Siciliana lingua composta, ho voluto nulladimeno i titoli e tutte l’altre prose nell’Italiana favella descrivere, perché, sì come nella lirica Poesia il nostro Idioma riesce a meraviglia espressivo degli amorosi concetti, nelle prose però non ha ancora havuto quella perfettione che a buon scrittore richiederebbesi. (Galeano [1645] 1996, 32)

Im Gegensatz zu Arezzo, der die Osservationii nur an In-Group-Sprecher bzw. Schreiber adressiert, wendet sich Galeano interessanterweise in zwei separaten Leserhinweisen an ein zweifaches Zielpublikum: »chi legge o è nativo della Sicilia, o forastiere« (Ders. [1645] 1996, 50). Im ersten Vorwort »A i Lettori italiani« thematisiert er den einzigartigen Wohlklang verschiedener Sprachen wie Griechisch, Latein, Toskanisch, Spanisch, Französisch, aber nichts reiche an die Poetizität des Sizilianischen heran:

[52] […] nessun’altra si ritrova che tanto proportionata si renda allo spiegamento degli affetti d’Amore e delle tenerezze degli amanti, quanto la Siciliana favella. […] hor’acuta, hor concettosa, hor leggiadra, hor grave ed hor sonora si rende […]. (Galeano [1645] 1996, 35)

Zudem bietet er ein Werk zum Primat des Sizilianischen: »la nostra lingua è più tosto madre che figlia dell’Italiana« (36):

[53] Né perché sia la lingua siciliana, a dirne il vero, inferiore nell’altre conditioni all’Italiana, Latina e Greca, si rende però manco riguardevole eziandio a i compositori dell’altre favelle, ed in ispezieltà a i Toscani, per la somiglianza e connessione che hanno coi siciliani. […] Questo però è certissimo, che quanto la siciliana cede all’Italiana in vaghezza e leggiadria, tanto l’Italiana all’incontro è dalla nostra superata nelle tenerezze e ne’ pensieri d’Amore. Hanno perciò queste due favelle una tal corrispondenza fra di loro che sembrano sorelle (Galeano [1645] 1996, 36)

Die angeschlossene kontrastive »picciola grammatica Siciliana« (36–48) ist weiterhin explizit an die »forastieri lettori« gerichtet »nell’intelligenza d’alcune voci e nelle maniere proprie della nostra lingua […] intorno alla dichiarazione della nostra lingua, acciocché siano questi componimenti con agevolezza fuori della nostra Isola intesi.« (36). Sie umfasst die klassischen Redeteile (»Lettere Vocali«, »Consonanti«; »Articoli«; »Pronomi«; »Verbi«; eine Liste von 12 gegenübergestellten »Prepositioni« und 15 »Avverbij«) sowie eine Art Fachglossar von 243 »Voci«, ebenfalls in zwei Kolonnen (siz~it) und alphabetisch angeordnet »dell’intelligenza delle nostre composizioni« (42).

Mit dem zweiten, gleichfalls auf Italienisch gehaltenen Leserhinweis »A i siciliani Lettori« zieht Galeano den Trumpf des Buchdrucks: »quasi donzelle, che, sotto il torchio dell’impressore perdendo il fior virginale« (49) wird die Veröffentlichung der Canzoni Siciliane im Druck mit Ewigkeit, Ruhm und einem erweiterten Radius der Leserschaft in Verbindung gebracht:

[54] […] là dove tutte l’altre composizioni, in qualunque lingua si siano, acquistano di gran lunga più riputazione e fama imprimendiosi, di quella che a penna havevano, solamente alle nostre Siciliane deve esser piovuta questa fatale sciagura di perdere con le stampe in vece d’acquistare? (Galeano [1645] 1996, 49)

Der rhetorischen Frage folgt die Erkenntnis, dass die Verse »[…] si devono per mezzo delle stampe far vedere a coloro che non havranno agio di poterle godere in iscritto. […] Di molte Canzoni s’è perduta la memoria, perché le scritte non come le stampe han vita.« (49). Galeano beschließt das Leservorwort mit drei Hinweisen zu orthografischen Abweichungen vom sizilianischen »commune uso« (50), mit denen indirekt über die Artikulationsprobleme bzw. Überartikulationen salienter Merkmale des Sizilianischen seitens der »forastieri« informiert wird. Der erste Punkt betrifft die grafematische Realisierung des stimmhaften retroflexiven Plosivs, für den Galeano entgegen der herkömmlichen <ll>-Schreibung das Digramm <dd> verwendet.153 Im zweiten Punkt geht es um die stigmatisierte Aspiration:

[55] Secondariamente, a quelli f che noi cangiamo in x come fiume, fiore, xiumi, xiuri no deve aggiungersi l’aspiratione h, cioè xhiumi, xhiuri, perché è soverchia ed oziosa. Finalmente, io scrivo alcune voci con sc, non, come alcuni fanno, con due xx […] per essempio, nasci, non naxxi, basciu non baxxiu, ed altri somiglianti. (Galeano [1645] 1996, 50)

Zu guter Letzt fordert Galeano alle Stadt-Dichter Siziliens auf, sich nicht zu scheuen, ihre sizilianischen Kompositionen in der Buchhandlung von »Giacomo Maringo« vorbeizubringen, »il più famoso libraro de’ nostri tempi nella Sicilia« (50).154

Der letzte Diskussionsbeitrag zum chronologischen Primat des Sizilianischen ist im Vergleich zu den unmittelbar vorausgehenden moderateren, aber ungedruckten Thesen nur unwesentlich origineller.155 Er stammt vom Literaten, Philologen und Lokalhistoriker Antonio Mora Mirello.156 Er ist ein weiterer Anhänger der ›Monogenese‹ des Toskanischen, wie bereits die Titel seiner beiden in der messinesischen Accademia degli Abbarbicati gehaltenen Vorträge demonstrieren, die 1660 in Messina respektive 1662 in Cosenza erscheinen: Discorso che fa la lingua Volgare dove si vede il suo nascimento essere siciliano; Discorso dove si mostra, che la Sicilia sia stata Madre non solo dello scrivere, e poetare, ma anco della lingua Volgare (vgl. Vitale 1986; Ellena 2012, insb. 128f.).

Die Geschichte des Sprachbewusstseins, die sich anhand der vornehmlich im messinesischen Intellektuellen- bzw. Akademiemilieu geführten Sprachdebatte rekonstruieren lässt,157 wird überwölbt vom Topos der Literaturfähigkeit der sizilianischen Sprache und der Gütequalität der sizilianischen ›Ur-Literatursprache‹ Italiens. Aufschlussreich ist der Vergleich der beiden Kodifizierer Arezzo und Galeano, die zeitlich fast ein Jahrhundert und inhaltlich ihre unterschiedliche Konzeption von sprachlicher Abgrenzung und Annäherung voneinander trennt: in beiden erfolgt eine Bestandsaufnahme bzw. Aufwertung der sizilianischen Dichtung und eine Ausarbeitung grammatischer Regeln der sizilianischen Sprache zu einem rein dichterischen Zweck. Während Arezzo sein Werk mit einem neuartigen Sizilianisch als Meta- und Objektsprache sowie mit den insulären In-Group-Adressaten ausdrücklich nach außen abgrenzt, bezieht Galeano in seinem auf Italienisch verfassten Kanonwerk bewusst allochthone Sprecher mit ein. Geeignetes Mittel für die zeitlich und räumlich ›grenzenlose‹ Rezeption ist nach Galeano die Drucklegung, vor der sich nach den Aussagen von Antonio Veneziano, der sich selbst nicht mehr zur Rechtfertigung seiner Sprachwahl verpflichtet sehen mag, wiederum die autochthonen Schreiber scheuen. Bemerkenswerterweise verliert Venezianos Gedichtsammlung im Druck das proklamierte Alleinstellungsmerkmal und erscheint 1645 gemeinsam mit der lateinischen Übersetzung – ob aus tatsächlichem Erklärungsbedarf heraus oder aus persönlicher Passion des Übersetzers, bleibt fraglich. Die spanische Sprache bleibt in der Auseinandersetzung mit der eigenen idealen Sprachlichkeit der Diskutanten, anders als auf Sardinien, vollkommen außen vor und stellt keine Prestigesprache dar; auch in den Kurzbiografien vor den Gedichten in Sanclementes Muse Siciliane (Sanclemente 1645) rückt die Spanischkompetenz der Intellektuellen völlig in den Hintergrund; stattdessen stellt Sanclemente ihre beeindruckende Dreisprachigkeit (Sizilianisch, Toskanisch, Latein) heraus.

6.2.5 Zusammenfassung

Ein Insel-Charakteristikum gilt in Bezug auf den Buchdruck genauso wie für Sardinien: »Si rielaborava molto, ma si produceva poco.« (Resta 1992, 780). Der größte Unterschied zwischen den beiden spanischen Provinzen Sizilien und Sardinien liegt, wie gezeigt wurde, im jeweils buchstäblich abgedruckten Sprachprofil bzw. der spiegelbildlichen Polyglossie der Sprachen und Varietäten: Während auf Sardinien die Sprache der Herrscher, also das Spanische, institutionalisiert und integriert wird und die italienische Sprache in der gedruckten Schriftlichkeit völlig unterrepräsentiert ist, dominiert auf Sizilien unstrittig das Italienische – mit Ausnahme der Katechese – in sämtlichen Diskurstraditionen der gedruckten Schriftlichkeit wie auch in der Sprachreflexion.

Spanisch ist, zumindest im Cinquecento, nicht einmal als offiziell etablierte ›Reichssprache‹ im Druck registriert; erst im Seicento deckt es einen schmalen Bereich der Produktion ab und bleibt generell dem Dunstkreis der Regierung und kirchlicher Institutionen verhaftet. Im Vergleich zum Toskanischen besitzt es zwar keine gleich hohe Priorität als Distanzsprache – das beweisen auch die Schriften spanischer Autoren, die primär in italienischer Sprache auf der Insel erschienen (vgl. Pàstena 2012, 348)158 – dennoch scheint es ein verfehltes Urteil, das Spanische als fremde und »niemals für den Inlandsgebrauch« (Lo Piparo 1987b, 54) bestimmte Sprache zu etikettieren. Zudem gibt es zahlreiche mehrsprachige Sizilianer aus den Spitzen der Gesellschaft, die überwiegend religiöse Literatur, aber auch wissenschaftliche Texte auf Spanisch (neben Toskanisch und Latein) schreiben und publizieren, allerdings weder auf der Insel noch auf dem Festland, sondern in Spanien (vgl. Michel 1996, 73–76).159 Die Verwendung des Sizilianischen beschränkt sich im Druck vorwiegend auf die Domäne der Literatur. Vom höchsten Register, der Dichtung als identitärem und dem Toskanischen mindestens ebenbürtigem Ausdrucksmittel, mit dem die Poeten an die Tradition des beachtlichen, wenn auch eher künstlichen Ausbaus der Lyrik der sizilianischen Dichterschule anknüpfen wollten, bewegt sich der Gebrauch über die (para-)religiöse Literatur und Populärliteratur hin zum anderen Pol, der Nähesprache bzw. buchstäblichen Low-Varietät des bauernschlauen, insulären Dieners. Eine diatopische Variation des Sizilianischen ist nicht in den Drucken festzustellen bzw. wurde auch nicht bewusst als Stilmittel eingesetzt.160 Die übrige distanzsprachliche Verwendung ist punktuell und disparat und steht entweder mit der lateinischen und/oder der toskanischen Sprache in Verbindung: Das Insel-Idiom ist lexikalische und grammatikalische Behelfs- bzw. Metasprache im Lateinunterricht im Cinquecento; es ist, zumindest ab dem späten 17. Jahrhundert, katechetische Laien-Bildungssprache und tritt Anfang des 16. Jahrhunderts als singuläres Phänomen in Form von Fachprosa auf. Im Gegensatz zur Manuskript-Tradition ist Sizilianisch im administrativen Bereich überhaupt nicht druckschriftlich gebräuchlich (vgl. Varvaro 1977; vgl. Tab. 11).

Über die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit auf Sizilien – sei es in problematischer oder in konfliktueller Ausprägung – schweigen sich die Quellen bis auf Ausnahme von Giuffredis Compendio (1601) und auch dessen Avvertimenti (1585), welche zumindest in anekdotischer Form rezeptive Mehrsprachigkeit aufblinken lassen (Zitat 35; Zitat 37), aus. Seltene Einzelfälle mehrsprachiger Praktiken sind außer in inszenierten Theaterstücken in religiösen, literarischen und administrativen Drucken nachgewiesen; ein zweisprachiges pragmatisches Druckwerk, ein insulären Bedürfnissen entsprechendes Fechtbuch aus dem Jahr 1678, wurde bezeichnenderweise außerhalb in Neapel gedruckt (vgl. Kap. 6.4.5.3). Die messinesische Französischgrammatik von Paris di Parigi aus dem Jahr 1675 kann als »grammatikografisches Insel-Unikat« gelten (vgl. Ambrosch-Baroua/Hafner im Druck).

Darüber hinaus ist kein perzipierter Stadt-Land-Gegensatz wie im Fall von Sardinien oder Mailand, um das es im nächsten Kapitel gehen wird, metasprachlich dokumentiert, sondern ein sprachlich festgemachter Insel-Festland-Gegensatz, der bisweilen negativ, bisweilen positiv wahrgenommen wurde.

1 Untersucht wurden 26 Briefe aus dem Jahr 1394, vier Briefe zwischen 1522 und 1526, 34 Briefe aus den Jahren 1571–1572 und 263 Briefe der Dekade zwischen 1670–1680. Vgl. auch Schwägerl-Melchior, in der u.a. auch Briefkorrespondenzen im Königreich Neapel untersucht wurden (Schwägerl-Melchior 2014, insb. 127–206, 420–446).

2 Sizilien war wie Sardinien nach der sog. Sizilianischen Vesper (1282) und offiziell ab 1302 Teil des Hauses Aragon; ab 1412 regierten spanische Vizekönige die Insel, 1516 ging die Insel zusammen mit dem Königreich Neapel an Karl V. Das Ende der spanischen Macht auf Sizilien brachte der spanische Erbfolgekrieg 1713 (vgl. Finley/Mack Smith/Duggan 2010, 126–186; Dittelbach 2010, 60–65).

3 Profilo di storia linguistica della Sicilia (Varvaro 1979). Die zweite Sprachgeschichte Varvaros von 1981 beleuchtet den insulären Kommunikationsraum bis 1180, siehe hierzu Krefeld 2004a, 141–146.

4 »[…] abbandonando gli ormai vecchi e logori steccati letterari della ›questione della lingua‹, [il contributo; T.A.] ponga al centro d’attenzione le relazioni che i diversi gruppi sociali e geografici hanno intrattenuto con i vari idiomi presenti in Italia e le dinamiche politiche inscindibilmente legate al lento mutare di tali rapporti. […] La prassi e il dibattito linguistico della Chiesa possono essere visti quindi allo stesso tempo come cartina al tornasole attraverso cui leggere i rapporti di forza fra i vari idiomi in Sicilia e come uno degli elementi che la particolare strutturazione dello spazio linguistico isolano può contribuire a spiegare.« (D’Agostino 1988, 5).

5 Weder in Schmitt/Metzeltin/Holtus 1988 (vgl. darin lediglich die Synthese von Varvaro 1988, 717, der weiteren Forschungsbedarf reklamiert) noch in Ernst [u.a.] 2003; Dies. 2006 gibt es eigene Artikel zur externen Sprachgeschichte des Sizilianischen/Siziliens. Eine sprachliche Stadtgeschichte zu Palermo befindet sich in Vorbereitung (vgl. D’Agostino/Di Stefano im Druck).

6 Von besonderem Interesse ist das Kapitel »L’italiano nella Siciliana ›castigliana‹« (Alfieri 1992, 812–825 und Alfieri 1994, 805–818). Während die Autorin in 1992/1994 einen souveränen Überblick über die Verbreitung des Italienischen auf der Insel liefert, werden im zwar nicht weniger informativen Beitrag zur Standardisierung von 1990 viele Begriffe der Varietätenlinguistik zusammen-, aber auch durcheinandergebracht. Befremdlich ist zudem neben fehlerbehafteter Zitierung und Rechtschreibung die Schaffung neuer, teils unklarer Termini wie supraitalianizzazione, preitalianizzazione, italianizzazione sociopolitica, toscanizzazione strutturata/di superficie, standard virtuale, standard superstratico, standard seminazionale.

7 Ins Deutsche wurde dieses Schlagwort, das einen schleichenden Italianisierungsprozess impliziert, von Lo Piparo als »stille Revolution« (Ders. 1987b) fehlübersetzt: »[…] progressivamente l’idioma dei Parlamenti e della legislazione passa, silenziosamente e senza esplicite dichiarazioni programmatiche, da un siciliano sempre più toscanizzato a un toscano sempre meno sicilianizzato.« (Ders. 1987a, 741). Zur Kritik am vermeintlichen Zweikampf der Idiome vgl. Soares da Silva 2013.

8 Wobei Alfieri hier eine – korrekte – Unterschied trifft zwischen »L’italiano in Sicilia« (Cinque- bis Primo Ottocento) und »L’italiano di Sicilia« (ab der Einigung) (Alfieri 1992, 812–834, 835–853).

9 Laut Dittelbach werde der Trilingualismus der Insel seit dem Mittelalter betont (Dittelbach 2010, 7).

10 Diese Passage stammt aus der bereits im vorherigen Kapitel über Sardinien erwähnten Inselbeschreibung L’Isole più famose del mondo (Porcacchi 1572, 1576 und 1590 Venedig) von Porcacchi (vgl. Kap. 6.1), vgl. Porcacchi 1572, Permalink: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k58790n (Zugriff vom 10.07.2014). Zu Autor, Werk und sprachhistorischer Analyse vgl. Gerstenberg 2004, insb. 65–130.

11 Soares da Silva prägt für das ungesteuerte Zusammenfließen von Sizilianisch, Toskanisch, Latein und Spanisch den aus der Chemie entlehnten Terminus ›Koaleszenz‹ (»coalescenza«), um die in der Forschung präsupponierte Konfliktualität dieser Sprachen zu umgehen (Soares da Silva 2013). 2009 wählte er einen ausbauprozessualen Forschungszugang, indem er auf der Basis von vier Ausbaustützen (Organisation, Religion, Wissen, Literatur) die disparate Entwicklung der Schriftlichkeit (Latein, Spanisch, Italoromanisch, Sizilianisch) auf der Insel im Cinque- und Seicento erfasste. Vgl. des Weiteren auch Béhar/Blanco/Hafner im Druck.

12 Vgl. für die Buchdruckgeschichte Siziliens im Quattrocento Meli 1952; Evola 1953; D’Angelo 1967; Bianca 1988; für das Cinquecento Evola 1878; Resta 1995; Di Natale 2003; für das Seicento Lipari 1990; Ders. 2005; Di Natale/Cannata 2009; Pàstena 2012; Ders. 2013.

13 Strukturelle Probleme der Aufarbeitung liegen begründet »nella parziale sistemazione dei fondi più antichi delle biblioteche pubbliche siciliane e nella ancora più precaria condizione di quelli della maggior parte delle raccolte librarie monastiche isolane« (Lipari 1990, 8f.). Erschwerend kommt hinzu, dass »i fondi archivistici comunali e privati sono andati in parte distrutti, dispersi« (Ligresti 2006, 248). Geschätzte 4.500 bis 5.000 Editionen umfasst die Inselproduktion im Cinque- und Seicento, abzüglich des Verlusts von ca. einem Viertel, verursacht durch schlechte Papier- und Letternqualität und allgemein aufgrund der verlorenen lokalen ›Verbrauchsliteratur‹ (vgl. Lipari 1990, 9; Ders. 2005, 235).

14 Auf der Karte von Di Cristofaro sind folgende Publikationsorte der Insel verzeichnet: Palermo/Messina 1478, Monreale 1554, Catania 1562, Girgenti 1601, Trapani 1680, Mazzarino 1687, Militello 17. Jh. (Di Cristofaro 2004, 285). Vgl. auch die dortige chronologische Auflistung der Drucker von Messina und Palermo (Ders. 2004, 287f. bzw. 291f.)

15 Im Falle Siziliens erstreckt sich der ausländische Buchmarkt bzw. Kommunikationsraum auch auf den ca. 90 km südlich gelegenen Malta-Archipel. Dies resultiert aus einigen von und für Malta hergestellten Druckwerken, z.B. ist der Breve Trattato nel quale con ragioni dimostratiue si conuincono […] i Turchi, […] esser falsa la legge di Maometta, e vera solamente quella di Cristo […] von »Emmanvele Sanz della Compagnia di Giesù nell Colleggio di Malta« (Sanz 1691, Catania) für ein maltesisches Publikum bestimmt, vgl. den Leserhinweis »Al cristiano Lettore residente nell’isola di Malta« (Ders. 1691, a2), vgl. Sanz 1691, URL: http://books.google.de/books?vid=BNC:1001965561 (Zugriff vom 20.10.2014); vgl. auch die in Lipari aufgeführten messinesischen Drucke (Lipari 1990, Nr. 158, 320, 576, 696, 697). Programmatisch ist auch der Titel des maltesischen Erstlingsdrucks Della Descrittione di Malta Isola nel Mare Siciliano (Abela 1647) – der Drucker ist ein Sizilianer namens Pietro Bonacota, der vermutlich auch die Presse in Malta einführte und der ab 1567 eine Offizin in Messina primär für den Senat betrieb (vgl. Ders. 1990, 37f.); vgl. Abela 1647, Permalink: http://arachne.uni-koeln.de/item/buch/1620 (Zugriff vom 20.10.2014). Darüber hinaus entfallen ca. 8% der messinesischen Produktion des Seicento auf Kalabrien (Reggio, Mileto und Soriano, vgl. Ders. 1990, 20).

16 Vgl. Resta 1992, 814, Anm. 17, 818 und 821, Anm. 38. Zu venezianischen Buchhändlern im Palermo des Seicento vgl. Vesco 2007, URL: http://www.storiamediterranea.it/portfolio/n-10-agosto-2007/ (Zugriff vom 10.07.2014).

17 Zwischen 1548–1600 wurden in Messina, Palermo, Monreale, Syracus, Bivona, Catania, Caltagirone, Trapani, Mineo, Caltanissetta und Marsala Jesuitenkollegs gegründet; zwischen 1600–1610 in Piazza Armerina, Sciacca und Noto Modica und bis 1700 schließlich in Naro, Enna, Termini, Scicli, Vizzini, Salemi, Alcamo, Mazzara, Polizzi, Mazzarino (vgl. Ligresti 2006, 275, URL: http://www.storiamediterranea.it/portfolio/sicilia-aperta-secoli-xvi-xvii-mobilit-di-uomini-e-idee/ [Zugriff vom 10.07.2014]).

18 Verantwortlich für die Beschränktheit »en el ecclesiástico como en el secular« sowie die »toda rustiqueza y crueldad de muchos hombres deste Reyno« machte der spanische Jesuit Michele Navarro 1575 einen doppelt verbreiteten Aberglauben »de las tierras marítimas, y la otra de las montañas« (zit. nach D’Agostino 1988, 44f.). Der jesuitischen Korrespondenz nach zu schließen bereiteten im Unterschied zu Sardinien jedoch Sprachbarrieren keine Sorgen (vgl. Dies. 1988, 42–45); lediglich Bernardo Olivier, 1553 in Monreale stationiert, übt Kritik »per non essere pratico con questa gente e per non intenderli« (zit. nach Ders. 1988, 45).

19 1434 gründete dort »el Magnanimo«, Alfons von Aragon, eine Universität, die bis zur Gründung jener in Messina 1548 die einzige auf der Insel blieb. Auch in Neapel belebte der König von Neapel und Sizilien die Hofbibliothek wieder und gründete eine Katalanischschule. Unter seinem Sohn, Ferrante I., wurde das Studio di Napoli weiter reformiert – er legte den Grundstein für die Einführung und den Ausbau des Druckwesens in Neapel (vgl. Castellano Lanzara 1959 und Kap. 6.4.3).

20 Nach BEPA wurden sie höchstwahrscheinlich in Palermo gedruckt, zudem sind vier sizilianische Fremddrucke in London zu lokalisieren (BEPA 1998, 11).

21 Vgl. D’Agostino 1988, 45–49.

22 Die in D’Angelo wiedergegebenen Produktionszahlen vermitteln einen Eindruck davon, welche quantitative Bedeutung den Akzidenzdrucken bereits in sehr früher Zeit, d.h. an der Schwelle vom Inkunabel- zum Buchdruck, beizumessen ist: Die Jahresbilanz von 1500 des flämischen Druckers Olivino de Bruges in Messina belief sich bspw. auf 132.400 bolle (davon über 100.000 bolle dei vivi, die restlichen stellen Todes- und Heiratsanzeigen sowie Kirchenanschläge dar) mit dem Verkaufspreis von 55 »onze«, 11 »tarì« und 16 »grani« (D’Angelo 1967, 468f.). Derselbe Drucker Olivino de Bruges war auch in Palermo tätig, wo er 1504 an acht Tagen im Auftrag des Schulmeisters Baldassare Armano da Perugia 832 salveregine druckte. Lorenzo de Bruges, ein weiterer Flame, druckte im selben Jahr in Palermo 20.000 bolle im Papiermaß von 20 Ries à 12 »tarì« pro tausend Stück. Zusammen mit Holzschnitten repräsentierten die bolle »la forma più normale e più redditizia di produzione o di commercio dei tipografi dell’isola« (Ders. 1967, 482).

23 Bereits 1551 war der Herzog von Medinareale ein scharfer Zensor für alle Autoren und Drucker, die sich nicht dem vizeköniglichen Willen fügten; einen noch härteren Kurs fuhr der Vizekönig Conte d’Aiala 1660 (vgl. Isgrò 1981, 232 und Anm. 23).

24 Um die Mitte des 17. Jh.s waren Nicolas Bua und Michele Portanova die beauftragten insulären Typografen des Santo Oficio de la Inquisicion, wie aus zwei religiösen spanischen Korpus-Titeln hervorgeht: Epitome de la santa vida, y relacion de la gloriosa mverte del Venerable Pedro de Arbves, Inquisidor Apostolico de Aragon […] (García de Trasmiera 1647, Monreale, URL: http://books.google.de/books?id=vOWeCvqx9V4C [Zugriff vom 11.10.2014]); Archetypo de virtudes. Espexo de prelados el venerable padre, y sieruo de Dios F. Francisco Ximenez de Cisneros. […] (Quintanilla y Mendoza 1653, Palermo, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10636696-9 [Zugriff vom 11.10.2014]).

25 Besonders im Falle des Altgriechischen scheint eine weitaus größere handschriftliche Überlieferung, vor allem aus der renommierten Griechischschule in Messina unter der Leitung von Costantino Làscaris plausibel (vgl. Spampinato Beretta 1980, 327).

26 Gerade von Messina, Sitz des Consolato di Mare, wäre der Druck der maritimen katalanischen Gesetzessammlung in der katalanischen Originalsprache zu erwarten – die in EDIT16 2014 neun dokumentierten Editionen unter dem Obertitel Il Consolato del mare/Libro del consolato de’ marinari wurden jedoch alle in Venedig und alle auf Italienisch gedruckt (zwei davon im Auftrag des Buchhändlers Pederzano, der in Palermo immerhin eine Filiale betrieb). In der elektronischen Datenbank »The Making of the Modern World« finden sich mehrere Digitalisate der Consolati aus dem 16. Jh. und 17. Jh. (1704 erschien in Leyden eine zweisprachige italienisch-niederländische Version mit interessantem »Berigt aan den Leser« bezüglich der Sprachwahl). In Varvaros Untersuchung tritt Katalanisch am Anfang des 16. Jh.s ebenfalls nicht mehr in Erscheinung (vgl. Varvaro 1977; vgl. Tab. 11).

27 Die Hagiografie der Schutzpatronin Catanias St. Agata Vita e martirio di Sant’Agata in rima siciliana (1499) von Giovanni führt nur eine bibliografische Existenz (vgl. Evola 1953, 364). Ein weiterer der insgesamt 23 katalogisierten Wiegendrucke, die bis auf eine Ausnahme in Messina gedruckt wurden, ist die lokal- und sprachhistorisch interessante La protesta dei messinesi von Manfredi Zizo (Zizo 1478?, bei Alding), welche die alten und jahrhundertelangen Spannungen zwischen Messina und Catania dokumentiert und auf Latein verfasst wurde, aber nun von Iohan Falcone in einem »toscano latineggiante infiorato di forme siciliane« (Catalano 1950, zit. nach Noto 2010, vgl. Noto 2010, URL: http://casvi.sns.it/index.php?op=fetch&type=opera&id=789&lang=it#trad_sta; [Zugriff vom 10.08.2014]) zielgruppenweit vulgarisiert wurde (»volgarizzata e diffusa per mezzo della stampa per essere compresa anche dalle persone non colte«, zit. nach Evola 1953, 354f.). Das Lexikon weise Latinismen, Sizilianismen und Hispanismen auf (vgl. Noto 2010).

28 Vgl. zu den insulären Akademiegründungen Isgrò 1981, 166 und 273–281; Ligresti 2006, 232.

29 Allerdings kann die Universität erst 1596 aufgrund von Querelen mit den Jesuiten sowie mit der Universität von Catania, die als einzige Universitätsstadt der Insel die Konkurrenz fürchtet, ihren Betrieb aufnehmen (vgl. Ligresti 2006, 230f. und 261–263).

30 Vgl. Veneziani 1977, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/giovanni-francesco-carrara_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 10.10.2014); Resta 1992, 818–821; Vesco 2007.

31 Carrara blieb Venedig stets verbunden und hatte bspw. auch eine venezianische Haushälterin angestellt. Auch behielt er sein Lokalidiom bei, »una sorta di volgare veneto ormai ibridato« (Vesco 2007, 292), wie Vesco aus seiner Korrespondenz schließt (vgl. Ders. 2007).

32 Durch die Transportkosten erhöhte sich jedoch der Preis. Carrara beklagte sich über die damit verbundene Kundenunzufriedenheit: »[…] la robba costa cara; né niuno più porta robba alle montagne, perché è iuxto vengano qua a pagarla quello vale, che un breviario di quelle da 4 nove qui si vende ora onze due che costa a me tarì 50; che non conoscono quelle genti la comodittà [sic] a portarli la robba.« (zit. nach Resta 1992, 819).

33 Vgl. Pettas 1995; Ders. 2005; Santoro 2013a.

34 Im Jahr 1600 waren auf der Insel 1.776 Streitkräfte, 1602 1.851 und 1615 2.300 stationiert. 1687 wurde diese Zahl infolge der Messineser Revolte (1674–48) auf 4.177 Soldaten erhöht. Die meisten waren in den miteinander konkurrierenden Hauptstädten Palermo und Messina stationiert, ferner auch in Milazzo, Augusta, Siracusa, Trapani und Favignana (vgl. Ribot García 1995, 115). Siehe auch Favarò, aus der hervorgeht, dass die Grenze von 5.000 an Reit- und Fußsoldaten nicht überschritten wurde, vgl. Favarò 2005, URL: http://www.storiamediterranea.it/portfolio/n-4-agosto-2005/ (Zugriff vom 10.07.2014). In Notzeiten hatten auf Sizilien dem so genannten »socorro general« alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren Folge zu leisten, vgl. diesbezüglich die in einer Ko-Edition in Neapel und Palermo gedruckte Relación de los socorros de gente y dinero […] (Anonym 1637) (vgl. Kap. 6.2.3).

35 Palermo und Messina zählten jeweils ca. 100.000 Einwohner, vgl. Restifo 1999, 188; 193. Der Autor fasst in vielen Tabellen auf Basis von zeitgenössischen Informationen Siziliens Demografie zusammen, ohne jedoch spezifizierende Angaben über die Zusammensetzung der Bevölkerung hinsichtlich der Provenienz zu machen.

36 Lipari konnte in Archivdokumenten keine näheren Informationen zur Gilde einholen (Lipari 1990, 43).

37 Cavagna bezeichnet die Malatesta als Sprachrohr der Regierung (»voz del gobierno«; Cavagna 1995, 100).

38 Vgl. Olphei 1675, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/ucm.532425861x (Zugriff vom 20.10.2014).

39 Auch BEPA geht von ca. 3.000 Editionen des 17. Jh.s aus (BEPA 1998, 11).

40 Auf die ersten zwanzig Jahre (1601–1620) folgt die bedeutendste, da produktivste zweite Periode (1621–1658), bevor es zwischen 1659 und 1673 zu einem leichten und während der antispanischen Revolten (1674–1678) zu einem drastischen Rückgang der typografischen Tätigkeit kommt (3. und 4. Periode). In den letzten 20 Jahren des Jahrhunderts (1679–1700) erholt sich der Sektor relativ schnell, in der Überzahl sind nun religiöse Drucke im Quartformat im Umfang von weniger als 50 Seiten. Lipari bereitet die Entwicklung der Druckwerke, ihre durchschnittlichen Auflagen, die Verteilung nach Diskursdomänen sowie ihre Auswertung hinsichtlich des Formats auch grafisch auf (vgl. Lipari 1990, 20–31).

41 »Testi che per un verso sfuggono ad una precisa caratterizazzione disciplinare e per un altro testimoniano una rilevante frammentazione tematica: storia, filosofia ecc.« (Lipari 1990, 16).

42 Symptomatisch ist auch die Weiterübersetzung (vom Lateinischen ins Spanische ins Italienische) der Vita del P. Giuseppe Ancheta della Compagnia di Giesv. Scritta in lingua latina dal P. Sebastiano Berettari in cinque Libri. E tradotta nella Spagnola, e diuisa in Capi dal P. Stefano Peternina Della medesima Compagnia. Et ultimamente in questa nostra uolgare Italiana ridotta dal P. Lodovico Flori dell’istessa Religione (Berettari 1639, Messina, bei Brea, URL: http://www.bibliotecacentraleregionesiciliana.it/4_25_a_31.pdf [Zugriff vom 11.10.2014]).

43 Bei den Katalogen von BEPA 1998; Di Natale/Cannata 2009; Di Natale 2003 handelt es sich um short title catalogues im klassischen Sinne, d.h. ohne spezifizierende Angaben wie die Sprachform des Drucks (vgl. auch Kap. 4.2).

44 Spampinato Beretta bemerkt bspw.: »[…] gli spagnoli […], dominando quasi tutta la nazione, furono sempre considerati come stranieri e straniera la loro lingua« (Spampinato Beretta 1980, 341). Die Autorin stützt sich diesbezüglich auf die Aussagen von Argisto Giuffredi, der auch nach eigenen Recherchen einzigen dokumentierten zeitgenössischen Sprechermeinung zum Spanischen (vgl. Kap. 6.2.3.5).

45 So schreibt Lo Piparo: »Il toscano è in Europa idioma troppo prestigioso perché la monarchia spagnola potesse progettare una politica di ispanizzazione linguistica dei domini italiani.« (Lo Piparo 1987a, 742). Das Zitat mag für Sizilien und Neapel (bedingt) zutreffen (vgl. hierzu auch Büschges 2007, 31), wie aber im vorhergehenden Kapitel (vgl. Kap. 6.1) gezeigt wurde, besitzt diese Aussage gerade für Sardinien keine Gültigkeit.

46 Vage bleibt, was genau der Autor unter »caserme« versteht; zumindest konnten in der gesichteten Sekundärliteratur keine konkreten Hinweise auf die Existenz von Unterkünften für spanische Militärkräfte wie im Falle des Herzogtums Mailand (vgl. Kap. 6.3.2) gefunden werden.

47 Vgl. hierzu Alfieri: »[…] l’infiltrazione di ispanismi nelle pratiche linguistiche isolane del periodo cinque-secentesco, risulta senz’altro più profonda di quanto si potesse supporre, ma nello stesso tempo rimane effimera.« (Alfieri 1992, 825). Als Paradebeispiel führt die Autorin das hispanisierte Verb »tenere« für das Auxiliar ›haben‹ auf, das sich in verschiedensten Diskurstraditionen bezeugen lasse, aber im aktuellen Sizilianisch nicht mehr in Gebrauch sei. Rohlfs und Ruffino führen einige Katalanismen und Hispanismen im Sizilianischen auf (Rohlfs 1984, 50f.; Ruffino 2001, 26f.); vgl. ferner Beccaria 1968, insb. 68–82 sowie 325–351.

48 Vgl. Varvaro 1977, 4, Anm. 19; Spampinato Beretta 1980, 328f.; Alfieri 1992, 814.

49 Lediglich Pàstena führt die Zahl von 45 spanischen secentine aus Palermos Pressen auf (Pàstena 2012, 348) und auch in Michel sind einige interessante, auf der Insel und außerhalb publizierte spanische Drucke (und Handschriften) von sizilianischen Intellektuellen aufgeführt (Michel 1996, 73–77). Alfieri hat nur die Übersetzungsrichtung vom Spanischen ins Italienische im Blick; ihr diesbezüglicher Querverweis auf Croce 1895 schlägt insofern fehl, als dieser die entsprechende Produktion insbesondere in der Druckkapitale Venedig analysiert, die nach meiner eigenen Auswertung ab ca. 1570 eklatant abfällt (Alfieri 1990, 337f.; Kap. 6.5.1.1).

50 Vgl. den Online-Katalog PRIN 2008 unter der Leitung von Assunta Polizzi, URL: http://frag.anzon.it/editoriaspagnola/index.php?option=com_content&view=frontpage&Itemid=1 sowie das Blog, URL: http://prin2008editoriaspagnola.blogspot.de/p/titulos-de-la-unidad-de-palermo.html (Zugriff vom 10.08.2014). Das sizilianische Projekt ist eingebettet in das Großprojekt »Editoria e cultura in lingua spagnola e d’interesse ispanico nei Regni di Napoli e di Sicilia tra Rinascimento e Barocco (1503–1707): Catalogazione e approssimazione critica« unter der Leitung von Encarnación Sánchez García der Universität Neapel (vgl. auch Kap. 6.4.3, Anm. 65).

51 Dieser Befund stützt meine These zum engen Verhältnis zwischen Spanien und Flandern im Druckwesen, vgl. Kap. 6.5.1.1.

52 »Poeta spagnolo, vissuto in Sicilia al servizio del vicerè, nella seconda metà del XVI secolo« (vgl. EDIT16 2014, »Martinez de Quintana«).

53 Paruta absolvierte in Rom seine Rechtsstudien in utroque und war Mitglied in der Accademia degli Accesi und der Risoluti von Palermo. Er dichtete auf Latein, Italienisch und Sizilianisch und schrieb auch Komödien. Zudem hatte er das Amt des Bürgermeisters von Mazzara inne und war Senatssekretär von Palermo. Im Zusammenhang mit seinem großen Interesse für die Geschichte Altsiziliens steht sein bedeutendes numismatisches, reich bebildertes Werk Della Sicilia descritta con medaglie (Paruta 1612, Palermo, bei Maringo), das als Beginn der angewandten Numismatik betrachtet wird, vgl. Paruta 1612, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10633936-9 [Zugriff vom 10.07.2014]).

54 Zu Vita und Werkschau Eredias vgl. Contarino 1993, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/luigi-eredia_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 07.07.2014).

55 In Trapani erscheint bei Barbera die Rechtsschrift Justicia del hijo del Seraphin, defendida sin daño del ofensor, Por el Dr. Don Antonio de Cárdenas (Cárdenas 1683).

56 Der Herzog von Mazzarino, Carlo Caraffa, installierte im eigenen Haus eine Handpresse, die er zunächst Giuseppe La Barbera (vgl. Kap. 6.2, Anm. 54) anvertraute, dann dem Flamen Giovanni van Berg. Die dreibändigen Opere politiche-cristiane (Caraffa 1692) von Caraffa gelten als eine der schönsten sizilianischen Editionen des Seicento (vgl. die virtuelle Schatzkammer der Biblioteca centrale della Regione siciliana, URL: http://www.regione.sicilia.it/beniculturali/bibliotecacentrale/tesori/stampa_siculi_i.htm [Zugriff vom 12.08.2014]). Im Jahr 1688 bzw. 1691 erschienen in Palermo bei Thomaso Romolo die spanischen Übersetzungen der Werke von Caraffa Instruccion christiana de principes y reyes sacada de la Escritura Divina. Por Carlos Maria Caraffa. Dos veces impressa en el idioma toscano, y esta tercera en Española […] und El Embaxador politico christiano […]. Letzteres wurde übersetzt vom Dominikaner Alonso de Manrique, der ebenfalls Caraffas Camino segvro del Cielo Modo de bien vivir […] (Caraffa 1691, Palermo bei Carlo Adamo) sowie die Escuela de Principes […] (Ders. 1688, Palermo, bei Romolo) ins Spanische übertrug (vgl. Kap. 6.2.3.1).

57 Insgesamt verzeichnet Pàstena 14 palermitanische Ko-Editionen mit italienischen und spanischen Partnerdruckereien aus dem 17. Jh., vgl. Pàstena 2012, 348.

58 Vgl. Amico 1641, Permalink: http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ166924904 (Zugriff vom 20.11.2014).

59 Das handliche Duodez-Format lässt auf eine praktische Nutzung schließen. Im Vorwort erklärt der Autor, dass er die erste Hagiografie der Schutzpatronin Palermos auf Spanisch verfassen wollte: »En los poco ratos que me dado lugar mi empleo, me dictò estos renglones mi deuocion; hallè algunos libros de la Vida de Santa Rosalia […]. En lengua Español no está escrito lo que no es razon estè ignorado […]. Es injuria del feruor que todos los ydiomas no publiquen sus virtudes, escriuo breue pro ser menos molesto, y mas puntual, y porque en lo esteril del asunto, no cabe lo diltado de vn volumen« (zit. nach Toda y Güell 1928, 498). In der Tat handelt es sich bei der 25 Jahre zuvor erschienenen Vida milagros y invencion del sagrado cuerpo de la real aguila panormitana Santa Rosalia. Dirigada al Illustriss. Senado de la Felis Ciudad de Palermo. Por el licenciado don Iuan Formento Sacristan Mayor, y Canonigo de la Santa Iglesia de Castel Bò, Beneficiado del Beneficiado del Beneficio de Santa Catalina de Beliche; del Real Patronazgo de su Magestad, y Capellan Mayor que fuè del Tercio de Infanteria Española en la Felis ciudad, y Cabeca del Reyno Palermo […] (Formento 1663, Palermo, bei Colicchia) um eine Übersetzung in größerem Format (°4). Laut Sbriziolo war es »muy frecuente que se prestase fe a unas leyendas o tradiciones transmitidas por la cultura dominante y por tanto no hay que extrañarse si se perpetúa el mito de una santa Rosalía guerrera que llega en ayuda de las tropas reales. […] Necesidades que […] se relacionaban muy de cerca con el ámbito religioso, buscando en él un elemento de reforzamiento y de legitimación de la monarquía hispánica.« (Sbriziolo 2013, 85).

60 Autor des Duodez-Drucks ist Luigi La Nuza, der der Sohn eines spanischen Gouverneurs der Stadt Leocata und einer sizilianischen Adeligen war und im Jesuitenkolleg in Palermo, Rhetorik in Caltanisetta, Philosophie in Messina und erneut in Palermo Theologie studierte. Er war als bekannter Prediger zu wichtigen Festen im Kirchenkalender und in vielen Ordenshäusern im Einsatz, missionierte aber auch auf dem Land, was zu seinem Beinamen »Apostel Siziliens« führte (vgl. O’ Neill/Domínguez 2001, III, 2244). Eventuell schrieb er weitere Bücher auf Spanisch.

61 Der Erstdruck und die zweite Auflage erschienen ein Jahr zuvor, 1635, in Cagliari.

62 Gemäß Toda y Güell handelt es sich um ein Protestschreiben der Stadt Messina gegen den Vize-Portolan bezüglich der Abgabenerhöhung von Brot, Korn und Gemüse, das bis an den Supremo Consiglio d’Italia gereicht wurde und zu weiteren Schriften auf Latein mit spanischen Zitaten führte, die im Archivio Simancas aufbewahrt werden (Toda y Güell 1929, II, 190).

63 Der Titel lautet weiter: Compuesta por el señor de La Mota Levayer Frances. sacada en Toscano por el Abbad Escipion Alerano Boloñes. Y nuevamente traducida en lengua Española, y añadida de algunas cosas sucedidos despues, que el Autor la escrivio. Dedicada al Maesse de Campo D. Ivan Barbosa del Consejo de su Magestad Castellano en el Castillo à Mar de Palermo. Das Druckwerk erschien 1676 in Bologna auf Italienisch; 1752 wurde es auf Spanisch in Barcelona nachgedruckt.

64 Manrique war Spanier und begleitete den bewidmeten Feldherren Juan Barbosa nach Palermo. Nach seinem Sizilien-Aufenthalt zog er weiter nach Monselice in der Nähe von Padua.

65 Sieben Jahre später, d.h. 1630, wird es in Neapel bei Scoriggio nachgedruckt.

66 Lanarios Vater Giovanni Antonio Lanario de Aragon war 1588 Mitglied im Supremo Consiglio d’Italia in Madrid; Lanario wurde 1589 geboren und ging 1608 sechzehnjährig nach Flandern, wo er Heerführer und Kriegsrat der Niederlande wurde und wo auch 1615 sein erstes Buch Le Guerre di Fiandra […] (Antwerpen) erschien. Weitere drei italienische Editionen folgen (Lanario 1616 Mailand und 1616 Venedig; 1617 Neapel), zudem erschien es 1618 in Paris auf Französisch und 1623 in Madrid in spanischer Übersetzung. 1616 ging er nach Lecce und wurde »Capitano a Guerra«, ab ca. 1619 hielt er sich in Sizilien auf, wo er in Catania als »Capitano d’armi a guerra« städtebauliche Veränderungen initiierte (vgl. Marletta 1943, URL: http://www.culturaservizi.it/vrd/files/RS43_Francesco_Lanario.pdf [Zugriff vom 10.09.2014]).

67 »Numerosi specialmente sono gli scrittori siciliani in ispagnuolo.« (Croce 1895, 41, Anm. 2 – im dortigen Anhang von Arturo Farinelli wird jedoch nur Veneziano als einziger sizilianischer Dichter mit Affinität zum Spanischen genannt, vgl. Ders. 1895, 79). Die Sprach- und Berufsprofile sizilianischer Autoren von spanischer Gebrauchsliteratur, die auf dem italienischen Festland meist gar nicht rezipiert wurden, skizziert Michel 1996, 72–76. Er geht ferner von einem perfekten und einem partialen Bilingualismus der Sizilianer auf individueller Ebene aus (Ders. 1996, 68f.).

68 Interessant ist hingegen zu beobachten, wie sich Lanario im Leserhinweis der Madrider und der neapolitanischen Ausgabe (1628 bzw. 1630) seines Exemplar de la constante paciencia Christiana y politica für seine defektive Spanischkompetenz entschuldigt: »Suplico a quien leyere, escuse los defetos que en el hallare, y aduierta, que para acabarlo no he trabajado mas de tres meses, y que no siendo natural deste Reyno, han salido de mis estudios cinco obras en Castellano« (zit. nach Toda y Güell, 1928, 388). Seine Aussage ist eventuell auch als Bescheidenheitstopos zu werten.

69 Im Jahr 1648 in Monreale, 1655 in Rom, 1666 in Palermo und 1670 in Neapel (vgl. Zarri 1996, 593).

70 Nach seiner Reise nach Syrien, Persien und Armenien schrieb Maggio das Syntagma linguarum orientalium quae in Georgiae regionibus audiuntur […] (Maggio 1643, I, Rom; Ders. 1670, II, Rom), vgl. URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/francesco-maria-maggio/ (Zugriff vom 10.08.2014).

71 Süditalianisiert sind z.B. »magna assai« und »tiene«, vgl. Barone 2013b, 197.

72 Vgl. die Transkriptionen beider Übersetzungen von Ders. 2013b und Polizzi 2013c.

73 Das zweisprachige Sprachlehrwerk von Giufreddi (1601) wurde in Florenz, das zweisprachige Fechtbuch von Pedro Texedo Siçilia de Teruel (1678) in Neapel gedruckt (vgl. Kap. 6.2.3.5 bzw. Kap. 6.4.5.3).

74 Vgl. Palau/Brignone 1654, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/ucm.532500968x (Zugriff vom 20.11.2014).

75 Vgl. Judice Fiesco 1633, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/ucm.5324244906 (Zugriff vom 20.10.2014).

76 Auch in vermeintlich lateinischen Druckwerken aus Sardinien wurde festgestellt, dass sich dort katalanische und sardische Passagen, die für Kleriker bzw. sardische Laien bestimmt waren, verbergen können (vgl. Kap. 6.1.4.1).

77 Vgl. Ingrassia 1576, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/uc1.31378008357637 (Zugriff vom 10.07.2014). Zu Leben und Werk Ingrassias vgl. Preti 2004, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/giovanni-filippo-ingrassia_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 10.07.2014). Berühmt ist der Mediziner vor allem für seine Abhandlung Trattato assai bello et utile dei doi mostri nati in Palermo in diversi tempi (Ingrassia 1560, Palermo, bei Mayda), die eine Abbildung siamesischer Zwillinge enthält und damit zu den Rara zählt.

78 Eine ähnliche quantitative Auswertung sprachlicher Distribution nach dem Sender-Empfänger-Modell wie die von Alfieri 1992 könnte bspw. mit der dreisprachigen (vize-)königlichen Gesetzessammlung Atti, lettere, viglietti, capitoli, et ordinationi regij, e viceregij, fatti in tempo del gouerno di diuersi eccellentissimi signori vicere di questo Regno di Sicilia […] Stampati sotto il felice reggimento dell’illustrissimo, et eccellentissimo signore don Francesco Gaetano duca di Sermoneta, vicerè (Anonym 1664, Palermo) durchgeführt werden, die ebenfalls bei Bua erschien und in den drei Sprachen Latein, Italienisch und Spanisch verfasst ist (jedoch in Bibliothekskatalogen meist als »Italienisch« deklariert wird). Laut Frontispiz ist sie »[…] da osseruare tanto da questo illustrissimo Senato, quanto da suoi officiali, & ministri di questa felice città di Palermo« (Anonym 1664, Frontispiz), vgl. Anonym 1664, URL: http://books.google.de/books?id=raCpard3F1MC (Zugriff vom 20.10.2014).

79 Pest 1575 und 1624; Ausbruch des Ätna 1669; Erdbeben 1693; vgl. auch Hafner 2011.

80 Allein während des Cinquecento fanden ca. 100 Turniere auf der Insel statt (vgl. Isgrò 1981, 78). Eines von ihnen ist dokumentiert im Druckwerk Sucesso dun nouo combatimento fatto in Cicilia de 10 caualieri italiani, & 10 caualieri spagnoli, per causa de vna giostra fatta in la nobil città di Palermo […] In Palermo & ristampata in Napoli: per Raimondo Amato (Anonym 1567b), vgl. EDIT16 2014, CNCE 28646.

81 Vor allem der Herzog D’Ossuna stellte ein beachtliches kulturelles Programm auf (vgl. Isgrò 1981, 219).

82 Nicht nur die Regierung, sondern auch die Kirche instrumentalisierte diverse Zeremonien als Propagandamittel (zur Ideologisierung vgl. Lorenzini 2007, 45–57). Ebenso hatte das Jesuitentheater ab dem Secondo Cinquecento auf der Insel Tradition: Zweimal jährlich sollte eine Komödie oder Tragödie auf Latein als Übung der Jesuitenkollegs aufgeführt werden, sie wurden jedoch nach Isgrò »tradotti in volgare perché risultassero maggiormente comprensibili« (Isgrò 1981, 176).

83 Sie stammt von Giovan Tommaso Longobardos Passionsspiel Il Trionfo, das in Catania zu Ehren von Sant’Agata aufgeführt wurde (vgl. Isgrò 1981, 217).

84 Isgrò beklagt die spärlichen Hinweise, die die Archive diesbezüglich hergeben (Ders. 1981, 295). Die klassischen spanischen Komödien von Lope de Vega und Calderó de La Barca wurden auf Sizilien in jedem Fall rezipiert, aber wohl eher in übersetzter Form.

85 Nach dem Erratum wird darüber informiert, dass »[…] s’è solamente corretto alcune poche scorrezioni della prima impressione« (Giuffredi 1601, 394). Der Autor Giuffredi unterschreibt seine Widmung an den »Signor Vincenzio Fardella Cavalier Gerusalemmitano« am 15.08.1593 (Ders. 1601, a4).

86 Der letzte Zusatz fehlt im Gegensatz zur Originalvorlage von Massimo Troiano, bei dem es nur heißt: »[…] è opera non meno utile che necessaria, à tutti li desiderosi di sapere la perfetta lingua Spagnuola.« (Troiano 1569, 161).

87 Vgl. Giuffredi 1601, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10523890-1 (Zugriff vom 20.10.2014).

88 Die Osservationi erleben zwei Auflagen (1566 und 1583), die erste mit drei Nachdrucken (1567, 1568, 1569), die zweite mit fünf (1584, 1585, 1594, 1595, 1622); sie erschienen allesamt in Venedig (vgl. auch Kap. 6.4.6.3).

89 Der Titel lautet: Il compendio di Massimo Troiano tratto dalle Osservationi di M. Giovanni Miranda. Nel quale si ragiona della differenza, e conuenienza, dell’Alfabeto Spagnuolo, et Italiano, col quale si può imparare a leggere, & intendere, e proferire con ogni facilità, la vera lingua Castigliana. Che con l’essempio del presente libro dei triunfi, è opera non meno utile che necessaria, à tutti li desiderosi di sapere la perfetta lingua Spagnuola, vgl. Troiano 1569, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10199066-4, (Zugriff vom 20.10.2014). Zu Troianos Dialoghi vgl. García Dini 1995, URL: http://cvc.cervantes.es/literatura/aispi/pdf/06/06_011.pdf (Zugriff vom20.10.2014); zu Mirandas Osservationi vgl. Carreras i Goicoechea 1996; Dies. 2002, URL: http://amsacta.unibo.it/542/1/Carreras1.pdf (Zugriff vom 07.07.2014).

90 Giuffredis individuelle Mehrsprachigkeit wurde ihm durch seine Auslandsaufenthalte (u.a. in Spanien), die Tätigkeit als Hofsekretär, Gründungsmitglied der Accademia degli Accesi (1568–1573) und allgemein aufgrund seiner Schriftstellerei auf Toskanisch, Sizilianisch und Spanisch zuteil – zu Leben und Werk vgl. Piciché 2001, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/ricerca/Giuffredi,-Argisto/Dizionario_Biografico/ (Zugriff vom 10.07.2014); Spampinato 1981, 340–344. Nach Piciché erachtete Giuffredi Latein und Sizilianisch für Prosazwecke als ungeeignete Sprachen (vgl. Piciché 2001).

91 Vgl. die (Teil-)Edition von Maniscalco 2007, insb. 9–15; auch Cambareri 2009.

92 Messina und Palermo zelebrierten den Staatsbesuch feierlich (vgl. Isgrò 1981, 120–122 und die zeitgenössische Beschreibung der »Entrata trionfale di Carlo V in Messina«, transkribiert in Ders. 1981, 151f).

93 Der Titel lautet weiter: Con i varii Dialoghi Francesi, e Italiani nelli quali vi è contenuta la maggior parte de discorsi che si adoprano nella conuersatione. Per Roberto Paris di Parigi. Professore delle lingue. Nella Nobilissima, Fidelissima, & Esemplare Città di Messina. Exemplare der Grammatik befinden sich gemäß dem KVK in der Biblioteca Regionale Universitaria di Messina (Sign.: ME04: 45.A.28.), in der Bibliothèque nationale de France (Sign.: X-11526); aus Ersterem wird im Folgenden zitiert.

94 Zu den städtischen Revolten vgl. Saitta 1967, 10–15; Di Bella 2001; Dittelbach 2010, 66–69; Finley/Mack Smith/Duggan 2010, 174–178.

95 Laut Lipari ist die Rolle des Druckduos Paolo und Giuseppe Bisagni, die wahrscheinlich Brüder waren, aufgrund mangelnder Dokumentation kaum zu rekonstruieren. In diskontinuierlicher Weise gehen aus ihrer (Wander-)Presse ca. 25 Editionen zwischen 1665 und 1678 hervor. Zu ihrem Verlagsprogramm zählen »opere di un certo prestigio che li qualificano validi artigiani dotati di discrete capacità professionali« (Lipari 1990, 38 und Anm. 36) wie z.B. der Druck der Synodenakten im Bischofspalast von Reggio Calabria bezeugt.

96 Die Messinesen fanden in König Ludwig XIV., der sich ohnehin im Krieg mit Spanien befand, schnell einen Verbündeten. Anfang 1675 erreichten französische Truppen die Insel (vgl. Dittelbach 2010, 67f.)

97 Es existieren 18 Ausgaben (29.10.1675–24.04.1677), anonym und wie üblich für diese Publikationsform ohne Impressum, im Umfang von vier bis elf Seiten, die die Ereignisse jeweils von neun bis 49 Tagen zusammenfassen, »descritte spesso con linguaggio ampolloso e spessissimo popolare e con espressioni puramente dialettali« (Saitta 1967, 30). Zur periodischen Presse in Italien vgl. Monaco 1992.

98 La nuova e più accurata grammatica delle tre lingue Italiana, Spagnuola e Franzese von Giovanni Alessandro Lonchamps und Lorenzo Franciosini erschien 1655 in Rom und im selben Jahr in Venedig unter dem Titel La novissima grammatica delle tre lingue Italiana, Franzese e Spagnuola. Sie erschien bis 1681 noch sieben weitere Male in Italien. Während auch in der Grammatica per imparare le lingue italiana, francese e spagnola […] von Antonio Fabro (Fabro 1626, Rom) drei Sprachen kontrastiert werden, stellt Pietro Durantes Grammatica italiana per imparare la lingua francese (1625), ebenfalls in Rom publiziert, die älteste katalogisierte Französischgrammatik für Italiener dar (vgl. Minerva/Pellandra 1991, 31).

99 Der Autor ließ sich nicht im KVK unter diesem oder mit anderen Titeln identifizieren und fehlt bspw. auch in der Biobibliografie von Stammerjohann 1996. Zum (niederen) Berufsstand, Berufsbild sowie zur Typologie von Sprachmeistern in der Frühen Neuzeit vgl. Glück/Häberlein/Schröder 2013, 137–142.

100 Auch kündigt Paris im Epilog den sich in Vorbereitung befindlichen Folgedruck an, in welchem die Lernenden mit der schönen Stadt Paris bekannt gemacht würden: »Amico lettore, nella seconda impressione di questa Grammatica, alla quale si lauoraura da qui a poco tempo io ti parlarò dell’incomparabile Città di Parigi […].« (Paris 1675, II, 84).

101 Nach einer kurzen Einführung in die Aussprache des Französischen (Paris 1675, I, 1–9), wird die Grammatik nach dem klassischen Muster der Redeteile vorgestellt, wobei die Verbkonjugationen den größten Teil einnehmen (I, 9–81). Es folgen, mit neu beginnender Paginierung, sechs fingierte Musterdialoge von allgemeiner Konversation, von Morgen- und Abendgesprächen, Handelsdialoge, Bankettgespräche und nützliche »discorsi per viaggiare« (II, 1–85). Die Grammatik wird mit einem Glossar der Bezeichnungen für Körperteile, Jahreszeiten, Monatsnamen und Wochentage (II, 85–87) beschlossen.

102 So heißt es im dritten Dialog der Abendgespräche bspw.: »Cominciamo; che aria volete che noi soniamo? Tochiamo vn’aria alla Francesa, alla Siciliana, alla Messinese, vna corrante, vna sarabanda, […].« (Paris 1675, II, 25).

103 In Minerva und in Minerva/Pellandra ist die Lernergrammatik repertorisiert (mit Angaben zu Format und Kurzbeschreibung des Aufbaus) (Minerva 2003, 15; Minerva/Pellandra 1991, 38, Nr. 15 und 204). In Stengels chronologischem Verzeichnis französischer Grammatiken vom 14. bis 18. Jh. ist die Grammatik nicht erwähnt, vgl. Stengel [1890] 1976.

104 Die Palatalisierung in »congiugatione« (z.B. Paris 1675, I, 40 und 49) rührt augenscheinlich aus dem Französischen. Die Verbformen »bevere« (II, 66) und »pigliamo« (II, 73) sind Sizilianismen oder Toskanismen (< vìviri ›bere‹ bzw. piggiari ›prendere‹). Im Falle von »decembre« (frz.) ~ »decembre« (it.) (I, 87) könnte bspw. das italienische Äquivalent auf sizilianischen oder französischen phonetischen Einfluss zurückzuführen sein. Auch die Verwendung des Verbs »tenere« im Italienischen (z.B. II, 54 und 55) ließe sich aufgrund von sizilianischer, spanischer oder französischer lexikalischer Interferenz erklären. Insbesondere die Gesprächsdialoge bieten in dieser Hinsicht eine Materialfülle und dokumentieren darüber hinaus (fingierte) Nähesprache, hinter der sich die Gebrauchsnormen in der Alltagskommunikation, von Grußformeln bis hin zur Syntax, aufdecken lassen (eine genauere Analyse findet sich in Ambrosch-Baroua/Hafner im Druck). Exemplifizierungen aus deutsch-italienischen und deutsch-französischen Gesprächsbüchern des 18. Jh.s finden sich in Glück/Häberlein/Schröder 2013, 280–286, 487–492, 501–513.

105 Zur Biografie von Venuto, der aus Noto stammte und zur Entourage am Hof in Palermo gehörte, vgl. Abbamonte 2008, XIV–XVI.

106 Vgl. Abbamontes ausführliche Analyse von Grafie, Phonetik, Lexik (Latinismen, Sizilianismen) sowie der Interpunktion (Ders. 2008, XVIII–XLVIII).

107 Laut Edit16 2014 gibt es im Cinquecento noch weitere vier Editionen (1536, 1537, 1541, 1556), die alle in Venedig gedruckt wurden – fälschlicherweise werden sie als Lateinisch deklariert.

108 Die Ausgabe von 1556 ist im Gegensatz zu 1516 bspw. durchgängig interpunktiert (mit Akzent, Komma und Apostroph, Spatien), weist die Hebung von e zu i in Einsilblern auf (z.B. »de meno« vs. »di meno«; »se trouano« vs. »si trovano«), enthält aber auch Fehlinterpretationen, z.B. wird der Satz »per differencia d’aire o desparita de terreni« 1556 in »[…] o d’asperità de terreni« umgedeutet (vgl. Abbamonte 2008, XII).

109 Lamento del roy de Franza con la scaramuza che feceno li sguizeri contra li franzesi sopra Ada a Milano e Pauia e molte altre belle cose (Anonym, 1514). Questi sonetti scrisse de so mano in proposito di ciascun amatore il noobil [sic] miser Leonardo Justiniano (Anonym 1515).

110 Darunter sechs Heiligenlegenden wie etwa die Leggenda dei ss. Vito, Modesta e Crescenza (Adria 1523) oder die Vita di Angilu Falcuneddu capu di scurrituri e la sua morti alli 25 di aprili (Anonym 1566b), der verlorene (zweisprachige?) Katechismus Breve ristretto di sentenze cristiane e documenti utili ad ognuno, fatto in versi distici con loro espressione in lingua siciliana (Ciaccio 1582) oder das Compendio della storia dell’Antico e Nuouo Testamento (Anonym 1517) (auch) auf Sizilianisch. Canzuni spirituali di la vita e morti di S. Agata (Di Giorando 1614), oder das Lobgedicht Cariddi placata, panegirico per l’altezza del serenissimo principe Filiberto di Savoia (Gueli 1622).

111 Di la lingua siciliana, canzuni in lo proprio idioma (Arezzo 1582) von Arezzo; Il giudizio universale, poema in lingua siciliana von Girolamo Puglisi (Puglisi 1575)

112 Il maraviglioso successo, et horrenda caduta del ponte della felice città di Palermo in versi siciliani (Clemente 1591); Historia di la bella Agatha prisa dalli cursali di Barbarussa neli praij vicinu à la Licata (Anonym 1566c).

113 Die Komödie wurde 1675 von Aversa, der den Beinamen »Terenzio siculo« erhielt, italianisiert: Unter dem neuen Titel Notte, Fato e Amore sprach nur noch der sizilianische Diener Tiberio Sizilianisch (vgl. Isgrò 1981, 315, Anm. 84). Mit der verlorenen, in Venedig gedruckten La Dalila des Messinesen Vincenzo Galati ließe sich der erste Theatertext auf Sizilianisch auf das Jahr 1630 vordatieren (vgl. Ders. 1981, 315 Anm. 83).

114 Z.B. die Historia curiusa di Antoni Nnappa, con la quali si declara la virtù di lu vastuni contra li mughieri. Composta da lu pueta palermitanu (Anonym 1588a) oder La littra di Cola Blascu ad una donna curtixana di Napoli, operetta dilettusa e piacevuli. In Messina & ristampata in Palermo (Blasco 1619).

115 Vgl. Nalli 1932.

116 Integriert sind eine »Declarazione de tutti li impedimenti di matrimonii, per instructione delli semplici Sacerdoti« und andere Erläuterungen zu den christlichen Geboten, die publik gemacht werden sollen in »una tabella affica in loco publico et magis a populo frequentato, intra muros ipsius Ecclesiae« (zit. nach D’Agostino 1988, 47f.).

117 Der genaue Titel lautet: Dottrina christiana composta d’Ordine dell’Illvstrissimv, e D. Giacomo Palafox, e Cardona Arcivescovo della Fedelissima, e Felici Città di Palermu dallu Reuerendis. D.D. Giuseppe Bayas Prouicariu Generali nella lingua Spagnola, e trasportata d’ordini dell’Illustrissimu Prelatu nella lingua Siciliana per maggiuri commodità di tutti i Populi della sua Diocesi. In Palermv, Nella Stamperia di Petru Coppula Stampaturi Camerali. M.DC.LXXIX. (vgl. Nr. 278 des Online-Katalogs der Biblioteca Provinciale dei Cappuccini di Messina, http://www.bibliotecacappuccinimessina.it/images/Contenuti%20e%20Documenti/ediz.%20sec.%20xvii.1.pdf [Zugriff vom 10.08.2014]).

118 Hier lässt sich auch eine Parallele zur Figur des sardischen Dieners im sardischen geistlichen Spiel ziehen (vgl. Kap. 6.1.7).

119 Bspw. bezieht sich die Bezeichnung des Dieners Catonzu als »nasone« in Belandos Komödie Gli amorosi inganni (Belando 1609) sowohl auf die markante Nase als auch den Geburtsort Naso bei Messina des Autors.

120 Vgl. Ferlazzo 2010b, URL: http://drammaturgia.fupress.net/saggi/saggio.php?id=4628 (Zugriff vom 07.07.2014). Dazu zählen insbesondere sizilianische Interjektionen, Reduplikationen oder regionale Sprichwörter. Die Verwendung des Digramms <ll> für den sizilianischen stimmhaften retroflexiven Plosiv [ɖɖ] und die kaum vorhandene progressive Assimilation sind dagegen Toskanisierungsphänomene

121 Vgl. Ferlazzo 2010a, 417 und 421, Anm. 21.

122 Vgl. zur Biografie Migliori 1970, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/vincenzo-belando_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 10.07.2014). Von Belandos Mehrsprachigkeit zeugt auch sein zweites überliefertes, ebenfalls in Paris gedrucktes Werk Lettere facete, e chiribizzose in lengua antiga, venitiana, et una a la gratiana, con alguni sonetti, e canzoni piasevoli venitiani, e toscani e nel fin trenta villanelle a diversi signori e donne lucchesi et altri (Belando 1588).

123 Als einziger weiterer Capitano, typische und negativ konnotierte Figur des Spaniers in der Commedia dell’Arte, ist der »Spanta Spavento dell’inferno« in Francesco Cavannas La Servitù d’amore (vor 1613 geschrieben; 1624 in Palermo gedruckt) bezeugt (vgl. Isgrò 1981, 286). Eine in Palermo spielende Anekdote über den überheblichen, spanischen Soldaten findet sich in Tommaso Costos Novellensammlung Il Fuggilozio: »Un beccaio siciliano ed un soldato spagnuolo amano una fanciulla, la quale vagheggia lo spagnuolo; ma il siciliano fa di modo ch’egli non vi comparisce« (Costo 1989 [1596], 316f.; vgl. hierzu auch Kap. 6.4.4 und Kap. 6.4, Anm. 105).

124 Dabei handelt es sich um die französische Version der Osservationi della lingua Castigliana (Miranda 1566, Venedig) von Miranda, die Oudin zum Großteil plagiierte (vgl. Kap. 6.4.6.3).

125 Direkt nach dem Glossar bewirbt Belando noch einmal das für ihn nützliche französisch-spanische Wörterbuch von Oudin: »[…] ma che vuol saperne d’avantaggio dilettandosi della lingua spagnuola che legghi il tesoro delle due lingue cioè la spagnuola e la francese, fatica fatta dall’onorato signor Cesare Udin, che troverà quanto a ciò si desidera, dico un mostruoso numero di vocabuli che lo renderà contento e sodisfatto.« (Belando [1609] 1985, 294).

126 Die Wörterbücher wurden höchstwahrscheinlich auf Sizilien vertrieben. Aus einem überlieferten Vertrag zwischen Scobar und Giovanni Ghidele aus Brescia, Buchhändler mit eigenem fondaco in Messina und wichtigen Kontakten in die Lagunenstadt, geht zumindest die Vertriebsregelung von Scobars erfolgreicher, bis 1588 fünfmal in Venedig (nach)gedruckter Grammatik Aelij Antonij Nebrissensis Ad artem litterariam introductiones: cum eiusdem ex actissima expositione: additis commentarijs Christophori Scobaris viri eruditissimi […] (1517, Venedig) hervor: 537 Exemplare der Grammatik sollten nach der Ankunft in Messina in die Hände des Buchhändlers Antonio »Melanensi« übergehen für den Verkauf in Syracus (vgl. Resta 1992, 798, Anm. 14). Die genannte Auflage von ca. 500 Exemplaren könnte auch für das Vocabularium zutreffen.

127 Valla und Scobar waren Kleriker in Agrigent und zählen neben Bembo zu den prominenten Schülern des griechischen Gelehrten Constantino Lascaris, der in Messina eine renommierte Griechischschule leitete. Der Spanier Scobar gründete in Syracus selbst eine Latein-Schule nach dem Vorbild seines Lehrmeisters, des Grammatikografen Antonio Nebrija (zur Biografie von Scobar vgl. Leone 1990, VIII–X). Bei Scobar studierte wiederum Claudio Arezzo, womit sich der Literatenkreis schließt.

128 »In Toscana, infatti, il Valla, e precisamente a Siena, […] tenne scuola di latino, e compilò la prima edizione del suo vocabolario a Chiusi. […] Per parte sua il Valla considera il siciliano più ricco e armonioso del toscano, ma sa bene che a parlare siciliano in Siena si rischia di essere esposti al ridicolo.« (Trovato 2002, 862).

129 Vallas Vocabularium vulgare cum Latino apposito nuper correptum per proprium autorem Nicolaum Vallam: additis fere tercentum vocabulis reconditis […] (Valla 1512) wurde bis auf die Ausgabe von 1514 (bei Pesaro) in den Jahren 1512, 1515, 1516, 1522, 1535 und 1536 in Venedig gedruckt. Scobars Wörterbuch wurde nur einmal aufgelegt und enthält 3.000 Lemmata im Gegensatz zu den 1.600 von Valla (Varvaro 1976, 96).

130 Vgl. Pitrè 1870, 20–22; Gallina 1959, 1–24; Leone 1986, 1990; Niederehe 1994, 100–102.

131 Dabei handelt sich erstens um Onofrio Malatestas (siz~it~lat) La Crusca di la Trinacria, cioè Vucabulariu sicilianu nello quali non sulamenti pussidemu li palori, ma ancora li frasi e modi di lu parlari di chistu regni si straportanu a la favedda taliana ed allu dioma latinu; accrisciutu in maggiuri quantità di mitafuri, arguzii, mutti e pruverbij; adurbatu di frasi oratorii e puetichi, cu li sinonimi, epiteti e tuttu quantu chiddu appartieni all’arti liberali e micanichi, cu la nutitia di li citati, terri, casteddi, munti e xhiumi di l’lsula, nomi di li tituli e famigghi, chi n’appiru la ’nvistitura e chi alla jurnata li pussedinu: opira utilissima e nicissaria ad ogni litteratu, e specialmente a li predicatori, sigritarii, traspurtaturi e prufissuri di lingui, chi cu prupiatati li vurrannu traslatari, sapiri pri iddi, o insignari ad autri (Malatesta 1706). Zweitens um den Dittionario delle voci siciliane segnate con quelle della lingua italiana und drittens um den Vocabolario siciliano e italiano von Vincenzo Auria (Auria 1625–1719). Letzterem sind die »Errori del volgo ignorante, dove per passatempo si notano gli errori che occorrono circa il guastamento delle parole siciliane« angeschlossen, in welchen sprachliche Phänomene stigmatisiert werden (vgl. La Fauci 1977). Ein viertes sizilianisch-italienisches Wörterbuch wurde anonym und im 17. Jh. verfasst (vgl. Pitré 1870, 22).

132 In diesem Jahr erschien in Palermo das Dizionario siciliano, italiano e latino des palermitanischen Paters Michele del Bono; bis 1754 erschienen drei Folgebände; 1783 erfolgte die zweite Auflage in vier Bänden.

133 Littara war Universalgelehrter und Polygraf (vgl. Pignatti 2005, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/lo-frasso-antonio_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 10.07.2014). Er schrieb ebenfalls die erste in Sizilien erschienene Lateingrammatik auf Toskanisch: Compendio di chiara introduttione della grammatica latina in volgare, per più facile intelligenza di quelli, che vogliono imparar la lingua latina […] (Littara 1599, Palermo; 1601, Venedig). Vgl. die bei Lipari aufgeführten Werke zum Lateinerwerb (Lipari 1990, Nr. 244; 388; 567; 886).

134 Vgl. Il dimostrativo della retta pronunzia de gl’ infiniti de’ verbi toscani (Longo 1657) und La germana pronunzia di tutti gl’ infiniti de’ verbi italiani (Ders. 1667) des Priesters Andrea Longo.

135 Vgl. Spadafora [1682] 1709, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/ucm.5326812378 (Zugriff vom 15.09.2014).

136 ›Inventarisiert‹ ab ca. 1250 in Form von Handschriften, 12 Kodices aus dem Quattrocento und frühen kommentierten Wiegendrucken der Komödie und ab dem Cinquecento imitiert, beginnt im Humanismus in Sizilien ein wahrer Kult um »Danti« bzw. um sein Hauptwerk, dessen literarischer und sprachlicher Wert bei den sizilianischen Autoren zunehmend zugunsten des moral-erbaulichen in den Vordergrund rückt (vgl. Mengaldo/Pontieri/Santangelo 1970, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/sicilia_%28Enciclopedia-Dantesca%29/ [Zugriff vom 11.11.2014]). Vgl. auch zu »Dante e la Magna Curia« den gleichnamigen Sammelband (AA.VV. 1986) und Krefeld 2010a, URL: http://www.romanistik.uni-muenchen.de/downloads/links_personen/krefeld/krefeld_asli.pdf (Zugriff vom 10.07.2014).

137 Erst im Jahr 1583 wird in Ferrara Dante De la volgare eloquenzia. Col Castellano dialogo di m. Giouan Giorgio Trissino […] (Dante 1583) gedruckt (EDIT16 2014, CNCE 1179). Die editio princeps des lateinischen Textes erschien 1577 in Paris (bei Corbinelli).

138 Dorthin begleitet er Karl V. als sein königlicher Historiograf (1525–1532). Hier gründet er auch eine literarische Akademie im Haus von Veronica Gambara (vgl. Ligresti 2006, 239). Zur Biografie Arezzos vgl. Zapperi 1962, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/vincenzo-auria_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 10.07.2014).

139 Seine Aufenthalte führten ihn dadurch, aber auch aufgrund anderer Tätigkeiten als Historiker, Literat, Philologe, Geograf, Mathematiker, Archäologe und Jurist nach Spanien, Flandern, Italien und in andere Länder, vgl. zur Biografie Zapperi 1962, URL http://www.treccani.it/enciclopedia/vincenzo-auria_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 10.07.2014); Grasso 2008, IX–XIV. Arezzos Mehrsprachigkeit in Wort und Schrift ist eine logische Konsequenz. Sein berühmtestes Werk De Situ Insulae Siciliae (Arezzo 1537) wurde europaweit gedruckt und gilt als erste Beschreibung Alt-Siziliens.

140 Zu den Osservationi vgl. Alfieri 1986; Dies. 1992, 819; Spampinato Beretta 1980, 329–332; Lo Piparo 1987, 746–751; Grasso 2008.

141 Die meisten Zitate stammen aus der Commedia und mehr als die Hälfte der Petrarca-Okkurrenzen aus den Trionfi, die Bembo in den Prose nur ein einziges Mal heranzog (vgl. Grasso 2008, 198); Bembo selbst wird kaum zitiert.

142 Piccitto bezeichnet die Sprachform als »semitoscanizzato« (Piccitto 1967, 385); Soares da Silva präferiert das Adjektiv »coalescente« (Soares da Silva 2013, 89; vgl. Kap. 6.2, Anm. 7 und Anm. 11).

143 »[…] li Evangelii Sacri, como sono già in lingua vulgara tradutti […] pronunciandosi in latino, restiria la dottrina evangelica a li italiani, et si non a quisti, a quilli al manco dili secoli futuri, oscura et incognita: per causa, invaghiti di dir agevole, malagevole, abbarbaglia, huopo, hogiamai et molti altri voci vulgari, si dimostrano chi non bastano più accomodar li aurichii ad intendiri palora laqual in latino scritta sia, undi si porria concludiri chi è ceco in tutto quillo chi un detriment« (Ders. [1543] 2008, 36).

144 Grassi macht die monologische Struktur der Grammatik, völlig untypisch für die Zeit der im Dialog ausgetragenen questione della lingua, sowie die geringe Zirkulation des Buches für dessen Wirkungslosigkeit verantwortlich: »Le Osservationi non si sono lette per il semplice fatto che non era possibile leggerle.« (Grassi 2008, 198); ebenso argumentiert Piccitto 1967, 382. Für Alfieri stellen die Osservationi in der stark toskanisierten Insel nur ein »fenomeno di retroguardia« dar (Alfieri 1992, 819).

145 »[…] non si trovirà homo, in quisto nostro mundo, chi con quilla facilitati pozi in peregrina lingua (anchor chi molto vicina ala sua fussi) li soi rimi scriviri como in la materna« (Arezzo [1543] 2008, 35).

146 Veneziano (1543–1593) gilt in zeitgenössischer und aus heutiger Sicht als bedeutendster Dichter in der Muttersprache (»il Principe della Siciliana Poesia« laut Sanclemente 1645, 101). Er geriet in Gefangenschaft, wo er angeblich mit Cervantes die Zelle teilte und auch starb. Er war vielfältiger Schriftsteller und dichtete auch auf Toskanisch, Latein und Spanisch (vgl. Arceri 1859, XX).

147 Das erste Buch besteht aus 289 Gedichten, denen ein Brief und 12 Oktaven auf Spanisch von Cervantes an Veneziano sowie ein Sonett von Veneziano an Cervantes folgen. Das zweite Buch enthält 318 Gedichte (vgl. Arceri 1859, 1f. und XVIII). Vgl. auch Lo Piparo 1987a, 745; Alfieri 1992, 814.

148 Diese Stelle erlangte auch durch Cervantes’ Imitation im 16. Kapitel des El ingenioso hidalgo don Quijote de la Mancha (Cervantes Saavedra 1615, Madrid) Berühmtheit.

149 Diese Stelle kann auch als Anspielung auf sein Werk verstanden werden, welches er, wie der Titel verrät, seiner Frau Celia widmet.

150 Vgl. Contarino 1998, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/giuseppe-galeano_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 07.07.2014).

151 Es erscheinen drei weitere Bände (Galeano 1647 bei Decio Cirillo; 1651 bei Giuseppe Bisagni; 1653 bei Bisagni). Die ersten beiden Bände werden 1662 bei Bisagni nachgedruckt.

152 Die Edition, aus der auch zitiert wird, stammt von Grassi 1996.

153 Im Unterschied zu ihm realisiert Belando die gegenteilige Schreibung (vgl. Kap. 6.2.4.4).

154 Im secentine-Katalog von Di Natale/Cannato ist der Name »Gio. Battista Maringo, stampator« für zwei dem Titel nach italienische Druckwerke aus den Jahren 1615 und 1614 registriert (Di Natale/Cannato 2009, Nr. 100 und Nr. 116). Vermutlich handelt es sich um einen Verwandten. Zu Giovan Battista Maringo vgl. auch Pàstena 2012, 344.

155 Giovanni Ventimiglia hält 1658/59 in der Accademia della Fucina (1639–1678) zwei Reden zum »Primo/Secondo Discorso intorno al primato linguistico e poetico dei siciliani« (vgl. Vitale 1986; Lo Piparo 1987a, 749; Alfieri 1992, 819) Zwei weitere handschriftliche Texte aus dem Seicento, der Discorso che la lingua Italiana hebbe nella Sicilia il suo nascimento von Luigi La Farina sowie der Discorso in cui si prova la lingua Siciliana esser madre dell’Italiana von Francesco Pio »perdute o inventate che siano, rivelano anch’esse, nella loro necessità, la fortuna di un tema già antico e pervenuto ora ad un urgente interesse.« (Vitale 1986, 19).

156 Zur Vita vgl. Vitale 1986, 9–18.

157 Auria rekapituliert diese 1704 in seinem Werk La Sicilia inventrice o vero le inventioni lodevoli nate in Sicilia (vgl. Auria 1704, 145–154, Permalink: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10051539-3 (Zugriff vom 10.11.2014).

158 Für das Seicento registriert Pàstena die Werke von 86 Spaniern und zwei Franzosen (Pàstena 2012, 348).

159 Vgl. Kap. 6.2, Anm. 49. Auffälligerweise erschienen die Druckwerke bei königlichen Druckern in Madrid; in diesem Zusammenhang könnte der Frage nachgegangen werden, ob für sie – und eventuell auch für sardische Autoren (vgl. Kap. 6.1.4.2) – wiederholt die gleiche Offizin beauftragt wurde.

160 Die diatopische Neutralität des Sizilianischen lässt sich auf das 11. und 12. Jh. (bis zur normannischen Herrschaft) zurückführen: Der von arabischen, griechischen, (gallo-)romanischen, kalabresischen und galloitalischen Varietäten kontaktinduzierte Ausgleichsprozess führte zum homogenen Charakter des Sizilianischen (vgl. Varvaro 1981; Krefeld 2004a, 142–146).

6.3 Milanesado

6.3.1 Sprachgeschichtliche Perspektiven

Im Gegensatz zu den Königreichen Sardinien und Sizilien kann man im Falle des Herzogtums Mailand, das nach französischer Besetzung ab 1535 zur Spanischen Krone gehört und von einem spanischen Gouverneur verwaltet wird1, glücklicherweise auf Forschungsarbeiten zurückgreifen, die in mehrfacher Hinsicht für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit wertvoll sind.

Aus sprachgeschichtlicher Perspektive sind die Überlegungen und Exemplifizierungen einer zeitweise dreifach gelagerten Sprachkontaktgeschichte (Tosko-Italienisch-/Französisch, Tosko-Italienisch/Spanisch, Lombardisch/Toskanisch) der Lombardei im Cinquecento von Wilhelm wegweisend (Wilhelm 2007; Ders. 2013).2 Seinem Theorem von regionaler Sprachgeschichtsschreibung liegt die Vorstellung zu Grunde, »di coniugare variazione esterna, fra lingua e lingua, e variazione interna, fra i vari registri e dialetti che fanno parte della lingua italiana« (Ders. 2013, 146); dieser Ansatz erlaube auch die Integration traditioneller Zugriffe wie die Untersuchung des lexikalischen Einflusses.3 Dieser Perspektivenwechsel hebt sich deutlich ab von den anderen sprachhistorischen Arbeiten zur Lombardei, in denen die Fremdsprachen im toten Winkel der nationalsprachlichen Betrachtung der einheimischen Sprachen und Varietäten bleiben.4

Ein solides Fundament ist ebenso hinsichtlich der lombardischen Dialektliteratur geschaffen, da sie »rispetto alle altre regionali, gode di un indubbio vantaggio, quello di essere stata sistematicamente esplorata, con i più aggiornati strumenti dell’indagine filologica e linguistica« (Stella 1996, 85).5

Ferner lenkt Ellena in ihrer Langzeitstudie den Blick weg von der toskozentrischen questione della lingua hin zur Rolle der entlegeneren norditalienischen Varietäten in ebendieser und präsentiert damit eine Geschichte des Sprachwissens unter anderem der Lombardei (Ellena 2011, insb. 174–234).

Cavagna kommt das Verdienst zu, die Buchdruckgeschichte der Lombardei mit besonderer Berücksichtigung der spanischen Buchproduktion und -rezeption im Cinque- und Seicento aufgearbeitet zu haben (Cavagna 1995; Ders. 1998, insb. 95–123).

Schließlich wurde der Stellenwert der spanischen Literatursprache in der (religiösen) Literatur und im Theater der Lombardei in mehreren literaturwissenschaftlichen Studien ermittelt6 und auch teils museal aufgearbeitet: Da die daraus hervorgehenden bibliografischen Ausstellungskataloge ihren Schwerpunkt auf die lyrisch-literarische Produktion (in spanischer Sprache) der Lombardei legen7 und auch Cavagna spanische Druckwerke nur exemplarisch vorstellt, mangelt es dennoch an einer ganzheitlichen Bestandsaufnahme der im so genannten Milanesado8 gedruckten spanischen Editionen9, wie sie für Neapel und Sizilien ins Leben gerufen wurde.10

6.3.2 Mailand aus zeitgenössischer Sicht: Schmelztiegel und Militärbasis

[56] E chi non à vedut quest gran Milan / Diga: bregada andem tug a Milan. / E vegnil a vedì che cert Milan / Ve darà tal conten che fo ’d Milan / No ’f curarì d’andà, perchè Milan / No gh’à citat al par, oh che Milan! (Anonym [1624] 2005, 129)

Die einladenden Eröffnungsworte des Cheribizo – Sommario de tutte le professioni et arte Milanese11 (Anonym 1624, Mailand, bei Meda), einer Art Stadtführer »per satisfà quei che a Milan / No pon vegnì« (Anonym [1624] 2005, 129), geschrieben in einem artifiziellen Lombardisch bzw. »semibergamasco« (Isella 2005, 128), preisen Mailand als Hauptstadt des Herzogtums – mit fast konstanten 100.000 Einwohnern vom Quattro- bis zum Seicento per definitionem eine Metropole (vgl. Cipolla 1980, 14).12 Im mailändischen Schmelztiegel logiert nach Schätzung des anonymen Autors in 37 Gasthäusern »tut sta zent« (Anonym [1624] 2005, 140), nämlich

[57] […] Roman, Francis, Todesch e di Spagnui, Venezian, Veronis e Fiorentini, Bolognis, Mantovani e Feraris, Senis e Parmesan e Modonis, Napolioch, Genovis, Ceciliani, Savonis, Orbinas e Calavris e Ciprioti e Corsi e Sardegnis e Transilvani e Ongari e Polachi, Suizeri e Bergognoni e Piamontis, Oltrinasch e da Bregn e Bergamaschi e d’ogni nazion, fora i Giudir (Anonym [1624] 2005, 140f.)

Die Auflistung – man beachte die Reihenfolge – vermittelt trotz ihrer Überspitztheit einen Eindruck vom städtischen Kommunikationsraum mit ausgeprägter territorialer Mehrsprachigkeit. Während sich im Alltagsleben multiple Sprecherkontakte ableiten lassen, spielt auf der Ebene der Führungsriege zwangsläufig das Spanische eine der Hauptrollen, ohne jedoch raumbeherrschende Territorialsprache zu werden wie im Falle Sardiniens (vgl. Kap. 6.1.8). Denn regiert wird die Region, wie oben bereits erwähnt, von einem zivilen und militärischen Statthalter aus dem spanischen Adel13,

[58] […] quel degn governador / chè po ach gieneral de tut ul stat, / con ogni sort de zent, com’va a una cort, / e di Marchesi e Conti e Cavalir, segnori imbassador, col mazordom, coi secretaijri, camareri e scalch / […] maestri di cirimoni e la musica, / cughi, sot cughi, canever e guater, / […] cavailezir, arcabusir, todeschi, / […] Daspò vu vederì tut el Senat, / […] Princep e Castelan, trì Prazedent, / quel dol Senat e quei di magistrat, / col gran cangielir conservator, […] (Anonym [1624] 2005, 134)

Allein die im Zitat genannten zentralen Posten des Gouverneurs, des ihm zur Seite gestellten »Grancancelliere« mit rechtsberatender Funktion und des Kastellans, Garnisonsführer des Castello di Milano, die alle drei spanischer Provenienz sind, lassen mindestens passive Kompetenzen der spanischen Sprache seitens der lombardischen Senatsmitglieder und Verwaltungsangehörigen vermuten.14 Umgekehrt ist mindestens eine Zweisprachigkeit der Herrschenden anzunehmen, die durch sprachkundige Sekretäre zur Mehrsprachigkeit ausgeweitet wird, wie aus der Noticia general de el Estado de Milán, su govierno y forma año 645 hervorgeht:

[59] Para las cosas de estado y guerra tiene [el governador; T.A.] sus secretarios, uno de lengua latina, otro de alemana, otro de diversas y tres de el Estado (pero esto se observa mal); tiene el gran canciller, que es cavo de los seis secretarios para el despacho de memoriales, órdenes, premáticas y consultas, como se dirá en su lugar. (Zit. nach Giannini/Signorotto 2006, 45)

Die genannten Offiziere, einfache Söldner und Reitsoldaten, denen im Cheribizo die weitere Beschreibung des kompletten Verwaltungs- und Rechtsapparats Mailands folgt (vgl. Anonym [1624] 2005, 134–137), sind Teil einer kriegsbedingten Migrations- bzw. Sprecherbewegung von spanischen, aber auch explizit genannten deutschen Militärangehörigen in Mailand,15 das sich zu einem »auténtico ventrículo militar« (Ribot García 1995, 100) entwickelt. Dies hat auch Folgen für die administrative Kompetenzverteilung der Regierung: Während den Spaniern die militärischen Belange obliegen, kümmern sich die Lombarden um die laufenden Verwaltungsangelegenheiten,

[…] una diarchia, dunque, tra arbitrio della forza, e uso arbitrario del diritto che avrebbe stabilizzato il sistema politico dotandolo di regole capaci di mitigare i conflitti e di una ideologia condivisa dal patriziato lombardo, quella della monarchia mista e moderata da una componente aristocratica e della fiducia in un re fonte di giustizia […]. (Buono 2009, 47)16

Besonders im Gegensatz zu den Verhältnissen in den drei regni Sardinien, Sizilien und Neapel17 ist die massive militärische Präsenz in der Lombardei die logische Konsequenz der Schlüsselstellung der Hauptstadt Mailand als Knotenpunkt der »Spanischen Straße« (1567–1620) zwischen Nord-, Mittel- und Südeuropa (vgl. Rizzo 1992, 325; Parker 2004, 70–90).18 Im Vergleich zur 13.000 bis 15.000 Mann starken Einheit der Niederlande erscheint die Zahl von zunächst 5.000 Männern unter Philipp II. weitaus geringer. Dennoch darf Mailands ständiges Heer, zu dem sich noch der immense militärische Durchgangsverkehr addierte, in numerischer Hinsicht neben dem von Flandern als die größte Truppenmacht der spanischen Monarchie gelten.19 Wie auch andere Söldnerarmeen im Europa der frühen Neuzeit war sie mehrsprachig organisiert; mehrsprachige Söldneroffiziere oder Dolmetscher mussten die Kommunikation nach innen und nach außen sichern – welche Sprachen zu ihrem Ausbildungspensum gehörten und wie der militärische Sprachunterricht aussah, ist allgemein jedoch erst ansatzweise erforscht (vgl. Glück/Häberlein 201420).

Gerade im Laufe des 17. Jahrhunderts wurde Mailand als logistischer Rekrutierungsstandort für spanische und italienische Soldaten gen Norden zur »plaza de armas de la Monarquía/de Europa«, wie aus zwei consultas des Consejo de Estado von 1635 und 1644 hervorgeht (vgl. Giannini 2006, LXV). Die Entwicklung der »gentes de armas« in Zahlen zeigt sich in nachstehendem Liniendiagramm:

Abbildung 31: Spanien unterstehende Streitkräfte in der Lombardei im 17. Jahrhundert (eigene Darstellung auf Basis von Rizzo 1992, 328f. und Ribot García 1995, 100f.).565

Abbildung 31: Spanien unterstehende Streitkräfte in der Lombardei im 17. Jahrhundert (eigene Darstellung auf Basis von Rizzo 1992, 328f. und Ribot García 1995, 100f.).21

Die Beherbergung tausender in der Lombardei stationierter Streitkräfte war eine logistische Herausforderung. Wie Buono belegt, wurde von der Regierungsebene, aber auch von der Bevölkerung selbst eine räumliche Trennung des Militärs von den Einwohnern befürwortet (Buono 2009, 142–152):22 Die einfachen Soldaten, aber auch höhere Militärangehörige sollten in so genannten »case herme«, oder in spanischer Entsprechung, »casas yermas«,23 das heißt einzelnen, zum Beispiel infolge der Pest leerstehenden Häusern, die von Privatpersonen oder Kommunen vermietet wurden, untergebracht werden; 1638 erging hierzu ein königlicher Erlass. In Pavia existierten zudem, ähnlich wie in Neapel die Quartieri Spagnoli (vgl. Kap. 6.4.2.2), auch einige extra geschaffene »Quarterij di cavalleria et uno d’infanteria« (zit. nach Ders. 2009, 163, Anm. 62); in Alessandria wurden die Soldaten innerhalb und außerhalb der Stadtmauern in »baracconi« stationiert (Buono 2009, 164). In diesem Zusammenhang kann eine weitere Einrichtung eigens für spanische Soldaten erwähnt werden, deren Hausordnung (in spanischer Sprache) den Weg in den Druck fand und somit eines der wenigen drucksprachlichen Zeugnisse der Militärbesatzung darstellt: die Regularien der Jahre 1611, 1621 und 1622 des in Alessandria errichteten Hospitals, die gebündelt als Hospital Real del Exercito del Estado de Milan (Anonym 1611) bei Malatesta erschienen (das vierte und jüngste Dokument von 1611 enhält die von Juan Fernandez de Velasco, »Condestable de Castilla«, angeordneten »Ordenes y reformas del Hospital de Alexandria«). Nicht wenige von Buono ausgewertete Primärquellen legen Zeugnis über den Missmut der allochthonen Bevölkerung ab, die nicht bereit war, das intolerante Verhalten der stehlenden, zahlungsunwilligen oder zerstörungswütigen Soldaten zu dulden (Ders. 2009, 275f.)24; eine Tatsache, die sicherlich zusätzlich die Kommunikation, insbesondere mit den deutschen oder flämischen Streitkräften, blockierte. Dass selbst bei den spanischen Soldaten nicht von passiver Italienischkompetenz ausgegangen werden kann und Spanisch als Kommandosprache verwendet wurde, belegen die öffentlichen Bekanntmachungen der gride in spanischer Sprache, die unter Kap. 6.3.6.2 vorgestellt werden.

Nicht nur die Anzahl der spanischen Söldner im finanziellen und logistischen Zentrum war um ein Vielfaches höher als in Sardinien und Sizilien, auch die Anzahl an potenziellen Lesern bzw. Käufern von spanischen Druckwerken war durch den Mobilitätsfaktor Militär25 massiv erhöht – sie standen im Blickpunkt von berechnenden Typografen:

Printers and booksellers observed that tens of thousands of soldiers stayed regularly in the region, becoming a part of the social and urban fabric: hundreds of government officials with their families, demands, memories and homesickness. They therefore produced for them: for thirty years at the beginning of the century, classics in Castilian; and, throughout the century, books about military subjects, both in Castilian and in other languages. (Cavagna 1997, 214)

Es bildete sich folglich ein »micro-mercado« (Ders. 1995, 115) für spanische Druckschriften in der Lombardei heraus. Da ein regulärer Buchimport aus Spanien wie auch der Buchexport auszuschließen sind,26 entstand ein in sich geschlossener Kommunikationszirkel für rein interne Bedürfnisse, an dessen Anfang (Autor) und Ende (Rezipient) idealtypisch Hispanophone standen, wie im Folgenden nach einem Überblick über den mailändischen Buchdruck im 16. und im 17. Jahrhundert gezeigt wird. »[C]hi stampa, che librer e chi vend carta« (Anonym [1624] 2005, 147), so die Bezeichnungen im Berufspanorama des Cheribizo (Ders. [1624] 2005, 141–150), schienen aber offensichtlich in der Veröffentlichung im autochthonen Idiom ebenfalls ein rentables Geschäft bzw. einen Kundenkreis zu sehen (vgl. hierzu Kap. 6.3.4) – der unbekannte Autor des Cheribizo (Anonym 1624) lieferte dafür den eigenen und nicht den frühesten Beweis.

6.3.3 Makroanalyse: der Buchdruck in Mailand im Cinque- und Seicento

Mailand übernimmt von Anfang an in der Buchdruckgeschichte der Lombardei27 eine führende Rolle28 und ist im 16. Jahrhundert mit über 3.000 cinquecentine nicht nur Druckzentrum der Lombardei,29 sondern platziert sich gemäß den erschlossenen Makrodaten nach Venedig, Rom und Florenz an vierter Stelle der Produktion der Halbinsel (vgl. Santoro 2008, 134).

Nach dem Periodisierungsmodell von Sandal lassen sich im 16. Jahrhundert drei Phasen im lombardischen Druckwesen festsetzen, die sich aus der Realgeschichte, das heißt vor allem aus den politischen Wechseln des Herzogtums ableiten lassen (vgl. Sandal 1992). Insbesondere die Pest im Jahr 1524 und die politischen Ereignisse in den Jahren 1525/152630 ziehen eine Zäsur nach sich, so dass nach circa 700 Editionen im ersten Vierteljahrhundert im Zeitraum zwischen 1526 und 1556 krisenbedingt nur 330 Editionen erscheinen. Nach zwei kompletten Druckpersonalwechseln um die Jahrhundertwende und nach der Krise spezialisieren sich zwischen 1526–1556 die circa 40 (Gelegenheits-)Arbeiter der regionalen Buchbranche teilweise für ein nicht-literarisches Zielpublikum, zum Beispiel die in Mailand zahlreich vertretenen »artigiani«.31 Damit, aber auch mit der mit dem Beginn der zweiten Periode koinzidierenden Veröffentlichung der Prose (Bembo 1525) von Pietro Bembo steht der starke Anstieg von Druckwerken in volgare auf 60% der Gesamtproduktion sowie die zurückgehenden Auflagen der lateinischen Klassiker in Zusammenhang; 33% der Produktion decken allein religiöse Druckwerke ab (vgl. Santoro 2008, 180).32 Die dritte Periode (1557–1600) kommt einer »seconda introduzione della stampa« (Sandal 1992, 295) gleich, da sich die Produktion im Umfang von 1.350 mailändischen Titeln um den Faktor 2,5 erhöht und mit jahresdurchschnittlich 35 Editionen an die Inkunabelzeit sowie an die erste Periode (1500–1525) anknüpfen kann (Ders. 1992, 296). Diese Rekonsolidierung resultiert aus der Neuordnung der politischen, religiös-kulturellen und buchrechtlichen Strukturen: Das Herzogtum untersteht nach Jahren der kriegerischen Auseinandersetzungen nun Philipp II. von Spanien (1556–1598); unter dem neuen Erzbischof und Kirchenfürsten Carlo Borromeo (1565–1584) entwickelt sich das Erzbistum Mailand zur Vorzeigediözese; sein Cousin Federico Borromeo (1595–1631) folgt ihm nach und begründet 1609 die Biblioteca Ambrosiana.33 Borromeos »programmi di restaurazione letteraria e linguistica« (Bongrani/Mongana 1992, 108) verleihen dem Toskanischen einen letzten definitiven Schub, auch im Unterricht,34 nicht ganz jedoch in der Predigt.35 Zudem entstehen ab 1564 jesuitische Institutionen in der Provinz Longobardiae, die durch ihr Bildungsangebot ebenfalls die Nachfrage nach Büchern, vor allem lateinischen, erhöhen.36 Nicht zuletzt trägt aber auch die 1589 vom Senat bewilligte Gilde der »bibliopolae«, die daneben nur Venedig vorweisen kann (vgl. Brown 1981), zu einer privilegierten Lokalproduktion bei: Drucker, Buchhändler und die örtlichen Autoren,37 die ohnehin unter keinem großen Zensurdruck stehen, sind nun mit ihren Investitionen und vor Konkurrenz geschützt; auch der Buchimport wird geregelt (vgl. Sandal 1992, 296f.; Cavagna 1997). Ferner kann auch ein Druckwerk in einer bestimmten Sprache vom Senat aus geschützt bzw. verboten werden; diese sprachliche »privativa« betrifft im Verbotsfall bezeichnenderweise das Toskanische und ist sechs Jahre lang gültig (Cavagna 1997, 233, Anm. 37). Erforderliche Sprachkenntnisse seitens der Typografen oder Mitarbeiter werden in den extrem detaillierten Statuten der Zunft, den Statuti e Ordini dell’Università de librari e stampatori della Città di Milano,38 die 1614 im Druck erschienen, nicht erwähnt.

6.3.4 Sprachliche und domänenspezifische Distribution der mailändischen Drucke

Die sprachliche Distribution der mailändischen cinquecentine, die Santoro zufolge 5,06% der Gesamtproduktion Italiens abdecken (Santoro 2008, 228), zeigt sich auf Basis des EDIT16 2014-Bezugskorpus in Kombination mit den eigenen Daten in folgender Tabellenstruktur:

Tabelle 15: Sprachliche Distribution der mailändischen cinquecentine (1501–1600); Datenset 9: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Tabelle 15: Sprachliche Distribution der mailändischen cinquecentine (1501–1600); Datenset 9: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Die Editionen in italienischer und lateinischer Sprache halten sich ungefähr die Waage mit einem leichten Überhang der ersteren Sprache.

Die spanischen Druckwerke stellen prozentual umgerechnet 0,9% der gesamten verzeichneten EDIT16-Titel dar39 – diese Zahl würde sich leicht auf 1,3% erhöhen unter Zugrundelegung meiner eigenen erschlossenen 41 spanischen Titeldaten – immerhin fast der doppelten Anzahl der aus EDIT16 2014 gefilterten Editionen. Bei den 42 Drucken überwiegt die Domäne der Literatur (14), je acht Titel sind religiöser und rechtlicher Natur; fünf entfallen auf Historie und bei sechs handelt es sich um Traktate (zwei davon sind Militärtraktate). Der gemäß EDIT16 2014 (CNCE 13363) späte ›Erstdruck‹ in spanischer Sprache La Coronica de don Aluaro de Luna (1546) (vgl. Kap. 6.3, Anm. 31) kann auf das Jahr 1502 vordatiert werden: Das nicht überlieferte, aber im Bibliothekskatalog von Fernando Colombo verzeichnete ›Geisterbuch‹ Libro de suertes, en que se echan los dados para ver la fortuna […] Impreso en Milán, año de 1502 (Anonym 1502) würde somit eines der überhaupt ersten gedruckten spanischen Werke in Italien darstellen.40

EDIT16 2014 filtert zudem unter der sprachlichen Rubrik italiano-dialetti fünf Titel im Umfang von je zwei bis vier Seiten, vier davon ohne Impressum, die damit eindeutig populären Lesestoffen zuzuordnen sind.41 Das gänzliche Fehlen von französischen Editionen in EDIT16 2014 (bis auf die Ausnahme eines italienisch-französischen Nachdrucks)42 überrascht, da die Lombardei offiziell noch bis 1521 unter französischer Herrschaft stand.

Im Folgejahrhundert bleibt der Anteil Mailands am Gesamtvolumen der Buchproduktion Italiens mit 5,7 % konstant (vgl. Santoro 2008, 228).

In Ermangelung von anderen bestehenden Datengrundlagen muss die sprachliche Bestandsaufnahme der von der British Library katalogisierten secentine Mailands die Vergleichsbasis der sprachlichen Distribution bilden (vgl. Ders. 2008, 251). In Kombination mit dem eigenen Korpus ergibt sich die folgende statistische Übersicht:

Tabelle 16: Sprachliche Distribution der mailändischen secentine (1601–1700); Datenset 10: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Tabelle 16: Sprachliche Distribution der mailändischen secentine (1601–1700); Datenset 10: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Aus der ersten Zeile der Tabelle ergibt sich eine knapp dreimal höhere Zahl der italienischen Druckwerke im Vergleich mit den lateinischen; in Prozentzahlen handelt es sich um 71,5% italienische, 25,5% lateinische und 3% spanische Titel der Gesamtproduktion Mailands.

Domänenspezifisch entfallen nach den Registrierungen des CSCIB 24,7% der mailändischen secentine auf Religion, 24,7% auf Literatur, 23% auf Geschichte, 11,7% auf Wissenschaft, 7,7% auf Kunst, 5,3% auf Recht und die restlichen 2,9% auf Varia (vgl. Ders. 2008, 251).

Die eigenen gesammelten spanischen 86 Titel (bzw. sogar 94, nimmt man auch die Übersetzungen ins Spanische hinzu) sind hingegen fünfmal mehr als die entsprechenden der CSCIB-secentine (Verhältnis 95 : 20). Sie verteilen sich auf folgende Domänen: 21 Literatur, je 21 Historie und 23 Recht, 13 Religion, acht Traktate (davon vier wissenschaftliche, vier militärische). Diese Verteilungen entsprechen ungefähr denen der aufgezeigten Verhältnisse der cinquecentine auf Spanisch.

Die Differenzierung der Übersetzungen zeigt wie gewöhnlich, das heißt wie bereits anhand der Daten aus Sardinien und Sizilien deutlich wurde und sich zudem in Neapel bestätigen wird (vgl. Kap. 6.4.5.2), einen weitaus höheren Anteil an Übersetzungen vom Spanischen ins Italienische als in die umgekehrte Richtung (28 : 9).

Die zweisprachigen und dreisprachigen Titel entstammen bis auf eine italienisch-spanische Sprichwörtersammlung – die Proverbi morali (Barros 1659) (vgl. Kap. 6.3, Anm. 83) – sowie drei Sprachlehrwerke alle der Domäne der Administration (vgl. hierzu Kap. 6.3.5). (Im Cinquecento wurden fünf italienisch-spanische Druckwerke registriert, die alle dem Bereich der Administration oder dem Militärwesen zuzuordnen sind).

Zur lombardischen Buchproduktion des 17. Jahrhunderts zählen laut dem eigenen Korpus darüber hinaus je zwei spanische Titel aus Vigevano und Pavia, je eine Übersetzung aus dem Spanischen ins Italienische aus Pavia und Como sowie drei aus Cremona.

6.3.5 Makroanalyse: zwei Schlüsselfiguren der spanischen Buchproduktion – Malatesta und Bidelli

Während des letzten Drittels des Cinquecento ist nach wie vor von circa 30 bis 40 typografischen Arbeitern bzw. ab 1589 Zunftmitgliedern Mailands auszugehen (Cavagna 1997, 235).43 Neben Gottardo da Ponte (»& eredi«) aus Brügge, während des gesamten 16. Jahrhunderts einziger konstanter – und in der letzten Dekade königlicher – Drucker und Buchhändler sind ferner nennenswert die Großdruckerei der Tini (1568–1612), die sich unter anderem auf Musikdrucke spezialisierte, sowie der Herausgeber und Großbuchhändler Giovanni Antonio degli Antoni (1554–1599),44 der laut EDIT16 2014 zwei spanische Titel herausgab (La vida de Lazarillo de Tormes, y de sus fortunas y aduersidades – Anonym 1587, Mailand und 1597, Bergamo). Im Jahr 1603 verkaufte er seinen bedeutenden Buchladen namens »Granda« am zentralen Banco di s. Ambrogio45 in Mailand und gewährte damit Einblick in sein sprachlich breit aufgestelltes Inventar, in dem aber spanische Bücher nicht quantitativ herausstechen.46

Die wichtigsten und privilegiertesten Protagonisten im Druckwesen des Estado de Milan waren zweifellos zum einen die reichste, renommierteste und produktivste Druckdynastie des Seicento, die der Familie Malatesta, die ab 1594 unter Pandolfo zum »impressore regio camerale«/»regio ducal stampatore« ernannt wurde, und zum anderen der gelehrte Verleger, Buchhändler und Kaufmann Giovanni Battista Bidelli. Beide waren auch in die Produktion und in den Vertrieb spanischer Bücher involviert bzw. dominierten diesen Sektor. Trotzdem oder gerade deswegen ist im Milanesado kein gebürtiger Spanier im Produktions- oder Vertriebsprozess oder eine von spanischer Seite intendierte »colonización librera« (Cavagna 1995, 120) nachgewiesen.47

6.3.5.1 Die Druckdynastie der Malatesta: »voice of the government«

Pandolfo Malatesta arbeitete zunächst als Partner der Nachkommen von Gottardo da Ponte, von denen er auch den Titel des königlichen Druckers übernahm, nachdem diese »stampatori arcivescovili« wurden.48 Zusammen mit seinem Sohn Marco Tullio erhielt er 1603 das Druckprivileg auf 15 Jahre für offizielles Schrifttum des Senats, das 1618 auf weitere 15 Jahre erneuert wurde (vgl. EDIT16 2014).

Als »voice of the government« (Cavagna 1998, 211) hatten die Malatesta – mit bestausgestatteter Offizin in der Corte Regia (mit drei Pressen, guten Lettern, zwei Korrektoren) und zwei Buchläden in Mailand – das Monopol inne, auch in Bezug auf direkte Aufträge aus bzw. für Madrid (Dies. 1998, 201).49 Konsequenterweise fiel die Wahl auf die Publikation in spanischer Sprache »cuando imaginaban que podían vender el producto también a un público extra-regional o cuando había una explicita petición-imposición en esa dirección« (Dies. 1995, 104). Circa 100 Titel, darunter Friedenstraktate, Relationen, Verordnungen, königlich-autorepräsentative Texte (zum Beispiel anlässlich von Geburten, Bestattungen und anderen Hofzeremonien) umfasste die unter anderem spanische königliche Produktion ab dem Jahr 1599,50 die einem Drittel ihrer Gesamtproduktion entsprach (vgl. Ruggerini 2007). Es ist davon auszugehen, jedoch nirgends (selbst-) bezeugt, dass die Malatesta Spanisch beherrschten oder einen Muttersprachler als Mitarbeiter bzw. Korrektor anstellten. Als strategische und gelehrte Drucker machten sie auch ihrem weiteren Titel »Stampatore della Magnifica Communità« alle Ehre: »Their patent therefore included not only bureaucratic material, but also all works, in prose or in poetry, dealing with: historical essays, newsletters and gazettes; descriptions of state visits – in short everything of an official character.« (Cavagna 1998, 210). Lediglich Drucksachen aus dem religiösen und universitären Bereich überließen sie aus Zensurgründen der Konkurrenz bzw. der Universität in Pavia. Neben populären Lesestoffen51 stammt aus ihren Pressen ein anderer Typus von Gelegenheitsdrucken: Die bereits aus Sardinien bekannten – und dort im Haupttext ausschließlich auf Katalanisch bzw. Spanisch publizierten – gride, die fast gänzlich die Malatesta sowohl in italienischer als auch in spanischer Sprache publik machten (vgl. Kap. 6.3.6.2).

Abbildung 32: Porträt von Marc’Antonio Malatesta, in: Gridario generale, Mailand 1688, a3v.

Abbildung 32: Porträt von Marc’Antonio Malatesta, in: Gridario generale, Mailand 1688, a3v.

6.3.5.2 Giovanni Battista Bidelli: ein Erfolgsverleger mit spanischem Literaturprogramm

Das Pendant bzw. zeitweiliger Antagonist der Malatesta war Giovanni Battista Bidelli (1560–1656)52, bis zu seinem Tod wichtigster Herausgeber, Unternehmer und Buchhändler Mailands und der Lombardei mit zentral gelegenem Buchladen (ab 1612) an der Piazza Mercanti nahe dem Broletto.53 Bidelli gestaltete geschickt ein umfangreiches,54 stets aktuelles, das heißt zeitgenössisches, vielfältiges und mehrsprachiges Verlagsprogramm aus Neuerscheinungen und Nachdrucken bereits in Italien und im Ausland erschienener Titel55 und baute sich dafür ein weites Netzwerk von Typografen, Autoren und Mäzenen auf. Auf städtischer und regionaler Ebene war er mit der Regierung, spanischen Potentaten, dem Feudal- und Stadtadel und der Kirche vernetzt;56 zudem profitierte er von einem national und international verzweigten Korrespondentennetz auf dem Buchmarkt in Rom, Genua, Spanien, Frankreich und Deutschland (vgl. Cavagna/Wolkenhauer 2001, 206). Als Kommissionär und Triebfeder für die Bestandserweiterung der Biblioteca Ambrosiana, welcher er auch einen Teil seiner Privatbibliothek »ad benificium publicum« vermachte (zit. nach Dies. 2001, 209), reiste er mitunter selbst im In- und Ausland umher, wodurch seine über 200 Editionen,57 40 davon mit Privilegien versehen, sowohl in Nord- als auch in Süditalien und womöglich auch in Deutschland58 Absatz fanden.

Der gebildete Bidelli investierte quasi als Nischenanbieter in ein weitgestreutes Angebot, das je nach Diskurstradition, Sprache und typografischer Aufmachung auf zwei unterschiedliche Leserschaften ausgerichtet war. Erstens: Auf Italienisch verlegte er religiöse, historische und politische Bücher sowie Aphorismen, Novellen, Gedichte, Ritterromane, wissenschaftliche und medizinische Traktate; auf Latein geschichtliche und juristische Texte. Auch aufwendige Spezialdrucke wie Musikwerke oder kostspielige, illustrierte Bücher der Geometrie zählten zu diesem Programm für wohlhabende, kultivierte Leser bzw. Leser aus Profession und Wissenschaft. Nach Bongrani/Morgana entspricht die italienische circa dem Dreifachen der lateinischen Produktion (Bongrani/Morgana 1992, 108). Zweitens: Demgegenüber steht eine Produktion von minderer Qualität, unter anderem zum Beispiel von Novellen und Lyrik auf Spanisch in kleinen bzw. Kleinst-Formaten in schlechterer Papierqualität und ohne Errata für zwar gebildete Leser, aber solche ohne Zeit oder besondere Mühe auf vertiefte Lektüre (vgl. Cavagna 1995, 118).

Mit der Herausgabe des El ingenioso hidalgo Don Qvixote de la Mancha (Cervantes Saavedra 1610)59 in Oktav und einer Reihe weiterer spanischer Klassiker und Ritterromane aus dem zeitgenössischen Literaturpanorama mit kurzem zeitlichen Abstand zur Originalausgabe eröffnete er ein lukratives Marktsegment: Drucke in spanischer Sprache – und Übersetzungen aus dem Spanischen (oder in diese Sprache).60 Der polyglotte Bidelli61 selbst führt in seiner – wohlgemerkt auf Spanisch verfassten – Widmung62 des besagten Don Qvixote an den »Vitaliano Vizconde« drei Gründe bzw. Verkaufsargumente auf, ein spanisches Werk herauszubringen, sprich das Spanischinteresse des Bewidmeten, die Vertrautheit der mailändischen »cavalleros« mit dieser Sprache und die Bewahrung des Originalcharakters des erfolggekrönten Buchs:

Abbildung 33: Miguel Cervantes Saavedra, El ingenioso hidalgo Don Qvixote de la Mancha, Mailand 1610, Titelblatt.

Abbildung 33: Miguel Cervantes Saavedra, El ingenioso hidalgo Don Qvixote de la Mancha, Mailand 1610, Titelblatt.

[60] Y hauiendo nosotros sabido, que entre los mas graues estudios, en que V.S. Illustriss. passa su pueril edad, tiene a las vezes gusto de la lengua Castellana, ago hecha muy familiar a los Caualleros de esta Ciudad; tan noble por esta razon nos atreuemos a dedicar a V.S. Illustriss. el libro Español del Ingenioso Hidalgo Don Quixote de la Mancha, que de nueuo hauemos impresso, sin hazerlo traduzir en lengua Toscana, por no le quitar su gracia, que mas se muestra en su natural lenguage, que en qualquiera trasladado. Vaya por toda Italia este libro […]. (Cervantes 1610, a2f.)

Primär sind also die zahlreichen spanischen Angehörigen der hohen und niederen Verwaltungsposten und militärischen Ränge im Milanesado als Bidellis Adressaten und Abnehmer zu identifizieren, »sólo secundariamente pensando en los lombardos«, wie Cavagna mutmaßt (Cavagna 1995, 119).

Auf diese »ingenios Italianos, à quienes resuelta en este tiempo como natural la lengua Castillana« (Vega Carpio 1611, a3vf.) referiert explizit der offensichtlich ebenfalls hispanophone Drucker-Verleger Gerolamo Bordone in der Widmung an den damaligen Herzog Don Pedro de Velasco in den ein Jahr später erscheinenden Rimas de Lope de Vega Carpio […] (Vega Carpio 1611).63

In diesem Zusammenhang verwundert auch nicht der Nachdruck der Introdutione nella quale s’insegna pronunciare la lingua spagnuola (Ulloa 1621)64, die Bidellis hispanophiles Verlagsprofil vervollständigt (vgl. Kap. 6.3.8). Es handelt sich dabei um die Neuauflage eines der ersten didaktischen Bändchen (°16, 44 Seiten) zur Aussprache der spanischen Sprache und zum Nachschlagen von »parecchi vocaboli ispagnvoli«, genauer: 900 Wörtern, mit den italienischen Äquivalenten (Ulloa 1621, 11–44; vgl. Nieto Jiménez 1991). Es erscheint im Jahr 1553 zum ersten Mal als angehängter Kommentarapparat der spanischen Version des Orlando Furioso sowie in der Tragicomedia de Calisto y Melibea von 1553 und wiederum in deren Neuauflage von 1556 (alle Venedig bei Giolito).65 Autor bzw. Plagiator ist der renommierte Übersetzer und Verleger Ulloa, denn ursprünglich geht das Einführungswerk zur Erleichterung der (lauten) Lektüre auf Delicado zurück (vgl. Tab. 2).66

Dieses pro-spanische, vorwiegend literarische internationale Programm des Mailänders Bidelli zwischen den vier Jahrzehnten von 1610 bis circa 1650 bleibt das einzige seiner Art während der spanischen Herrschaft in Mailand67 – und ist auch unikal hinsichtlich der restlichen Gebiete des spanischen Italien.

6.3.6 Mikroanalyse: Typologisierung der spanischen Buchproduktion und -rezeption

Mit den außergewöhnlichen Protagonisten der Malatesta und Bidelli lässt sich, auch auf Basis von Cavagna, die (spanische) Buchproduktion wie folgt typologisieren und mit der Erscheinungs- und Sprachform korrelieren (Cavagna 1995; Dies. 1998): offizielle Druckwerke, gride, ›internationale‹ Druckwerke, Spezialdruckwerke.

6.3.6.1 Offizielle Druckwerke

Bei der ersten Kategorie handelt es sich um oftmals von der Regierung finanziell unterstützte, häufig aufwendig illustrierte und großformatige, höfische/politisch-propagandistische/erbauliche/autorepräsentative Drucke mit Öffentlichkeitscharakter, die (teilweise) auf Spanisch sind. Ein Beispiel hierfür wäre der Nachruf in spanischer Sprache auf Carlo Borromeo als eine der wichtigsten zeitgenössischen Persönlichkeiten Mailands Es la muerte del ill.mo y r.mo s.or cardenal Borrumeo arzobispo que fue de Milan (Angulo 1586, °4, bei da Ponte; vgl. Kap. 6.3.3). Autoren – und Rezipienten – sind höhere Beamte, die sich in der diplomatischen Sphäre der Regierung oder des Militärs bewegen oder in diese temporär eingetreten sind. Spanisch hat hier einerseits eine hohe symbolische Bedeutung und übernimmt andererseits eine informative, instruktive Funktion.

Ein Paradebeispiel für Festliteratur ist das Druckwerk Feste di Milano nel felicissimo nascimento del Serenissimo Principe di Spagna Don Filippo Dominico Vittorio von Cesare Parona,68 das ausnahmsweise nicht bei Malatesta, sondern bei Bordoni & Locarno im Jahr 1607 erschien.

Das Werk zu Ehren der Geburt des Nachkommen von Philipp III., dem es auch gewidmet ist, beinhaltet die Berichterstattung über die mehrere Wochen andauernden Festlichkeiten in der Hauptstadt:

[61] Se tutta la Città di Milano se hauesse potuto trasferirsi nella Spagna, al cospetto di V. Maestà, quando seppe il nascimento del suo Serenissimo figlio; ella hauerebbe in vn sol giro d’occhi rimirata in quattrocento mille Volti quella allegrezza, che ne gli animi de’ viventi rimarrà perpetua. (Parona 1607, a3).

Die hauptsächlich auf Toskanisch geschriebene Dokumentation ist insofern polyphon, als die lobpreisenden Stimmen verschiedener Gäste wiedergegeben werden. Während der »Seconde feste« erfährt der Leser zum Beispiel über den Einzug »De’ calzolari«, einer Handwerkergruppe aus den Bergen: »si levò in piedi sopra l’ Carro quel vecchio Reggiò [dienstältester Vorstand; T.A.], ch’era Oliuiero Pietrasanta; e’n linguaggio di nativo Rustico Milanese disse queste da lui adunate parole« (Parona 1607, 22f.). Die anschließenden 230 Lobverse auf den Nachkömmling in der nordmailändischen Varietät (Ders., 23–27) stellen den Prototyp der so genannten bosinade dar, auf die in Kapitel 6.3.7.2 eingegangen wird. Auch spanische Redewiedergabe ist mehrfach im vierten Teil (»Quarte feste«) eingestreut, wird aber meistens nach dem Wortlaut sofort ins Italienische übersetzt – eine Tatsache, die einen italophonen Leser des Druckwerks vermuten lässt: Während das Soneto der »Cavalleros Nvmantinos« (Ders., 121) und drei weitere Lobgedichte (Mercvrio A’ Los Cavalleros Milaneses, Y todos lor de mas: Ders., 131–133; Mercvrio: Ders., 142; Mercvrio A’ Los Cavalleros: Ders., 143) für sich stehen, ist der Erzählung in der spanischen Muttersprache von Don Sacio Salina Al monstro de mil ojos (Ders., 215–217) unverzüglich die Übersetzung »in italiano« angeschlossen (Ders., 217f.). Bemerkenswerterweise wird der Part der »aventvrieri tedeschi« (Ders., 208f.) nicht in der deutschen, wohl nicht im Repertoire des Autors Paruta befindlichen Originalsprache zitiert bzw. übersetzt – sie lässt der Autor auf Italienisch zu den mailändischen Damen sprechen.

Abbildung 34: Cesare Parona, Feste di Milano nel felicissimo nascimento del Serenissimo Principe di Spagna Don Filippo Dominico Vittorio, Mailand 1607, Titelblatt.

Abbildung 34: Cesare Parona, Feste di Milano nel felicissimo nascimento del Serenissimo Principe di Spagna Don Filippo Dominico Vittorio, Mailand 1607, Titelblatt.

6.3.6.2 Die gride: offizielle und öffentliche Zweisprachigkeit anhand eines Fallbeispiels

Eine eigene Kategorie stellen angesichts ihrer produzierten Menge die mailändischen gride dar,69 die »alla notitia di ogn’uno« (Gridario generale 1688, 189) von denselben unten skizzierten elitären Autoren der offiziellen Drucke (i.e. Offiziere) stammen und die Kommandosprache Spanisch bezeugen, etwa die Ordenes generales para la infanteria spanola [sic], y otras naciones (Anonym 1599c, bei Malatesta), die aufgrund der »excessos de la gente de guerra deste Estado« ein Warn- und Erinnerungsschreiben an die 1583 festgelegten Verordnungen darstellen (Vgl. EDIT16 2014, CNCE 69437).70

Bei den gride handelt es sich um selbständige, mindestens aus einem Blatt bestehende rechtliche Druckschriften mit Aktualitätsbezug,71 die sich teils an ein Massenpublikum, teils an bestimmte große Empfängergruppen richten: »In quanto testi scritti che venivano letti, anzi, gridati, pubblicamente erano destinati all’ascolto e alla ricezione da parte di un uditorio molto diversificato socialmente e culturalmente.« (Bongrani/Morgana 1994, 138). Allerdings werden die gride nicht ausschließlich in der italienischen Volkssprache verfasst, wie von Bongrani/Morgana 1994 präsupponiert wird,72 denn die Sprachwahl wechselt adressatenbezogen: Stets in einem einfachen, leicht verständlichen Italienisch verfasst, sind Giovannelli Onida/Marinai zufolge die gride der »Conservatori« (Giovannelli Onida/Marinai 2001, 25–27), aber die Verordnungen werden auch, je nach ›Mandant‹ und Empfänger, auf Latein (vom Senat) und auf Spanisch (vom Gouverneur) publik gemacht und können daher als eine Fortsetzung der von Wilhelm eruierten Schreibtradition während der französischen Herrschaftszeit betrachtet werden (Wilhelm 2007, 91–93).73 Öffentlicher Ausruf bzw. Aushang ist demnach nicht nur als »una delle principali vie d’accesso all’italiano anche per i ceti esclusi dai tramiti letterari« (Bongrani/Morgana 1994, 138), sondern auch als Spiegel offizieller bzw. öffentlicher Zweisprachigkeit im Herzogtum zu interpretieren.

Abbildung 35: Gridario generale delle gride, bandi, ordini, editti, provisioni, pramatiche, decreti et altro (dall’anno 1656 sino al 1686), Mailand 1688, Titelblatt.

Abbildung 35: Gridario generale delle gride, bandi, ordini, editti, provisioni, pramatiche, decreti et altro (dall’anno 1656 sino al 1686), Mailand 1688, Titelblatt.

Die Kriterien der Sprachwahl lassen sich gut von dem knapp 1.100-seitigen Sammel- und Prestigedruck74 der Malatesta, dem Gridario generale delle gride, bandi, ordini, editti, provisioni, pramatiche, decreti et altro (dall’anno 1656 sino al 1686) von 1688 ableiten.75

In der folgenden Tabelle werden die von den entsprechenden Gouverneuren herausgegebenen Verordnungen nach sprachlicher Distribution, das heißt Italienisch und Spanisch – Latein fehlt mit Ausnahme der Über- und Unterschriften gänzlich im Text – dargestellt.

Tabelle 17: Sprachliche Distribution der gride des Gridario generale 1688.

Tabelle 17: Sprachliche Distribution der gride des Gridario generale 1688.

Der Anteil der spanischen gride bewegt sich zwischen 12% und 32% an der jeweiligen Gesamtherausgabe der Erlasse während der verschiedenen Herrschaftszeiten und unterscheidet sich damit deutlich von der von Giovannelli Onida analysierten Sprachdistribution – nicht jedoch in Bezug auf Sender und Empfänger (Giovannelli Onida 2008).76 Die gride selbst sind marginalisiert, das heißt deren Inhalt ist durchgängig auf Italienisch am Rande zusammengefasst. Der Aufbau der italienischen gride folgt folgendem Muster: Die vom König persönlich herausgegebenen Erlasse tragen überwiegend die lateinische Überschrift »Philippus IV. Dei Gratia Hispaniarum & c. Rex, & Mediolani Dux & c.« (bzw. ab 1665 »Carolus II.«), manchmal aber auch die italienische Kurzform »Eccellentissimo Signore«; es folgt der Gesetzestext auf Italienisch und abschließend die Unterschrift des spanischen Stellvertreters auf Spanisch, zum Beispiel »Signat. El Conde de Fueldesaña«.77 Die spanischen gride78 sind mit circa einer Viertelseite in der Regel deutlich kürzer, zumeist an die »soldatesca«, also Soldaten, Reiter oder andere Militärangehörige adressiert und mit der Oberschrift des jeweiligen Herrschers, zum Beispiel »El Conde de Fuensaldaña« und dem entsprechenden Autogramm »Firmada El Conde de Fuensaldaña« versehen. Die sprachliche Gestaltung entspricht den expliziten oder impliziten Direktiven des Senders: Während im Falle des Königs bevorzugt unpersönliche bzw. unpersönlich verwendete Verben, unpersönliche Passivkonstruktionen und Gerundiva eingesetzt werden (zum Beispiel »si dichiara«, »s’intende«, »ordina Sua Eccell. […] che s’informa«), wird der Imperativ bzw. Prohibitiv in den spanischen Texten stets über die 1. oder die 3. Person Plural ausgedrückt (zum Beispiel »ordino«; »ordenamos, y mandamos«). Sprachwechsel sind nur in abschließenden Approbationen zu finden, zum Beispiel am Ende eines Dekrets zum Schutz der Hafensoldaten (Gridario generale 1688, 108f.): Nach dem italienischen Text folgen vier spanische Zustimmungen verschiedener spanischer Verantwortlicher datiert auf September/November 1659, wiederum eine italienische Billigung der Privilegien vom deutschen Heeresführer, aber bereits aus dem Jahr 1646, dem wiederum eine erneute Inkraftsetzung auf Kastilisch des »Senador Arias« folgt (ebenfalls von 1646). Sprachinterne Spezifika wie Alternanzen oder Interferenzen in den spanischen Texten müssten eigens identifiziert werden; zumindest in den von hispanisierten Fachbegriffen durchsetzten italienischen gride stellt Beccaria einen »ibrido linguaggio burocratico« (Beccaria 1968, 42) fest.79

Abbildung 36: Beispielseite mit zwei spanischen und einer italienischen grida des Gridario generale delle gride, bandi, ordini, editti, provisioni, pramatiche, decreti et altro (dall’anno 1656 sino al 1686), Mailand 1688, 50.

Abbildung 36: Beispielseite mit zwei spanischen und einer italienischen grida des Gridario generale delle gride, bandi, ordini, editti, provisioni, pramatiche, decreti et altro (dall’anno 1656 sino al 1686), Mailand 1688, 50.

Offensichtlich verfügte also die in Kapitel 6.3.2 illustrierte zahlenstarke Sondergruppe der einfachen, weniger gebildeten spanischen bzw. Spanien unterstehenden Soldaten, für welche die gride auf Spanisch eigens konzipiert wurden, nur über ein einsprachiges, also muttersprachliches Repertoire. ›Innerromanische‹ Interkomprehension oder eine basale rezeptive Mehrsprachigkeit, die Schwägerl-Melchior im Allgemeinen für die Italia spagnola und im Speziellen für die Amtsträger des Verwaltungsapparates im Königreich Neapel annimmt, lässt sich in diesem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen (vgl. Schwägerl-Melchior 2013, 275f.; Dies. 2014, 407, 411–414).

Ein weiterer Gegenbeweis dafür ist das Verlagsprogramm des international agierenden Verlegers Bidelli – die Schnittmenge seiner hispanophonen Rezipienten und derjenigen der Malatesta dürfte groß gewesen sein.

6.3.6.3 Internationale Druckwerke

Aus Europa, vor allem Spanien, werden zeitgenössische/klassische bzw. ›internationale‹ Druckwerke, ohne direkten Bezug zu Italien oder zum Herzogtum in praktischen Formaten – °8, °12 und °16 – mit mittlerer Typen- und Papierqualität ›nachproduziert‹. Zielgruppe ist die gebildete lombardische Klasse »who needed to know the language of their overlords« (Cavagna 1998, 214), insbesondere aber in der Lombardei stationierte Spanier, das heißt weniger die höchstwahrscheinlich kaum alphabetisierten einfachen Soldaten als vielmehr mittlere bis hohe Verwaltungsbeamte und Militärfunktionäre – und nicht zu vergessen deren Frauen. So liegt beispielsweise das Gedicht El sitio y toma de Anuers, de Miguel Giner (Giner 1587) in einer Ko-Edition vor (Saragossa und Mailand, bei da Ponte) und ist »Rainucio Farnesse, principe de Parma y Plazencia, &c.« gewidmet.80 In diese Kategorie können auch Drucke für Kleriker fallen.81 Spanisch dient hier der unterhaltenden oder der praktischen, berufsbezogenen Lektüre.

Neben den oben bereits erwähnten relativ zeitnah gedruckten spanischen Klassikern (vgl. Kap. 6.3, Anm. 60) sind die Obras propias, y traducciones latinas y griegas y italianas, con la parafrasi de algunos psalmos y capítulos de Iob. Sacadas de la librería de don Manuel Sarmiento de Mendoça, canónigo de la Magistral de la santa Iglesia de Sevilla (De Léon 1631, bei Guisalfi) von Luis de León ein Beispiel aus der religiösen Domäne für die sofortige Rückkoppelung der mailändischen Buchproduktion an die spanische Halbinsel: Nach der editio princeps im Jahr 1631 in Madrid wird das Druckwerk noch im selben Jahr in Mailand auf Kastilisch reproduziert.

Als Beispiel für Unterhaltungsliteratur eines auf Spanisch schreibenden Lombarden sei Del Tractado de la hermosvra y del amor compvesto por Maximiliano Calvi. Libro primero. El qual tracta de la Hermosura, dirigido a la S.C.R. Magestad de la Reyna Doña Ana nuestra Señora (Calvi 1567)82 von Massimiliano Calvi herausgegriffen. Der Druck, der für 20 Jahre vom König persönlich protegiert wird, enthält im Paratext auch ein Epigramm auf Italienisch (Ders. 1567, a3). Der Autor Calvi informiert sowohl im Leserhinweis als auch vor Beginn des Haupttextes über den Entstehungshintergrund des Werkes. Im Ersteren ist zu erfahren, dass er »[p]ara euitar la ociosidad mientras los negocios en la corte me uacauan antes què yo fuesse de su Catholica Magestad empleado en su Magistrado de Milan propuse darme a escreuir alguna cosa« (Ders. 1567, a2). Einige Seiten später folgt die aufschlussreiche Erklärung der »Errata«:

[62] Porque el haverse imprimido este libro en Italia, y con personas que no tenian noticia de la lengua castellana, y con mucha prissa por la que el author les daua, y el tenia de ir en España, y por el poco lugar, y muchas absencias por las quales era necessario andar mudando correptores [sic], ha salido con infinitos errores, aßi de palabras enteras y algunas letras que faltan, como en la ortografia, ha paresido notar aqui solamente como han de dezir las palabras erradas que pueden variar el sentido; Y, quanto a las letras y ortografia, por euitar la prolixidad se ruega al lector que por ello nos tenga por escusados, y por lo vno y lo otro no se enfade. (Calvi 1567, a9)

Die Tatsache, dass sich Calvi für die »infinitos errores« (Ders. 1567, a9) wegen fehlender Korrektoren und Spanischkenntnisse seitens des Druckers Da Ponte – immerhin damaliger Hofdrucker mit insgesamt 15 dokumentierten spanischen Titeln (vgl. EDIT16 2014) – entschuldigen muss, wird auch durch die Paratexte zweier weiterer spanischer Drucke bestätigt: Sowohl die Widmung des Buchhändlers Altobello Pisano an den spanischen Gouverneur Conte di Fueldesañaz in den Proverbi morali del Signor Alonso de Barros Tradotti in Italiano dal Signor Alessandro Adimari Col Testo Spagniolo [sic] à rincontro83 (Barros 1659, bei Ghisolfi, °12) – im Übrigen eines der raren zweisprachigen italienisch-spanischen Druckwerke Mailands – als auch der Leserhinweis vom Buchhändler Carlo Ferrante in den spanischen Favores de las Mvsas Hechos a Don Sebastian Franscisco (Medrano 1631, bei Malatesta)84 sind höchstwahrscheinlich aufgrund defektiver Spanischkompetenzen auf Toskanisch verfasst worden und setzen umgekehrt Italienischkenntnisse seitens des Gouverneurs bzw. der Käufer voraus. Demgegenüber weisen die oben zitierten, spanischen Widmungen der Verleger Bidelli und Bordone diese als Kenner der spanischen Sprache aus (vgl. Kap. 6.2, Anm. 62). Ebenso ist beim Drucker-Duo Giovanni Antonio Castiglione/Cristoforo Carono von Spanischkenntnissen auszugehen, da sie auf Spanisch in den »Descuydos de Estampa« am Ende der oben bereits erwähnten Dos libros de cosmographia (Castiglione 1556; vgl. Kap. 6.3, Anm. 31) auf die Unmöglichkeit hinweisen, »imprimir el Libro sin yerro; à causa che estas vocales [o und a für e; T.A.] en la lengua Española e Italiana se confunden, y toman facilmente vna por otra« (Girava 1556, o.S.).85

6.3.6.4 Spezialdruckwerke

Bei der dritten Kategorie handelt es sich um teils illustrierte Spezialliteratur bzw. Traktatliteratur in handlichem Format von Experten für ein entsprechendes Fachpublikum, meist aus dem gebildeten Soldatenmilieu, das in loco hergestellt und je nach Nachfrage der Rezipientengruppe auch übersetzt wird. Malatesta und Bidelli sind zwar auch in diesem Sektor tätig, teilen sich aber den Markt mit einigen weiteren Buchhändlern86 und Druckern.

»[P]unta di diamante di una estesa produzione italo-spagnola riguardante l’artiglieria, rinnovata in strategie e armi« (Londero 2005, 609) ist das aufwendig gedruckte und in Dialogform verfasste Handbuch Pratica manuale di arteglieria; nella quale si tratta della inuentione di essa, dell’ordine di condurla, & piantarla sotto a qualunque fortezza, fabricar mine da far volar in alto le fortezze, […] Nuouamente composta & data in luce dal mag. signor Luigi Collado Hispano (Collado 1586).87 Auch in druck- und sprachgeschichtlicher Hinsicht ist der Traktat aufschlussreich: Er erscheint zunächst 1586 in Venedig auf Italienisch im Folioformat. Im Text rühmt sich der in der Lombardei tätige Militäringenieur Luis Collado,88 selbst sein Werk ins Italienische, das er ungesteuert erworben habe, übersetzt zu haben:

[63] […] io, ancorche sia di natione Spagnuolo, e postomi à scrivere in lingua Italiana, senza aiuto d’alcun’altra persona, salvo che dalla mia pura prattica; delche conosco che il [sic] stilo di questa opera […] non riuscirà sì elegante, et limato come merita la lingua Italiana, & et il soggetto dell’opera […]. (Collado 1586, 32)

Sechs Jahre später wird im Jahr 1592 die Platica manual de artilleria in erweiteter Neuauflage mit Widmung an Philipp II., aber eben diesmal auf Spanisch, in Mailand publiziert.89

Aus einem den »Errata« vorgeschalteten Hinweis ist zu erfahren, dass der renommierte Drucker Da Ponte, »stampador de la Real Camara«, über keine ausreichenden Sprachkenntnisse verfügte: »Por ser el Impressor Italiano, y no muy platico de la lengua Española, se han hecho los siguientes errores en esta estampa.« (Collado 1592, o.S.). Im Jahr 1606 wird die Platica in Mailand wiederum in italienischer Übersetzung und in handlicher Ausgabe aufgelegt.90 Die Verkleinerung des Formats auf Quart in der Neuauflage geht Hand in Hand mit den sich in der Überzahl befindenden italienischen Rezipienten (bzw. Offizieren), wie die Drucker Bordoni & Locarni in der Widmung an Don Federico Landi, »Principe del Sacro Romano«, erläutern:

Abbildung 37: Luis Collado, Platica manual de artilleria, Mailand 1592, Titelblatt.

Abbildung 37: Luis Collado, Platica manual de artilleria, Mailand 1592, Titelblatt.

[64] Fece egli [Collado; T.A.] viuendo imprimere l’vtilissimo suo libro nella sua natural fauella Spagnuola; poi vedendo, che italiani erano la maggior parte quei che maneggiano l’Artiglieria, come che tutti ciò desiderassero; hebbe voglia anch’egli, che se ne facesse la traduttione; E noi persuadendoci di far cosa gioueuole à tutti gl’intendenti del mestiere, volessimo darci pensiero d’hauer nelle mani così ciò, che si trouaua impresso in Ispagnuolo, come altra parte, che ci hauea aggiunto non ancora veduta alle Stampe in essa lingua: per far’il tutto ridurre nell’Idioma nostro […]. Così hauendo hora impresso l’Opera tutta in Italiano; altro non conuenendoci fare, che ad Italiano Principe appoggiarla à Vostra Eccellenza veniamoà farne dedicatione. (Collado 1606, a2)

Die Neuauflage des Handbuchs von 1641 – erneut im teureren Quartformat und auf Italienisch bei Ghisolfi in Mailand – spricht für eine anhaltende Nachfrage der entsprechenden höheren lombardischen Militärangehörigen bzw. Offiziere.

In Mailand haben aber genauso wie in Venedig, Sizilien und Neapel auch (Fach-) Übersetzungen vom Italienischen ins Spanische Erfolg; sie sind aber im Gegensatz zu den Übersetzungen vom Spanischen ins Italienische generell in der Minderzahl: Außer den bereits erwähnten von Bidelli herausgegebenen Reglas militares (Melzo 1619) von Ludovico Melzo (auf Italienisch in Antwerpen 1611; auf Spanisch in Mailand 1619) überträgt auch der aus der obersten Militärriege stammende polyglotte Sebastian de Ucedo91 El principe deliberante. Abstracto en Idioma Castellano Devaxos los auspicios del […] Gouernador capitan general del Estado de Milan (Ucedo 1670) ins Spanische, ursprünglich »diola à la luz en terso [sic] y eleuado idioma italiano un erudito politico« (Ucedo 1670, zit. nach Cavagna 1995, 105, Anm. 57). In der Widmung an den mailändischen und offenkundig zweisprachigen Gouverneur Gaspar Pedro Téllez Girón (1670–1674) erklärt der Übersetzer:

[65] Me arrogó a traducirla en el nuestro. Si bien que no era necesario para Vuestra Excelencia; pues entre lo platicado con naciones estranjeras en el tiempo, que agradeciendo el empleo de Virrey de Sicilia […] no solo ha concebido los fundamentos de la Toscana, sino que aun de sus Idiotismos, y gracejos no se le escapa la menor alegoria. (Ucedo 1670, 2f., zit. nach Martínez del Barrio 1991, 71, Anm. 17)

Das Zitat bescheinigt die Italophonie des spanischen Machthabers, die er höchstwahrscheinlich durch seine Amtszeit in Sizilien erlangte bzw. perfektionierte92 – und zudem die auf der Insel festgestellte, stark vorhandene Tendenz zur sprachlichen Anpassung ans Italienische (vgl. Kap. 6.2.3.4).

Eines der wenigen ›genuinen‹ Druckwerke auf Spanisch93 ist die drucktechnisch sehr aufwendige, mit zahlreichen Illustrationen versehene und konsequenterweise bei Marc’Antonio Pandolfo Malatesta 1693 in zwei Bänden gedruckte anonyme Escuela de pala ó sea curso mathematico […] Es obra cvriosa, y provechosa para la nobleza, y militares,94 so das Titelblatt.

Die Zielgruppe ist auch beim militärischen Nachwuchs zu suchen, zumindest sind mehrere der 15 Lobgedichte, die alternierend in vier Sprachen, nämlich Latein, Italienisch, Spanisch und Französisch,95 von zeitgenössischen Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen verfasst wurden und die sich über ganze 13 Seiten erstrecken, an die Mathematikstudenten Mailands gerichtet; zwei Lobsonette stammen von der »Scuola di Pallade [Schutzgöttin des Krieges; T.A.] aperta da guerriero e scrittor grande« (Anonym 1693, I, o.S.). Gemeinsamer Topos des polyphonen Paratextes96 ist die Anonymität des Autors, hinter der sich vermutlich der Mathematiker und Militäringenieur José Chafrión97 verbirgt. Der Paratext, der, wie bereits mehrmals gezeigt wurde, buchstäblich Raum bietet für eine ausgeprägte mehrsprachige Praxis, deckt einen literarischen Wert dieses didaktisch-pragmatischen Werks auf und verdeutlicht, wie eng das militärische und das intellektuelle Milieu verbunden waren – gerade Mailand kann eine Riege so genannter »capitani-poeti« vorweisen. Diese sind »rappresentanti significativi di quel modello di soldato-gentiluomo che si contrapponeva al cliché satirico, forse più noto e diffuso, del soldato-fanfarone« (Albonico [u.a.] 2002, 39).98 So beweist zum Beispiel Juan de Espinosa mit seinem Dialogo en lavde de las mugeres (1580, bei Tini) literarische Qualität (vgl. EDIT16, CNCE 18293). Ebenso praktizierten viele andere Söldneroffiziere ihre italienisch-spanische Zweisprachigkeit auch und vor allem in elaboriert literarischer Form und stehen daher paradigmatisch für eine im Estado de Milan (aber auch in den anderen drei betrachteten Kommunikationsräumen) gültige elitäre Mehrsprachigkeit.99 So übersetzte beispielsweise Juan Sedeño, der lange in Mailand als Heerführer lebte, Torquato Tasso ebenso ins Spanische (Jerusalén libertada 1587, Madrid) wie Jacopo Sannazaros Arcadia (1504, Neapel) und die Lagrime di San Pietro (1585, Venedig) von Luigi Tansillo (vgl. Albonico [u.a.] 2002, 39) (vgl. Kap. 6.4, Anm. 48).

Abbildung 38: Anonym, Escuela de pala ó sea curso mathematico, Mailand 1693, Titelblatt.

Abbildung 38: Anonym, Escuela de pala ó sea curso mathematico, Mailand 1693, Titelblatt.

Im Milanesado lässt sich darüber hinaus eine sogar noch jüngere hispanophone Rezipientengruppe finden als diejenige der Studenten der Escuela di palas, die ebenfalls mit der Welt des Militärs verknüpft ist: die Waisenkinder der Soldaten. Zwar war die spanische Regierung generell desinteressiert an der Schulbildung in der Lombardei (vgl. Bongrani/Morgana 1992, 109),100 aber im Jahr 1578 ließ der Gouverneur Antonio de Guzmán das Collegio delle vergini spagnole für Waisenmädchen verstorbener Soldaten gründen101 und vertraute es Melchor Osorio an, »tenente del castello« und spanischer Heeresführer. Im Jahr 1582 folgte die Gründung eines Heims für Waisenjungen (vgl. Sepúlveda 1989, 127 und Anm. 8). Die Aufnahmekriterien der »donzellas virgines legas, y huerfanas« (Anonym 1619, 5) zwischen acht und 20 Jahren, »serrecogidas, criadas, y alimentadas« unter »protection real« (Ders. 1619, 5) und andere Hausregeln werden in den gedruckten Ordenes de la Casa de las Virgines Hijas de Soldados Spanoles [sic], Officiales, y gente de guerra de la Magestad Catholica en Stado [sic] de Milan, hechas por el Illustr. y Excellentiss. Señor Don Sancho de Gueuara y Padilla (Casa de las Virgines 1581, bei Da Ponte) erläutert. Laut Zaccaria wurden sie erneut in den Jahren 1619, 1621 und 1678 nachgedruckt und bezeugen ein mindestens 100-jähriges Bestehen des Hauses (Zaccaria 1907, 15, Nr. 64).102

Abbildung 39: Anonym, Ordenes de la Casa de las Virgines, Mailand [1581] 1619, Titelblatt.

Abbildung 39: Anonym, Ordenes de la Casa de las Virgines, Mailand [1581] 1619, Titelblatt.

Der Unterricht der spanischen Waisenkinder lässt sich anhand dreier spanischer schulischer Druckwerke exemplifizieren:

1)  Die Arte de escribir y contar de Juan Hurtado […] Maestro del Colegio de Santiago y casa de las Virgines Españoles dela Ciudad de Milano (Hurtado 1618, bei Lantoni) ist ein Buch zum Rechtschreiben und Zahlenrechnen für die Waisenmädchen, bestehend aus 53 Seiten mit Abbildungen von Buchstaben – der Autor Juan Hurtado war auch ein bekannter Kalligraf (vgl. Diaz Morante 1776, 7).

2)  Juan Farfáns Anekdotensammlung Dichos naturales y graciosos del muy reverendo Fray J. Farfan (Farfán 1621, bei Malatesta) ist vermutlich auch in den (religiösen) Schulkontext einzuordnen (vgl. Domínguez Guzmán 1996).

3)  Für den Religionsunterricht konzipierte Manuel Beltrán 1640 ein schmales Lernheft von 20 Seiten, die Cartilla, y Doctrina Cristiana, examinada y approvada Por el’Illustríssimo y Reuerendíssimo Señor Don Gaspar de Quiroga, Cardenal Arçobispo de Toledo, Inquisitor […] Dedicada al Excelentíssimo Señor Marqués de Leganés (Beltrán 1640, bei Cardo),103 das sich EDIT16 2014 (CNCE 9768) zufolge sogar bereits auf das Jahr 1586 (bei Da Ponte) vordatieren lässt.104 Im Widmungsschreiben an Diego Felippe Guzmán erklärt Beltrán ausführlich die Beweggründe der Kompilation seines Handbuchs (für den Lehrer) für den Religionsunterricht:

[66] Quando y bine de España, bine amparado del señor Duque de Feria, que Dio aya en el Cielo; assenteme Soldado en la Enfantería y paréceme hauer cumplido con mis oblicaciones; y por las heridas que me dieren los Franceses en la Valtelina, me retire al Castillo desta Ciudad [Milano; T.A.], y hallándome con Muger y Hijos, eme dado al oficio que antes tenía, que es de Estampador. Y hallando falta de Cartillas para los Hijos de Españoles, con las quales pueden aprender a leer y parte de la Doctrina Cristiana y ayudar a Missa, eme resuelto boluerlas a estampar y dedicarlas a V.E., como hago, que además que los niños aprenderán lo que les conuiene, se le quedará en la memoria el nombre de tan grande General y Gouernador deste Estado, y se acordarán de tan grandes victorias que ha tenido; tanbién amparará el libro y el estampador, como suplico a V.E. lo haga, […]. (Beltrán 1640, 3, zit. nach Infantes/Martínez Pereira 2003, 268)

Beltrán schlüpfte also in seine alte Rolle als Drucker und wollte ein dringend notwendiges und bis dato fehlendes Lehrwerk auf den Markt bringen. Dem Paratext folgt ein Aussprache-Alphabet (von »Ba be bi bo bu« bis »Tra tre tri tro tru«, vgl. Dies. 2003, 268f.), die Definition der Doktrin, das Glaubensbekenntnis auf Latein und auf Spanisch sowie weitere Gebete in diesen beiden Sprachen (Dies. 2003, 269–279).

Die Erziehung der spanischsprachigen Kinder verlief also separiert vom lombardischen Schulsystem, das heißt den Privatschulen, kommunalen und kirchlichen Schulen. Im Gegensatz zu Sardinien und Sizilien war für Bildung, insbesondere in Mailand, trotz eigener fehlender Universität gut gesorgt: »è piena di homini dottissimi, et de mastri excelentissimi più assai che Bologna, né Pavia, né molte altre università d’Italia«, so das Urteil des spanischen Rektors des Jesuitenseminars Carvajal in einem Brief aus dem Jahr 1564 (zit. nach Rurale 1992, 56). Im Dezember 1564 wurden die ersten jesuitischen Schulen in Mailand eröffnet, die auf eine kirchliche oder weltliche Karriere vorbereiten sollten, angekündigt durch ein Flugblatt Collegium Societatis Iesu, Studioso Lector, das über Studienprogramm, Schulzeiten und lateinische Texte »qui in Collegio explicabuntur« (Rurale 1992, 75) informierte. Die im Vergleich zu den Inseln Sardinien und Sizilien scheinbar bessere Ausgangslage schützte jedoch nicht vor Anfangsschwierigkeiten und einer gewissen Unzufriedenheit bei den Jesuiten: Carvajal selbst bat darum, »di esser liberato dal peso del seminario«, der spanische Pater Girolamo Ros arbeitete »molto di mala voglia« und der Spanier Giacomo Paez, dem Predigt und sonntägliche Lektion auf Italienisch oblagen, zeigte sich ebenfalls unzufrieden (zit. nach Rurale 1992, 76): Nach der Predigt musste er feststellen, dass »maxime che loro non mi intendono, né manco io intendo a loro. Tanto è goffa e pastorile questa lingua« (zit. nach Ders. 1992, 112); ob der Priester damit Toskanisch oder die lombardische Varietät meinte, bleibt unklar. Erforderlich war fähiges Personal, »tali che potessero edificare et esser rispettati da questi giovani […], perché altrimenti saranno putti con putti et alcuni delli nostri più ignoranti de gl’altri« (zit. nach Ders. 1992, 77). Die nötigen, bisher geliehenen Bücher wurden anfänglich für die internationale105, kontinuierlich ansteigende Studentenschaft106 in Venedig »dove si troverà miglior mercato« (Ders. 1922, 74) bestellt. Für die religiöse Unterweisung wurden für unter anderem 13.000 Schüler von Schulen der christlichen Doktrin entsprechende Hilfsmittel auch vor Ort verfasst und mit großer Auflagenhöhe gedruckt (vgl. Stevens 1995, 643),107 zum Beispiel »due dottrine […] in lingua italiana, una per gli ignoranti rozzi, l’altra per quelli che sono alquanto più capaci« (Pater Ledesma 1567, zit. nach Rurale 1992, 78).108 Auch die gängige Lateingrammatik des Spaniers Manuel Alvares De institutione grammatica, libri tres […] Additis scholijs, & prosodia carmine ligata, Aldique ortographiae compendio […] Mediolani: apud societatem Tini & Besutii, 1599 (impensis Pandulphi Malatestae) ist in den Unterrichtskontext einzuordnen (vgl. Ders. 1992, 161).

Eine Doctrina cristiana auf Mailändisch ist im Unterschied zu Sardinien und Sizilien nicht katalogisiert, aber die oben erwähnte Anweisung von Borromeo (vgl. Kap. 6.3.3, Anm. 34) ist ein Indiz dafür, dass sich die Prediger auf die dialektophonen lombardischen Laien um- bzw. einstellen mussten.

6.3.7 Mikroanalyse: Sprachreflexion und Praktiken von Mehrsprachigkeit

Womöglich aus dem (jesuitischen) Studentenmilieu stammt auch der anonyme Verfasser109 des Varon Milanes/Prissian da Milan (Anonym [1606] 1750), der zur Sprachbewusstseinsgeschichte Mailands überleitet und zu der Frage, welche (positiven) Bezüge Sprecher bzw. Schreiber zur eigenen – und/oder fremden – Sprache/Varietät entwickelt haben und welche sprachpflegerischen oder mehrsprachigen Aktivitäten versucht wurden.

6.3.7.1 Varon Milanes/Prissian da Milan (1606)

Das Druckwerk, das ein (etymologisches) Wörterbuch und einen Aussprachetraktat des Mailändischen in einem Band vereint, ist nicht nur als Aufwertung dieser Volkssprache und als Reflex auf den italienischen Normdiskurs von Belang,110 sondern illustriert, zusammen mit dem linguistisch im Gegensatz zum Haupttext bisher noch kaum analysierten Paratext, implizit den bewussten Umgang mit Mehrsprachigkeit, das heißt der klassischen und modernen Sprachen sowie der eigenen Muttersprache.

Der Buchhändler und Herausgeber Giovanni J. Como legte den schmalen Band (92 Seiten), der erstmals 1600 in Pavia gedruckt wurde,111 angeblich wegen großer Nachfrage neu auf: »Vedendo io, che con tanta instanza vien ogni giorno ricercato quel libretto delle parole Milanese« (Anonym [1606] 1750, 5), erklärt Como im Widmungsschreiben. Im Leserhinweis erläutert er den zwingenden Grund dafür, dem Varon Milanes einen zweiten Traktat angeschlossen zu haben:

[67] […] essendo veduto d’alcuni gentil uomini, dissero che non tutti avrebbonno saputo pronunziarlo come bisognava. E fu questo proposito incitarono di modo il Signor Giov. Ambrosio Biffi a ragionare della pronunzia Milanese, ch’egli ne discorse, anchor’che all’ improviso e brevemente con grandissimo gusto di tutti. (Anonym [1606] 1750, 16)

Einige »gentil uomini«, die wohl eher nicht als Muttersprachler zu identifizieren sind – es ist unwahrscheinlich, dass Muttersprachler die Aussprache nicht beherrschten, außer es handelte sich um eine künstliche Varietät – verlangten also nach einer entsprechenden Hilfestellung. Zwischen Widmung und Leserhinweis, die auf Toskanisch verfasst wurden, stehen ein »strambot«, eine »resposta« und sieben Sonette im mailändischen Idiom. Der anonyme Autor verteidigt darin konsequent »el nost parlà« (Ders. [1606] 1750, 78) und als »on belitran« (›Einfaltspinsel‹) (Ders. [1606] 1750, 12) versucht er sich gegen toskanische und lateinische Autoritäten, auf die er intertextuell verweist – und mit denen er sich wahrscheinlich täglich im Studium auseinandersetzen musste – zu behaupten. Er rühmt: »bel parlà quel da Milan, / L’è comed, l’è gentil, e lè anch nett« (13) und erläutert seine inhärente Sprachenvielfalt: »Parchè parland vun da Milan schusciá / Al parla Ghrech, Franzes, e’s parla in fin / E Gotich e Latin, come indiciaa / Ghe fuss dal mister stai da piscinin« (12).112 Von der Tatsache, dass nicht auf dieser gelehrt werde, zeigt er sich brüskiert: »che i vegg n’ìn varú on pan / Avè pientaa tanc scheur chi lò in Brovett / E no pensà nagot sor al promett / A ch’insegnass la lengua di nostran.« (13).113 Schließlich bittet er Cicero, aufzuerstehen und seine Reden zu rezitieren, aber auch den Varron zu lesen, wodurch seine Sprache »se muda in quest pù bon. / N’ela mò inscì? dì sù la veritaa, / Mò t’ è vegnù, ma dil alegrament, / N’el mò on gran bel parlà quest da Milan? / Ades t’è dìj de sì te peu mò andà, E cunta sgiò tutt coss a i teu Roman« (Ders. [1606] 1750, 14).114 Im gleichen parodistischen Duktus fordert er im letzten »Sonet de mì contra on lenguasciú« seine mutmaßlichen Kommilitonen auf, potenzielle Sprachgegner im Broletto ›auszuschalten‹: »Corj corj toson coi vost bolgett, Zolee costú che dis maa de Milan, / E ’s al strapaza trop el nost parlà.« (Ders. [1606] 1750, 15).115

Mit dem Wörterbuch, das nach einer Vorrede beginnt (Ders. [1606] 1750, 19–48), intendiert der selbstbetitelte »neuv Bocascia« (Ders. [1606] 1750, 8), die Latinität und Gräzität des Mailändischen zu zeigen – ganz seinem titelgebenden Vorbild, dem Latinisten Marco Terentius Varro, verpflichtet. Im ersten Teil werden 570 »Parol Milanes« zusammen mit »Il loro significato« auf Toskanisch aufgelistet; der zweite Teil ist ein etymologisches Wörterbuch bestehend aus 2.200 Lexemen: Diese ebenfalls alphabetisch geordnete »Spiegazione de’ vocaboli milanesi« (Ders. [1606] 1750, 49–77) erfolgt zu einem Drittel mit lateinischen Etyma, die teilweise auf Basis des berühmten Lateinwörterbuchs Calepino erläutert werden, und zu zwei Dritteln aus (vermeintlichen) Referenzen aus dem Griechischen, für die sich der Autor lediglich auf einen »Autore incognito« oder anonyme Autoritäten (»loro«) stützt (vgl. Ellena 2011, 195). Das in diaphasisch-diastratischer Hinsicht mittlere bis niedrige, populäre Register der »neuva racolta Milanesa« (Ders. [1606] 1750, 11) und die ursprünglich studentische Zielgruppe, die nun von elitären Lesern (»Signori Superiori / Gentil’uomini«, Ders. [1606] 1750, 16) abgelöst wurde, unterstützt auch die Erscheinungsform »da pochi soldi, su carta andante, non scarsa di errori« (Isella 2005, 228).

Der phonetische Appendix im Umfang von 14 Seiten des Varon trägt in Anspielung an den spätantiken Lateingrammatiker Priscian116 den komplementären Titel Prissian de Milan de la parnonzia milanesa (Anonym [1606] 1750, 78–92) und wurde vom sprachtalentierten Giovanni Ambrogio Biffi, der als Übersetzer tätig war,117 bewusst komplett auf Mailändisch verfasst.118 Nach einer fünfseitigen Vorrede, in der Biffi das »nost parlà de Milan« (Ders. [1606] 1750, 78) aufwertet, beschreibt er in alphabetischer Reihenfolge das Lautsystem der Stadtvarietät.119 Im Unterschied zur ersten »impresa da burla« (Isella 2005, 224) des Varon geht es nun um einen (vor-) wissenschaftlichen Abgleich hauptsächlich mit lateinischen Quantitäten, aber auch moderne Sprachen – selbstverständlich an erster Stelle Toskanisch, aber auch Spanisch, Französisch und Deutsch – werden als Vergleichsgrößen herangezogen. Biffi kennt sich als Übersetzer aus dem Lateinischen und Französischen bestens mit diesen Sprachen aus, wie die folgenden Erklärungen der Buchstaben b, c und d demonstrieren:

[68] b, Es parnonzia come faua i Latin, e adess i Toscan, no come i Todisch che’l proferissen squas come p, nè comè i Spagneuu che’l droeven sovenz par u.

c, […] Es no besogna nanc pensà, che denanz da, a, o, u, l’abbia el son del K, come a la Latina, Toscana, Spagneura o Franzosa […].

d, A’ el son come à i Toscan, Spagneù, Franzes, e di olter; ma no come i Todisch che ’l dissen squas comè t. (Anonym [1606] 1750, 83; 84)

Die Hierarchisierung der Fremdsprachen ist meines Erachtens nicht zufällig – es scheint sich um jene (militärischen) Sprachen zu handeln, die sich bzw. deren Sprecher sich in der Stadt und Metropolregion Mailands kreuzten und deren saliente phonetische Merkmale offensichtlich für die potenziellen Leser den Ausspracheunterricht des Mailändischen erleichtern konnten,120 außerdem entspricht sie exakt der Reihenfolge der aufgezählten Gäste bzw. ›Sprecherdichte‹ Mailands im Stadtführer Cheribizo (Anonym [1624] 2005) (vgl. Kap. 6.3.2, Zitat 57). Wissenschaftlich sichert sich Biffi ab, indem er zu diesen Sprachen auf der letzten Seite ein alphabetisches Verzeichnis seiner 16 Primärquellen bzw. zeitgenössischen Standardwerke – Grammatiken wie Bembos Prose, Aussprachetraktate, Wörterbücher wie das erfolgreiche spanisch-italienische Wörterbuch von Las Casas (vgl. Tab. 11) –, die er wahrscheinlich als Übersetzer benötigte, bibliografiert (Anonym [1606] 1750, 92). Interessant ist zudem die aus Sicht des offensichtlich toskanisierten mailändischen Sprechers intra muros mit dem Rotazismus verbundene Stigmatisierung der »massè«, also der Landbewohner, die anstelle von »Milan« »dissen Miran« (Ders. [1606] 1750, 87). Auch in der letzten Erläuterung der Aussprache (und Schreibung) des Lautes z kontrastiert Biffi die unterschiedliche städtische Aussprache mit derjenigen aus den Bergen: »em parenn de quij de montagna mì, che san lesg nomà sul so liber« (Ders. [1606] 1750, 90).

Das erste Wörterbuch und die erste deskriptive bzw. kontrastive Phonetik des Mailändischen hängen nicht nur buchstäblich zusammen, denn beide reflektieren, insbesondere im jeweiligen Paratext, auf zwei Bewusstseinsebenen die mailändische Stadtvarietät: zum einen die ludische Perspektive bzw. Perzeption des Studenten auf seine Sprachlichkeit bzw. alte und neue Sprachen vereinende Mehrsprachigkeit und zum anderen Biffis zielgerichtete Mehrsprachigkeit mit didaktischer Absicht. Beiden gemeinsam ist die intendierte Statuserhöhung der Muttersprache.

6.3.7.2 Populäre Lesestoffe: bosinate und pliegos sueltos

In der fingierten »lingua rustica« aus dem Mund eines Landbewohners und aus dem nicht-städtischen Kommunikationsraum nördlich von Mailand (Provinz Varese) entsteht eine ganz eigene dialektale Tradition »di ›piazza‹ a Milano« (Albonico [u.a.] 2002, 473): die so genannten bosinate, die hauptsächlich zum Karneval satirisch über Missstände, soziale Konflikte oder Ereignisse informierten und in Form von Flugblättern durch Bänkelsänger vorgetragen und vertrieben wurden. Die ältesten belegten Einblattdrucke dieser Tradition entstanden aus Anlass der Geburt Karls II., Sohn von Philipp IV.: Im Jahr 1662 wird sowohl die Nveva bosina fagg in temp de Carneva Dà Maffè Scappà Bosin in honor del Rè Bambin (Anonym 1662) veröffentlicht als auch die Bosinà fagga de nûûf (Anonym 1662) (vgl. Albonico [u.a.] 2002, 44f. und 473–476). Trotz der postulierten derben »goff linguagg« (zit. nach Dies. 2002, 474)121 wird aufgrund astronomischer und mythologischer Anspielungen ein gebildeter Autor vermutet (Dies. 2002, 475). Da auch hier durchaus renommierte Druckereien wie die Königsdrucker Malatesta122 oder die Bischofsoffizin123 den Markt bedienen, ist von höheren bzw. kultivierten Leserschichten auszugehen.124

Der Beginn dieser Volkstradition bzw. Verbrauchsliteratur wird am Ende des Cinquecento angesetzt (vgl. Repossi 1986, 168).125 Eine »protobosinata« (Isella 1993, 289) ist im Rabisch (1589)126 enthalten und stammt vom »Bosign« Bernardo Rainaldo127 – sie hebt sich von den restlichen Gedichten typografisch und sprachlich ab (Rainaldo [1589] 1993, 269–287) und hat die Missstimmung wegen einer Prematica der spanischen Regierung gegen Luxus zum Thema. Der »mal bòtt [colpo; T.A.] / Per sta scient qui da Miran« (Ders. [1589] 1993, 270), insbesondere für alle Handwerker und Händler der Stadt, ist eines der wenigen zeitgenössischen Beispiele für die Aversion des mailändischen Volks gegen die Herrschaftsverhältnisse, die im Gegensatz zu Sizilien und Neapel aber nie in Aufständen kulminierten.128

Die sprachliche Analyse der (para-)textuellen Strukturen und internen Variation dieser Dichtform steht quasi komplett aus.129

Komplementär zu den heimischen Flugschriften sind in norditalienischen Bibliotheken sowie anderen lombardischen Sammlungen wie auch in Sardinien zahlreiche spanische pliegos sueltos konserviert, die in der Lombardei zirkulierten (vgl. Albonico [u.a.] 2002, 33) (vgl. Kap. 6.1, Anm. 97). Ob sie aus Spanien importiert oder in den Druckereien des Herzogtums hergestellt wurden, ist, auch aufgrund der fehlenden Impressen, fraglich. Sicher ist, dass diese populären (Vor-) Lesestoffe das »interesse suscitato anche nell’Italia Settentrionale delle canzonette amorose e folcloriche predilette dagli spagnoli« (Dies. 2002, 34) dokumentieren. Bemerkenswerterweise lässt sich diese Tradition in Sizilien und auch in Neapel, wo offensichtlich keine Lesebedürfnisse gedeckt werden mussten, nicht nachweisen.

6.3.7.3 Inszenierte Mehrsprachigkeit

Dopo il Lomazzo e il Varese (e i sonetti proemiali del Varon e del Prissian), tra Cinque e Seicento, la letteratura milanese tace. Soltanto alla fine del secolo prenderà vigore trovando nel Maggi, come sarà riconosciuto da tutta la tradizione successiva, il suo vero padre fondatore. (Isella 2005, 210)130

Von Claudio Maria Maggi war bisher kurz die Rede: Er ist einer der Dichter, die im Paratext der Escuela de Palas (Anonym 1693) ein Lobsonett beisteuerten (vgl. Kap. 6.3.6.4). Als einer der im Zitat 59 erwähnten Hofsekretäre Mailands (1661–1699) ist er »perfectamente integrado en el sistema adminstrativo español« (Mazzocchi 1989, 709) und ein Paradebeispiel für individuelle bzw. literarische Mehrsprachigkeit. Bereits ein Jahr nach seinem Tod erschien eine Biografie bei Malatesta,131 in der explizit Bezug auf Maggis Sprachrepertoire (mit Betonung des Spanischen) genommen wird:132

Sapeva egli perfettamente la favella spagnuola non meno per necessità del suo ministerio da lui studiata che per vaghezza d’apprendere molte dotte e gentili notizie in essa contenute. Oltre all’usarla famigliarmente ne’ ragionamenti, qualora l’uopo i richiedeva, agevolmente ancora in essa componeva versi (zit. nach Mazzocchi 1989, 691f.).

Neben dem Spanischen benutzte er freilich auch seine Muttersprache, das Mailändische, in seinen Schriften, wie viele seiner Gedichte und Theatertexte beweisen133; zudem war er Latein- und Griechischlektor an den Scuole Palatine und Mitglied der Accademia della Crusca.

Maggi wird als Autor eines kuriosen Dialogs in lombardischer Volkssprache, der dem toskanischen Theatertext La farsa mvsicale […] Rappresentata nel Teatro Ducale l’anno 1664 (bei Malatesta) vorgeschaltet ist, vermutet (vgl. Isella 2005, 207–218). Im Leserhinweis wird die satirische Vorrede angekündigt bzw. ironisiert: »Il Prologo a commando fu steso non da me in lingua Rustica, per dar introduzione ridicola, ciò s’avverte per ogni rispetto.« (Zit. nach Ders. 2005, 210). In 100 Versen unterhalten sich in ›bäuerlicher‹ Sprache oder in einer Varietät, die sich klar vom gehobenen Register des Stadtmailändischen abheben soll, ein Theaterarbeiter und ein Reitknecht über den Privilegismus der Theaterbesucher und stellen somit ein ›Theater im Theater‹ dar.

Auch in seinen anderen Komödien, die Maggi während der letzten Lebensjahre verfasste (vgl. Morgana 2012, 72–76) und damit dem Mailändischen auch eine erste grafische Grundlage verlieh (vgl. Comoletti 2002, 48–52),134 treffen städtische Kontaktvarietäten aufeinander: Das toskanisierende, gehobene Hochmailändisch – »lingua ufficiale di quell’ambiente spagnolesco ipocrita e arroccato su ridicole quanto attardate vacuità« (Albonico [u.a.] 2002, 483)135 – wird kontrastiert mit dem diastratisch und diaphasisch niedriger markierten Idiom der unteren Schicht. Beispielsweise wird der Hyperkorrektismus »parlà per zetta« eingesetzt: Die Diener Meneghino und Belarmina verwenden, um den Schibboleth der mailändischen Aussprache des stimmhaften Frikativs [z] des normtoskanischen [tʒ] zu umgehen, die Affrikate [ts], wodurch Verwechslungen wie zum Beispiel »cor piccione« statt »cor prigione« den Zuschauer amüsieren sollen.136

Stellt man die Frage nach der Rolle der spanischen Sprache im lombardischen Theater, so gibt es »[e]pisodi isolati di uso teatrale dello spagnolo (come la versione in spagnolo, d’autore, di alcune ariette del melodramma Lucrina, che Carlo Maria Maggi compose nel 1666 in occasione del passaggio dell’infanta Margherita Maria da Milano)« (Mazzocchi 1999, 128), aber sie sind laut Mazzocchi lediglich die Ausnahme, die die Regel bestätigt, nach der Spanisch keinen prominenten Platz in Mailand einnimmt.

6.3.7.4 Zwischenresümee

Die in diesem Kapitel vorgestellten Praktiken von Mehrsprachigkeit und die damit einhergehende Sprachreflexivität erfolgen zusammenfassend im gegen die Vorherrschaft der schriftsprachlichen Leitvarietät des Toskanischen gerichteten Interesse am eigenen – regionalen oder städtischen – Heimatidiom. Die Leistungskraft der autochthonen Sprache wird dabei diasystematisch unterschiedlichen Sprachen bzw. Sprechern entgegengesetzt:

–    Im Varon Milanes (Capis/Biffi 1606) wird Mailändisch mit den alten, gelehrten Sprachen Latein und Griechisch kontrastiert bzw. über diese gestellt; die Sprachverteidigung ist im Studentenmilieu situiert. Im Prissian da Milan (Capis/Biffi 1606) wird das Stadtmailändische im Vergleich zu Latein, Toskanisch, Französisch, Spanisch und zum Lombardischen aus den Bergen phonetisch erläutert.

–    Im Theater wird Mailändisch »a regatta del Toscan, del latin« (Maggi, zit. nach Morgana 2012, 74) gezeigt. Dabei werden diaphasisch-diastratisch niedrig bzw. hoch markierte Varietäten des Mailändischen innerhalb der Stadt, nicht die einer Außengruppe wie den »facchini« aus dem Rabisch karikiert. Das Register der toskanisierten Bourgeoisie, die »lingua corrente«, oder das auf Alessandro Manzonis Promessi sposi (Manzoni 1827) zurückgehende »parlar finito« (vgl. Massariello Merzagora 1988, 199), wird im Zusammenspiel mit dem des einfachen Volks karikiert.

–    Die unterhaltenden bosinate pflegen das Heimatbewusstsein und schaffen oder festigen Meinungen. Die spanischen Flugblätter aus Spanien fanden ebenfalls Anklang – ob in vorgetragener Form auf der piazza oder nur als vergnügliche stille Lektüre von hispanophonen Lesern ist ungewiss.

Die spanische Sprache ist in dieser mehrsprachigen Praxis an unterhaltender Literatur, die hauptsächlich auf der internen Variation des Toskoitalienischen basiert, wenn überhaupt nur am Rande integriert und stellt dabei eine Sprache unter vielen dar (so im Prissian da Milan) und besitzt keinerlei hohen Prestigewert wie Toskanisch, das schon unmittelbar nach der questione della lingua in der literarischen Schriftlichkeit in der Lombardei fest verankert scheint.137

6.3.8 Mikroanalyse: zielgerichtete Mehrsprachigkeit

Ein Sprachlehrwerk, das unter die Rubrik zielgerichtete Mehrsprachigkeit fällt, wurde bereits vorgestellt, nämlich der im spanischen Literaturprogramm von Bidelli zu lokalisierende Nachdruck der Introdutione nella quale s’insegna pronunciare la lingua spagnuola (1621) von Ulloa (vgl. Kap. 6.3.5.2).

Abbildung 40: Alfonso de Ulloa, Introdutione […] nella quale s’insegna pronunciare la lingua spagnuola, Mailand 1621, Titelblatt.

Abbildung 40: Alfonso de Ulloa, Introdutione […] nella quale s’insegna pronunciare la lingua spagnuola, Mailand 1621, Titelblatt.

Es werden im zur Debatte stehenden Zeitraum noch zwei weitere Grammatiken in Mailand im selben Jahr publiziert, welche als Gebrauchsgrammatiken einzuordnen sind und kurioserweise weniger der spanischen als der französischen Sprache Gewicht verleihen.138 Die erste ist eine Erfolgsgrammatik der mit ihren eigenen Lehrwerken bereits erfolggekrönten Ko-Autoren Franciosini/Lonchamps/Firenze; das zweite Instrumentarium zum Französischerwerb wurde ebenfalls 1667 gedruckt und stammt von einem gewissen I.M. Lelong, der hingegen nicht als sprachliche Autorität in der Grammatikografie des 17. Jahrhunderts bekannt ist.

6.3.8.1 Franciosini/Lonchamps/Firenze (1667): La Novissima grammatica delle trè lingue italiana, franzese e spagnuola

Bei Gioseffo Marelli erschien 1667 die dreisprachige, 441-seitige La Novissima grammatica delle trè lingue italiana, franzese e spagnuola, cioè, la franzese e l’italiana di Gio. Alessandro Lonchamps e la spagnuola di Lorenzo Franciosino […] Con l’aggiunta dell’interprete sinottico del sig. Angelo da Firenze […] Con alcuni dialoghi in fine […] Et di nuovo corretta dal sig. D. Giovanni Le Page, welche die dritte Edition nach jenen aus dem Jahr 1655 (Rom/Venedig) und 1664 (Venedig) darstellt (vgl. Lillo 2000).139 Dem Titel entsprechend präsentiert sich das Werk als ein Konglomerat unterschiedlicher Sprachlehrwerke, woraus eine praktische, auf Alltagskommunikation ausgerichtete Grammatik mit französischer Schwerpunktsetzung auf der Phonetik und Phraseologie »typiquement française à l’usage des voyageurs« (Dies. 2000, 637) resultiert. Autor des französisch-italienischen Grammatikteils ist Giovanni Alessandro Lonchamps, der selbst im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts in Mailand (und danach in Rom) Sprachlehrer war, wie er in der Einleitung der Erstedition des Trattato della lingua francese & italiana. Italiana & Francese (1638, Rom) bekannt gibt:

[69] Ritrovandomi alcuni anni sono a Milano, quivi professore di diverse lingue, fui richiesto da certi miei Padroni di mandare in luce qualche precetto, sì della lingua tedesca come dell’Italiana, per gli studiosi di dette lingue; e hora essendo io a Roma, e facendo la medesima professione […] ho deliberato di far il simile di essa, mandando in luce il presente trattato della lingua francese e italiana […]. (Lonchamps 1638, zit. nach Lillo 2000, 610, Anm. 8)

Gefragt war also in Mailand nicht, wie zu erwarten, Spanischunterricht, sondern neben Französisch- auch Deutschunterricht, vermutlich (auch) für die deutschen Militärfunktionäre oder Verwaltungsbeamten um den Gouverneur, der einen deutschsprachigen Sekretär hatte (vgl. Zitat 59). Im Jahr 1680 erschien die kontrastive Grammatik sogar erneut bei Milocco in Mailand.

6.3.8.2 I. M. Lelong (1667): Compendiosa grammatica francese

Im selben Jahr 1667 veröffentlicht der Drucker Lodovico Monza die schmale (°24), indexlose 84-seitige Compendiosa grammatica francese Composta dal reverendo I.M. Lelong, bei der es sich um die zweite Edition nach der Genueser Ausgabe von 1654 handelt (vgl. Colombo Timelli 1994 und das »Reimprimatur«, Lelong 1667, a2).140 Im Unterschied zur höchstwahrscheinlich von Lelong selbst betreuten Erstausgabe fehlt hier der Widmungsbrief »All’ill.mi Sig.ri svoi scolari«; der Drucker Monza, der ein ansehnliches Druckprogramm vorweisen kann141 und an der Piazza dei Mercanti seine Offizin betrieb, korrigiert des Weiteren die zahlreichen Druckfehler von 1654 und reichert das Werk mit pädagogischem Anspruch um einige italienische Übersetzungsbeispiele an (vgl. Colombo Timelli 1994, 301). Der unter diesem Namen nicht identifizierbare Autor Lelong, laut Frontispiz ein »reverendo«142, möchte mit seinem Regelwerk »servire ad alcuni miei Signori studiosi della lingua francese« sowie »anche ad ogni altra persona che tenga il medesimo desiderio« (vgl. »Al Lettore«, Lelong 1667, 3).143 Versprochen wird die Vermittlung der »più pura [lingua francese; T.A.], che si prattichi hoggidì nella Corte di Francia« (Ders. 1667, 4). Der Paratext suggeriert also, die Grammatik als Reflex des vom französischen Sprachnormierer Claude Favre de Vaugelas proklamierten »bon usage« (Vaugelas 1647)144 zu werten. Die Besonderheit dieser handlichen Gebrauchsgrammatik liegt darin begründet, dass sie als einziges Regelwerk vor 1670 neben jenem von Pietro Durante (Durante 1625 Rom) konzipiert sei »pour l’enseignement du français – uniquement du français – aux Italiens« (Colombo Timelli 1994, 303).145

Dass gerade zu diesem Zeitpunkt eine dreisprachige Grammatik und gleichzeitig die Französischgrammatik publiziert werden, ist wohl im Zusammenhang zu sehen mit einem

[…] general afrancesamiento de la vida y las costumbres que se nota claramente en la Lombardía de las últimas décadas del siglo XVII. […] Son muchas, por ejemplo, las traducciones al italiano de textos espirituales franceses, y Maggi mismo es autor de dos de ellas.« (Mazzocchi 1989, 704)

Diese laut Mazzocchi umfangreiche religiöse Übersetzungstätigkeit und auch in der Korrespondenz realisierte sprachliche Moden »all’usanza francese«, wie zum Beispiel die höfliche Anrede in der zweiten Person Plural »Voi«,146 erforderten höchstwahrscheinlich Nachschlage- und Regelwerke wie die beiden Grammatiken. Sie spiegeln die zeitweilige Kopräsenz dieser drei Sprachen – »con el predominio de lo italiano« (Ders. 1989, 709) zumindest im Bereich der Literatur – während der letzten dreißig Jahre des 17. Jahrhunderts wider, bevor zunächst mit Maggis Tod 1699 und spätestens mit der österreichischen Vorherrschaft ab 1706 die lombardisch-spanische »convivenza entre dos culturas tan diversas« (Ders. 1989, 710) ein Ende fand.147

Festzuhalten bleibt, dass in Mailand wie auch in Messina, wo 1675 anlässlich der Messineser Revolten eine Französischgrammatik erschien (vgl. Kap. 6.2.3.6), die (europaweit greifende) französische Einflussnahme in kultureller bzw. politischer Hinsicht zur unverzüglichen Notwendigkeit des Drucks von französischen Sprachlehrwerken in loco führte. Sprachliche Hilfsmittel zum alleinigen Erwerb des Spanischen sind hingegen nicht dokumentiert und waren entweder durch Importe oder vermutlich aufgrund rezeptiver Kompetenzen der Bildungskonsumenten nicht erforderlich – die korrektive Phonetik von de Ulloa bestätigt als Ausnahme die Regel (Ulloa 1621).

Ebenso wenig sind metasprachliche Kommentare zum Fremd- oder Zweitsprachenerwerb im Besonderen bzw. zur Kommunikationsproblematik im Allgemeinen im Milanesado dokumentiert. Auch Wilhelm diagnostiziert auf Basis der quasi gänzlich fehlenden Befunde hinsichtlich bewusst gewordener Sprachprobleme aus drei Flugschriften der Jahre 1533, 1541 und 1549 eine

[…] notevole indifferenza di fronte al problema della comprensione fra ›Italiani‹ e ›Spagnoli‹: la funzione comunicativa dell’una o dell’altra lingua non viene tematizzata. […] Sotto il ›tetto‹ del latino, la lingua universale per eccellenza, e di fronte al forte polimorfismo che segna lo spazio variazionale dell’italiano, la contrapposizione fra italiano e spagnolo, per i contemporanei, è molto meno drammatica di quanto chi si potrebbe aspettare. Il plurilinguismo qui non è affatto conflittuale: la questione della mutua comprensione non è percepita come problematica. (Wilhelm 2013, 146)

6.3.9 Zusammenfassung

Die Korpusdaten, insbesondere die Produktion von spanischen Titeln, die sich im Cinquecento auf circa 0,9% und im Seicento auf circa 3,3% der Gesamtproduktion belaufen, legen eine Pluralität und ein klares Nebeneinander der spanischen Migrantengemeinschaft und der mailändischen Gesellschaft bzw. ihrer Sprachen/Varietäten nahe.

Spanisch tritt als Herrschafts- bzw. Kommandosprache einzig in Form der gride in Erscheinung, die parallel sowohl auf Italienisch als auch auf Spanisch getrennt für beide Gruppen der Soldaten publik gemacht wurden.148 Für die spanischen Waisenkinder, die innerstädtisch segregiert waren, wurde mit dem Unterricht auf Spanisch Sorge getragen. Der selbst hispanophone gelehrte Verleger Bidelli entwickelte, zumindest in den ersten Dekaden des Seicento, ein migrationsspezifisches Literaturprogramm, das primär den Leseinteressen der zahlreichen Militärfunktionäre und Hofbeamten aus Spanien entsprach. »Es una cultura que se ofrece, se traduce y se almacena en las páginas del libro que se venden bien – y de hecho se reeditan – y que, por consiguiente, se debieron leer« (Cavagna 1995, 123), wie Cavagna treffend zusammenfasst.

Eine intensive Berührung mit der spanischen Sprache gab es nur auf höchster, das heißt institutioneller Ebene, die zu individuellem Bilingualismus wie beim Senatssekretär und Dichter Maggi führen konnte: »Lo spagnolo fu appannaggio, generalmente parlando, delle classi alte, che di norma lo utilizzarono nei rapporti ufficiali, senza mai farlo diventare loro prima lingua di cultura.« (Mazzocchi 2005, 393).149 Auch die Tatsache, dass der spanische Sprachgebrauch für die nicht hispanophonen Lombarden nicht gesteuert wurde und kein spanisches Sprachlehrwerk bezeugt ist, das auf eine entsprechende Notwendigkeit deuten würde, untermauert Mazzocchis Zitat. Zudem bestätigen die Übersetzungen aus dem Spanischen ins Italienische eine Präferenz der lombardischen Mehrheitsgesellschaft für die weitaus vertrautere und prestigereiche tosko-italienische Sprache in der gedruckten Schriftlichkeit, die auch in der fingierten Mündlichkeit im Theater zum Vorschein kommt.

Darüber hinaus ist Spanisch weder in der analysierten zeitgenössischen Sprachreflexion, die ihren Fokus auf die Aufwertung des Mailändischen gegenüber den Altsprachen und Toskanisch legt, noch in der räumlichen Perzeption der Varietäten, die einen Stadt-Land- und einen Stadt-Stadt-Gegensatz fokussiert (und karikiert),150 als Kontaktsprache eingegliedert.

1 Zur Geschichte des Herzogtums (1535–1796) vgl. Capra/Sella 1984; Signorotto 1996; Álvarez-Ossorio Alvariño 2006.

2 Zum einen kritisiert Wilhelm die Kriterien und Methoden der bisherigen Editionsphilologie und illustriert am Beispiel des volkssprachlichen Schriftstellers Bonvesin da la Riva die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung der Syntax in der Schreibtradition des Tre- und Quattrocento (Wilhelm 2007). Zum anderen demonstriert er anhand der ersten Periode der französischen Herrschaft (1499–1512), welches Potenzial die »Abfolge unterschiedlicher Konstellationen von Mehrsprachigkeit« (Ders. 2007, 96) in der Lombardei für Sprachhistoriker birgt.

3 Zu nennen wäre hier etwa die Studie von Massariello Merzagora zu den Hispanismen im Mailändischen (Massariello Merzagora 1984); vgl. auch Beccaria 1968, insb. 325–351. Mazzocchi kommt zu dem Schluss, »che il dialetto milanese ha un’apertura allo spagnolismo né inferiore né superiore a quella del toscano corrente. Né la maggiore vicinanza del dialetto alla realtà, né quella del toscano al potere, favoriscono per l’una o l’altra delle lingue l’ingresso degli ispanismi, né determinano una diversa selezione.« (Mazzocchi 2013, 157).

4 Die Diskrepanz zwischen eigenen und fremden Sprachen ist besonders virulent in der rezenten Stadtgeschichte Mailands von Morgana: Die französische respektive die spanische Sprache bleiben in den entsprechenden Kapiteln (zur Ära der Visconti/Sforza: Morgana 2012, 25–50 bzw. zum »Cinquecento e Seicento«: Ders. 2012, 51–80) völlig unerwähnt. Der Beitrag von Bongrani/Morgana bietet wie üblich eine solide Zusammenfassung der Verbreitung des Italienischen, aber teils auch der anderen Varietäten in der Lombardei (Bongrani/Morgana 1992/1994, insb. 105–114 bzw. 135–187). Weidenbusch konzentriert sich in ihrer »Beschreibung der sprachlichen Architektur und Realität in der Lombardei« (Weidenbusch 2002, 4) während der ersten Hälfte des 19. Jh.s (1797–1861) ebenfalls auf die Italianisierung unter sozio-, varietäten- und textlinguistischen Gesichtspunkten.

5 Vgl. darüber hinaus auch Isella und für die Entwicklung der mailändischen Varietät Comoletti (Isella 2005; Comoletti 2002, insb. 33–52).

6 Vgl. Mazzocchi 1989; Ders. 1995; Ders. 1999; Ders. 2004; Ders. 2005; Wilhelm 2013.

7 Vgl. Sepúlveda 1995; Boiocchi/Mazzocchi/Pintacuda 2000; Albonico [u.a.] 2002.

8 Milanesado ist eine für das Herzogtum gängige Bezeichnung unter Historikern, nicht aber im Vokabular der zeitgenössischen Sprecher – zumindest in den von mir gesichteten Primärwerken – verankert. Auch der Generaloberst Sebastian de Ucedo spricht in seinem Werk Indice del mundo conocido (Ucedo 1672 Mailand, bei Malatesta) vom »Estado de Milan«, der Teil der »Lombardia Alta« sei und 17 Provinzen umfasse, mit dem »Ducado de Milan« an erster Stelle (Ders. 1672, 334f.), vgl. Ders. 1672, Permalink: http://hdl.handle.net/10481/22355 (Zugriff vom 11.10.2014).

9 Die in der Biblioteca Nazionale Braidense vorhandenen und im Jahr 1988 bibliografierten Edizioni spagnole e portoghesi inkludieren naturgemäß auch außerhalb der Lombardei gedruckte Titel.

10 Vgl. PRIN 2008 (vgl. Kap. 6.2, Anm. 50) und EIRN (vgl. Kap. 6.4, Anm. 66).

11 Der Titel lautet weiter: Con diuersi Sonetti in lingua rozza, & vn’Echo Alli miei Carissimi, & Virtuosi Lettori Vniversali. Das Werk wurde vermutlich bereits 50 Jahre zuvor von Bernardo Rainoldi verfasst (vgl. die Herausgabe von Isella 2005, 118–154, aus der auch zitiert wird).

12 Nach Cipolla zählt die Stadt im Jahr 1500 100.000 Einwohner, im Jahr 1550: 50.000, 1600: 110.000, 1650: 95.000 und 1700: 100.000 (Cipolla 1980, 14f.). Rother [u.a.] veranschlagen für das 16. Jh. 120.000 und für das 17. Jh. 70.000 Mailänder (Rother [u.a.] 2000, 158).

13 Sein offizieller Titel lautete Governatore di Sua Maestà nello stato di Milano e Capitano generale in Italia. »In realtà questa carica fu istituita alla fine del XV secolo durante il periodo di dominio francese su Milano. Era l’esecutore degli ordini che provenivano dal sovrano, coordinatore delle magistrature dello Stato di Milano. Tutti i provvedimenti dovevano essere approvati da lui, anche se la proposta veniva sempre dal magistrato competente per materia che li compilava.« (Giovannelli Onida 2008 – hier findet sich eine detaillierte Auflistung und Beschreibung aller Akteure im Verwaltungsapparat des Milanesado, URL: http://nir.ittig.cnr.it/gride/grideIntroduzione.php [Zugriff vom 10.08.2014]). Vgl. auch die in Signorotto genannten Aufgaben und Direktiven des Gouverneurs bis hin zur Buchzensur »Ordenes de la Secretaría de Milan, o sea todas las que se hallan en los libros de la Secretaría de Milan tocantes á aquel Estado. Sacadas de orden del Ex.mo Señor Conde de Monterey y de Fuentes de los Consejos de Estado y Guerra, Presidente de Italia‹« (Signorotto 2006, XX, Anm. 35 und 153–303), URL: http://archivi.beniculturali.it/dga/uploads/documents/Fonti/Fonti_XLVI.pdf (Zugriff vom 10.08.2014).

14 »Hispanicization extended to a key position in the Milanese government« (Álvarez-Ossorio Alvariño 2006, 113), wonach unter Philipp II. von neun Gouverneuren sieben Spanier und von den 14 Senatssitzen drei für Spanier vorgesehen waren (vgl. Ders. 2006, 113f.).

15 Auch Flamen dürften in nicht geringer Zahl in der Lombardei stationiert gewesen sein (vgl. Buono 2009, 20, URL: http://www.fupress.com/Archivio/pdf/3856.pdf [Zugriff vom 11.08.2014]).

16 Vgl. Buono 2009.

17 »Realmente, las cifras totales de soldados existentes en el sur de Italia no permiten hablar de una fuerte presencia militar. En Nápoles, a excepción de los momentos en que se concentraban tropas para su envío a otras partes de la Monarquía, el número total de hombres difícilmente llegaría, en el mejor de los casos, a los 8.000. En la isla de Sicilia, las cifras, aún mas reducidas, estarían, también en el mejor de los casos, por debajo de los 4 o 5.000 soldados. En el caso de Cerdeña, las tropas regulares debieron de ser siempre muy escasas. Por otro lado, los documentos insisten en la mala condición o situación de los soldados o los barcos, los retrasos en las pagas, su escaso armamento, o la falta de pólvora y municiones.« Ribot García 1995, 115, URL: http://ddd.uab.cat/pub/manuscrits/02132397n13p97.pdf (Zugriff vom 11.08.2014).

18 Vgl. zum spanischen Militärkorridor um das Jahr 1610 die Karte »El camino Español«, URL: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:El_Camino_Espa%C3%B1ol.PNG (Zugriff vom 01.12.2014).

19 Dem Marqués de Spiñola unterstanden bspw. im Jahr 1607 in der Lombardei 34 spanische und 27 italienische Kompanien, mehrere Dutzend Engländer und Burgunder, zwei deutsche Regimente sowie 29 Pferdekompanien (vgl. Cavagna 1995, 110, Anm. 72).

20 Vgl. das vorausgehende Programm der Bamberger Tagung (13.–15.06.2013) »Militär und Mehrsprachigkeit im neuzeitlichen Europa« mit Schwerpunktsetzung auf der deutschen (Fremd-)Sprache, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=21978 (Zugriff vom 10.08.2014).

21 Die Verdreifachung der Zahlen ab 1614 koinzidiert mit dem ersten, vom Herzog von Savoyen Karl Emanuel I. initiierten Mantuanischen Erbfolgekrieg; der drastische Anstieg auf 35.000 Soldaten 1642 mit der Kriegserklärung Frankreichs an Spanien. Bis zum Pyrenäenfrieden (1659) pendelte die Zahl zwischen 15.000 und 20.000; unter Ludwig XIV. stabilisierte sich das Heer bis zum Ende des Jh.s auf ca. 10.000 Einheiten wie zu Beginn des Jh.s.

22 So plädiert der »oratore dello Stato di Milano«, der Dominikaner Giovanni Paolo Nazari, in einer – übrigens auf Spanisch gehaltenen – Rede aus dem Jahr 1620 dafür, die Soldaten aus Privathäusern in »casas yermas« auszulagern; in der ebenfalls auf Spanisch verfassten Rückantwort vom Italienrat und Philipp III. wird das »quebrantamiento« der Ruhestörung, und somit seine Forderung, bestätigt (vgl. Buono 2009, 148f.).

23 Buono zeichnet auch die Etymologie dieses Kompositums nach, das in den Primärzeugnissen ab dem Ende des 16. Jh.s in verschiedenen Varianten zu finden ist (it.: »casa erma«/»casa erema«/»cas’herma«/»cas’erma«; lat.: »domus erema«; sp.: »casas hiermas«), jedoch bis ins 19. Jh. sowohl in militärischen Fachwörterbüchern als auch z.B. im Cruscawörterbuch von 1867 nicht lemmatisiert ist (vgl. Ders. 2009, 152–154).

24 Vgl. das in Buono abgedruckte Appellschreiben an die Verwaltung von Varese, in dem alle ›Schandtaten‹ der nicht näher (d.h. nach Staatsangehörigkeit) bestimmten »tanti soldati« erläutert werden (Ders. 2009, 276).

25 Das zum Großteil noch ungeklärte Verhältnis von Krieg, Militär und Migration wird in bzw. von Asche vorgestellt (Asche 2008a; Ders. 2008b).

26 Bigliani diagnostiziert eine »assenza di una precisa politica culturale spagnola in Lombardia, che fece sì che non si creassero direttive esplicite per l’attuazione di un’importazione sistematica del principale mezzo attraverso cui diffondere tale cultura, il libro appunto.« (Bigliani 2002, 25). Spanische Bücher kamen nachweislich ins Milanesado über Jesuiten (als persönliches Mitbringsel oder zu didaktischen Zwecken), über Soldaten oder über geschäftige Buchhändler wie Giovanni Battista Bidelli (Ders. 2002, 25 und Anm. 25 sowie Anm. 27; vgl. Kap. 6.3.5.2). Nach Ansicht von Cavagna ist es Mailand kapazitär nicht möglich, mit der kommerziellen Druckkapitale Venedig in Konkurrenz zu treten und Drucke zu exportieren (Cavagna 1995, 92f.).

27 Vgl. Sandal 1992; Santoro 2008, 177–182 und 251.

28 Die erste Inkunabel wurde in Mailand im Jahr 1471, eventuell aber bereits 1468 oder 1469 – im selben Jahr wie Venedigs erster Wiegendruck – gedruckt (vgl. Santoro 2008, 82–84 und 66, Anm. 87). Insgesamt sind bisher 1.121 mailändische Wiegendrucke registriert, davon 389 Titel der klassischen oder humanistischen Literatur, 316 aus der religiösen, 242 aus der Rechtsdomäne, 85 aus Geschichte/Mathematik/Wissenschaft und 89 Varia (Santoro 2008, 84).

29 Außerdem wird im Herzogtum in fünf weiteren Orten gedruckt: in Como, Cremona, Casalmaggiore, Lodi, Pavia, das als Universitätsstadt im Gesamtvolumen der Produktion von Mailand folgt (vgl. Sandal 1992, 282). Cavagna taxiert die lombardischen Druckorte im Seicento auf zehn, ab 1602 kommt Novara hinzu (Cavagna 1997, 226 Anm. 6).

30 Im Jahr 1525 findet die Schlacht bei Pavia zwischen Karl V. und Franz I. statt; im Frieden von Madrid 1526 wird das Herzogtum Mailand den Habsburgern schließlich zuerkannt.

31 Bspw. sind die 60 bei Antonio da Borgo erschienenen Editionen für Händler und Handwerker fast alle auf volgare. Im Jahr 1541 wird das Libro d’abaco che insegna a fare ogni ragione mercadantile gedruckt (Nachdruck 1685). Weitere Titel finden sich auch in Bongrani/Morgana 1992, 110. Giovanni Antonio Castiglione spezialisierte sich auf Musikdrucke und publizierte auch zwei großformatige spanische Bücher: La Coronica de don Aluaro de Luna (Castiglione 1546) (vgl. Kap. 6.3.4) und Dos libros de cosmographia compuestos nuevamente por Hieronymo Giraua Tarrogones (Ders. 1556) (EDIT16 2014, CNCE 21293 bzw. 13363) (vgl. Kap. 6.3.6.3).

32 In Pavia, Sitz des studium, überwiegen hingegen im gesamten Cinquecento die lateinischen Drucke (vgl. Bongrani/Morgana 1992, 105).

33 Zur Geschichte der Biblioteca Ambrosiana vgl. Jones 1997.

34 Carlo Borromeo führte 1609 im neugegründeten Jesuitenkolleg die toskanische Sprache neben dem Lateinischen/Griechischen und die Lektüre des Decameron im ratio studiorum ein (vgl. Bongrani/Mongana 1992, 108). Seine Toskophilie ging so weit, dass er sich selbst philologisch betätigte, nicht zuletzt, um seine Predigten einer Revision zu unterziehen (Dies. 1994, 140).

35 Dem initiierten italianistischen Programm zum Trotz empfahl Borromeo den Priestern während einer Synode im Jahr 1619, für die ungebildete, dialektophone Landbevölkerung Akkomodationsstrategien anzuwenden: »io vi trattassi del modo, col quale più acconciamente ragionar si potesse a questa gente rozza e indotta, io dico, che con essa non dovete troppo disputare […], ma più tosto […] con piacevoli maniere favellar sì familiarmente, che tutti coloro, i quali vi ascoltano, intender possano ciò, che voi dite. […] con la nostra natía lingua, nella quale imparata habbiamo nelle nostre case […] potremo meritar il nome di eloquenti« (zit. nach Bongrani/Morgana 1994, 140–143, worin der komplette Brief mit dem Titel Quali esser debbano le Prediche de’ Rettori delle Parrocchie abgedruckt ist). Während sich auch auf Sardinien die verantwortlichen Jesuiten trotz eines Hispanisierungsauftrages den ausschließlich sardischen Sprachkenntnissen der Laien fügten (vgl. Kap. 6.1.2.2), konnte Kropp im Falle des Königreichs Neapel keine Quellen in dieser Richtung finden (vgl. Kropp 2011).

36 Eine Auflistung der Seminare, Kollegs und die jesuitische Präsenz in Zahlen finden sich in Rurale 1992, 137 und 297f.

37 Auch ausländische Arbeiter werden protegiert, so z.B. der spanische Hofarchitekt Juan Herrera, der 1584 für 15 Jahre das Privileg erhält, »papeles y trazas […] tocantes al edificio y fabrica del monasterio de san Lorenzo Real« zu drucken und zu verkaufen (aus den Akten der Secretarias provinciales, zit. nach Cavagna 1997, 233, Anm. 37).

38 Die Gilde ist damit einzuschätzen als »[u]na forma di orgoglio sociale e autonomistico da parte di categorie artigianali altamente alfabetizzate rispetto alla norma, con professionalità specifica, consapevoli almeno teoricamente di maneggiare prodotti con un possibile valore aggiunto di creatività intellettuale, e dunque con un principio di identità ben preciso.« (Cavagna 1997, 230).

39 Darüber hinaus erscheint in den weiteren lombardischen Druckorten nur in Cremona ein spanischer Titel.

40 Der Bibliophile Colombo, der über 15.000 Bände besaß, erwarb das Buch offensichtlich in Rom, wie aus der Inventarsnotiz seiner berühmten Bibliothek, der sog. Hernandina, hervorgeht: »Costò en Roma 24 cuatrinos, por Junio de 1515« (zit. nach Navarro Duran 1986, 32).

41 Lamento del contadino sopra diuerse arte. Nouamente uenuto in luce molto ridiculoso & piaceuole Stampato in Milano: a instanza de quelli chi lo comprara (Anonym 1520?b); Frottola noua de doi vilani che vanno a far el conto con il suo patrone (Anonym 1520?a); Frotula nuoua de do coma e dun putin che van a santo Spitiano (Anonym 1525). Die Stanze dell’Ariost tramutate per il dottor Partesanon da Francolin in lingua gratiana […] Nouamente date in luce ad instanza de i giouani virtuosi (Ariosto 1594? bei Pandolfo Malatesta) sind eine anonyme Bearbeitung bzw. dialektale Variante des Bestsellers Orlando Furioso und erschienen im selben Jahr auch in Venedig und Verona.

42 Vgl. EDIT16 2014, CNCE 7772: Bucci, Agostino (1574): Oratione di m. Agostino Bucci, lettore di filosofia, et oratore del serenis. sig. duca di Sauoia. Per la entrata di Henrico III christianiss. re di Francia, et di Polonia in Turino. Con quattro sonetti del medesimo, parte in lingua italiana, parte in francese. Stampata in Turino, et ristampata in Milano: per Valerio & Hieronimo da Meda, bei Gio. Battista Pontio.

43 Die Anzahl der Zunftmitglieder Mailands beläuft sich am Ende des Cinquecento auf vermutlich 40, im Jahr 1652 werden 27 und 1728 23 eingeschriebene Mitglieder gelistet (vgl. Cavagna 1997, 235 und Anm. 46).

44 Antoni stammte aus Brescia und war auch dort (1565–1580) und gleichzeitig in Venedig (1562–1580) tätig, vgl. Raponi 1961, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/giovanni-antonio-de-antoni_%28Dizionario_Biografico%29/ (Zugriff vom 10.08.2014).

45 Die Bank wurde 1593 gegründet – der Discorso in forma di dialogo intorno al Banco di S. Ambrosio della città di Milano von G.A. Zerbi (1599, Milano, bei Malatesta) berichtet über die Gründung und die dortigen Wechselgeschäfte. Im Jahr 1601 erschienen die Statuten Delle leggi, contratti e governo del Banco Santo Ambrosio della città di Milano (Anonym 1601), ebenfalls bei Malatesta (vgl. Giovannelli Onida 2008, Anm. 22).

46 Nuovo würdigt dieses im Notarsakt 154 Seiten einnehmende Inventar von ca. 5.800 Editionen bzw. 11.786 Exemplaren als »senza paragoni, il più vasto e ricco assortimento commerciale di cui si abbia notizia nel periodo« (Nuovo 2000, URL: http://libroantico.uniud.it/discipline/disci4/disci4nuovo.html [Zugriff vom 10.08.2014]). Der Buchladen ist thematisch sortiert; nach Religion, Recht und Medizin stellen die »libri di umanità« (auf den Seiten 100–154) – so benannt von Nuovo – die vierte Kategorie in quasi-alphabetischer Reihenfolge (Dies. 2000): Hier alternieren lateinische und italienische Titel; ihnen zwischengeschaltet sind Libri spagnoli varia, Libri greci diversi, Uno mazo de libri ebrei und ein Mazzo di libri francesi diversi. Anzahl und genaue Titel werden nicht genannt.

47 Zu den möglichen Gründen, etwa eine generelle Tendenz »a ignorar todo aquello que no estuviese estrechamente relacionado con los aspectos oficiales del gobierno« (Cavagna 1995, 120), vgl. Dies. 1995, 120.

48 Zur Biografie der Malatesta vgl. Cavagna 1995; Dies. 1998, 210f.; Ruggerini 2007, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/malatesta_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 10.08.2014); EDIT16 2014 »Malatesta«.

49 Beziehungen zu den florentinischen Giunta, die sich in Spanien als einzige italienische Druckerfamilie etablierten und in Sevilla, Salamanca und Burgos Filialen errichteten, sind nicht auszuschließen, aber in Pettas nicht dokumentiert (Pettas 1996; Ders. 2005).

50 In diesem Jahr erschienen zwei Verordnungen: die Ordenes generales para la caualleria ligera und Ordenes generales para la infanteria spañola y otras naciones (Anonym 1599a) sowie die Sonetos de Francisco Balbi dedicados a la s.c.r. magestad de la reyna de España […] Margarita de Austria en su muy alto y muy deseado casamiento (Anonym 1599b).

51 Vgl. den Malatesta-Druck der anonymen Travestie bzw. dialektalen Variante des Bestsellers Orlando Furioso aus dem Jahr 1594? Stanze dell’Ariost tramutate per il dottor Partesanon da Francolin in lingua gratiana […] Nouamente date in luce ad instanza de i giouani virtuosi (Ariosto 1594?) und weiterer Populärliteratur (vgl. Kap. 6.3.7.2).

52 Vgl. zur Biografie Cioni 1968, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/giovan-battista-bidelli_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 11.08.2014); außerdem Cavagna 1995, 117–121; Cavagna/Wolkenhauer 2001, 197–210.

53 Broletto ist eine für alle lombardischen Städte typische Bezeichnung für den Sitz der Regierung und der Stadtverwaltung, in der städtische Angelegenheiten und vor allem Rechtsgeschäfte geregelt wurden, vgl. den Artikel »Broletto«, URL: http://it.wikipedia.org/w/index.php?title=Broletto&oldid=67099371 (Zugriff vom 10.08.2014).

54 Die Produktion lässt sich in zwei Phasen splitten: Vor 1630 (Pest-Zäsur) erschienen 180 Editionen, nach diesem Datum über 200 Editionen auf seine Kosten. Insgesamt erhält er ca. 40 Mal Privilegien (vgl. Cavagna/Wolkenhauer 2001, 199).

55 Zu dieser – in heutiger Terminologie – Backlist gehören bspw. die Saggi von Francis Bacon (Bacon 1620), die bereits in London Ende des 16. Jh.s auf Italienisch publiziert wurden, die Reglas Militares von Luigi Melzo (Melzo 1619), bereits 1611, aber auf Italienisch in Antwerpen gedruckt oder die Carichi militari von Lelio Brancaccio (Brancaccio 1619 und Ders. 1620), ebenfalls in Antwerpen zehn Jahre zuvor erschienen (vgl. Cavagna/Wolkenhauer 2001, 205); Cioni 1968, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/giovan-battista-bidelli_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 10.08.2014).

56 Dies lässt sich an den verschiedenen Widmungen an italienische und spanische Persönlichkeiten ablesen, die teils mit höchsten Ämtern bekleidet waren, z.B. der Feudaladelige Vitaliano Visconti (Cervantes, 1610), der Gouverneur Luis de Benavides (Lope de Vega, 1649) und Gomez Soarez de Figueroa oder der Genuese Carlo Doria, Generalkapitän der spanischen Galeeren.

57 Cioni gibt in Anlehnung an Santoro hingegen eine Gesamtproduktion von ca. 60 Titeln an (vgl. Santoro 1965; Cioni 1968).

58 Seine Titel waren höchstwahrscheinlich auf der Frankfurter Buchmesse im Angebot. Er selbst stand in Kontakt mit deutschen Händlern in Mailand (vgl. Cavagna/Wolkenhauer 2001, 205).

59 Vgl. Cervantes Saavedra 1610, URL: http://bdh.bne.es/bnesearch/detalle/1811210 (Zugriff vom 12.08.2014).

60 Im Jahr 1615 erschien in seinem Auftrag der spanische Bestseller Novelas exemplares (Cervantes Saavedra 1615, Permalink: http://bdh-rd.bne.es/viewer.vm?id=0000078050 [Zugriff vom 10.11.2014]), den er 1627 und 1629 wiederum in italienischer Übersetzung verlegte. Ebenfalls 1615 ließ er Lazarillo de Tormes (Anonym 1615a, das bereits 1587 und 1597 in Mailand von Antoni gedruckt und 1603 von Bordone verlegt wurde) sowie die Vida del Pícaro Guzman de Alfarache (Aléman 1615) drucken (Letzteres erschien 1621 wiederum auf Italienisch in °8). Im Jahr 1616 legte er Diana nuevamente corregida y revista por Alonso de Ulloa (Montemayor 1616, Mailand) neu auf, vgl. Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10607655-7 (Zugriff vom 11.10.2014). Es folgten 1619 Las Comedias (Vega Carpio 1619) und 1649 El vellocino de oro (Vega Carpio 1649) von Vega, 1624 Viage del Parnaso (Cervantes Saavedra 1624) von Miguel de Cervantes Saavedra. Die meisten sind im Duodez oder in noch kleineren, taschentauglichen Formaten (°16 oder sogar °24) hergestellt und passen in jede (Soldaten-)Jackentasche (vgl. Cavagna 1995, 118f.).

61 Seine individuelle Mehrsprachigkeit resultiert aus seiner Mobilität, seinem sozialen Netzwerk und seiner umfangreichen Privatbibliothek – Cavagna führt einige spanische, lateinische und italienische Werke aus seinem Privatbesitz auf (Cavagna 1995, 117, Anm. 92). Zudem passte er die Sprachform seiner Unterschrift im Frontispiz an die des Druckwerks an: »apud« für lateinische, »per« für italienische Titel und ein hispanisierter Name im Falle spanischer Drucke (Cavagna/Wolkenhauer 2011, 199).

62 Ebenso wendet sich Bidelli auf Spanisch an die Bewidmeten im Viage del Parnaso (Cervantes Saavedra 1624) von Cervantes (worin er D. Antonio Rodriquez de Frechilla »mil vezes las manos« küsst) wie auch laut Profeti im El vellocino de oro (Vega Carpio 1649) (Profeti 2002, 352).

63 Vgl. Vega Carpio 1611, Permalink: http://bdh.bne.es/bnesearch/detalle/bdh0000134502 (Zugriff vom 20.10.2014).

64 Vgl. Ulloa 1621, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10608219-6 (Zugriff vom 12.08.2014).

65 Die Titel lauten wie folgt: Orlando furioso de m. Ludouico Ariosto […] Traduzido en romance castellano […] Assimismo se ha anadido vna breue introducion para saber e pronunciar la lengua castellana, con vna exposicion enla thoscana de todos los vocablos difficultosos contenidos enel presente libro: con la tabla general delas cosas mas notables de que tracta la obra. Hecho todo por el s. Alonso de Vlloa (Ariosto 1553) (EDIT16, CNCE 2677); Tragicomedia de Calisto y Melibea […] con una exposition de muchos vocabolos castellanos en lengua ytaliana (Rojas 1553) (EDIT16, CNCE 47621); Tragicomedia de Calisto y Melibea […] Ha se le añalido nueuamente vna grammatica y vn vocabulario en hespañol y en italiano para mas introduction de los que studian la lengua castellana. Nueuamente corregida por el s. Alonso de Vlloa (Rojas1556) (EDIT16, CNCE 27344).

66 Der zwischen 1520 und 1540 in Rom und Venedig als Autor und Verleger spanischer Werke erfolgreiche Andalusier Delicado hatte bereits 1534 die Introduction que muestra el Delicado a pronunciar la lengua española konzipiert. Eine kontrastive Analyse der beiden Texte bietet Capra 2007a, URL: http://www.academia.edu/11325362/_Francisco _Delicado_Alonso_de_Ulloa_y_la_Introduction_a _la_lengua_espa%C3%B1ola_ (Zugriff vom 11.08.2014).

67 In der zweiten Hälfte des Seicento erscheinen charakteristischerweise kaum Druckwerke auf Spanisch oder mit spanischen Thematiken.

68 Vgl. Parona 1607, URL: http://archive.org/details/festedimilanonel00paro (Zugriff vom 11.08.2014). Aus einem zweiten Titel im Zusammenhang mit diesem Ereignis ist die Übersetzungs- bzw. Spanischkompetenz des Autors Parona zu erfahren: Relazione di quanto è successo a Vagliadolid dopo il felicissimo nascimento del Principe di Spagna Don Filippo Dominico Vittorio Nostro Signore fin che si finirono le dimostrazioni d’allegrezza, che per quel si fecero; tradotta di lingua castigliana da Cesare Parona (Anonym 1608, bei Bordoni & Locarni).

69 Über 20.000 Verordnungen werden in der Biblioteca nazionale Braidense di Milano aufbewahrt: »Il fondo Gridari raccoglie […] avvisi, editti, grida, istruzioni, leggi diverse su specifiche materie (il dazio, il tabacco, le imposte, gli approvvigionamenti, i militari, la magistratura) […].« (vgl. Ruggerini 2007). Vgl. auch die digitale Sammlung »Gride e Gridari Seicenteschi del Ducato di Milano« bestehend aus 47 gride des 17. Jh.s, u.a. den in diesem Kapitel besprochenen gridario von 1688, URL: http://www.lombardiabeniculturali.it/dolly/collezioni/12/ (Zugriff vom 10.12.2014).

70 Die ältesten beiden in EDIT16 2014 (CNCE 65424 bzw. 65423) registrierten und digitalisierten, von »Iuan de Velasce Condestable« auf Spanisch unterzeichneten Verordnungen sind die Grida generale sopra le caccie und die Grida generale contra banditi, & assassini (Anonym 1598?a, Anonym 1598?b).

71 »Nel caso delle gride generali questo carattere di immediatezza e occasionalità sembra scomparire per essere sostituito da una volontà di consolidamento della volontà legislativa in relazione ad alcune materie. La grida generale può avere nella sua emanazione anche una cadenza annuale, ma questo non toglie che la sua caratteristica è sempre quella di essere una ›grida‹ (legislazione occasionale) che non entrerà mai a far parte di quella legislazione più illustre che spesso viene pubblicata in latino ancora verso la fine del Seicento.« (Giovannelli Onida 2008). Die Themen des von Giovannelli Onida analysierten Korpus betreffen den Schutz und die Regelung der Hauptprodukte Mailands und der Region wie Futter, Waren (i.e. Stoffe), Öl, Reis, Seife, Salz, aber auch die Jagd und Gesundheit, d.h. präventive Hygienevorschriften. Für eine genaue Auflistung der meist für ein Jahr gültigen gride gruppiert nach Thematik, Druckjahr und Aufbau (meist in mehreren Paragrafen) vgl. die Webseite »Le gride e gli editti dello Stato di Milano (1560–1796)«, URL: http://nir.ittig.cnr.it/gride/grideIntroduzione.php (Zugriff vom 10.08.2014).

72 Erfreulich ist, dass eine grida von 1594 als Beispieltext aus dem administrativen Bereich überhaupt Eingang in das sprachgeschichtliche Dokumentationsmaterial bei Bongrani/Morgana findet – im Fokus der Sprachanalyse steht jedoch allein die Ermittlung des Toskanisierungsgrades (Bongrani/Morgana 1994, 138f.). Nicht einmal beiläufig erwähnt wird die sich gerade in diesen gride bündelnde Sprachenvielfalt im Rahmen der Herrschaftsausübung. Auch die sprachlich aufschlussreiche Anrede und Schlussformel der Bekanntmachung sind nicht aufgeführt.

73 So präferiert auch während der ersten französischen Herrschaftsperiode (1500–1515) der Senat die lateinische, der König in den anderen Schriftstücken aber die französische Sprache (Wilhelm 2007, 91f.).

74 Gedruckt auf hochwertigem Papier und mit selbstinszenierendem Paratext inklusive Porträt, Widmung und Leser-Vorrede von Marc’Antonio Malatesta, der darin behauptet »nato nelle Stampe« (Gridario generale 1688, o.S.) zu sein. Alle Gouverneure des Herzogtums zwischen 1534 und 1686 werden vorweg aufgelistet.

75 Vgl. Gridario generale 1688, URL: http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ160309008 (Zugriff vom 11.08.2014). Bereits 1598 erschien ein Compendio di tutte le gride, bandi, et ordini, fatti, & publicati nella Città, & Stato di Milano. Nel gouerno dell’ill.mo et eccell.mo sig. Iuan Fernandez di Velasco (Anonym 1598) bei da Ponte quasi als Inventar der Druckschriften aus den Jahren zwischen 1592 und 1598. Vermutlich 1657 veröffentlichen die Malatesta den Gridario generale dello Stato (dall’anno 1633 all’anno 1656) (Gridario 1657), der jedoch online nicht zugänglich ist. In der linguistischen – pragmatischen wie lexikalischen – Auswertung weiterer gride bzw. gridari besteht ein Forschungsdesiderat.

76 Unter den dort untersuchten 4.387 gride der Jahre 1560 bis 1798 befinden sich 14 gride particolari, die nicht im italienischen volgare verfasst wurden: Es handelt sich dabei um zehn Erlasse auf Spanisch vom spanischen Gouverneur an Angehörige der Streitkräfte oder im Militärwesen tätige Personen wie Fabrikanten von Schwarzpulver, drei Erlasse vom Gouverneur mit deutschem oder deutsch-italienischem Text, die ebenfalls das Militär oder den Hafenzoll betreffen, und ein einziges von Karl IV. persönlich verabschiedetes Edikt aus dem Jahr 1713 auf Spanisch, das Freilassungen zum Thema hat.

77 Bisweilen erscheint auch »Firm.« (plus drei weitere Namen, wahrscheinlich der Sekretäre).

78 Für die Cédille besaßen die Malatesta offenbar keine eigene Letter, sondern benutzten eine Kursivletter aus einem anderen Schrifttypensatz.

79 Beccaria analysierte genau den besagten Gridario von 1688 hinsichtlich des aus dem spanischen Militärwesen entlehnten Fachvokabulars (Beccaria 1986, 39–47).

80 Ein Jahr später wird es beim »Impridor del Rey« (Giner 1588, Frontispiz), d.h. Christoph Plantin in Antwerpen nachgedruckt (vgl. zu Plantin auch Kap. 6.5.1.1).

81 Es ist bezeichnend, dass von 71 registrierten cinquecentine des spanischen Jesuiten Gaspar de Loarte nur zwei in spanischer (Rück-)Übersetzung und beide in Mailand erschienen: Instruction y auisos para meditar los misterios del rosario de la sacratissima virgen Maria und Remedios contra el pecado dela carne (beide im Jahr 1581 bei Da Ponte (Anonym 1581a; Anonym 1581b); vgl. EDIT16 2014, CNCE 24446 bzw. CNCE 78359.

82 Albonico [u.a.] zufolge ist das Druckwerk »uno straordinario documento della presenza spagnola in Lombardia […]: in primo luogo, perché si tratta di un libro scritto in castigliano limpido e lineare, anche se il suo autore […] è lombardo. […] E perché, a suo modo, esso è un originalissimo collettore dei trattati rinascimentali di filosofia e di estetica.« (Albonico [u.a.] 2002, 433). Calvi studierte Recht und »exoticas linguas« also Fremdsprachen, Spanisch mit eingeschlossen (vgl. Dies. 2002, 433).

83 Vgl. Barros 1659, URL: http://bdh-rd.bne.es/viewer.vm?id=0000088652&page=1 (Zugriff vom 10.08.2014). Der Titel lautet weiter: E con la Tavola delle materie. Dedicato all’Eccell.mo Signor D. Alonso Perez de Vivero Conte di Fuensaldaña Del Supremo Conseglio di Guerra di Sua Maestà, Gentilhomo di sua Camera, Gouernatore & Capitano Generale del Stato di Milano. Es handelt sich um einen Nachdruck der florentinischen Edition von 1622 und enthält 1.065 Sprichwörter: Auf der linken Seite befinden sich die nummerierten Redewendungen auf Spanisch aus dem Original von 1609 (Proverbios morales), auf der rechten Seite die italienischen Übersetzungen. Am Ende gibt es eine »Tavola delle Materie per facilità di trouare i Prouerbi« mit alphabetisch geordneten toskanischen Stichwörtern der Sprichwörter. Laut Toda y Güell soll es auch eine italienische Edition von 1616 geben, die jedoch nach meinen Recherchen nicht auffindbar war (Toda y Güell 1927, 387).

84 Vgl. Medrano 1631, URL: http://www.cervantesvirtual.com/obra-visor/favores-de-las-musas-hechos-a-don-sebastian-francisco-de-medrano--0/html/021e4282-82b2-11df-acc7-002185ce6064_12.html (Zugriff vom 12.08.2014).

85 Vgl. Girava 1556, URL: http://bvpb.mcu.es/es/consulta/registro.cmd?control=BVPB20080009458 (Zugriff vom 13.08.2014).

86 Cavagna nennt in diesem Zusammenhang die Namen der Buchhändler Carlo Ferranti, Giovan Battista Cerri, Gerolamo Bordone (dieser veröffentlicht Lope de Vegas Rimas 1611 auf Spanisch, vgl. Kap. 6.3.5.2), Enrico Stefano, Ferioli, Ghisolfi, Gariboldi (Cavagna 1995, 99).

87 Vgl. Collado 1586, URL: http://archive.org/details/praticamanvaledi00coll (Zugriff vom 12.08.2014).

88 Collado (1560–1602) war »Ingegnere militare dell’esercito spagnolo in Lombardia, del sec. XVI, nato a Lebrija« (EDIT16 2014, »Collado«). Vgl. auch die biografischen Angaben in Londero, die Collado eine sichere »competenza terminologica analoga in spagnolo e in italiano« (Londero 2005, 607f.) bescheinigt, die sich in genauen Definitionen des militärischen Spezialvokabulars äußere (Dies. 2005, 614). Zu spanischen Entlehnungen aus dem Kriegs- und Militärwesen vgl. auch Beccaria 1968, 39–47 sowie Hiltensperger 2013.

89 Vgl. Collado 1592, Permalink: http://bvpb.mcu.es/es/consulta/registro.cmd?id=406877 (Zugriff vom 10.10.2014).

90 Vgl. Collado 1606, Permalink: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10211404-1 (Zugriff vom 20.10.2014).

91 Bei ihm handelte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit »de un hombre culto, buen lector y literato apasionado. Era poderoso […].« (Cavagna 1995, 105). Seine individuelle Mehrsprachigkeit zeigt sich in einer weiteren Übersetzung – allerdings vom Französischen ins Spanische: Caracteres de las pasiones humanas von Marin Cureau de la Chambre, mit in Berlin verfasster Widmung (vgl. Dies. 1995, 105). Vgl. auch Kap. 6.3, Anm. 8, Anm. 91 und Anm. 150.

92 Durch den Tod seines Vaters Pedro Téllez-Girón, 3. Herzog von Osuna zwischen 1611–1616, war Gaspar Téllez-Girón y Sandoval interim Vizekönig von Sizilien, vgl. den Artikel »Gaspar Téllez-Girón y Sandoval«, URL: http://es.wikipedia.org/w/index.php?title=Gaspar_T%C3%A9llez-Gir%C3%B3n_y_Sandoval&oldid=67475438 (Zugriff vom 12.08.2014).

93 D.h. von einem spanischen Autor zum ersten Mal in Mailand auf Spanisch veröffentlicht. An weiteren Militärtraktaten sind zu nennen der Discurso del capitan Cristoual Lechuga: en que trata de la artilleria, y de todo lo necessario à ella, con un tratado de fortificacion y otros aduertimentos […] (Lechuga 1611, bei Malatesta) von Cristóbal Lechuga, »Cargo del Maestre de campo«. In Pavia erschienen 1657 die Apuntamientos políticos von Pedro de la Punete (Kommandeur der Milizen im Stadtkastell) und im selben Jahr Los soldados en la guardia.

94 Vgl. Anonym 1693: Escuela de pala, URL: http://bibliotecavirtualdefensa.es/BVMDefensa/i18n/consulta/registro.cmd?id=1118 (Zugriff vom 13.08.2014).

95 Hier scheint sich bereits der französische Einfluss bemerkbar zu machen, der in Kap. 6.3.8 thematisiert wird.

96 Der Paratext beginnt mit einem viereinhalb Seiten langen »Idyllium« auf Latein von Thomas Ceva, Dichter und Professor am Jesuitenkolleg in Mailand. Nach einem lateinischen Epigramm von »A.B.« folgt ein Sonett auf Italienisch von Carlo Maria Maggi, mailändischer Senatssekretär (1661–1699) und Theaterautor (vgl. Kap. 6.3.7.3), dann ein Sonett auf Spanisch von Eugenio de la Vega, wiederum ein Sonett auf Italienisch von Francesco Lemene, ein Sonett auf Spanisch von Iuan de Figueroa, ein Sonett auf Italienisch von Bartolomeo Rozzone, Regio Podestà di Lodi, ein Sonett auf Spanisch erneut von Iuan de Figueroa, ein Sonett auf Italienisch von »G.B.P.« und wiederum ein Sonett auf Spanisch von Iuan de Figueroa. Den Gedichten angeschlossen ist ein Prosastück auf Französisch über drei Seiten von »D.K.F.« und eines auf Latein von Petrus Paulus Caravaggius, Mathematik-Professor an der Scuola Palatina. Der Paratext wird beschlossen von einem Sonett auf Italienisch vom Herzog Antonio Litta und einem spanischen Sonett von Chrisostomo Gomez.

97 José Chafrión war »Cuartel Maestre General« in Mailand und ab 1694 Chef-Ingenieur des Heeres in Katalonien. Aus seiner Feder stammen auch die Plantas de las fortificaciones de las Ciudades, Plazas y Castillos del Estado de Milán (Chafrión 1687, ohne Druckort, Permalink: http://bibliotecavirtualdefensa.es/BVMDefensa/i18n/consulta/registro.cmd?id=35 [Zugriff vom 11.10.2014]), vgl. zur Biografie Piñero, URL: http://www.mcnbiografias.com/app-bio/do/show?key=chafrion-jose (Zugriff vom 10.08.2014).

98 Zum »soldato gentiluomo« vgl. auch Puddu 1982.

99 Vgl. auch Glück/Häberlein 2014, wo die Frage diskutiert wird, ob militärspezifische Fremdsprachenkenntnisse zu Prestige und sozialer Distinktion führten. Zum Französischunterricht »zwischen Krieg und Religion« vgl. Kuhfuß 2014, 244–261.

100 So gibt es keine einzige grida während der beiden ›spanischen‹ Jahrhunderte, welche Schulbildung thematisiert (vgl. Sepúlveda 1989, 126).

101 »Era situato fino al 1582 presso S. Fedele, poi a S. Giacomo di fronte alla chiesa di S. Nicolao a Porta Vercellina. Era finanziato con i proventi delle tasse sugli spettacoli e i giochi d’azzardo. Venne soppresso nel 1785.« (vgl. EDIT16 2014, »Collegio delle vergini spagnole«).

102 Vgl. Casa de las Virgines 1619, URL: http://www.navarra.es/appsext/bnd/GN_Ficheros_PDF_Binadi.aspx?Fichero=BCR0022-D-5-800000000000000000410.pdf (Zugriff vom 13.08.2014). Alle drei Ausgaben werden in der Biblioteca Nazionale Braidense aufbewahrt, in der übrigens auch der folgende Mailänder Nachdruck von 1726 gelistet ist: Reglas, y ordenes dela Real Casa delas Virgines hijas de soldatos Españoles, oficiales, y gente de guerra de su magestad catholica en el Estado de Milan. Hechas por el illustrissimo […] don Antonio de Guzman […] en nombre del rey nuestro señor, año del nacimiento del Señor 1578. A que se añaden otras hechas por la […] Congregacion dela dicha Real Casa en diferentes tiempos, reimprimidas el año 1721. por su observancia.

103 Vgl. zur Ausgabe von 1640 Infantes/Martínez Pereira 2003, 266–279 und Sepúlveda 1989. Gemäß Zaccaria wurde bereits um die Hälfte des 16. Jh.s religiöse Gebrauchsliteratur auf Spanisch in Mailand produziert: Er repertorisiert Un breve Tratado para bien confesar, El Catecumeno o Christiano instruido, Avisos de Buen Morir (alle 1552) sowie eine Doctrina Cristiana para los que entienden ya algo mas de lo que a los niños se les suele enseñar comunmente, por modo de diálogo (1554). Autor sei jeweils Martin Perez de Ayala (Zaccaria 1907, 11, Nr. 44). Die beiden Titel konnten in keinem (Online-) Bibliothekskatalog identifiziert werden.

104 Somit erschien die Cartilla nur drei Jahre nach der Approbation des Drucks in Spanien durch den Erzbischof von Toledo im Jahr 1583 (Sepúlveda 1989, 127).

105 Die »non naturali« stammten aus Rom, Neapel, Genua, Ligurien und Frankreich (vgl. Rurale 1992, 146f.).

106 Die Studierendenzahlen steigerten sich von 500 (1580) in knapp dreißig Jahren auf 1.200 (1607) und verfünffachten sich ein Jahrhundert später auf 2.300 (1670) (vgl. Rurale 1992, 147).

107 Vgl. die Auflagenzahlen von mehreren hundert bis mehreren tausend Kopien gedruckten regulae, donatus, abbaco, interrogatorio, regole etc., die 1570 aus dem Inventar eines auf religiöse Gebrauchsliteratur spezialisierten Bedarfsbetriebs aus Mailand resultieren und »another, hitherto invisible side of the popular press in late Renaissance Milan« (Stevens 1995, 655) zeigen.

108 Dabei handelt es sich wahrscheinlich um die Dottrina christiana, a modo di dialogo del maestro, & discepolo per insegnare alli fanciulli composta per il dottore Giacomo Ledesma della Compagnia di Giesù (Ledesma 1576, bei Pontio), vgl. EDIT16, CNCE 49575.

109 Laut Forschungsmeinung handelt es sich beim Urheber des Varon um den Jurastudenten Giovanni Capis, der vermutlich auch auf dem Frontispiz porträtiert sein könnte. Mehrmals im Paratext und Text scheint das Schulmilieu auf, z.B. die Ortsbezeichnung »broletto«, wo sich die Studentenkollegs befanden (vgl. Kap. 6.3, Anm. 53). Am Ende verlangt der Autor ein Weihnachtsgeschenk als Gegenleistung seines »libr’ inscì imperfett« (Anonym [1606] 1750, 9). Die überarbeitete und erweitete Fassung stammt vom Gelehrten Iganzio Albani, »asceso al Dottorato, s’era rivolto a studi più gravi« wie aus der Widmung hervorgeht (Ders. [1606] 1750, 5; vgl. Lepschky 1975, http://www.treccani.it/enciclopedia/giovanni-capis_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 13.08.2014).

110 Vgl. Lepschky 1965, 143–180; Isella 2005, 219–310; Ellena 2011, 194–202 und 245f.

111 Vgl. Anonym ([1606] 1750): URL: http://dbooks.bodleian.ox.ac.uk/books/PDFs/600093684.pdf (Zugriff vom 13.08.2014). In der Widmung von Biffi an den »Signor Hercole Galarato« wird erwähnt, dass das Werk »stampata dal Bartoli a Pavia« (Anonym [1606] 1750, 17) wurde. Dieses Exemplar ist verloren. Biondelli repertorisiert als zweite Edition eine durch einen gewissen Giovanni Milani überarbeitete Fassung und versteht die hier besprochene von 1606 als dritte Edition, der 1750 eine vierte und 1816 eine fünfte folge (Biondelli 1893, 172).

112 »Se uno di Milano parla la sua lingua naturale, parla greco, francese e parla persino gotico e latino, come se gli fossero stati insegnati dal maestro fin da piccolo.« (übers. von Isella 2005, 240).

113 »[C]he i vecchi non sono valsi un fico ad aver piantato tante scuole qui in Broletto senza pensare nulla circa il promettere una ricompensa a chi insegnasse la lingua dei nostri.« (übers. von Isella 2005, 242).

114 »[P]erché la tua lingua si muti in quest’altra migliore. Non è mo’ così? di’ su la verità. Ora che sei venuto, dillo lietamente: non è mo’ un gran bel parlare questo di Milano? Adesso che hai detto di sì te ne puoi andare, e racconta in lungo e in largo, laggiù ai tuoi Romani, tutto quello che hai trovato qui tra questa gente.« (übers. von Isella 2005, 243).

115 »Correte, correte, ragazzi, con le vostre munizioni, colpite costui che dice male di Milano e troppo strapazza il nostro parlare.« (übers. von Isella 2005, 244).

116 Dessen breit rezipiertes Werk Institutiones grammaticae beinhaltet ebenfalls zahlreiche (teils abwegige) Etymologien.

117 Biffis literarische Tätigkeit erstreckte sich auf eigene Kompositionen (Versi, 1616 bei Malatesta; L’Adda nelle glorie dell’illustrissimo signor conte Francesco D’Adda, 1611) und auf Übersetzungen aus dem Lateinischen und Französischen, wobei er mit den renommierten Malatesta und mit dem Buchhändler Como kooperierte (z.B. Il noniano, dialogo dell‘illustre signor Ericio Puteano, professore di eloquenza et delle cose de Milanese Istorico Regio […] Tolto dalla lingua latina da Gio. Ambrosio Biffi, 1603 bei Malatesta; Della Politica ragione delle leggi, opuscoli di Francesco Grimaudet […] tolti dalla lingua francese, 1604 auf Initiative von Como. Zwischenzeitlich war er in Leuven gut bezahlter Italienischlehrer, vgl. Anonym 1968, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/giovanni-ambrogio-biffi_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 13.08.2014).

118 Ein Auszug des Prissian findet sich auch in Comoletti 2002, 39–48.

119 Vgl. hierzu die Ausführungen in Lepschky 1965, 143–180 und Ellena 2011, 197–202.

120 Man beachte auch die folgenden gewählten deutschen Beispielwörter zur Erläuterung des Buchstaben bzw. Lautes c: »Ch’al sia el ver, i Todisch dissen schlosser, che veur dì ciavareù, i schmid, che significa fare.« (Ders. ([1606] 1750, 84).

121 Für Neapel ist die negativ konnotierte Bezeichnung »parlar goffo« für die Sprechweise der neapolitanischen Unterschicht ebenfalls dokumentiert (vgl. Kap. 6.4, Anm. 24).

122 Aus Malatestas Pressen stammen z.B. folgende bosinate: Nova cipollata in lingua rustica milanese (Anonym 1616); Ragionamento del Beato Togno studente in Bobio intitolato al sbarlusentissimo, & sguratissimo Signori l Signor Bosin da Varis (Anonym 1606); Descors intorna la resa de Brada In desresij di Navarin nostran Dà in lus da Battista da Miran Quest’ann 1625; Il Lamento del contadino sopra diverse arti, ec. (Anonym o.J.).

123 Vgl. Questa è nova improvisa fag da un inscì in camisa. In Milano, nella stampa Archiepiscopale (Anonym o.J.).

124 Schenda zufolge gilt die untere Volksschicht, fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung, in Deutschland bis weit über die Hälfte des 18. Jh.s als Nicht-Leserschaft, ganz gleich welcher Literatur (Schenda 1970, 445f.).

125 Ihre Blütezeit erlebt diese Literatur zwischen dem 18./19. Jh. Vgl. die Bibliografie von 254 mailändischen bosinate aus dem Zeitraum 1650–1848 von Repossi und die Bibliografia dei dialetti lombardi in Biondelli (Repossi 1986; vgl. ferner Biondelli 1853, 171–188). Darüber hinaus bietet Isella einige zusätzliche Titel (Isella 2005, 111–113, insb. Anm. 19 und 21).

126 Autor der titelgebenden ›Arabeschi‹ (Grotesken) ist der renommierte Maler, Dichter und Traktatverfasser Giovan Paolo Lomazzo (1538–1592), dessen Œuvre bezeichnenderweise erst nach dem Tod des Zensors Carlo Borromeo zwischen 1584 und 1591 stets bei Da Ponte publiziert wird. Der erste Teil des Rabisch beinhaltet 26 Gedichte diverser Sprachen und Varietäten, unterschiedlichen Versmaßes und unterschiedlicher Versanzahl sowie eine »Introduçigliogn dra Vallada«, die als Einführung zum zweiten Buch dient, der eigentlichen Anthologie von 64 Gedichten; es kann daher als mehrsprachiges Druckwerk par excellence angesehen werden (vgl. Isella 1993). Neben den Sitten und der Berufskleidung schien einer Mailänder Dichtergruppe um Lomazzo die dissonante ländlich-alpine Varietät der einfachen »facchini« (Gepäckträger), saisonaler Arbeiter, die aus der ländlichen, sich bis zum Lago Maggiore nordöstlich erstreckenden Zone in die Stadt kamen, wohl derart bizarr und nachahmenswert, dass sie diese zu einer »lingua artificiale, fittizia, inventata per gioco« (Dies. 1993, VII) stilisierten. Vgl. auch Dies. 2005, 75–101.

127 Rainaldo spielt mit diesem Akademie-Beinamen sowohl auf den Hl. Ambrosius, Schutzpatron Mailands, als auch auf die Bezeichnung für Bänkelsänger aus Varese an. Er gilt als Autor des eventuell 50 Jahre vorzudatierenden, oben bereits zitierten Cheribizo – Sommario de tutte le professioni et arte Milanese. Con diuersi Sonetti in lingua rozza, & vn’Echo Alli miei Carissimi, & Virtuosi Lettori Vniversali (Anonym 1624), vgl. Kap. 6.3, Anm. 11.

128 Vgl. Kap. 6.2, Anm. 94; Kap. 6.4, Anm. 11.

129 Oberflächliche Hinweise zur Sprachform bietet lediglich Repossi 1986, 174f.

130 Von Fabio Varese (*1575), der laut Eigenaussage »só lesg volgar e scriv latin, cantà, sonà, e fà de scent mesté« (zit. nach Isella 2005, 158), sind 33 handschriftliche Sonette in mailändischer Mundart überliefert (abgedruckt in Ders. 2005, 165–206).

131 Lodovico Muratori: Vita di Carlo Maria Maggi, […] e dedicata all‘illustriss., ed eccellentiss. signor D. Giansimone Enriquez de Cabrera, […] (1700, bei Malatesta).

132 Zum »ispanismo del Maggio« (Mazzocchi 2013, 169) vgl. Mazzocchi 2013.

133 Maggi begann allerdings erst während der antikonformistischen Jahre kurz vor seinem Tod 1699 auf Mailändisch zu dichten. Die zweibändige Werkausgabe Comedie, e rime in lingua milanese del signor segretario Carlo Maria Maggi erschien 1701 posthum bei Malatesta (vgl. Albonico [u.a.] 2002, 482–484).

134 Zur grafischen Realisierung zählt beispielsweise die Geminierung von nachtonigem <n> z.B. in matinna, lunna und die Einführung des Diphtongs <ae> (als Realisierung von [e:]). Comoletti betont »il significato sociale della grafia del Maggi: egli rilevava la parlata dei nuovi concittadini, certamente di umili condizioni, e la introduceva di diritto nel milanese.« (Comoletti 2002, 52).

135 Die noble Aussprache fällt auch Gioan Battista del Tufo auf, der in Mailand als Gefängnisgeisel der Lutheraner festgehalten wird und seine Stadtbeschreibung Neapels den mailändischen Damen widmet (vgl. Del Tufo [1588] 2007, XVII): »’l favellar napoletano, sendo uguale al toscano, sopra avanza d’assai quel di Milano« (Ders. [1588] 2007, 329); vgl. auch Kap. 6.4.2.1. Die zeitgenössischen Feststellungen des »parlar finito« entsprechen den Thesen zum norditalienischen bzw. mailändischen orthoepischen Standard aus den 1970er und 1980er Jahren (vgl. z.B. Galli de Paratesi 1985).

136 Weitere Kontrastbeispiele des populären und bildungssprachlichen Mailändischen sind bei Morgana zu finden (Morgana 2012, 74f.).

137 Vgl. hierzu auch eine sprechende Textstelle aus den Ricordi (Castiglione 1554, Bologna) des mailändischen Humanisten Sabba di Castiglione, der sich aufgrund des fehlenden Ausbaus der Muttersprache für das Toskanische entscheidet: »Pur’essendo io Lombardo, & scriuendo à uoi qual parimente sete Lombardo, accio che meglio fossi inteso, mi parue à douer scriuere in lingua Lombarda, la quale ancor che non habbia quella leggiadria, delicatezza, & copia che la Toscana.« (Castiglione 1554, 1). Bereits vorher ist die Strahlkraft des Tosko-Florentinischen dokumentiert: 1496 erscheint ein technisch-wissenschaftlicher Traktat in Dialogform im toskanischem volgare, 1516 die zweite Auflage der Regole grammaticali della volgar lingua von Fortunio; 1532 wird in Mailand ein explizit an Analphabeten gerichtetes Dictionarium eines florentinischen Lehrers publiziert, das allerdings einige mailändische Geosynonyme enthält (vgl. Morgana 2012, 41–45).

138 Gebrauchsgrammatiken oder pädagogische Grammatiken stehen in einem direkten sprachdidaktischen Kontext im Unterschied zu gelehrten Grammatiken mit wissenschaftlichem Anspruch. Zu den unterschiedlichen Konzeptionen von Gebrauchsgrammatik und gelehrter Grammatik vgl. Dahmen 2001 und Polzin-Haumann 2001 (dort insb. die dort formulierten Forschungsdesiderata, Dies. 2001, 144f.). Siehe auch Kuhfuß 2014, 110f.

139 Die Druckgeschichte endet im Jahr 1681 – insgesamt erscheinen 16 Editionen (acht in Venedig, vier in Bologna, zwei in Rom und je eine in Mailand und Bracciano), vgl. Lillo 2000, 610 sowie Minerva/Pellandra 1991, 31. Die Ausgabe von 1667 enthält vollständig alle fünf Teile, d.h. Aussprache/Grammatik, Morphologie/Syntax, Wörterbuch, den Interprete Sinottico sowie die Colloques familiers, die teilweise bei den anderen Editionen fehlen (vgl. Lillo 2000, 611).

140 Vgl. Lelong 1667, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/ucm.5326811390 (Zugriff vom 11.07.2014).

141 Jedoch sei die Grammatik der einzige Titel aus dem Unterrichtswesen, so Colombo Timelli 1994, 301.

142 Auch Colombo Timelli konnte diesen Namen nicht in religiösen Repertorien ausfindig machen. Ihrer Auffassung nach handelt es sich definitiv um einen französischen Muttersprachler (vgl. Dies. 1994, 303).

143 Der Aufbau der Grammatik ist folgender: Aussprache der Vokale und Konsonanten (Lelong 1667, 5–24); französische Akzentsetzung (24–26); Artikel (27–28); Nomen (28–35); Komparativ/Superlativ (35f.); Diminutiva (36); Numeralia (37); Pronomina (37–47); Verbparadigmen (47–76); Adverben (76–80); Präpositionen/Interjektionen/Konjunktionen (80–82); Orthografiehinweise (82–84) in Form einer alphabetischen Liste von Homonymen mit lateinischen Etyma (z.B. »faim fames; de fin finis«; »pris captus; di prix pretium«, 83). Eine durchaus noch erweiterbare sprachliche Detailanalyse bietet Colombo Timelli 1994, 305–314.

144 Favre de Vaugelas: Remarques sur la Langue Françoise, utiles à tous ceux qui veulent bien parler et bien escrire (1647, Paris).

145 Die Grammatik erscheint ein drittes – und letztes – Mal 1673 in Venedig beim renommierten Drucker der Republik Venedig Giovanni Pietro Pinelli (zur Kontextualisierung vgl. Colombo Timelli 1994, 302, die noch großen Forschungsbedarf und Spürsinn für unentdeckte Sprachlehrwerke sieht, vgl. Dies. 1994, 297, Anm. 11 und 299).

146 Vgl. der in Mazzocchi zitierte Brief in französischer Sprache vom zuvor auf Spanisch dichtenden Lombarden Francesco de Lemene, der die distanzsprachlichen Höflichkeiten »a moda francese« und unterschiedlichen Begrüßungsformen (Handkuss nach italienischer/spanischer Art versus französischer Wangenkuss) ironisiert (Mazzocchi 1989, 707).

147 Jedoch weist Wihelm darauf hin, dass noch im Jahr 1713 der König mit der spanischen Formel »Yo el rey« unterzeichnete (Wihelm 2007, 97); der spanische Einfluss endet also nicht abrupt.

148 Für Wilhelm besitzt das Spanische in den analysierten Texten nur eine exotische Funktion: »la lingua spagnola è percepita come una delle caratteristiche della gente hibera, ma lo spagnolo non è collegato all’esercizio del potere imperiale. La lingua dell’impero è il latino, non lo spagnolo.« (Wilhelm 2013, 146).

149 Hinzu kommt nach Auffassung von Mazzocchi ein intensiver Dialektgebrauch der Lombarden (Mazzocchi 1999, 134f.; Ders. 2013, 157 und 166).

150 Einen einzigen Hinweis zur lombardischen Varietätenvielfalt liefert der spanische Oberst Sebastian de Ucedo (vgl. Kap. 6.3, Anm. 8 und Anm. 91): »En Milan, que se diuide en seis puertas tiene cadauna tal pronuncia y acento que los dà a conocer.« (Ucedo, zit. nach Cavagna 1995, 62).

6.4 Napoli spagnola

6.4.1 Sprachgeschichtliche Perspektiven

Wie bereits in der Forschungsdiskussion vorweggenommen wurde, liefert Croce mit seinen zahlreichen Beiträgen und Monografien das Fundament zur Erforschung der hispano-italienischen Beziehungen Italiens im Allgemeinen und im Königreich Neapel im Besonderen.1 Der Pionier legte bereits vor knapp 120 Jahren eine Studie zur spanischen Sprache in Italien vor (vgl. Croce 1895) und befasste sich in der Folge mit weiteren literatur- und theatergeschichtlichen Aspekten des Sprachkontakts (vgl. Ders. 1895; Ders. 1898; Ders. 1891; Ders. 1916; Ders. 1917).2 Er ermittelte einen hohen Hispanisierungsgrad, den er unter anderem auch am Erfolg spanischer, hauptsächlich in Venedig gedruckter Bücher festmachte und der ihn zu dem Schluss kommen ließ: »verso la metà del secolo decimosesto già Napoli appariva, quanto a lingua, un paese mezzo spagnolo.« (Croce 1895, 18).3 Seine Aussagen zur Sprachverwendung im distanzsprachlichen Bereich lassen sich anhand folgender Tabelle illustrieren:

Tabelle 18: Matrix der Sprachverteilung in Neapel vom 15.–17. Jahrhundert nach Croce 1895.698

Tabelle 18: Matrix der Sprachverteilung in Neapel vom 15.–17. Jahrhundert nach Croce 1895.4

Trotz Croces Vorarbeiten steht die aktuelle externe regionale wie städtische Sprachgeschichte des Vizekönigreichs unter dem Zeichen der Rekonstruktion des Toskanisierungsprozesses,5 zusammen mit der Entfaltung der neapolitanischen Literatursprache.6 Generell fehlt eine solide sprachgeschichtliche Darstellung des Mezzogiorno, was auch mit der problematischen Quellenlage in Süditalien zu tun hat. Sowohl im nähe- als auch im distanzsprachlichen Bereich besteht gemäß Varvaro erheblicher Forschungsbedarf in Süditalien, so dass er schon 1982 dafür plädierte, »[di] riscrivere la storia linguistica del mezzogiorno d’Italia con documentazione larga e sicura, con vigile metodologia« (Varvaro 1982, 37). Gut ein Jahrzehnt nach Varvaros negativer Bilanz resümieren Vignuzzi/Avolio erneut den geringen sprachhistorischen Erkenntnisstand in Bezug auf Neapel:

Sarebbe molto interessante poter seguire in dettaglio le forme di tale italianizzazione, e soprattutto esaminarne la progressione non solo in chiave diatopica […] e diastratica […] ma anche (ed anzi particolarmente) a seconda delle differenti funzionalità o almeno secondo i diversi ›settori‹ e ›domini‹ (in senso tecnico) di uso. Nello specifico poi, si dovrebbe pervenire alla definizione del ruolo giocato in siffatto processo dalle varie istituzioni (burocrazia e tribunali, Chiesa, accademie con relative discussioni sulla norma) nonché dei canali e dei modi di penetrazione soprattutto a livello di massa (in primo luogo la stampa, anche di destinazione e diffusione popolare, e poi ancora la scuola e le altre forme di alfabetizzazione, ma si pensi pure al teatro, e così via), al fine di essere in grado di ricostruire, se non nei particolari almeno all’ingrosso le fasi del processo dell’espansione della diglossia italiana nel quadro del bilinguismo complessivo (o meglio plurilinguismo, in presenza, fino al sec. XVIII inoltrato, anche del castigliano) […]. Purtroppo, è questo un programma di ricerche che per il momento si desidera fortemente, ma che resta tutto da impostare prima ancora che da realizzare, nonostante l’ampia mèsse di studi (per lo più però di angolazione letteraria) già raccolti da tempo, in specie per Napoli. […] Si tratta, naturalmente, di un processo tutt’altro che lineare, come mostrano i pochi sondaggi, su particolari momenti o specifiche personalità […]. (Vignuzzi/Avolio 1994, 677)

Die im Zitat angesprochene Spurensuche gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit beschränkt sich bisher weitgehend auf das Lexikon, indem das Neapolitanische als Depot von Hispanismen interpretiert wurde.7 Die Frage nach den Formen, dynamischen Dominanzkonfigurationen und dem Bewusstsein von gesellschaftlicher – das heißt »externer« wie »interner Mehrsprachigkeit« (vgl. Hafner/Oesterreicher 2011, 131) – im Regno di Napoli stellen daher teilweise erstmals die aus dem C15-Projekt »Pluralität und Autorisierung: Mehrsprachigkeit im Königreich Neapel (16. und 17. Jahrhundert)« des Münchener Sonderforschungsbereiches 573 hervorgegangenen empiriebasierten Arbeiten.8 Darüber hinaus beschäftigt sich Lievens mit Mehrsprachigkeit und kulturellen Interaktionen »nella Napoli poliglotta del Cinquecento« (Lievens 2013, 1; vgl. auch Civil [u.a.] 2011). Mit dem Konnex von Machtausübung der Habsburger und spanischer Sprache (unter anderem im Königreich Neapel) setzt sich einzig der Historiker Büschges 2007 auseinander:9 Die spanische Sprache werde in Neapel als selbstverständliches Zubehör von Staatlichkeit pragmatisch gebraucht, nicht jedoch als gezielt eingesetztes Herrschafts- oder Druckmittel.10 Mit dieser schwach ausgeprägten Reziprozität von Sprache und Politik stellt die Monarchie der spanischen Habsburger aber keinen Einzelfall dar, wie aus den anderen in Nicklas/Schnettger behandelten Fälle im frühneuzeitlichen Europa hervorgeht (Nicklas/Schnettger 2007).

6.4.2 Neapel: Außen- und Innenperspektiven

Gerade während der beiden spanischen Jahrhunderte stellte Neapel nach Paris, London und Rom eine der großen und raren europäischen Hauptstädte dar, zum einen aufgrund seiner beeindruckenden äußeren Größe und inneren Stadtstruktur, welche der Vizekönig Pedro de Toledo (1532–1553) erheblich formte – allerdings auf Kosten und dadurch zum Unmut der Bürger.11 Angesichts der rechtlichen und sozialen Problematik im Vizekönigreich erkannte man im militärischen Bündnis gegen die Türkengefahr die Chance auf eine friedliche »cohabitazione […] meschiata insieme« (zit. nach D’Amico 2011, 209), wie ein Bittschreiben an Kaiser Karl V. zeigt: Hierin forderten die neapolitanischen Abgeordneten,

[70] […] che si mandino le genti d’arme alla marina di Puglia [i.e. Castello di Lecce als Bollwerk; T.A.] dove ci sono nemici per non duplicar li odii tra Spagnoli e Neapolitani quali devono stari uniti al servitio di Vostra Maestà perché la cohabitazione nostra meschiata insieme ha da essere per sempre et non per pochi giorni. Imperoché Vostra Maestà ben sa che Napoli è il vero albergo de la natione spagnola. (Zit. nach D’Amico 2011, 209)

Toledos urbanistisches Programm, sein persönliches Konzept der hispanidad, das heute noch die Stadt prägt, schlug sich in der örtlichen administrativen Dezentralisierung und neu angelegten Straßenzügen, insbesondere der Via Toledo nieder, welche die Achse zwischen den ebenfalls neu geschaffenen Quartieri Spagnoli außerhalb der Stadtmauern und der Stadt bildete und in der vermutlich der lokale und spanische Adel residierte (vgl. Gambardello 1987, 41, 46). Damit profilierte sich Neapel auch in der Außenperspektive als repräsentative Metropole,12 es zeichnete sich aber auch aufgrund seines polyfunktionalen Charakters als Regierungssitz,13 als Handels- und Hafenstadt mit reger intellektueller Aktivität durch die Universität und zahlreiche Akademien14 und ausgeprägtem kulturellen Leben wie Theater und Musik aus.15 »[N]on è homo che non la brami«, so ein berühmtes zeitgenössisches Lob zur bereits mythisierten Stadt, »e che non desideri di morirui […]. Napoli è tutto il mondo.« (Capaccio 1634, 939f.).16

Schätzungsweise lebten am Anfang des Cinquecento circa 100.000–120.000 Menschen in Neapel17, das damit eindeutig als Metropole zu betrachten ist.18 Über Jahrzehnte stieg diese Zahl stetig an, so dass die Großstadt sich 1547 bereits verdoppelt hatte und circa 212.000, am Ende des Jahrhunderts circa 226.000 und im Jahr 1606 268.000 Bewohner zählte (vgl. Musi 2003, 118). Der vorläufige Kulminationspunkt wurde wahrscheinlich 1656 mit 360.000 Bürgern erreicht,19 bevor die bereits erwähnte Pest in jenem Jahr eine tiefgreifende Veränderung brachte: Die Stadtbevölkerung reduzierte sich um fast zwei Drittel, auf circa 80.000–100.000 (vgl. Petraccone 1974, 44).

Wie multikulturell und mehrsprachig war die Stadtbevölkerung?20 Drei zeitgenössische Beobachter – der gebürtige Neapolitaner Gioan Battista Del Tufo, der Kalabrese und neapolitanische Stadtsekretär Giulio Cesare Capaccio und der in der Forschung weniger rezipierte Franzose auf Kavalierstour Jean-Jaques Bouchard21 – zeichnen in ihrer Perspektivenkreuzung des eigenen und fremden Blicks ein authentisches Bild der Stadt, der autochthonen und allochthonen Einwohner und ihrer Sprecherprofile.

6.4.2.1 Neapels Sozialstruktur und Sprecherprofile aus zeitgenössischer Sicht

Eine Dreiteilung der neapolitanischen Bevölkerung in Adel, Volk und Plebs resultiert aus dem zeitgenössischen Bevölkerungsprofil von Capaccio (Capaccio 1634, 783–798):22 Ganz oben steht seiner Beschreibung zufolge der »popolo primario«, also »[g]entil Homini che per antichità, per ricchezze, per possessione di feudi, per stile nobile di vivere han fatto aquisto di nome« (783); eine zweite Gruppe stellen die »persone stimate di Tribunali«, das heißt die »Magistrati supremi«. »Et vltimamente vn popolo che nelle mercature e ne i commercij esercitandosi, ritiene un grado venerabile trà citadini.« (784). Zum einfachen Volk (»la plebe«) zählt er die Riege der Handwerker, wobei er die »nobilissima arte di Stampatori, di Orefici, della Seta, di Pittori, di Architetti« (785) davon ausschließt und diese zur zweiten Volksschicht rechnet. Die größte Bevölkerungsgruppe verkörpern die für personen- und sachbezogene Dienstleistungen verantwortlichen Angestellten zusammen mit den Handwerkern, wie auch die folgende Pyramide illustriert, in der das Sozialprestige von oben nach unten sinkt und die Zahl der Bewohner zunimmt.

Abbildung 41: Hierarchische Sozialstruktur Neapels (eigene Darstellung nach Muto 2007; Musi 1997; Petraccone 1985 und Capaccio 1634, 783–798).

Abbildung 41: Hierarchische Sozialstruktur Neapels (eigene Darstellung nach Muto 2007; Musi 1997; Petraccone 1985 und Capaccio 1634, 783–798).

Hand in Hand mit diesem Dreiklassensystem geht ein tri- bzw. diglossisches nähesprachliches Verhältnis, das die drei Zeitzeugen dokumentieren. Das negativ konnotierte »parlar goffo« des einfachen Volkes bildet nach Del Tufo den Gegenpol zum prestigereichen »favellar gentil napoletano sendo uguale al toscano, sopra avanza d’assai quel di Milano« (Del Tufo [1588] 2007, 329f.)23, während sich die Mittelschicht um eine höfisch-noble (Aus-)Sprache bemüht. Wie die Mailänder, deren affektierter Stadtakzent in mailändischen Theaterstücken karikiert wird, tendieren auch die Neapolitaner zu einer Annäherung an das gehobene gesprochene Toskanische (vgl. Kap. 6.3.7.3). In reichlich direkter Redewiedergabe24 stigmatisiert Del Tufo die niedrig markierte und von Fremdsprachen ›kontaminierte‹ Varietät der Unterschicht,

[71] […] ch’in uso ella sempre ebbe, ché sol la mescolanza di tante lingue e forastier parlare fanno tutti inciampare, come si vede già, per mala usanza, con cui ben spesso offende l’usata orecchia al bel parlar ch’intende. (Del Tufo [1588] 2007, 329)25

Eine ganz ähnliche Argumentation bietet auch Capaccio; auch seiner Meinung nach führt der vielsprachige Einfluss zur Stigmatisierung des Neapolitanischen – diese sei aber nur für das Volk gültig:

[72] Cittadino. […] alle volte par che i napolitani parlino goffamente, che non parerà così a quei che, prattichi nella lingua greca, sanno il significato di quelle, e considerano che ’l mescolamento di molte lingue l’ha guaste in quella maniera. Volete sentire alcune di quelle voci per curiosità?

Forastiero. Mi fareste la maggior gratia del mondo, così per curiosità, come per difendere i napolitani che sono in Italia biasmati per la favella, ancor che questo par che tocchi alla plebe, già che i gentil’homini sono lodati di un ghiotto parlare che si communica dolcemente e senza affettatione, perché almeno non han goffa pronuntia, come i fiorentini che ragionano con la gorga, o’ savonesi che parlan mozzo. (Capaccio 1634, 19)

Bouchard, der sich auf sein fremdes Gehör verlässt, stellt hingegen fest, dass selbst die Oberschicht »barbare« spreche: »car la noblesse à Naples parle il chiatto napolitano, autant et plus que le peuple.« (Bouchard [1632] 1977, 269). Der Franzose widmet einen eigenen anschaulichen Abschnitt der neapolitanischen Sprache (Ders. [1632] 1977, 287–298), die für ihn neben dem Toskanischen – »que les Napolitains appellent romaine [sic]« –, einen besonderen bzw. sonderbaren »seconde espece de langue italiene [sic]« (289) bildet. Nach Ausführungen zur durch den Einsatz sämtlicher Organe zustande kommenden Kakophonie und Gestik der Neapolitaner (290f.)26 listet der Zugereiste anhand vieler alphabetisch sortierter Beispiele phonetische-phonologische Merkmale und Prozesse des seiner Meinung nach außergewöhnlich vulgären Neapolitanischen auf (292–296).27 Die Imitation des Toskanischen zeige sich insbesondere am gesprochenen

[73] […] lettre o, qu’ils prennent plaisir de faire sonner haut, clair, long et ouvert, n’ayant point cet ›o‹ chiuso des Romains: et c’est a cette voyelle là principalement que l’on recognoist un Napolitain qui voudroit toscaniser. (Bouchard [1632] 1977, 291)

In einer weiteren »liste des mots« (296f.) werden die 36 extravagantesten und üblichsten Wörter, an denen ein Neapolitaner zu erkennen sei, dargeboten.28 Abschließend spezifiziert Bouchard: »Il y a deus autres especes principales de langue napolitaine: le calabrois et le sicilien.« (298). Die beiden Idiome der Metropolregion seien jedoch nur negativ konnotiert, was sich an der Karikatur des Kalabrischen im Theater und am Stereotyp der Sizilianer als »crapaus qui veulent chanter« (298) demonstrieren lasse.

Aufschlussreich in diesem markanten Zeugnis von Hetero-Perzeption, das eine eigene Untersuchung verdient, ist zudem der perzeptive Eindruck des eigenen und fremden Territoriums der Neapolitaner selbst und die damit verbundenen Ethnonyme:

[74] Ils appellent Romains non seulement ceus de Rome, mais encore de tout L’Estat ecclesiastique, et presque de tout le reste de l’Italie de deça: excepté les Genois, qu’ils cognoissent à cause du grand commerce qui est entre les Italiens qui ne parlent point la langue napolitaine, les tenans tous ou pour Romains ou pour Genois. (Bouchard [1632] 1977, 260)

6.4.2.2 Spanier und Spanisch in der Stadt

Bouchards räumliche Einteilung der Bewohner der Halbinsel bzw. Neapels und seiner Varietäten führt zu den Immigranten der Stadt. Ein Zustrom aus der italienischen und spanischen Halbinsel – ob Reisende, Händler, Soldaten oder Geistliche29 – bestand stetig und trug zur kulturellen und religiösen Vielfalt der neapolitanischen Gesellschaft und Sitten bei. Del Tufo beschreibt den »mescolamento di tante nazioni« (Del Tufo [1588] 2007, 265f.) wie folgt:

[75] Vien il Greco, il Tedesco e vien l’Inglese, l’Elemano e l’Francese, lo Pugliese, Abruzese e Calabrese, non dico il Fiorentin né l’Genovese, che stan cosí in arnese che non voglion tornar piú nel paese, ma ’l Turco, ’l Moro e l’Indo, ogni straniero ivi sta volentiero. (Del Tufo [1588] 2007, 266)

Gemäß Capaccio hätten die Florentiner »fattasi una colonia« (Capaccio 1643, 671), im Gegensatz zu den Venezianern, die gleichsam wie auch die verstreuten Franzosen, Flamen und Deutschen nicht stark vertreten seien, wie Bouchard registriert (Bouchard [1632] 1977, 257). Wie hoch der Anteil der städtischen »forastieri« war, lässt sich nur schwer abschätzen. Zumindest gab es zwölf »nationi« – neben der katalanischen, spanischen, deutschen und griechischen Gemeinde noch acht weitere von außerhalb des Regno stammende wie die der Florentiner, Lombarden, Luccheser etc. – die zahlenmäßig stark und ökonomisch potent genug waren, um eigene Kirchen, Klöster und Konvente zu errichten (vgl. Petraccone 1974, 83). Mit den Worten von Del Tufo:

[76] Insomma, ogni straniera nazïone, a mia conclusione, come la Fiorentina, oggi ha molt’anni, tiene il suo San Giovanni, così la Genovesa il suo San Giorgio, ch’è la propria chiesa. Né questa o quella è sola, che ancor v’è la Spagnola, la quale, ora per ora, il San Giacobo suo cotanto onora: né qui s’ingegna o vale per lo spirituale, ma tengon anco un gran bello ospidale. Così di più, per figlie o per sorelle ch’esser vogliono uelle religiose e sante verginelle, l’han fatto un monasterio, che lo vedreste assai ben volentiero, con rendite assai buone, detto e chiamato la Concezzïone (Del Tufo [1588] 2007, VI, 444)30

Neben der großen Gruppe der Geistlichen zählen der in der Stadt residierende Adel,31 Bedienstete,32 einige königliche Verwaltungsbeamte aus dem Königreich Kastilien33 sowie ebenfalls aus Spanien rekrutierte Militärangehörige, auf die weiter unten eingegangen wird, zu den spanischen Immigranten bzw. zum potenziellen Lesepublikum von spanischen Druckwerken. Die spanische Präsenz fiel laut Bouchard überraschenderweise kaum numerisch ins Gewicht und äußerte sich tendenziell negativ – die Revolten der Jahre 1547 und 1647/1648 gegen die strenge Steuerpolitik zeigen ebenfalls die deutliche Antihaltung des Volks gegenüber den Herrschenden (vgl. Kap. 6.4, Anm. 11).34 Der Franzose wundert sich über die Tatsache, dass die Spanier »sont en assez petit nombre, vue qu’ils sont maistres de cette ville et depuis cent trente ans« (Bouchard [1632] 1977, 255), während hingegen das Akademiemitglied Partenio Tosco 1662 in seiner Sprachverteidigung konstatiert: »in Napoli, dove si risieda sì numerosa la Nazione Spagnuola« (Tosco [1662] 1754, 289; vgl. Kap. 6.4.7.3). Die demgegenüber in der Oberschicht durchaus herrschende Wertschätzung spiegelte sich im kulturellen Transfer wie zum Beispiel dem spanischen Hofzeremoniell wider, das in Neapel Modellcharakter übernahm:

La pressione più visibile veniva dal costume castigliano e spagnolo e interessava le buone maniere, l’etichetta,35 le mode,36 come capita di solito per le pratiche adottate dai gruppi dominanti. Alcuni suoi caratteri come il formalismo, la mostra del corpo abbigliato, il culto del nome e del prestigio della famiglia, alcune posture come la gravità nello scambio dei saluti37 e nell’incedere permearono gradualmente il costume napolitano nel corso del secolo. Innumerevoli calchi caricaturali, per lo più destinati al teatro,38 segnalarono l’adeguamento più o meno forzato dei gruppi e la migrazione di queste pratiche a tutti i livelli del corpo sociale. (Rak 1994, 18f.)

Spanische stereotype Figuren waren in römischen und neapolitanischen Komödien beispielsweise die Prostituierte39 und der ungehobelte Soldat40, für den sich spätestens seit Torres Naharros Soldatenkomödien41 die expressiv-volkssprachliche Bezeichnung »bisogno«/»bisoño« für den mittellosen, unbedarften Neuankömmling mit geringen italienischen Sprachkenntnissen etablierte (vgl. Kap. 6.4.5),42 den auch Del Tufo negativ zeichnet:

[77] Vien lo Spagnuol da Spagna, che non porta valor d’una castagna, sol con la spada al fianco, che non la può sfodrare per la rugine c’ha presa nel mare, misero, afflitto e stanco; anzi dal troppo lungo aspro digiuno vien macilento ognuno, lordo laido meschin, tutto stracciato, pien di rogna, affamato, come si vuol veder piú d’un soldato che venghi svalisciato; smonta poi di galera con quel volto suo afflitto, ispida ciera; poi forsi per vertù de l’aria nostra, fa di doppio vestir superba mostra. (Del Tufo [1588] 2007, IV, 265)

Diese beiden Personen können auch in den oben erwähnten Quartieri Spagnoli verortet werden, die 1536 im Zuge des vom Vizekönig Toledo realisierten Stadterweiterungsprojektes gen Osten als Rastersystem am Rande der Stadt entstanden. Dabei handelte es sich um ein von spanischen Soldaten und Neapolitanern der unteren sozialen Schicht extrem dicht bewohntes und damit mehrsprachiges Viertel.43 Anfänglich wurden die zweigeschossigen Häuser44 an Einheimische – nicht selten waren dies käufliche Frauen – verpachtet, die sie an Soldaten weitervermieteten.45 Nach der Pest 1656 verließen viele die Quartieri, was zu einer letzten Parzellierung führte. Das Viertel, in dem auch die Chiesa della Santissima Trinità degli Spagnoli steht, kann gemäß Pane durchaus als »quartiere di parte spagnola« (Pane 1975b, 172), also quasi als von Spaniern errichtete und bewohnte Kolonie verstanden werden;46 De Blasi bringt die räumliche und soziale Abgrenzung mit der Bezeichnung »città degli spagnoli« (De Blasi 2012, 66) zum Ausdruck.

Die Soldaten der Quartieri stellten jedoch nur einen Bruchteil der spanischen Militärbesatzung – von der Bouchard (Bouchard [1632] 1977, 255)47 zufolge circa 900 Mann starken Leibgarde des Vizekönigs über das ständige Heer mit seinen Kompanien bis hin zu den Galeeren – dar. Die Verteidigung der drei Burgen Neapels sowie der anderen Festungsanlagen des Regno – Bouchard nennt die Zahl von 930 Gardisten – sollte ursprünglich von »españoles legítimos« übernommen werden, doch oftmals waren in den kleineren Kastellen Italiener stationiert oder aus spanisch-italienischen Mischehen hervorgegangene so genannte »genizaros« (Ribot García 1995, 106). Im Mittel gab es circa 3.000 spanische Infanteristen in Neapel, im Höchstfall 8.000 (vgl. Ders. 1995, 115). Ein Bericht eines venezianischen Botschafters von 1575 gibt hierzu folgende Information:

[78] Vi tiene il re cattolico quattromila fanti Spagnuoli ordinariamente sotto più capitani con un maestro del campo. […] Vi sono mille centoventi uomini d’arme compartiti in sedici compagnie, cioè cinque spagnuole ed undici italiane […]. Vi sono ancora cinquecento cinquanta cavalli leggeri compartiti in cinque compagnie di cento gentiluomini, la metà italiani e la metà spagnuoli i quali sono chiamati i continui perché d’ordinario, stanno alla Corte per accompagnare il viceré così in tempo di pace come di guerra […]. (Zit. nach Pedìo 1971, 475)

Einer dieser 100 besagten »continui« der neapolitanisch-spanischen Mischtruppe zu Diensten des Vizekönigs war ab 1535 der hispanophile Dichter Luigi Tansillo, der sein dadurch gewandeltes Sprachverhalten wie folgt kommentiert: »Il viver con spagnuoli, il gir in volta / con spagnuoli, m’ han fatto uom quasi nuovo / e m’ hanno quasi la mia lingua tolta« (Tansillo 1870, 23).48 Über das (mutter-)sprachliche Repertoire, zum Beispiel süd-, nordspanische Varietäten, Baskisch oder Katalanisch, und das je nach Rang und Aufgabenbereich fremdsprachige Kompetenzprofil der Streitkräfte, die aus allen Teilen Spaniens und des Königreichs rekrutiert wurden49, gibt es keine gesicherten Nachweise (vgl. Kap. 6.3.4; Kap. 6.3, Anm. 97 und Anm. 99).

Dem Überblick über die spanischen Immigranten der Stadt schließt sich daher die Frage an, welche weiteren zeitgenössischen Sprechermeinungen zu den (gesprochenen) iberoromanischen Varietäten in Neapel vorherrschten. Während Bouchard auf die lexikalische Einflussnahme bzw. Verunreinigung des Spanischen Bezug nimmt und Del Tufo beiläufig zwei Hispanismen erwähnt,50 illustriert Capaccio, der den Neapolitanern generell ein Lob für ihre Fremdsprachenkenntnisse ausspricht, die Präsenz dieser Sprache im öffentlichen Raum, einmal auf dem Marktplatz,51 einmal am vizeköniglichen Hof anhand folgender Anekdote:

[79] Cittadino. […] Si dilettò questo gran Re [Filippo II, T.A.] frà l’altre virtù di saper varie lingue […], acciò che negotiando hauesse la chiara intelligenza della cose. E se ne pregiaua in modo che volea che tutti sapessero che a tempi nostri anco sono stati i Mitridati. Si ch’una volta, andato in Corte un nostro Napolitano et havuta l’Audienza, credendosi esser meglio inteso parlando spagnolo, che parlava benissimo in quell’idioma, il Re quasi havendo per male che un’italiano parlasse in quella lingua, gli disse ›Habla en su lengua‹. Forastiero. Quasi che parlando in altra lingua, un’Italiano mostrasse di non star sicuro che un Re così grande intendesse tutte le lingue, cosa tanto necessaria a’ Prìncipi c’han da trattar con tutte le nationi del mondo. Restò, credo io, scornato il Napolitano che forse ragionava assai bene Spagnolo. […]

Cittadino. Crediate che rimanesse affrontato. Et intorno al parlar bene Spagnolo come dite, vi dirò cosa che forse anco la sapete; che i Napolitani han gran felicità di potere esprimere tutti gli Idiomi, siano quanto si voglia barbari, e di ragionarli come se fussero proprij nativi di quei paesi delli quali esprimono le lingue con la favella. Se parlano Francese, par che siano natiui di Parigi […]. Se parlano Spagnolo, direte che niente cedono a Castigliani. (Capaccio 1634, 318f.)

Neben diesem Beispiel für Semi-Kommunikation52 sprechen darüber hinaus drei weitere zeitgenössische Quellen, die circa 60 Jahre voneinander trennen – ein Sittenbild, ein italienisch-spanisches Sprachlehrwerk und eine Sprachtheorie zum Spanischen – den (adeligen, höher gestellten) Neapolitanern bzw. Neapel eine exklusive Hispanophonie zu.53 Darüber, wie die spanische Sprache von den regnicoli individuell erworben wurde, kann indes nur spekuliert werden und es ist abhängig von den ökonomischen Möglichkeiten und den Bildungsvoraussetzungen. So können zur Sprachbiografie bereits vorhandene nützliche Alt- und Fremdsprachenkenntnisse durch Privatschulen/-lehrer oder Spanienaufenthalte und bestimmte soziale Netzwerke beitragen. Das Prestige des Spanischen lässt sich jedenfalls nicht an einer zeitgenössisch vorhandenen Statusplanung bemessen – zumindest sind weder auf akademischer noch auf offizieller Ebene sprachpolitische oder sprachpflegerische Aktivitäten und Akteure nachzuweisen (vgl. Büschges 2007, 28) – auch die von Alfons V. von Aragón (1396–1458) in Neapel gegründete Katalanischschule fand keine Fortsetzung bzw. Überführung in eine Ausbildungsstätte für neapolitanische Beamte zum Spanischerwerb.54

Ob und wie sich diese im Übrigen auch in der Forschungsliteratur zu findenden55 bejahenden Aussagen zum Prestige und zur nähesprachlichen Beherrschung des Spanischen in der distanzsprachlichen, gedruckten Schriftlichkeit verifizieren lassen, soll nach dem Überblick über die Entfaltung des Buchdrucks in Neapel (und im Vizekönigreich) im 16. und 17. Jahrhundert geklärt werden. Es erhebt sich die Frage, wie viele spanische Drucke (von wem) publiziert wurden und auf welche Hauptkonsumenten sie Rückschlüsse erlauben. In welchen Diskurstraditionen wurde Spanisch allein und zusammen mit anderen Sprachen und Varietäten verwendet? Außerdem – und hier schließt sich der Kreis zur zeitgenössisch wahrgenommenen Mündlichkeit – wird am Ende des Kapitels das (fingierte) Spanische innerhalb der inszenierten Mehrsprachigkeit des Theaters beleuchtet. Dieser letzte Aspekt ermöglicht abschließend eine Einordnung des Spanischen auf der ›Sprachwerteskala‹ Neapels.

6.4.3 Makroanalyse: der Buchdruck in Neapel im Cinquecento

Die Einführung des Buchdrucks in Neapel56 ist Re Ferdinando (1424–1494), Sohn von Alfons V. von Aragón,57 zu verdanken, der auf die 1465 nach Italien importierte Erfindung sofort reagierte und für die Pflege und den Ausbau der Hofbibliothek und der universitären Reform in Neapel deutsche Druckspezialisten an den Hof bestellte: 1471 ist schließlich das erste überlieferte, vom »germano« bzw. Straßburger Sisto Riessinger, Lehrling von Johannes Gutenberg, gedruckte lateinische Traktat bezeugt.58

Zwar fällt der Anteil Neapels mit 1,74% an der Gesamtproduktion Italiens im 16. Jahrhundert moderat aus (vgl. Trifone 1993, 433), dennoch gilt die Metropole mit katalogisierten circa 1.400 und geschätzten 1.500 cinquecentine als größtes Druckzentrum des Südens (vgl. EDIT16 2014 bzw. Santoro 2008, 185). Es ist offensichtlich, dass Neapel neben seiner beträchtlichen Eigenproduktion hauptsächlich mit Büchern aus Venedig versorgt wird – dafür sorgen mitunter allein 100 in Neapel stationierte venezianische »editori, tipografi, librai« (vgl. Marciani 1968) –, und seinerseits den Vertrieb für den Mezzogiorno steuert, die Inseln Sizilien und Sardinien eingeschlossen.59 Außerhalb der Reichshauptstadt werden, insbesondere nach den zensuralen Maßnahmen des Vizekönigs Toledo, der 1542 die Schließung der Accademia Pontaniana durchsetzte und 1544 eine Pragmatik zur Pressekontrolle herausgab,60 durch abwandernde bzw. Wander-Drucker in neun kleineren Druckorten im Königreich Offizinen gegründet;61 sie genügen überwiegend kommunalen oder klerikalen Exigenzen oder werden von Privatmäzenen finanziert. Im Cinquecento etablieren sich auch bedingt durch die strenge Zensur der erzbischöflichen Kurie eher stationär als dauerhaft circa 40 Typografen innerhalb und außerhalb Neapels, die hinreichend beschrieben sind.62

Weniger erforscht dagegen ist die Involvierung einzelner (hispanophoner bzw. hispanophiler) Typografen in der spanischen Buchproduktion und innerhalb des spanischen Regierungsapparats etwa als permanente oder temporäre Hofdrucker im 16. Jahrhundert.63 Die erste Verhältnisbestimmung in dieser Richtung zwischen »imprenta y cultura en la Nápoles virreinal« (Sánchez García 2007a) wurde von Sánchez García unternommen.64 Die Bedeutung Neapels im Printbereich definiert die Hispanistin folgendermaßen:

Napoles es, junto con Sicilia, seguramente el territorio italiano más hispanizado y su actividad intellectual aparece, a menudo, informada por las características de su pertenencia a aquella entidad política. Uno de los sectores que con más elocuencia testimonia esa connotación hispánica del Regno es el de la imprenta, cuya calidad y consistencia durante los dos siglos de presencia española, va evolucionando, con sus especiales características, siguiendo las pautas generales de la imprenta italiana. (Sánchez García 2007a, 77)

Nach wie vor bestehen aber, wie Santoro zu Recht betont, noch gravierende – und nicht problemlos zu schließende – Forschungslücken, sowohl in der Analyse der neapolitanischen Buchproduktion als auch vor allem in:

[…] sistematiche investigazioni volte da un canto a registrare, e successivamente ad analizzare, i molteplici apparati paratestuali che corredano le edizioni e dall’altro a esaminare conferme e varianti all’interno delle pubblicazioni delle medesime opere. Dette investigazioni potrebbero certamente consentire sia di appurare l’effettiva partecipazione di ›spagnoli‹ all’interno del comparto editoriale, dagli autori agli artisti fino a giungere ai promotori, ai patrocinatori e ai finanziatori delle publicazioni, sia di chiarire legami e rapporti fra i diversi artieri locali, e, per così dire, il contesto iberico. […] risulta difficile, e per certi versi avventuroso, schematizzare tipologia e consistenza del rapporto fra editoria e Spagna, e ipotizzare le modalità e le implicazioni che a acquisito sul versante editoriale il messaggio culturale, politico e sociale spagnolo, e, di converso, come, quanto e per quali motivi il comparto partenopeo della comunicazione scritta ha recepito e promosso costumi, opere, orientamenti e personaggi iberici. (Santoro 2013b, 115f.)

Dem letzten Satz des Zitats möchte man die unerwähnten Auswirkungen der spanischen Sprache bzw. auf diese unbedingt anfügen! Ungeachtet der Tatsache, dass die parthenopäische Stadt de facto nicht als »hispanisiertestes« Territorium bewiesen ist, kommt Sánchez García das Verdienst zu, eine Bestandsaufnahme aller gedruckten neapolitanischen Bücher auf Spanisch und solche »d’interesse ispanico« aus dem Zeitraum zwischen 1503 und 1707 initiiert zu haben65 – der Katalog EIRN umfasst aktuell 238 Titel.66 Die chronologische Häufigkeitsverteilung der repertorisierten Druckwerke sieht wie folgt aus:

Tabelle 19: Aktueller Bestand des Online-Katalogs EIRN (Stand: 10.08.2014).

Tabelle 19: Aktueller Bestand des Online-Katalogs EIRN (Stand: 10.08.2014).

Aus der numerischen Evidenz der Tabelle ist zu schließen, dass das 17. Jahrhundert das produktivste war und im Vergleich äußerst wenige spanische Drucke im 16. Jahrhundert erschienen – fast genauso viele wie in den ausgezählten sechs letzten Jahren der spanischen Herrschaft des 18. Jahrhunderts.

Was die intellektuellen Produzenten, also die Autoren der cinquecentine Neapels betrifft, so führen zwei Stichproben von Santoro zu dem Ergebnis einer

[…] larga preponderanza di autori contemporanei strettamente legati alla realtà e al circuito culturali napoletani. Si tratta quindi di un autore/medio che ha contatti più o meno diretti con gli stampatori e con gli editori, che appartiene ai ranghi ecclesiastici (frequenti i casi di religiosi di famiglie nobili), oppure al milieu intellettuale per lo più composto da poeti, accademici, medici e giuristi. (Santoro 1997, 12)67

Im Detail handelt es sich um folgende Autorenprofile:

Tabelle 20: Autorenprofile nach Beruf und Nationalität im Neapel des Seicento nach Santoro 1997, 10–12.

Tabelle 20: Autorenprofile nach Beruf und Nationalität im Neapel des Seicento nach Santoro 1997, 10–12.

Es ist davon auszugehen, dass sich diese zeitgenössische lokale Autorschaft auch entsprechend in den Diskursdomänen widerspiegelt, das heißt primär religiöse, schöngeistige und sekundär administrative und wissenschaftliche Literatur für ein entsprechendes Publikum aus Weltklerus, Mönchen und Nonnen, Beamten, Gelehrten, Universitätsangehörigen, Schulmeistern, Schülern und Adel publiziert wurde – allerdings klafft diesbezüglich eine Forschungslücke. Der Befund ist nicht grundsätzlich anders, wenn man nach den Rezipienten der nicht zu vergessenden alltäglichen volkssprachlichen Unterhaltungsliteratur wie »istoriette«, »canzoni«, Ratgebern wie »rimedi« und »secreti« und religiösen Lesestoffen fragt (vgl. Lopez 1974, 328–331; Napoli 1989). Diese wurden nicht nur für die unteren, sondern auch für die oberen Rezeptionsschichten durch Straßenverkäufer68 feilgeboten – ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Vertriebskanal.69 Circa 50% der Ware der ambulanten Händler bestand aus Schulbüchlein, oftmals aus zweiter oder dritter Hand:

Di questi non tutti erano destinati agli studenti dell’Università. Vi erano anche grammatiche e classici latini, un ›libro spagnilo [sic] per imparare a scrivere‹,70 dizionari. Questi ultimi, o i vocabolari, non erano altro che libri di istruzione, manualetti di poche pagine che contenevano semplicemente una serie di brevi frasi da ricordare con la traduzione in altra lingua nella colonna a fronte. (Napoli 1989, 383)

Diese verschüttete, mitunter auch im spanischen Idiom veröffentlichte Verbrauchsliteratur wirft die Frage auf, wie die katalogisierten Editionen sprachlich verteilt sind. Als Vergleichsgrundlage zum eigenen Korpus kann lediglich die EDIT16-Datenbank herangezogen werden, um die sprachliche Distribution Neapels (approximativ) darzustellen:

Tabelle 21: Sprachliche Distribution der neapolitanischen cinquecentine (1501–1600) im Vergleich765; Datenset 11: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Tabelle 21: Sprachliche Distribution der neapolitanischen cinquecentine (1501–1600) im Vergleich71; Datenset 11: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Abbildung 42: Bartolomé de Torres Naharro, Propalladia, Neapel 1517, Titelblatt.

Abbildung 42: Bartolomé de Torres Naharro, Propalladia, Neapel 1517, Titelblatt.

Die von Santoro veranschlagte, bereits in der Ära der Wiegendrucke konstatierte Prädominanz des Lateinischen im Vergleich zum volgare (74% zu 26%) »anche nel campo letterario« (Santoro 1997, 9) während des Primo Cinquecento wird nach EDIT16 2014 mit einem Verhältnis von 58% zu 43% in der kompletten Zeitspanne von 1501 bis 1600 zugunsten des Tosko-Italienischen relativiert.

Nachdem 1517 die sogar mit einem päpstlichen Privileg versehene, oben bereits kurz erwähnte Komödie Propalladia des spanischen Dichters Bartolomé de Torres Naharro (vgl. Kap. 6.4, Anm. 41)72 den Erstbeleg eines in Neapel produzierten spanischen Druckwerks darstellt, ist erst gut 30 Jahre später wieder mit der Historia de los successos de la guerra […] (Salazar 1548) von Pedro de Salazar, wahrscheinlich ein Nachdruck aus Madrid, eine spanische cinquecentina bezeugt.

Wie bereits in Mailand und Sizilien beobachtet wurde, scheint die Buchproduktion in spanischer Sprache in den spanischen Territorien jeweils erst ab der Jahrhundertmitte zögerlich begonnen zu haben und erst im Seicento wirklich in Schwung gekommen zu sein. Diese Lücke ist wahrscheinlich mit Venedigs florierender Phase in diesem Sektor zu erklären, die genau zwischen 1520 und 1560 ihren Höhepunkt erfuhr, um ab 1580 auszuklingen und ab 1650 ganz stillzustehen (vgl. Kap. 6.5). Insgesamt wurden in Neapel während des ganzen 16. Jahrhunderts sehr wenige Druckwerke in der Sprache der Herrschenden produziert – weniger als in Mailand, obwohl das Herzogtum erst 30 Jahre später zur spanischen Krone gehörte. Die Anzahl der spanischen secentine des vorliegenden Korpus wie auch diejenigen von PRIN 2008 ist im Vergleich zu den cinquecentine um circa das Zehnfache höher.

Die Diskursdomänen der spanischen Titel meiner Datenbank TISIT16–17 sind folgende: Neun Drucke und damit knapp die Hälfte sind religiöser Art – es wurde gezeigt, dass es einige spanische kirchliche und religiöse Institutionen gab, die als Auftraggeber bzw. Abnehmer in Frage kommen (vgl. Kap. 6.4, Anm. 29). Sechs Titel sind als Geschichtswerke, zwei als schöngeistige Literatur und einer als Kriegsbericht73 zu deklarieren.

Ferner wurden neun Übersetzungen aus dem Spanischen ins Italienische registriert, hauptsächlich aus der religiösen Diskursdomäne.

An zweisprachigen Titeln sind zu nennen: der spanisch-lateinische, zu den Rara zählende Discurso del’habilidad de la iuuentud compuesto por el doctor Carlos de Tapia (Tapia 1590, bei Salviani; vgl. Kap. 6.4, Anm. 130) und der kontrastive Paragone della lingua toscana et castigliana (Alessandri d’Urbino 1560, bei Cancer) von Giovanni Mario Alessandri d’Urbino – die erste auf italienischem Boden gedruckte italienisch-spanische Grammatik, auf die unter Kap. 6.4.6.1 näher eingegangen wird. Ein dreisprachiges literarisches Werk stellen die Versos de Iuan de la Vega (Vega, 1552 bei Cancer) dar: Das Werk selbst ist dem damaligen Vizekönig Toledo gewidmet, die enthaltenen italienischen, spanischen und lateinischen Gedichte richten sich an Persönlichkeiten aus dem neapolitanischen Adel.

6.4.4 Makroanalyse: der Buchdruck in Neapel im Seicento

Ein sehr viel differenzierteres Bild als das 16. Jahrhundert bietet aufgrund der Forschungsliteratur und vorhandener empirischer Befunde die Produktion der neapolitanischen secentine.74 Die Schätzungen der Drucke, die in Neapel zwischen 1601 und 1700 produziert wurden, belaufen sich auf circa 3.500 bis 4.00075; der Anteil am gesamten italienischen Büchermarkt beträgt 6,2% (Santoro 2008, 228). »Vale a dire che non sarebbe ardito collocare, in termini quantitativi, la capitale del Viceregno alle spalle, anche se non proprio a ridosso, delle posizioni di vertice, sempre monopolizzate da Venezia e Roma.« (De Nitto 1984, 472).

Trotz oder gerade wegen weiterer sieben vizeköniglicher Pragmatiken bis zum Jahr 1652, in denen Produktion, Import und Export streng (bisweilen wöchentlich) reglementiert wurden (vgl. Fusco 1984, 459f.),76 formierte sich in Neapel nie eine Gilde für Drucker und Buchhändler (vgl. Lombardi 2000) – im Gegensatz zu Venedig oder Mailand (vgl. Brown 1891 bzw. Cavagna 1997). Zumindest in räumlicher Hinsicht gruppierten sich jedoch die Handwerker ›di rispetto‹. Während im Cinquecento Porta Reale – stark frequentierter Endpunkt der Via Toledo77 – und Largo del Castello als Produktions- und Vertriebsorte fungierten, übernahmen im Seicento die Quartieri Spagnoli, das oben beschriebene, mehrsprachige Viertel par excellence und bis dato ohnehin Nachrichtenzentrale, auch diese Rolle, bis es in den 1670er Jahren zu einer kollektiven Abwanderung nach San Biagio dei Librai kam, die sich letztlich aus rein ökonomischen Gründen (Papierherstellung in loco) als »residenza ufficiale della categoria« (Omodea 1981, 34) etablierte. Vorwiegend dort betrieben insgesamt circa 160 Drucker ihre Offizin, häufig als (temporäre) Gesellschafter und nicht selten auch mit angeschlossenem Buchladen als Drucker, Verleger und Verkäufer in Personalunion, sofern sie nicht als Nomadendrucker in Unteritalien umherzogen (vgl. Santoro 2008, 250). Der strategische Standort der »operatori capaci come Parrino Cavallo e Mutij […] in un’area ideale per i commerci, vicina a teatri, collegi, studi, cenacoli« (Lombardi 2000, 125) schuf also Nähe zum Kunden – und zum Auftraggeber und Autor.

Als Erfolgsdrucker des 16. Jahrhunderts können Camillo Cavallo mit 140 Editionen78, Monopolist mit ius prohibendi auf Pressedrucke, und Lazzaro Scoriggio (180 Titel) gelten.

Auch der gelehrte Drucker und Autor Domenico Parrino (1683–1716), der wiederum eng mit Cavallo kollaborierte und von ihm den Titel »gazzettiere« übernahm, war einer der produktivsten Drucker der Stadt und gleichzeitig Hauptrivale des Franzosen Antonio Bulifon (1670–1707), der ebenfalls wie sein Landsmann Giacomo Raillard ein Netzwerk mit den bedeutendsten Literaten und Autoritäten der Stadt vorweisen konnte.79 Zudem kollaborierte Parrino mit Michele Mutio (1686–1715)80, der den Druck historischer Werke und Theatertexte sowie Dialektliteratur bevorzugte und einen Buchladen in der Via Toledo betrieb (vgl. Novati 2004, 114). Seine Druckerei mit angeschlossener Gießerei für Lettern befand sich am zentralen Largo S. Maria la Nova, dort wiederum, wo sich Parrinos Buchhandlung zum Treffpunkt der Gesellschaft entwickelte (vgl. Fusco 1984, 478); 1699 zog Parrino um an die Platea Toledana – »luogo d’affissione dei bandi volti agli esercenti della stampa, non molto distante dal palazzo della nunziatura e dal ›pontone della Posta regia‹« (Lombardi 2000, 101). Es war kein Zufall, dass dieses gut vernetzte Druckduo auch 1689 eine auf lokale Bedürfnisse zugeschnittene Spanischgrammatik herausbrachte, die in Kap. 6.4.6.1 näher vorgestellt wird.

Ottavio Beltrano »si distinse soprattutto per la stampa di opere in vernacolo« (Fusco 1984, 465), aus seinen Pressen stammt beispielsweise die neapolitanische Erstausgabe des Lo Cunto de li cunti (Basile 1634) von Gian Alessio Basile; zwischen 1628 und 1635 druckte er außerdem die Werke des anderen bedeutenden Dialektdichters Giulio Cesare Cortese nach (Fusco 1984, 468).

Zum »tipografo degli spagnoli« (Manzi 1977, 245) profilierte sich ab 1597 und insbesondere in den ersten Dekaden des Seicento Tarquinio Longo und nach ihm sein Sohn Egidio als »impressor de la Regia Corte«,81 der ohnehin einer der herausragenden Drucker Neapels und unter anderem auch Typograf der Compania di Gesù mit Offizin in der Nähe zur Vicaria Vecchia war: Circa 10%, das heißt 11 seiner 115 Editionen, sind in spanischer Sprache – man hätte einen noch höheren Anteil aus der »Real Imprenta« erwartet. Außer Lazaro Scorrigio, der eine ganze Reihe spanischer Drucke publizierte, veröffentlichten andere Drucker nur sporadisch im spanischen Idiom.82 Kein Drucker ist in Neapel bezeugt, der das Monopol auf spanische Druckwerke innehatte und/oder ausschließlich für die spanische Regierung tätig gewesen wäre wie etwa die ständige königliche Druckfamilie der Malatesta in Mailand (Kap. 6.3.5.1).83 Im Gegenteil, auffällig nachdrücklich wird in mehreren Paratexten von Autoren auf den akuten Mangel an hispanophonem Personal verwiesen.

So entschuldigt sich der Valladolidaner Cristóbal Suárez de Figueroa, der nach dem Rechtsstudium in Bologna und Pavia als Jurist und Schriftsteller-Übersetzer eine Weile in Neapel tätig war,84 für die unkorrigierte Übersetzung der Komödie El pastor fido ins Spanische (Guarini 1602, bei Longo)85 im Leserhinweis:

[80] Negoçio es fastidioso hauer de yr asido [haber debido usar?; T.A.] siempre a palabras y conçetos agenos, y por esta razon no dificulto tendran escusa las faltas, y descuidos, que en la presente traduçion se hallaren [sic], y particularmente en la ortographia que por no tener estas Estampas Corretores ni yo tiempo para asistir, se hallaran infinitos errores. Suplico alos Señores Espiritus de contradicion que no olviden esta protesta cuando con sus entendimientos rateros censuraren [sic] esta Tragicomedia. (Guarini 1602, 6r)

Auch der Franziskaner Juan de Ahumada Mendoça beklagt sich in seinen Sermones para los domingos y ferias principales de la Qvaresma (Ahumada Mendoça 1641, bei Cavallo)86 zu Beginn der »Erradas«:

[81] Son muchas las deste tomo por aber fiado su correcion de quien lo que no entendia lo puso de modo, que yo lo e desconocido, mas como en Napoles no asido posible hallar estampador, que entienda bien español, tan poco quien emmiende sus faltas, sino quien aumente las mias. (Ahumada Mendoça 1641, 576)

Bezüglich der Druckfehler muss auch Juan de Bayarte Calasanz y Avalos in den »Aduertencias sobre la impression« seiner Novedadas ancianas deducidas delos sucesos de Concino Coninì Marques de Ancrè, Mariscal de Francia […] (1677, bei Pasaro) gestehen, dass diejenigen »que perteneçen al Inpressor ocurre la escusa de que no le ay Español en Napoles, ni correctores« (Bayarte Calasanz y Avalos 1677, a2).87

Schließlich rechtfertigt sich der Neapolitaner spanischen Ursprungs und »caballero« Fadrique Moles in seinem Werk El avariento generoso muerte del rey frances y hazañas de Ruchelieu (Moles 1644, bei Maccarone)88 beim Leser mit ironischem Blick auf noch ungeschicktere spanische bzw. deutsche Drucker in Madrid:

[82] De los descuidos, y yerros [sic] de la Emprenta no te marauilles, pues en Madrid a las vezes nos dan en Tudesco lo que se escriue en Castellano. Y quando la punctuación mal colocada, hiziere el sentido equíuoco, o diuerso, supla tu discreción esse defeto. (Moles 1644, a4r)

Lässt man die Überlegung beiseite, dass es sich um einen Topos der Autoren handeln könnte, um von den eigens verschuldeten Fehlern abzulenken, ist es doch erstaunlich, dass sich die spanische Regierung nicht um eigenes bzw. konstantes muttersprachliches Druckpersonal kümmerte und auch die neapolitanischen Typografen angesichts der existierenden spanischen Abnehmer Neapels wie Kleriker, cavalleros und Literaten keine Garantien – auch nicht im Literatursegment – durch eigene Anstrengungen wie Übersetzungen89 oder Korrektoren90 boten; der in Venedig unentwegt tätige Literat, Korrektor und Übersetzer Alfonso de Ulloa bleibt in dieser Hinsicht »uno spagnolo irregolare« (Lievens 2002), ein Unikum im spanischen Italien (vgl. Kap. 3.3.1).

Was die Autoren anbelangt, so gehört ein erheblicher Teil von ihnen wie bereits im Cinquecento der autochthonen Eigengruppe an: 90% der neapolitanischen secentine, die von Santoro eruiert wurden, stammen von zeitgenössischen Autoren, 35% davon sind gebürtige Neapolitaner, 36,5% »meridionali« und 12% Ausländer, »in massima parte spagnoli, ma non mancano tedeschi […], polacchi […], francesi.« (Santoro 1986, 59). Ihre Ausbildung weist sie zur guten Hälfte als Kleriker aus (55%), ihnen folgen 21% Juristen, 13% Literaten, 6,5% Mediziner und 4% Buchhändler/Herausgeber/Verleger (vgl. Ders. 1986, 59).

Durchschnittlich sind 39,4% der Drucke über 300 Seiten stark; mehr als zwei Drittel sind illustriert (vgl. Ders. 1986, 37). Auffällig an dieser durchaus als voluminös geltenden (und daher auch teureren) Produktion der Zeitgenossen, die nach Ausbruch des Vesuvs 1631 ihren Höhepunkt im Jahr 1632 verzeichnete (vgl. Ders. 1986, 41; Kap. 6.4, Anm. 88),91 ist der lokale Bezug: Sei es lokale Geschichte, zum Beispiel krisenhafte Ereignisse, in erster Linie der Vulkanausbruch 1631, dem allein 51 Titel – darunter drei spanische und ein neapolitanischer – gewidmet sind,92 oder historische Festliteratur;93 sei es lokale Literatur, zum Beispiel Theatertexte (teilweise auf Neapolitanisch94); seien es italienische Prozessakten, Dispute, Hagiografien, Predigten oder geografische Traktate, die einen größeren Adressatenkreis erreichen sollten als die auf ein Fachpublikum zugeschnittenen juristischen, theologischen, medizinischen und wissenschaftlichen Texte auf Latein (vgl. Ders. 1986, 45f.).

Anhand eines raren Lesezeugnisses – bis ins 18. Jahrhundert fehlen weitestgehend solche Quellen –, ist es möglich, die Sprachkompetenzen und Leseinteressen der historischen, elitären Leser Neapels kennenzulernen. So beschreibt 1632 der oben vorgestellte Neapelbesucher Bouchard die »qualités des nobles« (Bouchard [1632] 1977, 267; vgl. Kap. 6.4, Anm. 21) wie folgt:

[83] […] la plus part des cavaliers ne sachant pas à peine lire et escrire; et les plus lettrez d’entre eus lisent les Amadis de Gaule et autres livres di Cavalleria, qui sont si fort en reigne en ce païs là, que l’on ne voit presque d’autres livres chez les libraires, dont il y a des boutiques que ne font autre marchandise que de louer de ces romans à tant par jour, et vous ne voyez autre chose en la rue des libraires que cet escriteau: Qui si locano libri di Cavalleria. Les plus doctes liront Tasso et il Cavalier Marino95, à cause qu’ils estoint de leur païs; pour d’autres livres, ils n’en ont point de cognoissance, et je ne pense qu’il [y] ait un cavalier qui entende le latin, excepté cinq ou six […]. (Bouchard [1632] 1977, 267)96

Ritterromane und Heimatautoren standen also nach der Beobachtung des französischen Zeitzeugen bei den offenbar tendenziell lateinunkundigen und ›bildungsfernen‹ Adeligen hoch im Kurs bzw. im Sortiment in der »rue des libraires« (Ders. [1632] 1977, 267). Sie fallen unter die Rubrik Literatur, die knapp ein Viertel der Seicento-Produktion repräsentiert und lediglich von der Domäne der Religion überboten wird, wie die folgende Tabelle veranschaulicht:

Tabelle 22: Diskurstraditionelle Distribution der neapolitanischen secentine (1601–1700) nach Santoro 2008, 226.

Tabelle 22: Diskurstraditionelle Distribution der neapolitanischen secentine (1601–1700) nach Santoro 2008, 226.

Den dritten Platz der Rangliste nehmen rechtliche Drucke ein; mit fast gleicher Anzahl finden sich Titel aus Geschichte, Kunst und Philosophie. Die anderen Diskurstraditionen kommen zusammen auf knapp 10%.

Stellt man sich nach der Frage, wer was druckte, zuletzt die für die vorliegende Arbeit unerlässliche Frage, in welcher Sprache publiziert wurde, so dominiert in Santoros ergiebiger Analyse eindeutig das Italienische mit 1.500 Druckwerken vor Latein (1.082), Spanisch (79) und Neapolitanisch (16). Die wenigen zwei- und mehrsprachigen Drucke, an denen Spanisch beteiligt ist, belaufen sich auf 19. Die Studie wird mit den Ergebnissen einer neueren Untersuchung etwas variiert:97 Gesamtprozentual betrachtet kommt demgemäß die neapolitanische Produktion in italienischer Sprache auf 54,4%; jene auf Latein auf 39,3%, in spanischer Sprache auf 2,9% und diejenige auf Neapolitanisch auf 0,5% (vgl. Santoro 2008, 226). Die Drucke mit dem Sprachenpaar Italienisch-Latein lassen sich auf 1,9% prozentualisieren, die anderen mehr- oder anderssprachigen kommen gemeinsam auf 1%.98 Natürlich spiegelt eine solche Statistik nicht die tatsächliche Realität des Buch- und Sprachenmarktes wider – es wird immer Aktualisierungen und Erweiterungen durch neue Archivfunde wie zum Beispiel einen neapolitanisch-toskanischen Dialogtraktat (vgl. Fulco/De Blasi 1992)99 bzw. neue Bestandsaufnahmen wie EIRN geben. Die quantitative Distribution gibt aber Aufschluss über eindeutige Tendenzen – der überraschend geringe Anteil an spanischen Druckwerken in der Kapitale des Vizekönigreichs ist nicht zu verleugnen.

Die genannten Zahlen können mit den Daten meines eigenen Korpus modifiziert werden: Wie auch im Fall von Mailand (vgl. Kap. 6.3.4 und Tab. 17), konnten mehr als doppelt so viele spanische Editionen durch eine intensive bibliografische Ermittlung gefunden werden: nämlich 203 spanische Titel, ferner 44 Übersetzungen und zehn zwei- und dreisprachige Editionen, die Spanisch einschließen und allesamt in Neapel im Seicento produziert wurden.

Die überlieferte (und katalogisierte) Produktion von ein-, zwei- und mehrsprachigen Druckwerken des betreffenden Zeitraums beläuft sich demgemäß auf folgende Zahlen:

Tabelle 23: Sprachliche Distribution der neapolitanischen secentine (1601–1700) im Vergleich; Datenset 12: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Tabelle 23: Sprachliche Distribution der neapolitanischen secentine (1601–1700) im Vergleich; Datenset 12: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).100, 101

Verknüpft man gleich im Anschluss die sprachliche Verteilung mit derjenigen der Domäne, so präsentiert sich die nachstehende detaillierte Übersicht des Sprachenmarkts:

Tabelle 24: Sprachliche und domänenspezifische Korrelation der secentine (1601–1700) der Biblioteca Nazionale di Napoli (aus Santoro 1986, 45).

Tabelle 24: Sprachliche und domänenspezifische Korrelation der secentine (1601–1700) der Biblioteca Nazionale di Napoli (aus Santoro 1986, 45).

Latein dominiert in den drei Domänen Religion,102 Recht und Literatur;103 auf Italienisch hingegen sind religiöse Gebrauchstexte wie Hagiografien, religiöse Erbauung, Predigten, Passionsspiele, gefolgt von literarischen Werken und Texten aus Kunst/Geschichte/Philosophie, während im administrativen Bereich italienische Publikationen (nur 45 Titel) mit einer »audience più ampia« (Santoro 1986, 46) vorherrschen. Die zwei- und mehrsprachigen Drucke sind überwiegend in der schöngeistigen Produktion, im religiösen und im rechtlichen Bereich zu situieren.

Beim Betrachten der dritten Spalte, welche die spanischen Druckwerke quantifiziert und die sich prozentual relational verhält zu den Diskursdomänen der ersten und zweiten Spalte, lässt sich eine ungefähre Parität zwischen der religiösen und literarischen Produktion ablesen. Im Gegensatz zu den beiden Spitzenwerten fallen die anderen Diskurstraditionen numerisch deutlich ab.

Die Auswertung des oben erwähnten EIRN-Katalogs 2014 ergibt die folgende Rangfolge: Religion (48), Varia (23), Literatur (16), Recht (8), Theater (4), Wissenschaften (3), Geschichte (2), Musik und Geografie (je 1).

Der Vergleich mit den eigenen gewonnenen Daten bezüglich der spanischen Sprachdistribution ergibt ebenso einen deutlichen Überhang an Religion (76 Titel); der Abstand zur Literatur (42 Titel) ist allerdings größer – diese wird wiederum von 54 rechtlich-administrativen Drucken überflügelt, die damit sogar den zweiten Platz bilden und deutlich abweichen von den genannten anderen Katalogen.104 Acht allesamt wissenschaftliche Traktate auf Spanisch wurden ferner registriert.

Die Prädominanz – im Cinque- wie im Seicento – religiös-kirchlicher Drucke, die nicht in erster Linie die Exigenzen der etlichen in Neapel präsenten spanischen Kleriker erfüllen mussten, sei anhand eines seltenen direkten Lesezeugnisses eines fiktiven Lesers illustriert. In der folgenden Geschichte aus dem Fuggilozio (Tosco 1596, Kap. II, Nov. 47), einer satirisch konzipierten Novellensammlung des Neapolitaners Tommaso Costo,105 werden mündliche Interaktionsprobleme humorisiert und karikiert: Ein spanischer »cavaliero« möchte bei einem bolognesischen Buchhändler in Neapel ein spanisches Gebetbuch erwerben. Aufgrund sprachlicher Defizite auf beiden Seiten scheitert das Verkaufsgespräch jedoch, so dass die nicht geglückte Kommunikationssituation am Tag darauf pragmatisch durch einen Sprachmittler, den vermutlich neapolitanischen oder zumindest italophonen Diener des Spaniers, gelöst werden muss:

[84] Un libraro bolognese, dimandatogli un libro da un Cavaliero spagnuolo, non intende e risponde cose ridicole. Capitando un Cavaliero spagnuolo in un cocchio con la moglie, ch’era una donna bellissima, alla bottega d’un libraro bolognese in Napoli, gli dimandò in suo linguaggio se aveva un libretto che aiuda a rezar los frailes. Il bolognese, come ignaro della colui favella, prese quel vocabolo a rezar in altro senso, ma finse di non aver inteso; e quel Cavaliero glielo replicò. Egli allora s’imaginò che colui volesse burlar seco, sì come altre volte aveva soluto fare; ma per la presenza della moglie di quello non ardiva di rispondere. Lo spagnuolo, alterandosi alquanto, la terza volta gli disse ch’ei cercava quel libro che aiuda a rezar; e ’l libraro arrischiatosi rispose: – Mio Signor, io non so miglior aiuto per far arrizzar di quel che avete allato – intendendo della moglie. Il gentiluomo, che neanche intese il parlar del bolognese, mezo stizzato fe’ toccar il cocchio e partissi, lasciando lui confuso come quel che non sapea ciò che colui s’avesse detto, e s’egli era stato inteso dal medesimo o no. Ma fu più bella che il giorno appresso venne un famiglio mandato dal Cavaliero e li chiarì che l’padrone voleva ordinario da dir l’officio chiamato da spagnuoli a quel modo; allora il libraro con alquanto di rossore nel volto s’accorse del suo errore; pur da galantuomo se ne rise dicendo al famiglio in suo linguaggio ch’aveva fatto una coioneria e gliela contò per minuto pregandolo che non lo dicesse al suo padrone: ma se il famiglio l’ubbidì, credaselo altri. Onde si dee molto bene avvertire, QUANDO SI PARLA CON STRANIERI, A QUEL CHE SI DICE, PERCHÉ QUANTO NELLE DIVERSITÀ DE LINGUAGGI UNA SEMPLICHE [sic] EQUIVOCAZIONE È GRAZIOSA E PIACEVOLE, ALTRETTANTO UNA SINISTRA INTELLIGENZA CHE VI PUÒ ACCADERE È DISPIACEVOLE E PERIGLIOSA. (Costo [1596] 1989, 157–159; Hervorhebungen i.O.)106

Das Stilmittel der karikierten Mehrsprachigkeit bildet typischerweise die sprachliche Verwechslung aufgrund von Homophonie (hier sp. [a] rezar ›beten‹ versus vulgärsprachlich neap. arrizzare, it. rizzare ›stimulieren, erregen‹) – es sei an dieser Stelle an den anekdotischen Dialog zwischen einem Spanier und einem sardischen Bauer und das Gespräch zwischen Karl V. und einem sizilianischen Turnierreiter erinnert, die einander ebenfalls missverstehen (vgl. Zitat 25; Zitat 37).107 Die Novelle relativiert die Annahme von rezeptiven Kompetenzen seitens der Kommunikanten im Vizekönigreich, gleichwohl lehrt sie, dass Sprachbarrieren ganz pragmatisch gelöst wurden – und durch Dritte, das heißt Mediatoren, unkompliziert zu überwinden waren.108

6.4.5 Mikroanalyse: Druckwerke auf und mit Spanisch

6.4.5.1 Spanische Druckwerke

Die von Sánchez García vorgenommene Typologisierung der spanischen secentine (Sánchez García 2000) kann nach meinem Dafürhalten auch auf die cinquecentine übertragen werden.

Die erste Kategorie bildet Literatur zum unmittelbaren Konsum, die sich wiederum hauptsächlich in eine Sektion »literatura encomíastica«, zum Beispiel Panegyrika, Gebetbücher,109 Predigten,110 sowie in diejenige der »literatura noticiosa«, zum Beispiel Berichterstattung über Kriege, Naturereignisse111 oder Wunder aufspalten lässt. In diese Kategorie wären auch Druckwerke mit Aktualitäts- bzw. Lokalbezug einzuordnen wie der Dialogtraktat Pusilipo, ratos de conversacion, en los que dura el passeo. Al Ilustrissimo, y Excelentissimo Señor, El Señor Dyqve de Alcala, Marques de Tarifa, & c. Virrey, y Capitan general del Reyno de Napoles (Suárez de Figueroa 1629, bei Scoriggio)112 von dem aus Valladolid stammenden und äußerst produktiven Cristóbal Suárez de Figueroa.113 Im Prolog werden neun seiner Werke beworben, darunter der »Pastor Fido, buelto en Castellano« (Suárez de Figueroa 1629, a2v), der 1602 in Neapel und 1609 in Valencia erschien. Der Vorrede folgt ein Widmungssonett, überschrieben mit »La Nacion Española. Ala felicissima venida del Excelentissimo Señor Dvque de Alcala, Virrey deste Reyne de Napoles« (Ders. 1629, a3v).

Abbildung 43: Cristóbal Suárez de Figueroa, Pusilipo ratos de conversacion, en los che dura el passeo, Neapel 1629, Titelblatt.

Abbildung 43: Cristóbal Suárez de Figueroa, Pusilipo ratos de conversacion, en los che dura el passeo, Neapel 1629, Titelblatt.

Ein pragmatisch-juristisches Druckwerk auf Spanisch bzw. eine Verteidigungsschrift, die den Stadtcharakter auf andere Art offenbart – hier geht es um die Frage der Zulässigkeit von Prostituierten in den castillos der Stadt – und zudem womöglich aus Zensurgründen in Pozzuoli erscheint, ist Anastasio Uberte Balaguers La obligacion preuenida con su Primera y Segunda Respuesta a vn papel manuscrito de 3. de Iunio de 1677 en que vn moderno da absolutamente por licito el permiso de las rameras en los castillos de Napoles y contra otro del mismo autor […] (1678, bei Fasulo).114

Abbildung 44: Anastasio Uberte Balaguer, La obligacion preuenida, Neapel 1678, Titelblatt.

Abbildung 44: Anastasio Uberte Balaguer, La obligacion preuenida, Neapel 1678, Titelblatt.

Die zweite Gruppe bilden aufwendige Drucke und Premiumdrucke, die unter anderem Propagandazwecken und der vizeköniglichen Selbstdarstellung dienen. Hierunter fällt beispielsweise die auf Pergament gedruckte, zwei- und großbändige, voluminöse Trostschrift El Trivmpho del desengaño, contra el engaño y astucia de las Edades del Mundo para todas profesiones, y para todos estados, compuesta en esta ocasion de ausencia y ociosidad por Don Fernando Matute, Consultor de los Virreyes, Protector del Patrimonio en el Reyno de Sicilia (Matute 1632, bei Scoriggio).115 Der Paratext ist dreisprachig: Latein, Spanisch und Italienisch wechseln in Episteln und Lobsonetten einander ab. Der Autor nimmt im Text zum Status und zur Verbreitung des Spanischen in Italien wie folgt Stellung:

[85] No me ha parezido á mi […] pensar que es tan oculta, la nuestra lengua española, que ya no sea muy comun, siendo su imperio tan ancho, Italia la sabe bien, que ella govierna en Italia, lo que España tiene en ella, que son tres grandes estados, donde es tan comun la lengua, de que yo puedo dar fee, i en los demas Potentados, me dizen que se platica, como la propia materna, a lo menos en sus camaras; en Roma se entiende bien, en Flandes es mas comun, por la ocasion tan antigua, de esercitos i presidios, de la nacion Española, Tambien me affirman che en Francia camina entre la nobleça, i en gran parte de Alemania […]. (Matute de Acevedo 1632, 46)

Ebenso ein Luxusdruck im repräsentativen Folio-Format ist die bebilderte, Karl II. gewidmete Geometria Militar en la cual se comprenden las matemáticas de la fortificación regular y irregular (Aragón 1671, bei Longo); Autor ist der Vizekönig von Neapel persönlich, Pedro Antonio de Aragón (1666–1671), der sich darin den Verteidigungsmaßnahmen Neapels widmet.116

Bemerkenswerterweise werden öffentliche Bekanntmachungen im Gegensatz zu Sardinien und Mailand nicht auf Spanisch in Neapel oder im Königreich verbreitet.117 Die vorherrschende Flugschriftenform in Neapel ist der meist einseitige, folgendermaßen strukturierte banno: Der lateinischen Oberschrift »Philippus Dei Gratia Rex, & c.« folgt die Instruktion auf Italienisch; der jeweilige spanische Vertreter setzt lediglich auf Spanisch seine Unterschrift darunter (»El Conde de XY«). Ebenso sind die vizeköniglichen Pragmatiken auf Italienisch oder Latein, nicht jedoch auf Spanisch verfasst.118 Die dominierende Verwaltungssprache im Druck ist in Neapel ohne Zweifel Latein, wie auch aus der obigen Tabelle resultiert (vgl. Tab. 24). Dennoch sind gemischte Drucke, die italienische und/oder spanische Passagen oder Texte enthalten wie die präsentierte mehrsprachige sizilianische Gesetzessammlung, die fälschlicherweise als Lateinisch katalogisiert ist, grundsätzlich nicht ausgeschlossen und von Croce und Schwägerl-Melchior in der handschriftlichen Überlieferung nachgewiesen (Croce 1895; Schwägerl-Melchior 2014; vgl. Kap. 6.2.3.3. und Tab. 15).119

Darüber hinaus sind in der neapolitanischen Produktion Koeditionen120 registriert, das heißt Auftragsdrucke, die exportiert wurden,121 und umgekehrt importierte Nachdrucke von ursprünglich in Spanien erschienenen und offensichtlich für den vizeköniglichen Hof autorepräsentativen oder nützlichen Werken wie España defendida poema heroico […] quintas impression von Suárez de Figueroa (Suárez de Figueroa [1612, Madrid] 1644, 5. Aufl., Longo)122 oder El Secretario del Rey (Bermúdez de Pedraza 1696, bei Parrino),123 ein zuvor bereits in Madrid (1609, 1620) und in Granada (1637) publizierter theoretischer Traktat zum Sekretärsamt. Der Nachdruck des Jagdbuchs Aviso de cazadores y caza, ordenado por el doctor Pedro Nuñez de Auendaño, Letrado de don Yñigo Lopez de Mendoza tercero deste nombre […] impresso de nueuo por Tarquinio Longo (Nuñez de Auendaño 1619) [1543, Alcalá]) des renommierten spanischen Juristen Pedro Nuñez de Avendaño hatte laut Mondola »una indubbia funzione didattico-didascalica che ben si sposava con l’orrizonte culturale controriformistico secentesco.« (Mondola 2012, 334). Aus Herausgeber- und Produzentensicht wird deutlich, dass »pubblicare nella Napoli spagnola l’opera di un uomo di legge famoso come Avendano rappresentasse un motivo di sicuro prestigio e crescita culturale.« (Ders. 2012, 330).124

6.4.5.2 Übersetzungen vom Spanischen ins Italienische und vom Italienischen ins Spanische

Beachtlich ist die vergleichsweise hohe Anzahl von elf Übersetzungen vom Italienischen ins Spanische, die sowohl von Spaniern, aber auch von Italienern, meist entweder Kleriker oder Literaten, die daneben auch auf Latein schreiben, vorgenommen werden. Sie stammen aus unterschiedlichen Diskurstraditionen, wie etwa Lyrik und Dramatik, zum Beispiel:

–    Lagrimas de San Pedro (Tansillo 1613, bei Roncallolo) von Luigi Tansillo (vgl. Kap. 6.4, Anm. 48), übersetzt von Damian Alvarez »de la Orden de Predicadores de la Provincia de España«;125

–    El pastor fido (Guarini 1602, bei Longo/1622, bei Maccarano), Tragikomödie von Giovanni B. Guarini (Ders. 1590, Venedig), übersetzt von Cristobal Suárez de Figueroa.126

In die Rubrik der »literatura noticiosa« fallen zum Beispiel:

–    Relacion distinta de las vanas supersticiones y ayunos ordenados del Gran Señor en todo el estado ottomano Ameth Celin sultano, emperador del Oriente y Occidente […] traducida de idioma italiana en español, impressa en Nápoles, Milan, Genova, Barcelona y Zaragoza (Anonym 1686, ohne Drucker);

–    La libra de Grivilio VezzalmiTraducida de italiano en lengua Castellana. Pesanse las ganancias y la pérdidas de la monarquía de España en el felicissimo Reynado de Filipe IV. el Grande 1639 (Malvezzi 1639) von Virgilio Malvezzi, gedruckt »En Pamplona, y en Napoles« zweimal im Jahr 1639, einmal im Quart- und einmal im Duodezformat;127

–    Retrato del Privado Christiano Político deducido de las acciones del Conde Duque de Olivares de Virgilio Malvezzi, übersetzt vom Spanier Francisco Balboa y Paz (Malvezzi 1635, bei Beltrano).128

Ein Beispiel für religiöse Erbauungsliteratur stellt schließlich die Breve relazion de la milagrosa imagen de nuestra señora de la vitoria […] tradujose del idioma italiano a instancia y devoción del hermano Isidoro de S. Lucas carmelita descalzo […] (Anonym 1687, bei Parrino/Mutii) dar.

Von den elf Übersetzungen in die umgekehrte Richtung, das heißt vom Spanischen ins Italienische, seien eine politische Schrift, eine Hagiografie und eine Komödie herausgegriffen:

–    Catalogna dissingannata. Discorsi politici. Tradotti dall’idioma spagnuolo (1647). Dabei handelt es sich um eine gekürzte Fassung der erst ein Jahr zuvor bei Longo erschienenen knapp 500-seitigen Cataluña desengañada. Discursos politicos de D. Alexandro de Ros für ein offenbar rein italophones Lesepublikum.129

–    In der erfolgreichen Historia amplissima della vita, e miracoli di s. Agnello abbate, padrone, e difensore di Napoli […] Diuisa in tre parti, composta dal molto r.p.d. Martino Alfonso Viualdo spagnuolo i.c. e del Sacro Collegio theologo di Bologna maestro e dottore, e canonico regolare della Congregazione del Saluatore […] (Vivaldo 1595, 1596 und 1627 jeweils bei Maccarano) wurde die Widmung des Autors an den Vizekönig Henrique de Guzman im spanischen Original (Vivaldo 1595, 2r–4v) mit der sich direkt anschließenden Übersetzung ins Italienische (Ders. 1595, 5r–8v) belassen.

–    Il finto incanto. Comedia Spagnuola Tradotta, accresciuta, & abbellita dal Dottor Cesare De Leonardis di Serino (De Leonardis di Serino 1674, bei Passero); die notwendige Übersetzung begründet der Autor mit defektiven Spanischkompetenzen der Zuschauer in seiner Dedikation:

[86] Havendo dunque avuto fortuna di ammirare su’l maestoso Teatro del suo Palazzo di Avellino l’Echizo imaginado, opra Spagnola […] ho stimato di pregiudicarla non poco, quando una Comedia tanto famosa, e che tanto ha potuto meritare, andasse per le bocche di pochi, anzi pochissimi professori della lingua spagnuola, e non più tosto sotto gli occhi di tutti nel nobilissimo idioma italiano. L’ho tradotta dunque, acciò, che possa ciascuno contemplare col pensiero, quello, che non meritò di vedere, quando fu rappresentata (De Leonardis di Serino, zit. nach Marchante 2002, 66)

Dass es – in der Oberschicht – durchaus besagte »professori della lingua spagnuola« gab, bezeugen zum einen einige Italiener/Neapolitaner, die ihre Werke auf Spanisch in Neapel veröffentlichten130 und die für ihre Spanischkompetenz auch Lob ernteten wie beispielsweise Giovanni Domenico Bevilacqua, der sich in Sizilien ›hispanisierte‹.131 Über ihn heißt es in der Widmung der Komödie La Reina Matilda Tragedia de Juan Dominico Bebilacua (Pera 1597, bei Stigliola) von Alessandro Pera an Juana Pacheco:

[87] […] he tenido la Tragedia entre mis manos algunos días, tratándole que la hiciese imprimir, pues me parecía la obra no menos por la materia que por el estilo digna de ser vista y leída de personas entendientes: antes no poca maravilla me ha dado, que siendo él [autor, T.A.] Napolitan haya professado y acertado tanto en esta lengua, como lo que se ve. (Zit. nach Manzi 1968, 28)132

Zum anderen gab es auch eine Reihe von zweisprachigen italienisch-spanischen Drucken, die, wenn nicht beiden, mindestens einer der beiden Sprechergruppen dienten; sie setzen daher bilinguale Sprecher voraus bzw. sollten zur Verbesserung der Sprachkenntnisse beitragen, insbesondere die beiden Gebrauchsgrammatiken (vgl. Kap. 6.4.6).

6.4.5.3 Zweisprachige Druckwerke: Italienisch-Spanisch

Eine genauere Analyse der vergleichsweise beachtlichen acht zweisprachigen Druckwerke in italienischer und spanischer Sprache aus Neapel133 zeigt augenfällig den gleichartigen pragmatischen Zweck auf: Es handelt sich bei allen um Traktate für den lokalen Gebrauch zur Perfektionierung eines Metiers oder einer Sprache, die im hispano-italienischen Kommunikationsraum Neapel zu verorten sind. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich in diesen zweisprachigen Drucken quasi keine metasprachlichen Indizien finden – außer einer prestigebegründeten Wertung und eines praxisbezogenen Hinweises134 – eine Tatsache, die entweder als Selbstverständlichkeit oder als Indifferenz gegenüber der Zweisprachigkeit interpretiert werden kann – und freilich auch in der jeweiligen Diskurstradition begründet liegt, die keine Erklärungen sprachlicher Art erfordert.

Neben zwei Grammatiken, die im nächsten Abschnitt eigens vorgestellt werden, erschienen zwei Abhandlungen zur Ritter-Ausbildung sowie die folgenden zwei Handbücher für den Sekretär:

–    Der Discurso sobre la carrera de la lanza armado y desarmado del Señor Don Diego Silbestre Cavallero Hidalgo montañes, y Soldado del Potentissimo, y Catholico Rey de Spaña [sic] […] En Lengua Toscana y Castellana a inteligencia, y beneficio comun, y del seruicio de su magestad (Silvestre 1602, bei Pace) von Diego Silvestre ist ein 70-seitiger Militärtraktat, der»tanto profitteuole à Caualieri« (Ders. 1602, 16) sei, wie es in der Lobrede von Giovan Serio auf den Autor heißt.135 Nicht nur der Text selbst, sondern auch die Widmung des Autors an Don Francesco di Castro ist zweisprachig gestaltet (links Italienisch, rechts Spanisch); dem Haupttext sind vier italienische Lobsonette von diversen Literaten vorgeschaltet (vgl. Kap. 6.4, Anm. 134).

–    Pedro Texedo Siçilia de Teruel veröffentlichte ebenfalls bei Pace 1678 die Escuela de principiantes, y promptuario de questiones en la philosophia de la berdadera destreça de las Armas, en que ban resumidas con demostraciones practicas, y especulatibas la maior parte delas prinçipales desta nobilissima çiençia / Scuola de’ principianti, e sommario di questioni nella filosofia della vera destrezza delle armi, nelle quali vanno compendiate con dimostrazioni prattiche, e speculative la maggior parte delle principali di questa nobilissima scienza […], die dem Vizekönig Neapels Marqués de los Veléz gewidmet ist.136

Abbildung 45: Texedo Siçilia de Teruel, Escuela de principiantes, y promptuario de questiones en la philosophia de la berdadera destreça de las Armas, Neapel 1678, Titelblatt.

Abbildung 45: Texedo Siçilia de Teruel, Escuela de principiantes, y promptuario de questiones en la philosophia de la berdadera destreça de las Armas, Neapel 1678, Titelblatt.

Die heutige Zimelie ist ein 89-seitiges bebildertes Lehrbuch des Fechtens, höchstwahrscheinlich für den Adelsnachwuchs (einer Ritterakademie?) mit zwölf integrierten Zeichnungen von Fechterpositionen und Schrittkombinationen, die jedoch nur auf Spanisch beschrieben sind; der Haupttext ist in zwei Spalten – links Spanisch, rechts Italienisch – und nach einem für die didaktische Zielsetzung typischen Frage-Antwort-Schema angeordnet. Die auf den 05.03.1678 datierte Widmung wurde vom Autor, der auf dem Frontispiz und in der Approbation als Ayudante im vizeköniglichen Dienst bezeichnet wird und nach dem Paratext porträtiert ist (Texedo Siçilia de Teruel 1678, a11v),137 in Palermo verfasst. Die Insel-Hauptstadt, und nicht Neapel, wie der Druckort suggeriert, führte auch zur Entstehung dieses »compendio« einer »nobilissima ziençia« [sic], das der mutmaßliche Sprach- und Fechtmeister Texedo Siçilia de Teruel »per impararla per breuità […] per li principianti […] in forma di Dialogo, con domandarli« (Texedo Siçilia de Teruel 1678, a8r) geschrieben habe. Im Leserhinweis führt er weiter aus:

Abbildung 46: Zweisprachige Beispielseite mit Fechtpositionen aus Texedo Siçilia de Teruel, Escuela de principiantes, y promptuario de questiones en la philosophia de la berdadera destreça de las Armas, Neapel 1678, 84f.

Abbildung 46: Zweisprachige Beispielseite mit Fechtpositionen aus Texedo Siçilia de Teruel, Escuela de principiantes, y promptuario de questiones en la philosophia de la berdadera destreça de las Armas, Neapel 1678, 84f.

[88] Questo conoscimento, e l’amistà, c’hò professato con alcuni affettionati in questa scientia nel Regno di Sicilia, e felicissima Città di Palermo, con l’occasione d’hauermi veduto dare qualche lettione al mio figlio, quando hò hauuto tempo doppo [sic] di esser venuto alla guerra di Messina, per ritrouarmi nel seruitio di Sua Maestà, mi obligò per attendere à questa obligatione, e sodisfare al desiderio degli amici di dare alla luce della Stampa queste linee nell’idioma Spagnuolo, & Italiano, acciocche le godano queste due Nationi, e particolarmente questa fidelissima Città [Palermo; T.A.]; già che con repetite instanze m’obligarono à stamparle, hauendole formate nel poco otio, c’hà permesso il Real seruitio, senza mancare alla mia più precisa obligatione […]. (Texedo Siçilia de Teruel 1678, a6r)

Das praktische Handbuch ist also ein eigentlich in Palermo zu verortendes Export-Druckwerk, das sich aus den dortigen Bedürfnissen heraus ergab – in seiner Zweisprachigkeit und seinem potenziell zweisprachigen Adressatenkreis nahm es definitiv eine Ausnahmeposition auf der als stark italianisiert deklarierten Insel ein (vgl. Kap. 6.2.5), fand aber höchstwahrscheinlich auch in Neapel Abnehmer, vor allem durch den Drucker Pace, der seine Stammkunden mit den entsprechenden Sprachkenntnissen hatte.

Zwei Handbücher für den Sekretär, von dem es einige Posten in Neapel gab,138 erleichterten die vizekönigliche Korrespondenz in beiden Sprachen und wurden beide bezeichnenderweise in Neapel auch nachgedruckt:139

1)  Pietro Venerosi präsentiert mit seinen Lettere Italiane, e Spagnuole […] All’Illustriss. Et Eccellentissa Signora D. Ana Carrafa dell Marra […] (Venerosi 1635, bei Maccarano; 1652, bei Longo) eine Sammlung von Brieftexten für verschiedenste Anlässe (zum Beispiel »Di Buone Feste«, 1–51; »D’Avviso di Morte« 198–211; »Di Raccomandationi«, 212–235, Venerosi 1635) an eine Vielzahl diverser realer Empfänger jeweils in italienischer und spanischer Sprache.140

2)  Nicolás Rossi y Samaniegos Briefsammlung Lettere Italiane, e Spagnuole di D. Nicolás Rossi, y Samaniego Segretario dell’Eccellentiss. Signor Duca della Regina. Con nuova aggiunta pertinente a Segretarij. Dedicate al […] Tiberio Petrarchini, professore nell’una e nell’altra legge (Rossi y Samaniego 1696, bei Mollo; bereits 1686 bei Monaco und 1696 bei Mollo) beinhaltet ebenfalls gesammelte Brieftexte, die teils als Musterbriefe gestaltet sind (»Al Señor N.N. mi Señor«), das heißt Cartas/Lettere und die dazugehörigen Respuestas/Risposte, zum Beispiel »de Fauor«, »de Pascuas«, »de Pesame«, »de Zeremonia« etc. In der Ausgabe von 1696 weist der »Libraro« Francesco Massari im Leserhinweis darauf hin, »d’aggiungerui nel fine alcune formole di Patente non più stampate, quali possono necessariamente seruire per uso de Segretarij, che attualmente stiano al seruitio de Prencipi« (Ders. 1696, a4).141

Interessanterweise gibt es noch drei weitere Drucke zur Geschäftskorrespondenz, die, kumuliert in der letzten Dekade des Seicento, bei denselben, wohl auf zweisprachige Texte spezialisierten Druckern erschienen und teilweise untereinander vernetzt sind.

Die große Besonderheit der Gramatica española (Perles y Campos 1689, bei Parrino & Mutii) von Perles y Campos, die im Anschluss an den vorliegenden Abschnitt näher beleuchtet wird, besteht in der Integration zweier »titulari Spagnuoli« am Ende der Spanischgrammatik (Ders. 1689, 323–336), wo auch ein im Leserhinweis angekündigter Wechsel von der toskanischen zur spanischen Metasprache stattfindet.142 Es handelt sich hierbei um Textbausteine bzw. Formulierungshilfen in der Briefgestaltung, also Vorlagen für korrekte höfliche Anredeformen (an offizielle Adressaten wie den Papst, Könige, Herrscher, Prinzen, Bischöfe, Präsidenten zum Beispiel von den Indias, Italien, Inquisitoren, Generalkapitäne usw.) in der Überschrift, im Brieftext selbst und mustergültige Unterschriften. So originell dieser Appendix scheinen mag, es ist ein Plagiat respektive eine geringfügige Adaptation143 der letzten Seiten von Juan Páez de Valenzuela y Castillejos Formulariensammlung Nuevo estilo y formulario de escrivir cartas misivas, y responder a ellas, en todos generos, y especies de correspondencias a lo moderno, conforme a el uso que oy se pratica […].144

Eben diese »Cortesia que se deve poner en el principio, medio, y sobrescrito de las cartas missivas« ist in einem weiteren – dreisprachigen – Druckwerk für den Sekretär enthalten, das zehn Jahre später gedruckt wird: Die anonyme Scelta di lettere italiane, spagnuole, e francesi di diversi classici autori overo il Segretario alla moda, E proprio all’uso d’oggi, Che contiene und Trattato intorno alla Prattica del Segretario, le Formole d’ogni genere di Lettere, col modo di spedir Patenti per gli Officiali, e Governatori, & altre particolarità [a] Capitan Giuseppe Mirto Signore dell’Olmo nelle Filette, Patrizio d’Eboli, & c. (Anonym 1699, bei Mutio) ist eine Zusammenstellung von drei existierenden Brief-Assistenten: Der italienische Teil (Ders. 1699, 1–114) entstammt dem Trattato del segretario (Costo 1604, Neapel)145 von Tommaso Costo, der selbst als renommierter Stadt-Sekretär und Schriftsteller tätig war.146 Der spanische Part (Anonym 1699, 116–143) ist ein Auszug aus Rossi y Samaniegos oben vorgestellten Lettere Spagnuole, e Italiane (Rossi y Samaniego 1692/1692, Neapel), an deren Ende wiederum die besagte »Cortesia« aus Perles y Campos’ Grammatik (Perles y Campos 1689, Neapel) eingefügt wurde. Die dritte Sektion bilden »Lettere nella lingua italiana, trasportate in Francese del Gabriele«147 (Anonym 1699, 144–177). Hier sind im Gegensatz zu den spanischen Briefen die Briefe in beiden Sprachen gegenüberliegend abgedruckt. Auf den letzten Seiten (Ders. 1699, 177–189) sind italienische »Patente per diversi Officiali« (zwei davon auf Latein) wiedergegeben. Die Auswahl diente wohl zusammenfassend als praktisches ›3-in-1‹-Nachschlagewerk zur Textproduktion für die für den Schriftverkehr mit den entsprechenden Ländern zuständigen Diplomaten.

Schließlich erscheint 1696 bei Parrino der bereits oben erwähnte, einsprachig spanische El Secretario del Rey von Francisco Bermúdez de Pedraza, ein später Nachdruck der spanischen Ausgaben (Bermúdez de Pedraza 1609/1620 Madrid; 1637 Granada). Hier geht es weniger um die Schreibpraxis als um die Theorie des Sekretärsamtes, das (historisch) beschrieben wird, etwa die Notwendigkeit des Amtes sowie die Auswahl und die Qualitäten wie die Integrität eines guten Sekretärs.

Ein streng genommen zweisprachiger Druck148 und der einzige des Korpus aus der Domäne der Religion sind auch die Panegiricos varios predicados por el Illustrissimo y Reverendissimo Señor D. Fr. Salvador Scallon del orden de nuestra Señora del Carmen, Opispo de Castelamar, del conseio de su magestad […] (Scaglione 1679), die ebenfalls im letzten Drittel des Seicento und wie zwei der oben genannten Titel bei Pace gedruckt wurden, der sich offensichtlich auf zweisprachige Texte spezialisierte hatte. Enthalten sind sechs Predigten: drei auf Spanisch, drei auf Italienisch.149 Bei der ersten, 1676 in der königlichen Kapelle Neapels vor dem Vizekönig Marques de los Velez gehaltenen Predigt entschuldigt sich der Autor Salvatore Scaglione, der 1678 Bischof von Castellamare wurde, für seine nicht einwandfreien Kenntnisse der spanischen (Predigt-)Sprache, da er Neapolitaner sei:

[89] Temeridad parze Excellentissimo Señor, hauiendo nacido yo en Napoles, sin hauer atrauesado los encumbrados montes, e impenetrables valles, que cercan el lardin [sic] de la Italia, que me atreua hoy, dando de mano mi idioma natiuo, emprender lenguaje tan ageno de mi corriente estilo en el pulpito: Pero los viuos deseos, con que le abrazo, y lo mucho que frisa con mi genio, disculparan el arrojo: ademas que la lengua del corazon, siempre es la mas genuina. (Scaglione 1679, zit. nach Toda y Güell 1930, IV, 338)

Geistliche, Ritter, Sekretäre und der adelige Nachwuchs, die eben als Adressaten identifiziert wurden, könnten auch zu den Käufern bzw. Modellbenutzern von spanischen Sprachlehrwerken gezählt werden, von denen zwei eigens in Neapel publiziert wurden. Hinzu kommen Literaten, Übersetzer und generell Sprachinteressierte/-gebildete. Auf alle Fälle muss es sich um einen elitären Rezipienten handeln, um einen gelehrten letterato, denn die Bildungssituation und die Sozialstruktur des 17. Jahrhunderts im ländlich geprägten Mezzogiorno lassen kaum mehr als drei bis fünf Prozent Alphabetisierte und/oder aktive oder regelmäßige Leser erwarten, von Buchbesitzern ganz zu schweigen150: Zeitgenössische Statistiken liegen nicht vor, aber nach Schätzungen hatte Süditalien im Seicento eine der niedrigsten Alphabetisierungsraten Europas. Auch noch 1871 – im Jahr des ersten offiziellen Zensus der Nation Italien – wurden 84,1% über sechsjährige Analphabeten gegenüber 59% in Norditalien registriert (vgl. De Matteo 1998, 66).

6.4.6 Mikroanalyse: zielgerichtete Zweisprachigkeit

Die beiden im Folgenden zu besprechenden Grammatiken bilden eine Klammer der italienisch-spanischen Grammatikografie in Italien.

Der hinlänglich bekannte, aber hinter den Osservationi della lingua castigliana (Miranda 1566) von Giovanni Miranda151 zurückstehende Paragone della lingua toscana et castigliana (Alessandri d’Urbino 1560, bei Cancer)152 gilt als erstgedruckte Grammatik Italiens mit toskanischer Meta- und spanischer Objektsprache. Angesichts der Tatsache, dass Süditalien bereits seit über 50 Jahren unter spanischer Herrschaft stand, scheint das Erscheinungsjahr spät, im europäischen Vergleich jedoch relativ früh: Die in Löwen publizierte Util y breve institution para aprender los principios y fundamentos de la lengua Hespañola (Anonym 1555) gilt als erste gedruckte Spanischgrammatik in Europa (vgl. Ramajo Caño 1987, 31, 234).

Die erst Ende des 17. Jahrhunderts gedruckte Gramatica española (Perles y Campos 1689) von Josef Faustino Perles y Campos wurde dagegen sowohl von der hispanistischen wie italianistischen Forschung bisher kaum beachtet.153 Nach meinem Kenntnisstand hat sich bislang nur Saéz Rivera näher mit dieser Grammatik beschäftigt, die er ebenfalls als »grámatica olvidada« (Saéz Rivera 2009) betitelt (Ders. 2007, 140–162; Ders. 2009, 91–97).154 Nicht nur aus buchhistorischer Sicht ist sie zu den Rara155 zu zählen, sondern auch sprachgeschichtlich stellt die Trouvaille in mehrfacher Hinsicht eine außergewöhnliche Hinterlassenschaft aus dem mehrsprachigen Regno di Napoli dar und ist ein echter Glücksfall für die vorliegende Arbeit (vgl. auch Ambrosch-Baroua 2013).

6.4.6.1 Giovanni Alessandri (1560): Paragone della lingua castigliana e italiana

Autor des Paragone156 ist Giovan Mario Alessandri d’Urbino, der Bischof in Kalabrien war und einige Zeit am königlichen Hof in Spanien verbrachte. Hier, nicht im Vizekönigreich Neapel, scheint er auch letztendlich Gefallen an der spanischen Sprache gefunden zu haben, wie er in der Widmung an den als bilingual ausgewiesenen und damit idealen Leser Don Antonio D’Aragona, Duca di Montalto (1543–1583),157 erklärt:

[90] […] nell’ampio & fertilissimo Campo delle lingue secondo il poter mio mi sono affaticato e fra l’altre vltimamente attorno il parlar Castigliano il quale per auer io auertito nella Corte di Spagna poco tempo fa esser copioso leggiadro & di molta autorità mi sforzai di impararlo non solo per vso come sogliono quasi tutti i forestieri (benche spesse volte imperfettamente) ma ancora per lunga lettione & osservazioni certissime. Et dopo l’hauer più volte trascorsi i migliori Autori, c’habbiano scritto in lingua Castigliana composi il presente Libro nel quale furon da me diligentemente raccolti i termini della medesima fauella, con farne & breue, & facile introduttione, senz’hauer saputo alcuno che prima di me in questa maniera n’hauesse trattato. (Alessandri D’ Urbino 1560, o.S.)

Sein autodidaktisches Sprachstudium bestand also in der mündlichen Praxis, vor allem aber in der intensiven Lektüre spanischer Autoren, aus denen er angeblich pionieristisch ein einführendes Regelwerk konzipierte.158 Angedachte Nutznießer der Lernergrammatik sind sowohl Italiener als auch Spanier. Didaktischer Anspruch des Autors ist es, »che speditamente si vedese la simiglianza & la differenza dell’una e dell’altra, & gli italiani il parlar Castigliano col Toscano & gli Spagnuoli il Toscano col Castigliano potessero più agevolmente apprendere.« (Ders. 1560, o.S.).

Abbildung 47: Giovanni Mario Alessandri d’Urbino, Paragone della lingua toscana et castigliana, Neapel 1560, Titelblatt.

Abbildung 47: Giovanni Mario Alessandri d’Urbino, Paragone della lingua toscana et castigliana, Neapel 1560, Titelblatt.

Weder im Paratext noch im Text, zum Beispiel in Form von Beispielen, stellt Alessandri jedoch intertextuelle Bezüge zu Neapel, den Neapolitanern, Spaniern und der dortigen Sprachkontaktsituation her. Eine einzige Bezugnahme zu Neapel findet sich in den Beispielen zu den Indefinitpronomen »los«/»quelli«: »los de Napoles, los de Roma, los del consejo, come noi diciamo quelli di Napoli, quelli di Roma, quelli del consiglio« (Ders. 1560, 80). Von Interesse sind außerdem höchstens die im Redeteil der »nomi« über mehrere Seiten aufgelisteten weiblichen und männlichen toskanischen und spanischen Vornamen (inklusive Verniedlichungen wie beispielsweise »Margherituccia, Margheritina, Margheritella«) und Nachnamen (Ders. 1560, 58v, 58–60), die der Autor offensichtlich als notwendig für die Alltagskommunikation erachtete und die auch eine Verbindungslinie zur Gramatica española schaffen, in der sich ebenfalls eine Liste an Eigennamen und Diminutiva findet (Perles y Campos 1689, 240–243).

6.4.6.2 Josef Faustino Perles y Campos (1689): Gramatica española o modo de entender, leier, y escrivir

Ähnlich wie im Paragone apostrophiert auch Perles y Campos – über 125 Jahre später – sogleich als Einstieg in seine Gramatica española, o’ modo de entender, leier, y escrivir Spañol […]159 die Zweisprachigkeit des Bewidmeten, des Prinzen Andrea de Avalos:

[91] […] en tanto que mi libro, aunque pegueño [sic], es una gramatica, […] con explicacion Italiana, que siendo la casa de V.E. Española, y por los muchos años à que esta en Italia, gosa [sic] del Español y Italiano y costando de entrambas lenguas, este mi desvello, seguro es, que en Señor tan benigno, y apasible, cierto tendrà el enparo, y mas siendo de letras de quienes V.E. es tan aficionado. (Perles y Campos 1689, a4vf.)

Die individuelle Mehrsprachigkeit gilt selbstverständlich auch für den Verfasser der Grammatik selbst, Josef Faustino Perles y Campos – sein Sprachtalent, »[o]ptimus in linguis« zu sein, geht direkt aus dem lateinischen Vorwort »Pro Compositione Gramatica« (Ders. 1689, a11v) hervor. Darüber hinaus lässt sich der Autor aber nur aus den wenigen weiteren internen Informationen des Werkes selbst identifizieren, denn andere potenzielle Schriften mit seinem Namen (oder onomastische Variationen) sind nicht auffindbar.160 Laut Titelblatt ist der Autor »Spañol«, allerdings verrät bereits sein Nachname Perles y Campos seine katalanische Herkunft, die auch unter Rückgriff auf die unten besprochenen katalanischen Interferenzen verifiziert werden kann. Des Weiteren ist aus der von ihm unterzeichneten Widmung sein Amt als geistlicher Würdenträger zu erfahren: »Aficionado Servidor de V.E. y su mas humilde Capellan« (a5v). Die letzte Auskunft erteilt uns ebenfalls das in lateinischen Hexametern gehaltene Vorwort »Pro Compositione Gramatica«, in welchem das Pseudonym »Anagramma D. Caesaris Perri« (a11v) zu lesen ist.161

Bei der im handlichen Duodezformat (circa 12 × 19 cm) gedruckten Grammatik handelt es sich vermutlich um die einzige Edition, da nur wenige Exemplare katalogisiert und konserviert sind.162 Die Grammatik besteht aus einem 336 paginierte Seiten umfassenden Basistext – der Grammatik an sich –, dem ein 20-seitiger Peritext vorangestellt ist.

Abbildung 48: Josef Faustino Perles y Campos, Gramatica Española o’ modo de entender, leier, y escrivir Spañol, Neapel 1689, Titelblatt.

Abbildung 48: Josef Faustino Perles y Campos, Gramatica Española o’ modo de entender, leier, y escrivir Spañol, Neapel 1689, Titelblatt.

Tabelle 25: Aufbau und Inhalt der Grammatik von Perles y Campos 1689.

Tabelle 25: Aufbau und Inhalt der Grammatik von Perles y Campos 1689.

Die Grammatik im eigentlichen Sinn, das heißt der Teil, in dem grammatische Regeln vermittelt werden, umfasst drei Bücher, wobei Perles y Campos nach vergleichsweise kurzen phonetisch-phonologischen und morphologischen Exkursen (Libro I163 und Libro II) das größte Gewicht auf die Verbparadigmen (Libro III) legt – die dadurch fast drei Viertel des Buchvolumens einnehmen. Es folgen vier weitere Großkapitel, die jedoch nicht mehr als libri expliziert werden:

In der anthropozentrischen, alltagsnahen Nomenklatur in nicht alphabetischer Auflistung ist jeder Sachgruppe jeweils eine entsprechende Verbliste angeschlossen, was auf eine (partielle) Eigenkreation schließen lässt. Im Wortschatzteil taucht gleich im Anschluss an die Sachgruppe »Körperteile und Verben« eine interessante Liste an Eigennamen auf (240–243). Eine ähnliche ins Auge fallende Besonderheit findet sich im Libro II, Kap. V (36–38), das Perles y Campos wie folgt einleitet: »Perche molte volte nella conversatione non si può ben parlare, per non sapere li diminutivi, della propria lingua, hò risoluto soggiungere quì sotto alcuni« (36). Erstens wird damit seine Konzentration auf die mündliche Ausdrucksfähigkeit deutlich, gleichzeitig scheint ihm die richtige Verwendung von Kosenamen bedeutsam zu sein, von denen er 15 innerhalb dieser Diminutiva auflistet.

Es folgt eine Sammlung von 361 Sprichwörtern in quasi-alphabetischer Reihenfolge bis zum Buchstaben M164: Hierunter finden sich neben einigen Wettersprichwörtern lebensnahe Phraseologismen aus der lebendigen gesprochenen Sprache, die weniger der moralischen Erziehung dienen, als Vergnügen bereiten sollen, wie der Autor bemerkt: »[…] n’ ho tralasciata quella parte più dozinale« (a7). Wiederkehrende Motive sind der Dumme und der Weise, der Junge und der Alte und die Ehefrau.165 Schließlich beenden die zwei besagten »titulari Spagnuoli« die Grammatik (vgl. Kap. 6.4.5.3). Diese Textbausteine der Briefgestaltung sehen beispielsweise wie folgt aus:

Abbildung 49: Auszug aus der Nomenklatur der Gramatica Española o’ modo de entender, leier, y escrivir Spañol, Neapel 1689, 242f.

Abbildung 49: Auszug aus der Nomenklatur der Gramatica Española o’ modo de entender, leier, y escrivir Spañol, Neapel 1689, 242f.

[92] Al Emperador.

En lo alto de la carta antes de comencarla, se pondra S.C.C.M. en el discurso della: V.M.C. en el fin N.S. guarde la Sacra, Catolica, Cesarea, Real persona de V.M. y ensalce en mayores Reynos y Señorios. Acabada la carta la firma sin otras palabras.

D.N.N.

En el sobrescrito: A la S.C.C.R.M. el Emperador mi Señor N. (Perles y Campos 1689, 324)

[93] Al Virrei [sic] de Napoles.

En el alto de la carta, y en el discurso della, se pone Excelentissimo Señor, y en el sobrescrito: Al Excelentissimo Señor Duque, Marques, ò Conde, N. Virrey, y Capitan General del Reyno de Napoles. (Perles y Campos 1689, 333)

Mit diesem bereits oben vorgestellten Appendix löst Perles y Campos das dritte didaktische Versprechen des Titels der aktiven Schreibkompetenz (»entender, leier, escrivir Spañol«) ein und komplettiert das im Leserhinweis postulierte didaktische Programm: »acciò possa con l’acquisto di questo mio libro, haver tutto il necessario per esercitar tal lingua« (a7v). Obgleich der Verfasser diesen Teil nicht selbst kreierte, besteht sein Kunststück in der Integration desselben in seine Grammatik, die damit sicherlich bestimmten diplomatischen Notwendigkeiten nachkam.

Aus dem Leserhinweis »Benegno Lettore« (a6) lassen sich die Benutzungshypothesen des Autors herauslesen. Er legt den Hybridcharakter der Grammatik offen, bewirbt die didaktischen Ziele und Vorteile unter Bezugnahme auf bestimmte Benutzer, für welche diese Grammatik brauchbar sein soll. Im Gegensatz zu Alessandri d’Urbino thematisiert Perles y Campos den Sprachkontakt und die damit verbundene Kommunikationsproblematik im Königreich Neapel. Gleich zu Beginn des Leserhinweises erläutert er, dass es sich Italiener als Mitglieder einer ›Literaturnation‹ nicht leisten können, auf Spanisch zu radebrechen:

[94] […] poiche essendo questo Regno sotto la protettione della Monarchia Spagnuola costituito; son certo ch’al digiorno ti farà necessario negotiar con Ministri di tal natione, quale, benche t’intendano, pure è disconveniente, che tu che sei letterato, habbi da discorrere esso loro con dissonanza sì grande di diversità di parlare, oltre che essendo fiorita questa natione di più bei letterati, ch’habbia ammirato il mondo; senza il lumiere di questa mia Grammatica, non potrai vedere le peregrine eruditioni, e addottrinati freggi di quei libri. (Perles y Campos 1689, a6f.)

Demzufolge ist Perles y Campos vorwiegend die aktive mündliche Kompetenz ein Anliegen, das Erreichen jenes Sprachniveaus, welches heutzutage mit ›konversations- und verhandlungssicher‹ (»entender«; »negotiare«; »discorrere«; »esercitare«) bezeichnet wird. Dieser Anspruch wird auch nochmals an anderer Stelle im Libro II deutlich (man beachte hier auch die beispielhaft gewählten Phrasen):

[95] Ma in questo del più, mis, tus, sus, e sono incapaci, dell’articolo, & indifferenti al genere, dicendosi: mi Cavallo es bueno, il mio Cavallo è buono, tu Creada se quiere casar, la tua serva se vvole maritare, su hija es fea, la sua figliuola è brutta; & in plurale mis Cavallos, tus creadas, sus hijas, Dicesi al contrario, el Cavallo mio, la Creada tuija, la hija suija, mà il primo modo di parlare, è più usato, & elegante. (Perles y Campos 1689, 35f.)

Ferner preist Perles y Campos die Klarheit und Knappheit seiner Gebrauchsgrammatik an, so auch im lateinischen Vorwort: »Hic rectus methodus vos; brevitate, docet.« (a11v), die sein Werk unter den anderen gedruckten hervorstechen lasse, welche das praktische Handbuchformat im Duodezformat zusätzlich unterstreicht:

[96] M’è ben nota, che sovra di ciò [la forza che hà nel Spagnuolo ciascuna lettera; T.A.] molti v’han scritto, onde di cotale gramatiche più d’una n’è sù le stampe comparsa; Mà niuna però ti hà apportata quella chiarezza, che io con questa mia hoggi ti reco. (Perles y Campos 1689, a7)

[97] Giachè oltre la Grammatica, io ti presento un picciolo trattato delle parti del corpo, Vestiti, Nomi proprii d’Officii, Frutti, Fiori, & c. chè ti daranno non poca faciltà per discorrere in tal lenguaggio. Et acciò che fossi con questo mio libro del tutto della nostra lingua informato; io ti ho anche dato in luce un picciol compendio di Proverbii Spagnuoli; quali se non son tutti, n’ ho tralasciata quella parte più dozinale, per non render tanto voluminoso il libro, che poscia non sarebbe più manuale, che è l’unico mio desiderio. (Perles y Campos 1689, a7)

Angesprochene bzw. potenzielle Benutzer(-gruppen), die aus dem Leserhinweis eruiert werden können, sind zum einen hohe Beamte, Räte, Sekretäre, Notare, eventuell auch Kaufleute – all diejenigen eben, die »negotiar con Ministri« (a6). »[A]mmaestrarti nella mia lingua« (a8) möchte der Verfasser ferner männliche, italienische Spanischschüler und -autodidakten, wie der lateinische Prolog verrät »Vos itali pueri, juvenesque, virique« (a11v). Wie konnte nun dieses Druckwerk von einem der genannten ›Bildungskonsumenten‹ genutzt werden? Einerseits als Lehr- und Lesebuch zum Spracherwerb des Spanischen, aber auch die umgekehrte Richtung des Italienischen für Spanier ist vorstellbar, wenn auch nicht vom Autor expliziert. Selbstverständlich konnten auch Belehrung und Unterhaltung einen Leseanreiz bieten – im Besonderen die Phrasensammlung, deren pädagogisch-moralischen Zweck Perles y Campos mit Absicht entfernte. Andererseits konnte die Grammatik als Nachschlage- und Kontrollbuch eingesetzt werden, und zwar zur sprachlichen Kompetenzkontrolle bzw. -verbesserung (zum Beispiel die Aussprachehinweise in Libro I; Verbformen; Diminutive; Sprichwörter), aber auch als mnemotechnisches Hilfs- und Übersetzungsbuch für Schreibende zur Textrezeption und -produktion durch den bereits erwähnten »titulario«. Die Grammatik ist infolgedessen als praktische Gebrauchsgrammatik zu betrachten, die reale zeitgenössische neapolitanische Benutzerpräferenzen und die sie steuernden Erfordernisse bzw. diejenigen, die der Autor als solche begreift (weil er wahrscheinlich ähnliche Einstellungen oder Erfahrungen hat), motivieren: Die ausführlichen Verbkonjugationen, die lebensnahen Beispiele im morphologischen Teil, der Alltagswortschatz mit terminologisch peripherem Wortmaterial, die Redensarten und die Musterbriefe für offizielle Anlässe setzen ein gewisses Vorwissen der Sprachschüler voraus und sind auf praktische (mündliche) Konversation und förmliche (schriftliche) Korrespondenz, kurz die Verfeinerung der Kommunikation auf verschiedenen Ebenen ausgerichtet.

Die Gramatica española verkörpert damit einen der seltenen mehrsprachigen Drucke Neapels des 17. Jahrhunderts, in dem sich fünf Sprachen, rechnet man den Paratext mit ein, widerspiegeln, nämlich Spanisch, Italienisch, Katalanisch, Neapolitanisch und Latein. Am deutlichsten zu beobachten ist dies am Reichtum der Interferenzerscheinungen, mit denen der Autor indirekt seine individuelle Mehrsprachigkeit preisgibt – besonders in der Übersetzung der Phraseologismen kreiert der Autor Irrtümer, wobei die nativen katalanischen Muster am stärksten durchschimmern. Allerdings lassen sich die Abweichungen im vorliegenden Fall eventuell vom Autor auf den (womöglich inkompetenten, nachlässigen oder unter Zeitdruck arbeitenden) Setzer, Korrektor oder Drucker (fremder Herkunft) verlagern. Das Druckwerk wurde auch nicht begutachtet – zumindest entbehrt es eines Erratums.

–    Lautliche Interferenzen sind zum Beispiel sp. sincuenta (13), visina (308); quinseta (310); merset (336) aufgrund von katalanischer Interferenz (seseo);166 sp. Nuova España (334), Rey Nostro (323) aufgrund von italienischer Interferenz; it. fuera (298) aufgrund von spanischer Interferenz; it. azienna (319), colomma (266), fatighe (317), fraola (268) aufgrund von neapolitanischer Interferenz.

–    Vom grammatischen System abweichend sind die verwendeten Futur- und Präsensformen, zum Beispiel it. haveranno (19), tenerai (313), ponemo (296), havemo (296) aufgrund von neapolitanischer und/oder spanischer Interferenz (vgl. Ledgeway 2009, 446–448).

–    Lexikalische Interferenzen liegen zum Beispiel vor in sp. tornoseme (Perles y Campos 1689, 297) und it. fora (Ders. 1689, 275) aufgrund von katalanischer Interferenz; it. bien (277), tiene (296) aufgrund von spanischer Interferenz; it. massara (251), zagarella (245; 308), arrappata (310), sacciare (301), magna (298), pagliaro (296) aufgrund von neapolitanischer Interferenz.

–    Als Hyperkorrektur ist die falsche Genuskongruenz in it. la pietra è forta (306), it. figlio tristo (297) zu werten; im phonetisch-grafischen Bereich ist zum Beispiel sp. bolza (308) katalanisiert.167

Zusammengefasst ist die Gebrauchsgrammatik eine der wenigen genuinen Zeugnisse mit philologischer Färbung. Auch wenn sie keinen Nachdruck oder eine zweite Auflage erfuhr und offensichtlich nicht stark genug nachgefragt wurde, ist sie vielleicht die bedeutendste secentina aus dem Korpus und ein gewinnbringendes Fundstück für die Regno di Napoli-Forschung, das erhalten geblieben ist – im Gegensatz zu definitiv unwiederbringlich verlorenen Werken wie dem oben genannten »libro spagnilo [sic] per imparare a scrivere« (vgl. Kap. 6.4.3) oder den Partimenti della lingua Castigliana, uniti con la Toscana von Titio Spano. Dieses im aufschlussreichen »Trattato secondo Degli avtori, vedvti a penna, iquali non sono anchora stampati […]« in der Libraria (Doni [1550] 1551, 275)168 des renommierten Polygrafen und Literaten Francesco Doni aufgeführte Manuskript hatte nicht das Glück – oder das geeignete Netzwerk von Produzenten –, in den Druck gebracht zu werden.

6.4.6.3 Epilog: Die italienisch-spanische Grammatikschreibung im Cinque- und Seicento

Die Spanischgrammatik von Perles y Campos ist tatsächlich lokal- und sprachkontaktinduziert, was man von den Best- und Longsellern, den Osservationi della lingua Castigliana (Miranda 1566) von Juan de Miranda und der Gramatica spagnola, e italiana […] (Franciosini 1624) von Lorenzo Franciosini meiner Meinung nach nicht unbedingt behaupten kann. Sicherlich beweisen sie das Interesse am Erwerb der spanischen Literatur- und Bildungssprache in Italien, das sich anhand einer Primärquelle demonstrieren lässt. So rät Annibal Guasco seiner Tochter in seinem Ragionamento […] a D. Lavinia sua figliuola, della maniera del governarsi ella in corte; andando per Dama alla Serenissima Infante D. Caterina, Duchessa di Savoia (Guasco 1586, Turin)169 nachdrücklich zum Spanischerwerb, der nur Vorteile gegenüber ihrer »padrona« berge (Guasco 1586, 36v–37v)170 haben würde – zum einen mittels der »dolce conversatione« mit »Dame Spagnuole«, zum anderen dadurch,

[98] […] che ti gioverà il legger buoni libri spagnuoli, massimanente quelli che io ti ho dati ne’ quali s’insegnano le regole e i modi del Castigliano favellare: da i quai libri caverai ancora questo utile, il quale non potresti udendo solamente ragionar gli altri cavare, cioè che imparerai insieme à scrivere in essa lingua e correttamente; come dal sentir gli altri questa utilità riporterai che da i libri non riporteresti, cioè dalla pronunzia e de gli accenti che quella lingua (come l’altre i lor proprij) ricerca, i quali accenti & pronuntia non si possono se non dalla viva voce apprendere. (Guasco 1586, 37v)

Die gängige Argumentation, diese Grammatiken seien durch die spanische Präsenz bedingt,171 wird meiner Meinung nach durch zwei Überlegungen entkräftet. Erstens ist die Publikation dieser Werke kein wirklicher Beweis, denn während dieser Jahrhunderte entstehen europaweit, und auch in nicht von Spanien beherrschten Ländern (zum Beispiel in England oder Frankreich) viele zweisprachige Wörterbücher und Grammatiken für den Spanischunterricht.172 Zweitens sind die Grammatiken nicht unbedingt als Folge der spanischen Herrschaft zu verstehen, sondern vielmehr als Folge des Buchdrucks, für den sie gewissermaßen nach der wahren Explosion an Grammatikschreibung im Zuge der questione della lingua als eine Diskursinnovation – neben der Lexikografie gewissermaßen als ihrer Schwester – emblematisch stehen (vgl. Quondam 1982).

Der Wirkungsradius der Osservationi ist außerhalb Italiens durch Mirandas Nachahmer bzw. Plagiator César Oudin, »el más claro exponente de las publicaciones de español para extranjeros« (Sánchez Pérez 1992, 45), riesig, der wiederum in Frankreich, Deutschland und England weiterübersetzt und adaptiert wird. In Italien selbst ist ihr Erfolg allein aufgrund der Druckerei beschieden, erscheint doch die Grammatik in zwei Auflagen und acht Nachdrucken bis 1622 bei ein- und derselben Druckerdynastie in Venedig: den Giolito de’ Ferrari (1536–1606), die im Gegensatz zum ›latinistischen‹ Antagonisten und vom Papst protegierten Aldo Manuzio auf Texte im volgare spezialisiert waren, sehr schnell auf die Bedürfnisse des Marktes reagierten und für Qualitätsdruck mit relativ hoher (Start-)Auflage standen.173 Anders gestaltet sich der Fall Franciosini, der Miranda zeitlich ›ablöst‹. Der Italienisch- und Spanischprofessor ist bereits durch sein italienisch-spanisches Großwörterbuch (Franciosini 1620, Rom, in zwei Bänden) sowie als Übersetzer des Ingegnoso cittadino Don Chisciotte della Mancha (Ders. 1622, Venedig, bei Baba) bekannt und zeigt im Vergleich dazu seine Originalität in der Gramatica spagnola, e italiana […] (Ders. 1624, Venedig) eher als Plagiator bzw. Kompilator, betrachtet man den Rest des ›Raub‹-Materials.174 Zwar wird das Werk erstmals ebenfalls in der Druckkapitale Venedig publiziert, erscheint dann aber nach der zweiten Auflage in Rom und angereichert um einiges Zusatzmaterial inklusive einer Nomenklatur, in elf Editionen in ganz Europa bis 1769 sozusagen als ein Lehrwerkpaket.175

In beiden Fällen liegen also über Oudin verbundene Autorengrammatiken vor, deren Erfolgsursachen nur retrospektiv aufgedeckt werden können: Die Tatsache, dass sie beide die Namen renommierter Autoren und industrieller Drucker auf dem Frontispiz tragen und echte Alternativen, auch von spanischer Gegenseite, fehlen, können hierfür als textexterne Faktoren angeführt werden. Mirandas Werk ist (auch) das Ergebnis einer effizienten Verlegerstrategie, Franciosini ist (ebenfalls) das Ergebnis einer geschickten Plagiatur des bereits in Frankreich erfolggekrönten Oudin. Textintern kommt wohl eine ideale, rezipientenorientierte Mischung aus Handlichkeit, Übersichtlichkeit und Beispielfülle zum Tragen (vgl. Breva-Claramonte 2000, 19), die auch ein Direktzeugnis illustriert. So bezeugt Giovanni Pietro Cattaneo, Übersetzer des Il criticon, overo Regole della vita Politica Morale (Gracián y Morales 1685, Venedig) von Baltasar Gracián y Morales, die Konsultation des Wörterbuchs von Franciosini. Da er »ignaro affatto, anche dei rudimenti primi della lingua Spagnuola« sei, stelle sich für ihn die Übersetzungstätigkeit als »più difficile assai, ed assai più faticoso di quello che pensai« (Graciány Morales 1685, a2r) heraus:

[99] […] poichè volendolo tradurre con acuratezza, e fedeltà, mi conveniva, poco meno, che ad ogni riga, ricorrere al Dizionario del Franciosini, quale benchè il più copioso di quanti ne siano alle stampe, era manchevoli di molti, e molti vocaboli: ondè hò stancati quanti amici hò avuti intendenti della lingua Spagnuola, e molti nazionali, e non è bastato, perché alcuni non gli hanno saputi esplicare […]. (Gracián y Morales1685, a2rf.)

6.4.6.4 Die Gegenperspektive – Francisco Trenado de Allyon (1596): Arte muy cvriosa por la qval se enseña […] la Lengua Italiana

Mit den beiden Bucherfolgen von Miranda und Franciosini ist meines Erachtens auch zu erklären, warum die Produktion von Italienischgrammatiken für Spanier zwischen 1596 und 1771 völlig brachliegt.176 Erschwerend kommt hinzu, dass sich Spanien nie auf dem internationalen Buchmarkt profilierte und selbst Schwierigkeiten hatte, den lokalen Bedarf zu decken, folglich stets vom Ausland abhängig war (vgl. Pettas 1995, 1). Denn es lässt sich genauso die Frage aufwerfen, ob in Spanien Regelwerke für Italiener, Spanier oder beide Adressaten gedruckt – und/oder nach Italien importiert – wurden. Die Erstedition des Vocabolario de las dos lenguas (Las Casas 1570) von Las Casas erschien bekanntermaßen erstmalig und angesichts der eben konstatierten Passivität Spaniens im Buchdruckwesen überraschenderweise in Sevilla 1570 (sowie erneut 1583 in Sevilla), bevor es seinen Siegeszug dann insbesondere in Italien antrat.177

Abbildung 50: Francisco Trenado de Ayllón, Arte muy cvriosa por la qval se enseña muy de rayz, el entender, y hablar la Lengua Italiana, Medina del Campo 1596, Titelblatt.

Abbildung 50: Francisco Trenado de Ayllón, Arte muy cvriosa por la qval se enseña muy de rayz, el entender, y hablar la Lengua Italiana, Medina del Campo 1596, Titelblatt.

Tatsächlich scheint beim Aufschlagen der ersten, 1596 in Medina del Campo gedruckten Italienischgrammatik für Spanier auf den ersten Blick das Pendant der Gramatica Española vorzuliegen.

Die Arte muy cvriosa por la qval se enseña muy de rayz, el entender, y hablar la Lengua Italiana, con todas las reglas de la pronunciacion, y acento, y declaracion de las partes indeclinables, que a esta Lengua nos oscurecen (Trenado de Allyón 1596)178 von Francisco Trenado de Allyón befindet sich ebenfalls in Randständigkeit, sowohl vom Entstehungszeitpunkt als auch vom Erscheinungsort her: Genauso wie die Perles y Campos-Grammatik stellt sie eine späte Erscheinung dar hinsichtlich des Faktums, dass die Spanier bereits knapp 100 Jahre in Italien weilten, obgleich sie als »un antecendente isolato« (Silvestri 2001, 15) am Beginn der Grammatikografie für Spanier steht. Auch die Tatsache, dass sie in einem eher unbedeutenden Druckort wie Medina del Campo erscheint, schafft eine Verbindungslinie zum ebenso entlegenen Druckort Neapel.179 Schließlich weist auch der Paratext eine deutliche Parallele zum Adressatenkreis der Gramatica española auf. In der Druckerlaubnis, die von »El Rey« persönlich, Don Luys de Salazar, stammt, wird die Utilität für spanische Entsandte wie Vizekönige und Botschafter betont:

[100] Por quanto por parte de vos Francisco Trenado de Ayllon, vezino de Villalpando, nos fue fecha relacion, que auiades compuesto vn Arte muy copioso, por el qual se enseña el entender hablar, y pronunciar la lengua Italiana: y atento que era muy vtil y necessario para los Vireyes, Embaxadores, y otros nuestros ministros, que imbiauamos a los negocios y cosas tocantes a nuestro Real seruicio, a los estados de Italia, nos pedistes y suplica stes fuesemos seruido de os mandar dar licencia, para le poder imprimir , y privilegio para le poder vender por tiempo de veynte años […]. (Trenado de Ayllón 1596, a3)

Es ist allerdings ein Trugschluss zu glauben, dass die Grammatik damit ähnlich sprachdidaktisch ausgerichtet sei wie die neapolitanische. Zwar wird die nützliche Zielsetzung im Titel und im Vorwort formuliert (die Stichwörter sind »entender«; »hablar«; »util«). Liest man im Paratext, das heißt in der Leservorrede weiter, erweist sich die Grammatik jedoch als literarisches Lehrwerk, in dem der Autor Trenado de Ayllón180 seine Reverenz für die prestigereiche toskanische Literatur(-sprache), insbesondere für Petrarcas »armonia de la poesia« erweist:

[101] Sabiendo yo curioso Lector, quam desseada es de entender, en España la lengua Italiana, por lo mucho que en ella esta escripto como en la Latina […] no quise perdonar a este nuevo trabajo: Con auer quedado no poco cansado quando acabe de declarar en Castellano las Rimas de aquel gran Poeta, y no menos Philosopho Francesco Petrarcha, parecien dome, que conesta Arte y con aquellas Rimas, aurè hecho dos cosas de grande aprouechamiento, para dar entera noticia en España de aquella lengua […]. Siendo la materia de estas rimas tan alta, y de tan admirables conceptos, que la dulçura, y suauidad, […]. (Trenado de Ayllón 1596, a6)

Ferner rät der Autor zu intensivem Buchkonsum:181

[102] […] si para estudiar la Grammatica Latina se gastan tres y quatro años, en muy pocos dias, que se gasten en esto, entenderan y gozaran con gran gusto la suauidad, y excellencia desta lengua [italiana, T.A.]. Aduertiendo al Lector, que el yr estudiando estas reglas, y leyendo en libros Italianos ha de ser todo vno, como acostumbran los muchachos a estudiar la Grammatica Latina, que despues de la Theorica y preceptos luego vienen a la pratica, y al vso de los preceptos dados leyendo libros, y exercitando los dichos preceptos, pues hablandola, y leyendola, se aprende qualquiera lengua […]. (Trenado de Ayllón 1596, 24r)

Unter Bezugnahme auf zwei Referenzwerke, nämlich »Petrarcha« als literarisches Modell und »maestro Nebrixa« als kanonisches Grammatikschema – zusätzlich wird an mancher Stelle auch Latein als Stützsprache herangezogen – bietet Trenado also faktisch eine Dokumentationsgrammatikografie bzw. sogar eher -lexikografie des Toskanischen des Trecento, mit Hilfe derer ein grammatisches Fundament und literarische Produktivität für Schreiber bzw. Literaten erreicht werden sollen. Seine zahlreichen »exempli del sonetto di Petrarca« aus dem 14. Jahrhundert stehen in krassem Gegensatz zu den aktualitäts- und anwendungsbezogenen Beispielen in Perles y Campos, der nicht autoritätengeleitet, sondern völlig losgelöst ist vom literarischen Paradigma und von bewusster imitatio.

Trotz einiger aufgezeigter Verbindungslinien befindet sich Trenados Arte – programmatisch schon der Titel – inhaltlich folglich ganz auf der bemboschen Linie und bleibt dem Orbit der questione della lingua verhaftet, während das Werk des mutmaßlichen Sprachmeisters Perles y Campos in jeder Hinsicht ›peripher‹ ist: Die Grammatik liegt an der Peripherie der Sprachdebatte, des internationalen Buchmarktes und nicht zuletzt im fast unentwirrbaren Netz von Abhängigkeiten der italienischen bzw. europäischen Grammatikografie namens Spanisch für Ausländer.182

6.4.7 Mikroanalyse: neapolitanische Druckwerke – zwischen Ein- und Mehrsprachigkeit(sideal)

6.4.7.1 Ein viersprachiges Sprichwörterbuch von 1636 – Floriati Mutii (1636): Prouerbiorum trilinguium

Ein laut Titel dreisprachiges, aber de facto viersprachiges Druckwerk stellt Floriati Muzios183 Sprichwörtersammlung Prouerbiorum trilinguium collectanea latina .S. Itala, et Hispana in luculentam redacta concordantiam Mutii Floriati […] labore et industria (Muzio 1636)184 dar, die neben einigen weiteren rein spanischsprachigen Titeln bei Scoriggio erscheint.

Abbildung 51: Floriati Muzio, Prouerbiorum trilinguium collectanea latina .S. Itala, et Hispana, Neapel 1636, Titelblatt.

Abbildung 51: Floriati Muzio, Prouerbiorum trilinguium collectanea latina .S. Itala, et Hispana, Neapel 1636, Titelblatt.

Der Autor hat sich laut Eigenaussage damit »keinen geringen und unbedeutenden Stoff (wie das Volk vielleicht meinen könnte) zur Förderung der Jugend vorgenommen« (Ders. 1636, a6).185 Das Werk ist folglich für den Unterricht bestimmt, denn die »wissbegierige« Jugend wird auch im lateinischen Paratext, bestehend aus Widmung, Leserhinweis und »monita«, also Ermahnungen für den Leser, mehrfach ins Auge gefasst. Dieser dient vor allem der Legitimation und der Nützlichkeit des Sprichwörterbuchs als Lehr- bzw. Memorierbuch durch mehrere Querverweise auf die Mehrsprachigkeit der Antike und den Bildungsauftrag griechischer Autoren an den Nachwuchs.

Alphabetisch zusammengestellt sind circa 2.000 Sprichwörter der »herausragenden drei Sprachen in der Gegenwart« (Ders. 1636, a5),186 so der Autor im Vorwort, sprich Italienisch mit den spanischen und lateinischen Äquivalenten,187 die auch typografisch bewusst durch Schriftmischung unterschieden wurden, beispielsweise:

[103] Buona è anco la torta dopo Pasqua.

Buenas son mangas despues de Pasqua.

Bona etiam offa post panem.

Maza post panem bona. (Muzio 1636, 31)188

Zum Teil sind aber auch neapolitanische Redensarten (bzw. Neapolitanismen)189 in die Sammlung eingeflossen, denen Muzio »eine nicht geringe Bedeutung« beimisst, »nämlich aufgrund ihrer Spitzfindigkeit, Leistungskraft und Fülle: Wenn nämlich der Neapolitaner etwas sagt und hervorbringt, scheint er nichts außer Sprichwörtern zu sagen und hervorzubringen« (Ders. 1636, a5),190 wie zum Beispiel folgendes Beispiel zeigt:

[104] A denarielllo [sic], à denariello, si fà lo carriniello.

Grano, à grano hinche la gallina el papo.

1 Flumina collectis multiplicantur aquis. Contrahe de multis, grandis acueruit erit.

2 Paruum paruo additum fit aceruum. (Muzio 1636, 7)

Aus Prestigegründen habe Muzio die neapolitanischen Redensarten jedoch

[105] […] ein wenig von ihrer eigentümlichen und einheimischen Mundart abgewandelt […] damit sie den Studierenden einer geschliffeneren italienischen Sprache besser gefallen und verstanden werden können: Deshalb habe ich sie (soweit es mir zugestanden wurde) mit etruskischem Glanz ausgeschmückt, aber ich habe jene dennoch nicht ganz in Laut und Klang verändert, damit sie nicht ganz und gar von der vaterländischen Bedeutung und Anmut des Sprichwortes weit entfernt zu sein scheinen. (Muzio 1636, a9)191

Entscheidend ist, dass die Argumentation des Paratextes auf einer Rückkoppelung an die Memorierpraxis der Antike beruht, nicht aber an die besonderen Bedürfnisse etwa von in Kontakt stehenden italienischen und spanischen »Knaben«, beispielsweise in einer gemeinsamen Schule in Neapel. An keiner Stelle wird deutlich, dass die Proverbia einer anderen als der neapolitanischen/italienischen/italophonen Sprechergruppe dienen; zudem ist nur der Unterschied der neapolitanischen Varietät zum vorherrschenden prestigereichen toskanischen Idiom der Rede wert – sprachliche Vielfalt wird also nur ästhetisch, nicht pragmatisch betrachtet. Die genaue Analyse der Interferenzphänomene, welche die textinterne Mehrsprachigkeit exemplifizieren, ist ein Forschungsdesideratum.

Die Phrasensammlung fügt sich mit dem neapolitanischen Anteil allerdings in eine Reihe weiterer Druckwerke mit bzw. auf Neapolitanisch ein, die im nächsten Abschnitt behandelt werden.

6.4.7.2 Ein gemischtes Wörterbuch – Fabrizio Luna (1536): Vocabolario di cinque mila vocaboli

Wie bereits eingangs erwähnt wurde, sind die sprachinterne Entwicklung, die diachrone Verwendung des Neapolitanischen in seiner literarischen Bandbreite sowie die damit verbundene Sprachreflexion sehr gut aufgearbeitet.192

1536 legte Fabrizio Luna in Neapel eines der ersten toskanischen Wörterbücher und zudem ein innovatives Werk vor, das Vocabulario di cinque mila vocabuli toschi, non men oscuri che utili e necessarij, del Furioso, Bocaccio, Petrarca e Dante nouamente dechiarati e raccolti da Fabricio Luna, per alfabeta ad utilita di chi legge, scrive e favella (Luna 1536, bei Sultzbach).193 Schon aus dem Titel geht die Kanon-Erweiterung hervor, aber der Literat exzerpierte nicht nur Ariost, sondern circa 40 weitere antike und zeitgenössische Autoren unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher sprachtheoretischer Auffassung – darunter Niccolò Machiavelli und Jacopo Sannazaro, dessen »volgare […] costituì il vero e solido punto di riferimento per gran parte degli intellettuali nella prima metà del secolo« (Montanile 2006, 25). Entgegen der bemboschen Linie194 vertritt Luna das Konzept einer Sprache »la quale io non contrasto come Toscha ma come la comune italiana che come sapete ogni lingua da sé è men buona ma la mescolata è la bella e perfetta« (Luna 1536, a3v).195 Sein Wörterbuch zeigt die bewusste Aufnahme bzw. Ausdrucksfähigkeit des (gesprochenen) neapolitanischen Idioms, das durch die umfangreichen teils anekdotischen Erklärungen mit Sprichwörtern, Synonymen oder Wortspielereien der Lemmata im zweiten Teil zum Vorschein kommt.196 Auch Fachwörter aus der Kanzleisprache, weniger aus den lateinischen Klassikern, und Hispanismen fließen mit ein, sind aber vom Autor nicht theoretisch expliziert. Hinsichtlich der Methodik und der Tatsache, dass »questa […] nova fatica« (Ders. 1536, a3v) wenig rezipiert und nicht erneut gedruckt wurde197, kann Luna als ein recht isolierter lexikografischer Vorläufer gelten – erst knapp 250 Jahre später erschien das erste (etymologische) Wörterbuch des Neapolitanischen.198

Während bereits ab den 1570er Jahren auf der Ebene der volkssprachlichen Unterhaltungsliteratur zahlreiche (teils italianisierte) »canzune«, »villanelle«,199 »farse«, »gliommeri«, »arie alla napoletana« gedruckt wurden (vgl. D’Ascoli 1996, 46–54),200 beginnt die eigene Literaturproduktion im neapolitanischen Idiom im Seicento zu florieren: »The period of the early seventeenth-century is undoubtedly one of the most important, if not the most important, in the literary history of Neapolitan. It is the era in which a movement to legitimize Neapolitan begins.« (Moro 2004, 48).201 Vor allem der neapolitanische Schriftsteller und der Hofpoet Neapels, Giambattista Basile202 und Giulio Cesare Cortese, verhalfen ihrem Heimatidiom zum Rang einer – vor allem einer dem Toskanischen ebenbürtigen – Literatursprache. Den Beginn von Übersetzungen bildet Il Pastor Fido in lingua Napolitana (Basile 1628, bei Longo), der wie andere neapolitanische Drucke auch einen durchgängig neapolitanischen Paratext aufweist.203 Erst Ende des Jahrhunderts erfolgten weitere Übertragungen von Klassikern, allerdings immer Seite an Seite mit dem Original: 1699 erschien bei Mineco & Parrino die neapolitanisch-lateinische Version der Eneide von Nicola Stigliola Con l’aggiunta […] di un catalogo, in cui si spiegano alcune voci, e motti napoletani, die mehrere Nachdrucke erfuhr.204 Auch die Übersetzung Lo Tasso napoletano zoe la Gierosalemme libberata de lo sio Torquato Tasso votata a llengua nosta da Grabiele [sic] Fasano (Tasso 1689, bei Raillard) erschien zusammen mit dem italienischen Text.

6.4.7.3 Zweisprachige Druckwerke mit Neapolitanisch

Neapolitanisch wurde des Weiteren in bewusster Kombination mit anderen Sprachen in den Druck gebracht: La ghirlanda egloga, in napoletana e toscana lingua. Di Silvio Fiorillo comico, detto il Capitan Mattamoros (Fiorillo 1602) ist ebenfalls ein erfolgreiches zweisprachiges Werk (vgl. Moro 2004; Rak 1994, 231–238): Zwischen 1602 und 1652 erschienen fünf Editionen, auch außerhalb von Neapel.205 Im Leserhinweis seines zweiten bukolischen Gedichts L’amor giusto, egloga pastorale, in napolitana, e toscana lingua (Fiorillo 1604)206 erklärt Silvio Fiorillo, ein erfolgreicher Theaterschauspieler und Komödienautor207, im zweisprachigen Vorwort seine Absicht »[di] contraporre i pregi del napoletano […] alle affettazioni toscane« (Fiorillo 1604, zit. nach Bianchi/De Blasi/Librandi 1993, 114):

[106] Vuie sentarrite, la primma, e precepalmente cosa, Segnure miei belle […] cierte parole grosse, grasse, e chiatte, a doie sole, e tonne comme à ballane […] commo sarria à dicere […] craie, pescraie, prescrigne, ò üescozze […] ca vale chiù na scarpa cacata de no Napoletano (con leverenzia desse faccie vostre) che quanta Toscanicchie se trovano pe lo munno (Fiorillo 1604, 15f., zit. nach Moro 2004, 51)

Fiorillo kontrastiert also die beiden Sprachen, um die Leistungskraft der neapolitanischen Spontansprache – die Giovanni Del Tufo hingegen stark stigmatisierte (vgl. Kap. 6.4, Anm. 24) – hervorzuheben und damit dem Publikum Vergnügen zu bereiten.

Die in Fiorillo sehr expressiv ausgedrückte Verteidigung des Neapolitanischen findet ihre Fortsetzung in einer eigenen ausführlichen Schrift zur Statuserhöhung dieser Mundart mit dem programmatischen Titel Eccellenza della lingua napoletana (Tosco 1662).208 Die Hauptfrage, mit der sich der (pseudonymische?) Autor Partenio Tosco, ein selbsternannter »accademico lunatico«, auseinandersetzt, lautet: »Quale delle due favelle sia la più degna: se la Toscana o la Napoletana« (Ders. [1662] 1754, 215). Toscos – paradoxerweise auf Toskanisch geschriebene und im Vor- und Nachnamen selbst steckende – Beweisführung »dimostrando parimente l’idioma, non già goffo, ma dolce e più degno del Toscano« (Ders. [1662] 1754, 216) führt wieder zu den zwei Sprecherprofilen Neapels zurück, die in Kap. 6.4.2.2 ein Thema der Zeitgenossen waren. Interessanterweise flicht Tosco in seine Argumentation auch das vorbildhafte und prestigebesetzte ›Hochkastilisch‹ mit ein – allerdings intendiert er dasjenige »nelle Spagne« (und nicht etwa das in Neapel gebräuchliche). Von Bedeutung ist zudem der Hinweis auf die spanische Präsenz:

[107] Per questo in Napoli, dove si risieda sì numerosa la Nazione Spagnuola, tutto che abbiano la lingua si enfatica, non parlano Toscano, ma Napoletano; e per non esser Napoli Città di passaggio a’forastieri, com’è la Toscana, apprendono più quella, che questa: Tanto più che il parlar Napoletano si distingue, come in tutti gli altri linguaggi, tra la Nobiltà, e la Plebe: E se ponderiamo il parlar nobile Napoletano, è un parlar molto polito, e trattissimo a chi l’ascolta, togliendo solo l’asprezze la gorga, e certe voci strane de’Toscani: che però è parere commune de’ bell’ingegni, che l’ Tasso e il Marino, Soli del Ciel di Napoli, non scrisser’ in lingua Toscana, come il Boccacio, e l’Dante, ma in lingua Napoletana nobile, e sollevata, con buona coltura ben sì, per fuggir le voci della Plebe, come san particolarmente nelle Spagne, essendo più nobile, e degna la Castigliana. (Tosco [1662] 1754, 289)209

Das einzige Korpusbeispiel eines Druckes, in welchem Neapolitanisch und Spanisch bewusst zusammengeführt werden, ist schließlich die Opera nova dove si contiene vn dialogo ridiculoso d’vna Spagnola, & vn napolitano. Nouamente posta in luce per vn Giovane Siciliano, seruitor delle S.V. & amator di virtù (Anonym 1591).210 In diesem populären, scherzhaften (Vor-)Lesestoff auf zwölf Seiten (ohne Paginierung und Impressum)211 wirbt ein »povero gentiluomo« um eine spanische »forastiera«. Der Refrain beginnt stets mit der Formel »Bascio la mano de Vo Signoria Patrona mia« und sowohl die neapolitanischen als auch die spanischen Teile sind mit süditalienischen, toskanischen und spanischen Einflüssen – aufgrund von defektiven Kompetenzen, eventuell bewusst aber als Ironisierung und Karikatur des sizilianischen Verfassers – durchmischt. Aus den (süd-)italianisierten, lautlich-grafischen Adaptationen in spanischer Rede resultiert, dass der Schreiber (unter Umständen jedoch der Setzer/Drucker) nur ein Hörverständnis des Spanischen hatte: zum Beispiel »che« (que), »paresce« (parece), »sciesù« (jesù), »acqua« (agua), »forastiera« (forastera), »embiarme« (enviarme), »buele« (vuole/duele?), »allegria« (alegria), »piasentero« (placentero), »quella«, »dico« (digo), »aria« (aire), »star« (estar). Ebenso sind Hyperkorrekturen im Spanischen zu finden, zum Beispiel »hazeria« (haria) und »esto« (este in der Funktion eines Determinierers). Es gibt ferner zahlreiche Neapolitanismen aus dem Munde des Neapolitaners, der ansonsten das Toskanische verwendet, z.B »piccirillo«, »camarella«, »nisciun«, »cinco«, »zibetto«, »mo mo«; aber auch sizilianische Interferenzphänomene wie die Präsensform 1. P. Sg. von stare (»stoi brusciando«), das aber genauso hispanisiert sein könnte, diejenige von havere (»c’haio speranza«) sowie das sizilianische Konditional literarischen Typs »vorria«.212

Buchstäblich in Dialog treten also die beiden Idiome in der gedruckten Schriftlichkeit nur in humoristischer Funktion, so auch in neapolitanischen Theatertexten, in denen Gespräche zwischen Neapolitanern, Süditalienern und Spaniern fingiert werden und in denen somit eine Mimesis der Nähesprache stattfindet.213

Abbildung 52: Anonym, Opera nova dove si contiene un dialogo ridiculoso d’una Spagnola, & un napolitano. Nouamente posta in luce per un Giovane Siciliano, o.O. 1591, Titelblatt.

Abbildung 52: Anonym, Opera nova dove si contiene un dialogo ridiculoso d’una Spagnola, & un napolitano. Nouamente posta in luce per un Giovane Siciliano, o.O. 1591, Titelblatt.

6.4.8 Inszenierte Mehrsprachigkeit: Spanisch im Theater

Andrea Perrucci äußert sich in seinem in Neapel bei Mihele Luigi Mutio gedruckten bedeutenden Handbuch für zeitgenössisches Theater Dell’Arte rappresentativa premeditata ed all’improvviso (Perrucci 1699) in der »Regola VII« »Delle Parti de’ Capitan Bravi, & altre«214 wie folgt zum scherzhaften Einsatz unterschiedlicher Sprachen und Varietäten im neapolitanischen Theater:

[108] […] e tanti altri [parti di Capitan bravi, T.A.] oggi si pratticano in diversi linguaggi, havendoli alcuni fatti in Toscano, altri in Napolitano […] e molti altri autori pratticandolo per lo più i forastieri per deridere i Napolitani vanagloriosi, se ne sono fatti anche in Spagnuolo, in Romanesco, in Calabrese, ed in Siciliano. […] Quando si fanno [le bravure, T.A.] in lingua Napolitana non ci vuol altro, che tramutar la frase da Toscano, o Spagnuolo in Napolitano. Quando si fà in Spagnuolo bisogna farlo con decoro, perche questa nazione per ogni verso gloriosa, non patisce esser derisa, come lo soffrono l’altre; facendosi deridere i Napolitani per sciocchi, e linguacciuti; i Bolognesi per Ciarloni; i Veneziani per ridicoli; i Francesi per ubriachi; i Siciliani per garruli, e contenziosi senza alterarsi, anzi ne godono. Ma lo Spagnuolo riderà nell’ascoltare le brauure, ma non vuol vedere nella parte, benche finta, d’un soldato codardie, or daremo un picciolo esempio della Bravura Spagnuola. (Perrucci 1699, II, 273f.)

Die dann zitierte spanische Bravura215 des spanischen Soldaten beginnt mit der rhetorischen Frage: »No sabes quien soy? nò has mirado el balor de este brazo que véze los Pirros, los Anibales, […] los Ercoles.« Stolze Aufzählungen weiterer seiner kriegerischen Erfolge sowie seiner quasi übermenschlichen Kräfte (»mi cuerpo una fortaleza«; »mi brazos canones«; »mi valor temblor de todo el Mundo« (Perrucci 1699, II, 275) folgen.

Diese satirische Überhöhung des selbstgefälligen spanischen Soldaten, auf welche die Spanier nach Perrucci selbst besonders empfindlich reagierten, ist die übliche negative Charakterisierung, die bereits in erfolggekrönten italienischen Komödien des Cinquecento zu finden ist. Dabei handelt es sich im Übrigen um kein ausschließlich auf (Süd-)Italien beschränktes Phänomen: Die gleichen Funktionsweisen des stereotypisierten Spaniers lassen sich auch in Deutschland im 17. Jahrhundert während des Dreißigjährigen Kriegs beobachten (vgl. Tschopp 2010).216

Abbildung 53: Andrea Perrucci, Arte rappresentativa premeditata ed all’improvviso, Neapel 1699, Titelblatt.

Abbildung 53: Andrea Perrucci, Arte rappresentativa premeditata ed all’improvviso, Neapel 1699, Titelblatt.

In den weiteren Ausführungen zu fremdsprachlichen Passagen als komisches Stilmittel im Spiel wird Spanisch nicht als eine besonders prominente oder prestigereiche Sprache ausgewiesen, sondern reiht sich als eine unter vielen in das Varietäten- und Sprachenspektrum des neapolitanischen Theaters ein. So führt Perrucci in der »Regola XII« »Delle azzioni ridicole, gesti, travestimenti, scene di notte, e canzoni« aus:

[109] Le voci barbare sono concesse alle parti ridicole, storpiate da tutte le lingue, come nel fingere un Dottore, rompendo la testa a Prisciano quanto gli piace; un Turco col contrafare i loro saluti di Salamelech, Sabá, Iebundá, Iarasullá; de Tedeschi del Goth Morghen Mainer; de i Francesi col guì, guì, meti vottre Sciapon; De gli Spagnuoli Reniego de Barrabas, beso sus manos; servidor senor Alferez; De Fiorentini col oh oh ohi, tu mi rimiri io ti ripappo; De Genovesi con la meza lingua, e così di tutte le lingue, quali quanto più stravolgerà, tanto più darà nel ridicolo. (Perrucci 1699, II, 344f.)

Allerdings gibt es ein Indiz für eine mehrsprachige nähesprachliche Improvisationspraxis der Commedia dell’Arte in der populären Form der so genannten »Xaccara« – Perrucci zitiert in seiner Theatertheorie ein solches Gedicht, »ove è ridicolosamente misto lo Spagnuolo col Calabrese« (Ders. 1699, II, 348), in voller Länge:

[110] Xaccara, Calabrese, Spagnuola. Soy amante de na Quatrara, / Que me enciende con linda cara; / Ma despues ben haia crai; / Yo riniegiu quannu l’amai. / Mucha mbruoglia tiene á la ntragna, / Y por esso nchicchia, ed engagna; / Si na zica non há di pietad, / Mbiè chi servidi essa Beltad? (Perrucci 1699, II, 348)

Offenbar waren polyphone Passagen wie die »Xaccara«, Figuren mit gemischten Redetexten217 oder Szenen mit Spaniern populärer als Theaterstücke in reiner spanischer Sprache. Es gibt erstaunlich wenige in Neapel selbst gedruckte spanische Theatertexte: Die Propalladia aus dem Jahr 1517 ist ein sehr frühes Beispiel, ihre Druckgeschichte ging aber nur in Spanien weiter (vgl. Kap. 6.4, Anm. 72). Ansonsten wurden nur die beiden Übersetzungen aus dem Italienischen La Reina Matilda (Bevilacqua 1597) und El pastor fido (Suárez de Figueroa 1602; Ders. 1622) in der Kapitale veröffentlicht und spanische Theaterklassiker von Tirso de Molina, Félix Arturo Lope de Vega y Carpio und Pedro Calderón de la Barca bevorzugt ins Italienische übersetzt (vgl. Fabris 1996, 187). Der erste Beleg einer Oper in spanischer Sprache datiert gar erst auf das Jahr 1678.218 El Robo de Proserpina, eine »novedad hasta aquí no conocida en Nápoles« (aus dem Libretto, zit. nach Fabris 1996, 188), war für den 22.12.1677 vorgesehen, aber »por las dificultades que encontraron las cantadas en el insólito castellano, fue postergada hasta el 2 de febrero 1678« (Ders. 1996, 188), vermutet Fabris. Im Jahr 1681 wird die Oper, in der vier Figuren auftreten – ein Neapolitaner, ein Kalabrese, ein Liebhaber und ein Spanier – erneut gezeigt.

Mehrere Primärzitate belegen, dass Spanisch in Theaterstücken, die ab der Mitte des 17. Jahrhunderts auch von spanischen Theaterkompanien dargeboten wurden (vgl. Croce 1891, 88–107), vom Publikum nicht verstanden wurde. Der oben bereits zitierte Capaccio (vgl. Kap. 6.4, Anm. 16 und 21), äußert sich zur theatralischen Verwendung des Neapolitanischen und Spanischen in seiner Korrespondenz aus dem Jahr 1615 sehr kritisch:

[111] Tu hai perfettamente ragione intorno alle commedie. Meglio rappresentano gl’istrioni che non scrivano i commediografi. Intendo, i nostri commediografi […]. A che introducemmo il Napoletano, che goffamente parla nel suo dialetto, e, mentre chiacchiera con basso discorso e cade nel plebeo, col suo sordido carattere offusca di spiacevole nube la festività della commedia? […] A che lo Spagnuolo, la cui lingua non è nota a tutti e che è preso da costumi, che non sono i nostri? (Capaccio 1625, zit. nach Croce 1891, 81)

Capaccio stigmatisiert also das Neapolitanische als zu niedrig markiertes Register und beurteilt das Spanische als ungenügend vertrautes Idiom.

Auch die Komödie La palabra cumplida, el amor más que la sangre, y la cara aventurosa, rezitiert im Januar 1630 von jungen spanischen Adeligen, die am Hof residierten (vgl. Chaves 2007, 44), fand wenig Anklang beim neapolitanischen Publikum »essendo in lingua spagnuola e scabrosetta, e per essere recitata con qualche furia, come usano gli spagnoli« (aus einer Chronik von 1632, zit. nach Croce 1891, 103f.). Dennoch waren die Zuschauer fasziniert vom »superbo apparato« (zit. nach Chaves 2007, 44 und Anm. 21), den das Stück bot219 – Ausstattung, Kulissen und andere nonverbale Kanäle wie Gestik und Mimik machten die Kommunikationsproblematik offenbar wett.

Als letzter Nachweis für Sprachbarrieren soll die oben bereits vorgestellte Komödie Il finto incanto (De Leonardis di Serino 1674) dienen (vgl. Kap. 6.4.5.2), in deren Vorwort der Autor seine Übersetzung ins Italienische mit der Begründung rechtfertigt: »quando una Comedia tanto famosa, e che tanto ha potuto meritare, andasse per le bocche di pochi, anzi pochissimi professori della lingua spagnuola« (De Leonardis di Serino 1674, a3, vgl. Zitat 86).

Das aus diesen Zitaten zu ziehende Fazit, das den Bogen zu Status und Gebrauch des gesprochenen Spanischen schlägt (vgl. Kap. 6.4.2.2), lautet: Spanisch war in Neapel nicht gesamtgesellschaftlich ›in aller Munde‹, wie dies Croce behauptete und damit wohl die tatsächliche Mehrsprachigkeit der neapolitanischen Bevölkerung überschätzte (Croce 1891, 88; Ders. 1895, 18). Die Gegenmeinung vertritt Fabris, für den die Beziehungen zwischen Spaniern mit dem italienischen Publikum »casi nulas« (Fabris 1996, 187) gewesen seien. Er geht generell von einer Hierarchisierung der Sprachen aus:

El problema linguїstico no existía para la aristocracia (por razones de etiqueta y de ›relaciones públicas‹) ni para la categoría social de los ›doctores‹, empleados estatales que utilizaban como lenguaje burocrático escrito una mezcla de castellano y de napolitano que encontramos hoy en los documentos de archivo. […] Pero el resto de la población encontraba enormes dificultades para entender el español, al cual se oponía orgullosamente la lengua nacional, con claras motivaciones de identidad cultural y política. (Fabris 1996, 187)

Rekapituliert man die anhand der Druckwerke empirisch festgestellte Distribution der Sprachen in der gedruckten Schriftlichkeit und die daraus abzuleitenden Rezipientenschichten sowie die Geschichte des Sprachenbewusstseins, so bietet sich wohl eine gemäßigte Zwischenposition an.

6.4.9 Zusammenfassung

Die numerische Evidenz der spanischen Buchproduktion in Neapel – die knapp 1% im 16. Jahrhundert und knapp 3% im 17. Jahrhundert der Gesamtproduktion entspricht – führt zu dem Schluss, dass nur eine dünne Rezipientenschicht der regnicoli Spanisch verstehen, das heißt lesen (und selbst distanzsprachlich gebrauchen) konnte. Die diskurstraditionelle Verteilung der Drucke macht deutlich, dass es sich dabei in erster Linie um spanische und (süd-)italienische Kleriker handelte, die auch die größte spanische Immigrantengruppe der Stadt repräsentierten. Sie waren ohnehin von ihrer Ausbildung her mehrsprachig bzw. mehrschriftig und fungierten auch nicht selten als Übersetzer – die exzellenten Sprachkenntnisse des kalabrischen Bischofs Alessandri d’Urbino sowie des katalanischen Kapellans Perles y Campos, der wahrscheinlich von Berufs wegen als eventuell »entlaufene[r] Priester« (Glück/Häberlein/Schröder 2013, 344) nach Süditalien kam, evozierten sogar grammatikografische Tätigkeit. Als weitere große Produzenten- und Adressatengruppen bzw. als Bildungskonsumenten können die ebenfalls aus mehrsprachigen Institutionen stammenden spanischen oder reichsstämmigen Verwaltungsbeamten, höhere Militärangehörige und Universitäts- und Akademiemitglieder220 gelten. Für einige von ihnen, zum Beispiel Sekretäre und Ritter, wurden praktische Ratgeber bzw. Nachschlagewerke in beiden Sprachen veröffentlicht. Mit dieser vielfältigen zweisprachigen Produktion stellt sich Neapel hinter Venedig, das internationale Titel produziert, und hinter Mailand, das lediglich eine konstante zweisprachige Diskurstradition, die der gride, vorweisen kann. Auf Basis der gewonnenen Daten (sowie der korpusbasierten Studie von Schwägerl-Melchior 2014) ließ sich zwar nicht erhärten, dass die Zugehörigkeit des Vizekönigreichs zur Spanischen Krone »favorece el uso del español a partir del ámbito administrativo«, aber gewiss »entre las clases más altas de la sociedad« (Polizzi 2013b, 11).

Auf der Ebene der Sprachperzeption und -reflexion wird die neapolitanische Varietät in einer zweifachen Ausprägung bewertet: Die niedrig markierte Varietät wird als ›Volks‹idiom verhöhnt, die hoch markierte Varietät findet eine starke Befürwortung. In einer eigenen, allerdings auf Toskanisch verfassten Verteidigungsschrift wurde – auf ähnlich humorvolle Weise wie in Mailand (vgl. Kap. 6.3.7.1) – das Ziel verfolgt, die eigene Mundart gegenüber dem Toskanischen aufzuwerten und Hochneapolitanisch auf dieselbe Stufe zu heben wie Hochspanisch (vgl. Tosco [1662] 1745; Ders. [1662] 1984). Eine eigene Grammatik oder ein Wörterbuch zum Neapolitanischen wurde allerdings im 16. und 17. Jahrhundert nach derzeitiger Quellenlage nicht ausgearbeitet.

Über den Status und die Beherrschung der spanischen Sprache gibt es in den Korpus-Druckwerken und in den Paratexten selbst kaum Aussagen. Nicht einmal im Paragone della lingua castigliana e italiana (Alessandri d’Urbino 1560), einem genuin metasprachlichen Werk, gibt es konkrete metasprachliche Hinweise: Ohne einen spezifischen Adressatenkreis und ohne Interaktionsprobleme als solche zu explizieren, werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Italienisch und Spanisch dargeboten. Perles y Campos formuliert in der Vorrede seiner Gebrauchsgrammatik (Perles y Campos 1689) hingegen deutlich sein Ziel, die bereits vorhandenen, aber weder im mündlichen noch im schriftlichen Bereich (i.e. Titulaturen und Anredekonventionen) ausreichenden oder »galanten« Spanischkenntnisse seiner gebildeten Zielgruppe zu perfektionieren.

Auch wenn einige metasprachliche Kommentare eine Beherrschung der spanischen Nähesprache seitens einzelner Neapolitaner belegen, so überwiegen doch die Beispiele, in welchen das fehlende Hörverständnis und nicht vorhandene basale Kenntnisse der spanischen Sprache der Mehrheit der Neapolitaner zum Vorschein treten. Generell sind wie bereits in den vorherigen Kapiteln zu Sardinien, Sizilien und Mailand (vgl. Kap. 6.1, Kap. 6.2, Kap. 6.3) auch wenige Beispiele von (Para-)Texten zu registrieren, in denen sprachliche Kommunikation überhaupt als ein ernst zu nehmendes Problem wahrgenommen wurde – nicht einmal die zwei- und mehrsprachigen Druckwerke ›äußern‹ sich hierzu konkret und lassen auf einen pragmatischen Umgang mit Mehrsprachigkeit schließen. Sprachverschiedenheit erregte außer der Identifizierung der autochthonen Stadtvarietäten und der ästhetischen Kontrastierung von Neapolitanisch versus Toskanisch nur auf humorvolle und karikaturale Weise die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen, vor allem im Theater.

Zusammenfassend ist in Anlehnung an Abb. 41 das folgende neapolitanische Modell denkbar: Ein oberes Stratum der neapolitanischen Gesellschaft beherrschte Spanisch als Muttersprache oder aufgrund von Ausbildung, Berufspraxis und Mobilität als Fremdsprache auf hohem Kompetenzniveau. Ein unteres, nicht oder kaum alphabetisiertes Stratum beherrschte nur die eigene Muttersprache, sei es Neapolitanisch, andere italienische Varietäten (zum Beispiel Bolognesisch, vgl. Zitat 84) oder Spanisch (zum Beispiel die »bisoños«), kam aber dennoch mit anderen Sprachen und Varietäten in Berührung (zum Beispiel auf dem Markt, vgl. Kap. 6.4, Anm. 51). Dazwischen liegen passive bis aktive Kompetenzprofile unterschiedlicher Ausprägung: Die Abstufungen reichen von rezeptiv zwei- oder mehrsprachigen über bilinguale bis hin zu polyglotten Sprechern, Schreibern bzw. Produzenten und Rezipienten.221 Rekapituliert man die einzelnen Autoren- und Druckerprofile und korreliert sie mit dem niedrigen Alphabetentum im Königreich, so ist, wie auch in den anderen Kommunikationsräumen festzustellen war, insgesamt von einer elitären Mehrsprachigkeit im Spiegel des Buchdrucks in Neapel auszugehen.

1 Zur Geschichte des Königreichs vgl. ebenfalls Croce 1925; aus der umfangreichen neueren Geschichtsforschung sei auf Galasso und Muti verwiesen (Galasso 1994; Muti 2007). Büschges bietet einen komprimierten Überblick über die politische Struktur der Spanischen Monarchie (Büschges 2007, insb. 21–26).

2 Vgl. Croce 1891; Ders. 1898; Ders. 1917, insb. 149–171; vgl. Kap. 3, Anm. 41.

3 Der Autor spezifiziert: »Compervero in quel tempo [ca. 1645, T.A.] le prime compagnie comiche spagnole. La letteratura spagnola aveva qui le sue colonie. La lingua spagnuola era familiare nell’alta società, diffusa anche presso il popolo.« (Croce 1891, 88).

4 Unter Gesetzestexte fallen Bekanntmachungen, Erlasse und Pragmatiken. In den Gesetzestexten und in der Literatur findet eine gegenseitige Übernahme von Hispanismen bzw. Italianismen statt; in Theatertexten zusätzlich auch von Dialektalismen.

5 Vgl. Bianchi/De Blasi/Librandi 1992, insb. 645–652; Bianchi/De Blasi/Librandi 1994, insb. 649–658; De Blasi 1993, insb. 81–116; Ders. 2006; Ders. 2012, insb. 65–88.

6 Der in diesem Zusammenhang gern verwendete Terminus »letteratura dialettale riflessa« geht auf Croce selbst zurück (vgl. Croce 1927a, URL: http://lm39roma.altervista.org/materiali/Croce-Riflessa.pdf (Zugriff vom 10.12.2014); De Blasi 2010, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/usi-letterari-del-dialetto_%28Enciclopedia-dell%27Italiano%29/ [Zugriff vom 07.07.2014]). Zur neapolitanischen Dialektliteratur vgl. Galiano 1789; D’Ascoli 1996, 41–108; Malato 1996; Montanile 1996a; Sabbatino 1996; Haller 1997, 243–287; Moro 2004, URL: http://jps.library.utoronto.ca/index.php/qua/article/download/9164/6134 (Zugriff vom 10.09.2014); De Blasi 2006, 120–187. Auch die interne Sprachgeschichte des Neapolitanischen ist sehr gut erforscht, vgl. Ders. 2000, 120–207; Ledgeway 2009.

7 Vgl. Beccaria 1968; D’Ascoli 1972; Riccio 2005, URL: http://www.dentronapoli.it/Dialetto_Napoletano/Giovanna_Riccio_Ispanismi_nel_napoletano.pdf (Zugriff vom 10.07.2014); De Blasi 2012, 86–88 (D’Ascoli und Riccio unter Angabe eines etymologischen Verzeichnisses). Zu Katalanismen im Quattro- und Cinquecento vgl. Barbato 2000. Cristófol y Sel 2005 beleuchtet hingegen den spanischen Einfluss in der Morphosyntax des Neapolitanischen in diachroner Sicht.

8 LMU München, Sonderforschungsbereich 573 (2001–2011): »Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit (15.–17. Jh.)«, vgl. die Homepage http://www.sfb-frueheneuzeit.uni-muenchen.de/bzw. http://www.sfb-frueheneuzeit.uni-muenchen.de/projekte/c/c15.html (Zugriff vom 25.06.2014). Zur institutionellen Mehrsprachigkeit bzw. Verwaltungskommunikation vgl. Schwägerl-Melchior 2009; Dies. 2010, URL: http://www.sfb-frueheneuzeit.uni-muenchen.de/mitteilungen/M1-2010/schwaegerl.pdf (Zugriff vom 10.07.2014); Dies. 2014. Zur literarischen Mehrsprachigkeit vgl. Gruber 2009; Dies. 2010; Dies. 2014. Zur Predigtsprache (und der damit verbundenen Quellenproblematik) vgl. Kropp 2011. Des Weiteren die Beiträge zur Sprachenpluralität in Neapel in Krefeld/Oesterreicher/Schwägerl-Melchior 2013, 177–299. Kommunikationsraumbasierte Impulse zur noch ausbaufähigen Erforschung der Königreiche Neapel und Sizilien gehen von Oesterreicher 2004, Hafner 2009 und Hafner/Oesterreicher 2011 aus.

9 Beleuchtet werden die Reiche Valencia, Neapel und Neu-Spanien (Büschges 2007).

10 Zu ähnlichen Forschungsergebnissen kommt auch Schwägerl-Melchior, die das Spanische in der Verwaltung nicht explizit-exklusiv sanktioniert definiert (Schwägerl-Melchior 2014, 411, 416f.).

11 Die durch hohe Steuern der Bürger finanzierten Erneuerungen an der Stadtbefestigung und andere repräsentative Bauten führten im Jahr 1547 zu einer Revolte. Sie konnte zwar unterdrückt werden, die Spannungen dauerten aber fort. Ein Jahrhundert später (1647) rebellierte erneut das Volk unter der Führung von Tommaso Masaniello gegen die hohe Steuerbelastung (vor allem auf Getreide und Obst) unter dem Vizekönig Herzog von Arcos – der Aufstand breitete sich über neun Monate im Königreich aus und löste einen Bauernaufstand aus (vgl. Musi 1989).

12 Stellvertretend für weitere von Neapel faszinierte spanische Autoren sei nur Cervantes Diktum »Nápoles la ilustre« im Viaje de Parnaso 1612 genannt (vgl. Cirillo 1995, 70, URL: http://cvc.cervantes.es/literatura/cervantistas/congresos/cg_II/cg_II_07.pdf [Zugriff vom 10.09.2014]). Französische und englische Reiseberichte (vgl. Doria 1984 bzw. Seward 1986) legen ebenso davon Zeugnis ab, z.B. The Diary of John Evelyn, der Neapel 1645 besucht hatte und vom Stadtbild beeindruckt war: »The building of the city is for the size the most magnificent of any in Europe, the streets exceeding large, well paved, having many vaults and conveyances under them for the sulliage, which renders them very sweet and clean even in the midst of monasteries, and these the best built and adorned of any in Italy.« (Zit. nach Seward 1986, 267)

13 Der spanische Vizekönig fungierte quasi als Alter Ego des Königs. Ihm stand das wichtigste Gesetzgebungsorgan des Regno, der durch so genannte togati kontrollierte Consiglio Collaterale zur Seite, der sich wiederum in den Collaterale di Giustizia/di toga/di cappa lunga und in den Collaterale di Spada/di cappa corta aufspaltete. Ersterer Rat bestand aus den »reggenti di cancelleria«, die mindestens zur Hälfte spanischer Nationalität waren: Von 1507–1558 waren zehn von insgesamt 18 »reggenti« Spanier, im Zeitraum von 1561–1648 24 von 37 und ab 1649 16 von 33 (vgl. Muto 2007; Büschges 2007, 22f.; Schwägerl-Melchior 2014, 70–124). Ein Organigramm des Verwaltungsapparates der vizeköniglichen Regierung des Primo Seicento und eine Auflistung aller Amtsbezeichnungen und Jahresgehälter findet sich in Comparato 1974, 434–441. Ferner sei auf das Schaubild zur Verwaltung des Regno di Napoli und ausgewählter Kommunikationswege in Schwägerl-Melchior 2014, 124 verwiesen.

14 Vgl. Cortese 1965, 31–119; Gianfrancesco 2010, insb. 176–187, vgl. URL: http://www.academia.edu/3059305/Accademie_scienze_e_celebrazioni_a_Napoli_nel_primo_Seicento (Zugriff vom 10.10.2014).

15 Croce 1891, insb. 1–126; Prota-Giurleo 1962, insb. 78–118 und Fabris 1996 (URL: http://www.unizar.es/artigrama/pdf/12/2monografico/10.pdf [Zugriff vom 20.10.2014]) blicken hinter die neapolitanischen Theaterkulissen. Zur Praxis des »teatro di strada« im Dialekt vgl. Rak 1994, 99–124. In Bezug auf Musik vgl. Fabris’ detailreichen Überblick über Neapels musikalisches Leben im Seicento (vgl. Fabris 2007). Mit den »canzoni popolari« befasst sich Rak 1994, 47–97.

16 Capaccio, Giulio Cesare (1634): Il forastiero. Dialogi di Givlio Cesare Capaccio Academico Otioso […], Neapel, bei Domenico Roncagliolo, Permalink: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10052653-7 (Zugriff vom 10.09.2014).

17 Die in der Forschungsliteratur differierenden Einwohnerzahlen Neapels beruhen auf prästatistischen Erfassungen und sind daher stets als Schätzungen zu betrachten.

18 Der Status einer Metropole wurde mit Überschreitung der 50.000-Einwohner-Marke erreicht, was nur sehr wenigen Städten der vorindustriellen Zeit gelang, vgl. Cipolla 1980, 14 und 172.

19 Diese Zahlen bestätigen ungefähr auch Rother et. al. 2000, 158 (125.000 und 260.000 Einwohner im Cinque- respektive Seicento) und der zeitgenössische Autor Capaccio, der 300.000 »anime« Neapels taxiert (Capaccio 1634, 846). Furnari 1987 gibt 450.000 Stadtbewohner für das 17. Jh. an (Furnari 1987, 71). Der Neapel-Besucher Grangier de Liverdys (Journal d’un voyage de France et de l’Italie fait par un gentilhomme francais, Paris, 1677) äußert seinen subjektiven Eindruck, dass Neapel trotz der Pest »[…] non cessa di essere sempre assai popolata, giacché vi si contano ancora al presente più di quattrocentomila persone, fra cui s’incontrano Principi, Marchesi e Baroni e altre di ogni condizione, attratte dalla dolcezza dell’aria, dalla fertilità del territorio, dalla deliziosa situazione.« (Zit. nach Doria 1984, 11).

20 Vgl. die rezente Studie von Marino 2011 zu den Stadtbürgern unter spanischer Herrschaft.

21 Während Del Tufo in seinem ungedruckten Ritratto o modello delle grandezze, delizie e maraviglie della nobilissima città di Napoli (1588) eine Stadtbeschreibung in sieben »ragionamenti« darbietet (vgl. zur Biografie Contarino 1990, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/del-tufo-giovanni-battista_%28Dizionario-Biografico%29/ [Zugriff vom 07.07.2014]), lässt Capaccio im 1042-seitigen Il forastiero (1634) einen cittadino im Dialog mit einem forastiero die Stadt(-geschichte) in zehn Tagen erkunden (vgl. Kap. 6.4, Anm. 16; Marino 2006; Ders. 2011, 49–63). Bouchard dokumentiert seine Süditalien-Reise im handschriftlichen Journale II. Voyage dans le royaume de Naples (Bouchard [1632] 1977), dessen Quellen wiederum der Forastiero sowie die Descrittione del Regno di Napoli (Mazzella 1585) von Scipione Mazzella darstellen.

22 Bouchard unterteilt die »naturels habitants de Naples« lediglich in »la noblesse et le peuple« (Bouchard [1632] 1977, 260–263).

23 Die Kenntnis des bzw. Kritik am Mailändischen resultiert daher, dass Del Tufo sein Werk während eines Gefängnisaufenthaltes in Mailand niederschrieb (vgl. Del Tufo [1588] 2007, XVII).

24 Es fallen folgende Sprach- und Sprecherurteile mit direkter Redewiedergabe über »quel popolaccio, la plebe«: »dicono i popolan«; »parla più alpestre e duro«; »né profiran già mai nobil persone questo vocabolone«; »parlar caprigno«; »borbottando tra’ denti«; »pacchiano« (Del Tufo [1588] 2007, V, 329–339).

25 Die Unterscheidung entspricht ebenso der Wahrnehmung von Tosco (Tosco [1662] 1754, 289), der die Vermeidung der toskanischen Aspiration betont (zu Toscos Sprachverteidigung vgl. Kap. 6.4.7.3).

26 Beschrieben werden bspw. Geminierungen, Rhotazismus, Metaphonie, progressive Assimilation, Vokalisierung, Desonorisierung, etc.: »b – ils le changent en v, come les Espagnols: vocca pour bocca. Ils le redoublent souvent: subbito, habbiti, ammirabbile. Ils le changent en p: heppe, poteca, pour hebbe, bottega. […]. s – Quand il est double, ils le prononcent come sci et l’escrivent sh: neshuno, basho, bardasha, ashevolire […]. u – Ils le mettent presque tousjours devant les o longs: embruoglio, bruocoli.« (Bouchard [1632] 1977, 292; 295).

27 »Bref, leur parler est une continuelle musique de grave, d’aigu, de forte et piano, et de leger et tard, et il suffit d’ouir parler un Napolitain pour passer sa melancholie et rire à bon escient.« (Bouchard [1632] 1977, 291).

28 Z.B. »CRAI, domani […] MARIUOLO: injure que les autres Italiens attribuent particulierement aus Napolitains, à cause qu’ils l’usent fort entre eus, et signifie proprement un filou, un fourbe, un vaurien. […] CREIATO, servitore.« (Bouchard [1632] 1977, 297; Hervorhebungen i.O.).

29 Im Cinquecento weilten in Neapel circa 10.000 Mönche, außerdem circa 10.000 weitere geistliche Personen oder Mitglieder geistlicher Gemeinschaften (vgl. Nicolini 1934, 306); 1599 gab es 5.702 Brüder und Schwestern (vgl. Cipolla 1980, 98). Ein handschriftliches Dokument aus dem Jahr 1660 gibt die Zahl von 617 religiösen Einrichtungen in Neapel an, davon 248 Kirchen (vgl. Fabris 2007, 79). Vgl. auch die Auflistung der optisch beeindruckenden neapolitanischen Kirchen »qu’elles surpassent aussi en nombre celles de Rome« bei Bouchard ([1632] 1977, 251f.).

30 Es handelt sich um das 1589 gegründete Collegio della Concezione a Montecalvario, das sich in der Altstadt Neapels befindet. Bouchard nennt sechs Einrichtungen »de moines et moinesses espagnols« (Bouchard [1632] 1977, 252).

31 Siehe Capaccio über spanische Adelsfamilien in der Stadt (Capaccio 1634, 688–690).

32 Außer Dienern aus Frankreich, der Lombardei und Deutschland komme nach Neapel auch »alcun fuor di Spagna« (Del Tufo [1588] 2007, 508).

33 Die Beamtenstellen der hohen Verwaltungsinstitutionen wurden in Neapel »nach einem variierenden Schlüssel zwischen Spaniern und Italienern aufgeteilt« (Büschges 2007, 23). Vgl. hierzu auch Kap. 6.4, Anm. 13.

34 Gerade französische Zeitgenossen standen den Spaniern kritisch gegenüber: So zitiert Jacques de Villamont (Les Voyages, 1596) einen neapolitanischen Edelmann »lo Spagnuolo è troppo superbo e avaro, e non porta nulla nel Regno, ma ne porta via tutto.« (Zit. nach Doria 1984, 5) Auch Bouchard beanstandet den Widerwillen der Spanier gegen einen Stadtaufenthalt, die spanische Überheblichkeit, die Hass schürende Haltung gegenüber den Neapolitanern, die Vorliebe für Frauen und die Kriminalität der spanischen Soldaten mit dem Ergebnis »que le nom d’Espagnol à Naples passe aujourdhui pour nom d’oprobre et d’abomination« (Bouchard [1632] 1977, 257, auch 255–258).

35 »Etichetta« ist dabei selbst ein Hispanismus, vgl. Beccaria 1968, 192–195.

36 Sowohl Bouchard bestätigt den Kleidungsstil der neapolitanischen Frauen »à l’espagnole« (Bouchard [1632] 1977, 283), ebenso wie Maximilian Misson, dem auffällt: »Quasi tutti vestono alla spagnola, il vicerè si mostra poco.« Nennenswertes Produkt sei zudem »il tabacco di Spagna« (Voyage d’Italie, 1691, zit. nach Doria 1984, 13). Das von den Spaniern importierte bzw. adaptierte Modelexikon stellt nach Beccaria »[u]no dei settori notoriamente più ricchi di spagnolismi« (Beccaria 1968, 95) dar; vgl. Ders. 1968, 95–107.

37 Dazu sind z.B. die Übernahme des Titels »Don« in neapolitanischen Nachnamen sowie die Höflichkeitsformel »Bacio le mani, Vostra Signoria« zu zählen (vgl. D’Ascoli 1972, 11f.).

38 Zu den (Hyper-)Hispanismen als Stilmittel und Karikatur in der Komödie vgl. Beccaria 1968, 282–308; Richer-Rossi 2000; Gruber 2010, 212–215.

39 Der in Rom lebende und schreibende spanische Kleriker Francisco Delicado griff in seinem Retrato de la Lozana Andaluza (1528?, Venedig) das Thema der käuflichen Liebe in der ›hispanisierten‹ Stadt Rom auf (vgl. Gernert 1999). Zu Roms Demografie vgl. auch Cipolla 1980, 101–104.

40 Vgl. Amelang 2007, 433–436; Gruber 2014, 142–185.

41 Im Jahr 1517 publizierte Naharro in Neapel die Sammlung Propalladia, die sieben – allerdings am römischen (d.h. päpstlichen) Hof spielende – Theaterstücke enthält (vgl. auch Kap. 6.4.5).

42 Nach Beccaria handelt es sich dabei um den kuriosen Fall eines »extraterritorialen Regionalismus« (Beccaria 1968, 29–32). Vgl. auch Croce 1917, 230–233 und das Lemma »bisoño« im Tesoro de la lengua castellana o española (Covarrubias 1611, 138) von Sebastián de Covarrubias, vgl. Covarrubias 1611, URL: http://fondosdigitales.us.es/fondos/libros/765/16/tesoro-de-la-lengua-castellana-o-espanola/ (Zugriff vom 20.10.2014): »El soldado nuevo en la milicia, es nombre casual y moderno. Dióseles con esta ocasión: que pasando a Italia compañías de españoles, y no sabiendo la lengua, la iban deprendiendo conforme a las ocasiones, y como pedían lo necesario para su sustento, aprehendieron el vocablo bisoño que vale tanto como he de menester, y decián bisoño pan, bisoño carne, etc. Y por esto se quedaron con el nombre de bisoños« (Ders. [1611] 1995, 190). Zur Rolle der spanischen Soldaten in Neapel vgl. Croce 1927b, 107–142; zum »spirito militare« vgl. Ders. 1917, 197–208.

43 Die Bezeichnung »donna dei quartieri« glich bspw. einer Diffamierung (vgl. Ceva Grimaldi 1857, 587). Vgl. auch Bouchard: »en somme il Quartiero est l’habitation des Espagnols et des garces. […] Aussi les garces ne sont elles pas là dans le lustre ni dans l’estime qu’elles sont à Rome, estants releguées dans le plus vilain quartier de la ville, qui est la Coursia et il Quartiero d’i Soldati« (Bouchard [1632] 1977, 255; 284f.). Vgl. Pane 1975a; Ders. 1975b; Marselli 1987, 32; Furnari 1987, 78; De Blasi 2012, 66–68.

44 Nach dem Bauverbot außerhalb der Stadt 1565 kam es bis 1629 zu einer baulichen Verdichtung durch die florierende Wirtschaft und dem damit einhergehenden Bevölkerungszuwachs, so dass die Häuser auf fünf oder sechs Geschosse aufgestockt wurden (vgl. Furnari 1987, 71f.). Dies verdeutlichen auch die beiden berühmten Stadtansichten Neapels des in Rom zusammen mit Antonio Salamanca aktiven Druckers und Verlegers Antonio Lafrery (1566) (auch mit markiertem Zentrum der Quartieri Spagnoli abgedruckt in De Blasi 2012, 68) und von Alessandro Baratta (1629).

45 Da bis 1651 in Neapel Kasernen fehlten, mussten die circa 4.000 der von Pane veranschlagten 5.000 Soldaten – 1.000 kamen in den Festungsanlagen unter – in anderen Privatunterkünften beherbergt werden (vgl. Pane 1975b 170f.).

46 Stützt man sich auf die Annahme von Petraccone, die von 2.000 Bewohnern der Quartieri und 14,3% Soldaten ausgeht, so fällt der Anteil von ca. 300 Soldaten jedoch relativ gering aus (Petraccone 1974, 75).

47 Bouchard stützt sich dabei auf die Angaben aus der Descrittione del Regno di Napoli (Mazzella 1585, 263).

48 Tansillo war ab 1540 Mitglied der neapolitanischen Accademia degli Umidi und mit spanischen Autoren, u.a. Garcilaso de la Vega, befreundet (Volpicella 1870, VII–XI). Er versteht sich in seinen Capitoli giocosi e satirici (16. Jh.) sozusagen als Wahlspanier: »[…] sendo io spagnuol d’affezione Più che di patria voi« (zit. nach Ders. 1870, 363), was sich auch in seiner textinternen Mehrsprachigkeit bemerkbar macht, denn er karikiert sich selbst: »Luigi scrive castigliano! E che insalata è questa che fatta ave? Mescola l’ispagnuolo e l’italiano! Che nova fantasia, che nova baia A la bocca gli ha dato ed a la mano? Questa faccenda strana non vi paia.« (Zit. nach Ders. 1870, 23, vgl. Permalink: http://archive.org/details/bub_gb_H2M-FZUmi_kC [Zugriff vom 20.10.2014]) Vgl. zu Tansillo auch Boccia 2008, insb. 6, URL: http://www.fedoa.unina.it/3217/1/Tansillo_boccia_carmine.pdf (Zugriff vom 07.07.2014); Gruber 2014, 126–141.

49 Bspw. stammten die spanischen Soldaten des sizilianischen Heeres Ende des 16. Jh.s aus kleinen ländlichen Zentren Spaniens wie Medina del Rioseco, Medina del Campo, Villa Viciosa, Fuente a la Peña, Avila, Tordessillas, Peñafiel (vgl. Favarò 2005, 247, URL: http://www.storiamediterranea.it/portfolio/n-4-agosto-2005/ [Zugriff vom 10.07.2014]).

50 Neapolitanisch habe, so Bouchard, »[d]e la langue françoise […] retenu un nombre infini de mots, come aussi de l’arragonois et du castillan dont elle va aujourdhui achevant de se corrompre.« (Bouchard [1632] 1977, 292). Del Tufo berichtet, dass die Statue der Madonna Addolorata »vien portata da molti per le strade, detta dagli Spagnol la Solitade [aus dem Sp. soledàd, T.A.]« (Del Tufo [1588] 2007, VI, 472); auch die von Del Tufo wiedergegebene Farbbezeichnung für das Pferdefell des Rotfuchs »alazano« aus dem Sp. alazano (vgl. »il sauro metallino […] ch’alzan tostado lo Spagnuol lo chiama« (Ders. [1588] 2007, II, 111) gilt als typischer Hispanismus (vgl. Beccaria 1968, 90–92 mit weiteren Beispielen zu hippologischen Farbadjektiven).

51 Capaccio lässt den Städter sagen: »Che la copia di Fragole induca gli spagnoli a dir, com’io ho udito in Piazza Toledo, ›Valas me Dios; val mas esto che toda Espagna?‹« (Capaccio 1634, 939).

52 Zur Theorie der rezeptiven Mehrsprachigkeit vgl. Braunmüller 2001, und speziell im spanischen Italien vgl. Schwägerl-Melchior 2013.

53 Johann Boehme postuliert in seinen Gli costumi, le leggi et l’usanze di tutte le genti (1542, Venedig) in Neapel »per lo piú si va alla lingua spagnuola« (Boehme 1542, 156v, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10178629-2 [Zugriff vom 10.08.2014]; auch die Sprachbewertungen der anderen italienischen Stadtakzente sind interessant). Der Palermitaner Giuffredi apostrophiert in seinem in Kap. 6.2.3.5 vorgestellten Sprachlehrwerk ebenfalls diejenigen »Italiani che fioriscono nella vaga Lingua Castigliana, che questa nostra Patria Napoli gentile n’abbonda più, che Città d’Italia« (Giuffredi 1601, 49). Schließlich kommt auch der Cordobeser Gelehrte Bernardo José de Alderete in Del origen y principio de la lengua castellana o romance que hoy se usa en España (Alderete 1606, Rom,) zu dem Schluss: »Si bien no dexa la gente noble i principal por causa de los virreies en Napoles, i Palermo hablar la Castellana, de la qual en aquellos reinos an recibido muchos vocablos.« (Alderete 1606, 85, URL: http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ164540503 [Zugriff vom 22.09.2014]). In diesem laut Klein wichtigsten spanischen sprachhistoriografischen Beitrag des 17. Jh.s interpretiert Alderete die Wirkungsweise des Prinzips der »lengua compañera del imperio« von Nebrija dahingehend, dass er im süditalienischen Vizekönigreich einen bevorstehenden Sprachwechsel zugunsten des Spanischen voraussagt (im Königreich Valencia werde Arabisch substituiert) (Klein 1995, 295–302).

54 Diese wurde initiiert »nell’intento di formare direttamente a corte una generazione di impiegati e di letterati di cittadinanza napoletana« (De Blasi/Varvavo 1988, 244). Zwei Katalanisch-Lehrer wurden angestellt (Dies. 1988, 243).

55 So die eingangs bereits zitierte Auffassung von Croce einer ausgeprägten Hispanophonie Neapels (vgl. Croce 1895, 18). Für Schwägerl-Melchior 2013, insb. 275f., stellt das Konzept der rezeptiven Mehrsprachigkeit im spanischen Italien (mit Einschränkungen) die Mindestbedingung dar.

56 Vgl. zum Buchdruck im Quattrocento Giustiniani, der allerdings nur »quelle opere, le quali o per bellezza di stampa, o per rarità« sondierte (Giustiniani 1793, 12), Permalink: http://hdl.handle.net/2027/nyp.33433000822522 [Zugriff vom 10.08.2014]); Santoro 1984; zum Cinquecento vgl. Fava/Bresciano 1968; De Frede 1992.

57 Neapel stand von 1442 bis 1501 unter aragonesischer Herrschaft.

58 Knapp weitere 300 neapolitanische Inkunabeln folgten, die gemäß Santoro zu 69,5% auf lateinische, 22,4% auf italienische und auf 8,1% hebräische Titel distribuiert sind (Santoro 2008, 91 –93). Im Falle von Neapel stellt sich die sprachliche Verteilungssituation gerade entgegengesetzt zu der bspw. von Florenz dar und bleibt vom sukzessiven sprachlichen Vordrängen des volgare bzw. der Verdrängung des Lateinischen (noch) unberührt (vgl. Santoro 2008, 85). Unter den italienischen Titeln befinden sich bemerkenswerterweise Dantes Comedia (1474), Petrarcas Canzoniere (1477) und der Filocolo von Boccaccio (1478).

59 Im Jahre 1640 erschienen bspw. die zwei Gesetzesbände Libro primo bzw. Libro segundo de las leyes y pragmaticas reales del Reyno de Sardeña compuestas, glosadas, y comentadas des Sassaresen Francisco de Vico im Folioformat in Neapel »en la emprenta real« (Egidio Longo); erst ab 1714 wurden sie auf der Insel selbst nachgedruckt (1727, Cagliari; 1781, Sassari). Vgl. die biografische Notiz zu Vico, URL: http://www.filologiasarda.eu/catalogo/autori/autore.php?sez=36&id=638 (Zugriff vom 10.09.2014): »[Vico; T.A.] raccolse, per invito del governo spagnolo, le leggi e le pragmatiche emanate per la Sardegna dall’inizio della dominazione e propose nuove leggi adatte ai bisogni delle popolazioni sarde. Questa opera fu per circa due secoli il solo codice della Sardegna.« Auch die lateinischen Constitutiones regni Siciliae […] wurden in Neapel (Anonym 1552, bei Suganappo) publiziert.

60 Es ist die erste von insgesamt elf Verordnungen bis 1652: Im Jahr 1550 wird der Nachdruck von Flugblättern lizenziert; 1588 erfolgt ein Bestätigungserlass durch Duca d’Ossuna; 1591 werden Kanones für die Reichs-Druckereien herausgegeben, 1598 verbietet der Herzog d’Olivares Druckereigründungen ohne seine Erlaubnis (vgl. Di Cristofaro 2004, 253). Der Wortlaut der Erlässe des Seicento findet sich zum Teil in Giustiniani 1793, 162–165. Zur Zensur in Neapel im Cinque- und Seicento vgl. Lopez 1974.

61 Alife, Aversa, Campagna, Capua, Eboli, Nusco, Salerno, Sarno, Vico Equense (vgl. Zappella 1984, 31–34). Im 17. Jh. kommen elf weitere hinzu. Vgl. Di Cristofaro 2004, insb. die chronologische Auflistung und die illustrative Karte (Di Cristofaro 2004, 286–292, 285), welche als Korrektiv gegen die auf Basis von Borsa 1980 erstellte Karte von Quondam wirkt, die im Süden im Gegensatz zum dicht besiedelten Nord- und Mittelitalien kaum Druckorte enthält (Quondam 1983, 573f.).

62 Vgl. die Annalen von Giustiniani 1793; Manzi 1970; Ders. 1971a; Ders. 1971b; Ders. 1972; Ders. 1973; Ders. 1974; Ders. 1975; Zappella 1984; des Weiteren Di Cristofaro 2004; Santoro 1986, 46–57; Ders. 2008, 185–188.

63 Als die beiden einzigen Drucker spanischer Provenienz während der spanischen Herrschaftsperiode sind Ambrogio de Mançaneda und Juan de Caramuel Lobkowitz bezeugt. Ersterer »lavorò in Castel Nuovo, sede della corte vicereale, dove godette probabilmente della protezione dell’Alvarez, presidente della Camera della Sommaria, del quale sono pure le due uniche opere [latine; T.A.] da lui stampate nel 1543 e nel 1545« (Zappella 1984, 19). Rhodes mutmaßt, dass es sich bei de Mançaneda um einen Portugiesen handle (Rhodes 2004, 324f.). Ferner gründete der spanische Theologe, Bischof, Mathematiker und Philosoph Caramuel Lobkowitz (vgl. Albonico et. al. 2002, 459–461) zwischen 1657 und 1664 Druckereien in Campagna, Satriana und in Sant’Angelo le Fratte (vgl. Di Cristofaro 2004, 277). Lobkowitz ist bekannt durch sein Werk Syntagma de arte tipographica (Lobkowitz 1662), das mit Ausführungen zu handwerklichen und moralischen Aspekten des Buchdrucks eine der wenigen theoretischen Abhandlungen der Zeit darstellt (vgl. Romani 1988, 1–73).

64 So auch der Titel der Monografie, welche die typografische Aktivität in spanischer Sprache und die ideologische Selbstinszenierung der vizeköniglichen Regierung nachzeichnet. Ziel sei es, »[…] dar rilieve a la relación dinámica que se establece entre el grupo dirigente hispánico presente en Nápoles y la máquina cultural de la capital. Se trata de un diálogo continuo caracterizado por un plurilingüismo muy vivo y un trasvase sistemático de materiales y de ideas de un soporte a otro.« (Sánchez García 2007, 8).

65 Eine erste, auf Santoro basierende Typologisierung ausgewählter secentine auf Spanisch, die überwiegend aus den neapolitanischen Druckereien Scoriggio und Longo hervorgehen (Santoro 1986), findet sich bereits in Sánchez García 2000 (in leicht überarbeiteter Version Dies. 2007, 63–67). Santoro bildet auch den Grundstock für den ersten in Sánchez García präsentierten Katalog spanischer Titel (Santoro 1986; Sánchez García 2007, 167–187). Jüngst erschien der von ihr herausgegebene Sammelband zur spanischen (Literatur-)Sprache und Kultur in Neapel zwischen Renaissance und Barock im Spiegel ausgewählter spanischer Druckwerke (Sánchez García 2013; vgl. hierzu Kap. 4, Anm. 11).

66 Der benutzerfreundliche Katalog der Editoria ispanica nel Regno di Napoli (1503–1707) (EIRN) bietet paratextuelle Informationen, Kategorisierungen (z.B. nach »materia«), teilweise digitalisierte Frontispize und Verlinkungen zu Digitalisaten mit Volltext, vgl. URL: http://ispanica.unior.it/catalogo/Site/Presentation.aspx (Zugriff vom 10.08.2014).

67 Die Untersuchung basiert auf der Auswertung der ersten veröffentlichten Bände des Censimento delle edizioni del XVI secolo (Buchstaben: A–CH; C–G).

68 In Neapel (wie in Venedig) sind sogar »fruttivendoli« bezeugt, die ihren Kunden neben Obst auch Bücher zum Verkauf anboten (vgl. Lopez 1974, 74).

69 Aus Angst vor der doppelten Zensur wurden sie meist ohne Impressum gedruckt; die Auflage dürfte relativ hoch gewesen sein. Napoli rechnet z.B. eine Auflage von 1.000–2.500 Exemplaren der Revelationi di Santa Brigida aus (Napoli 1990, 378).

70 Die Autorin gibt keine Primärquelle für diese interessante spanische Schreibfibel an.

71 Ergänzend sei der 1585 in Vico Equense (ca. 40 km südlich von Neapel) erschienene dreisprachige Gedichtband Rime et versi in lode della iill.ma [sic] et ecc.ma s.ra d.na Giouanna Castriota Carr. duchessa di Nocera, et marchesa di Ciuita S. Angelo scritti in lingua toscana, latina, et spagnuola da diuersi huomini illust. in varij, & diuersi tempi, et raccolti da don Scipione de Monti (Monti 1585, EDIT16, CNCE 23540) aufgeführt. Der Autor Scipione de Monti war Literat und Dichter und stand in engem Kontakt zu Spaniern: »Fu anche capitano di cavalleria nel presidio di Otranto e Monopoli e tribuno delle milizie italo-ispane. Amico del Tasso.« (EDIT16, CNCA 3135, » Scipione de Monti«).

72 Das Werk erschien in Folio bei Giovanni Pasquet de Sallo, berühmt für »grossi trattati di diritto, di scienze e filosofia corredati di poche ma pregevoli illustrazioni« (Zappella 1984, 23). Mit diesem Drucker »si chiude il primo, più splendido periodo della stampa napoletana« (Dies. 1984, 23). Manzi nimmt an, dass Torres Naharro das Werk in Rom, wo er als erfolgreicher Komödienautor tätig war, konzipierte und zu schreiben begann, es aber im Exil in Neapel beendete und drucken ließ, da Torres Naharro eine Satire über den päpstlichen Hof verfasste (Manzi 1971, 240). Die Nachfolgedrucke sind zahlreich, bemerkenswerterweise jedoch nur in Spanien und Antwerpen erschienen (Sevilla 1526, 1535 und 1545; Antwerpen 1547/1548? beim Gelehrtendrucker Martinus Nutius, vgl. Kap. 6.5.1.1; Madrid 1563, 1573 und 1590), während in Italien und gerade in Neapel die Ausgabe von 1517 überraschenderweise die einzige Edition blieb (Manzi 1971, 239f.) und erst 85 Jahre später wieder eine spanische Komödie in Neapel erschien, nämlich El pastor fido, übersetzt von Cristobal Suárez de Figueroa, vgl. Kap. 6.4.5. Zur »Technik der Mehrsprachigkeit« in den Komödien von Torres Naharro (und Giovan Battista della Porta) vgl. Lievens 2013, 113–135 und ebenso Gruber 2014, 148–171.

73 Lo succedido ala armada de su magestad, e que es capitan general el marques de Sancta Cruz, en la batalla que dio à la armada que traya don Antonio en las yslas de los Açores (Anonym 1582, Neapel, bei Cancer) stellt mit einem Umfang von vier Seiten im Folioformat eine Flugschrift dar.

74 Vgl. Omodeo 1981; Santoro 1986; Bellucci 1984; De Nitto 1984; Fusco 1984; De Magistris 1989; De Matteo 1998; Santoro 2008, 185–188; Santoro 2013b.

75 Vgl. De Magistris 1989, 250 bzw. De Nitto 1984, 472. Santoro analysierte hingegen 2.758 Titel, die allein in der Biblioteca Nazionale di Napoli aufbewahrt werden (vgl. Santoro 1986).

76 Fast alle Drucker der Epoche wurden sanktioniert: Vitale landete auf Geheiß des Vizekönigs 1600 im Gefängnis, Carlino musste 1603 seine Tätigkeit ganz aufgeben, Pace kam 1603 in Bari in Arrest, Roncagliolo erhielt ein mit Bußgeld versehenes Druckverbot für einige Monate, da er Bücher ohne kirchliche Erlaubnis gedruckt hatte (vgl. Fusco 1984, 459f.).

77 Genauer: »nei pressi del gran piazzale ove settimanalmente si svolgeva il mercato ed al quale confluiva la gente della città e della campagna.« (Manzi 1968, XI). Bei Manzi findet sich die Abbildung von Via Toledo/Porta Reale aus der von Etienne Dupérac gestochenen und von Antoine Lafréry gedruckten historischen Stadtansicht Neapels (Lafréry 1566) (vgl. Manzi 1968, XII). Vgl. ferner die Abbildung »Napoli veduta Lafrery 1566« Lafréry 1566, URL: http://it.wikipedia.org/wiki/File:Napoli_veduta_Lafrery_1566.jpg (Zugriff vom 20.10.2014).

78 Bereits sein Vater war privilegierter Drucker für »Calendarij, diarij, chiaravalli e libri astrologici« und außerdem »gazzettiere« (Fusco 1984, 467).

79 Vgl. Cortese 1965, 163–220; Fusco 1984, 471. Speziell zu Bulifon vgl. De Caro 1972, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/antonio-bulifon_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 07.07.2014).

80 Genau 68 Titel stammen »ex officina sociorum Parrino & Mutii«, vgl. Santoro 1986.

81 Tarquinio/Egidio Longo nennen sich auch »stampatori camerali«. »En la Real Imprenta de Egidio Longo« ist in einigen Frontispizen zu lesen, so z.B. im Premiumdruck der Geometria militar (Aragón 1671).

82 Vgl. hierzu die jüngst von Santoro veröffentlichten Übersichten von Druckern und Verlegern Neapels von insgesamt 152 spanischen secentine (Santoro 2013b, 115, Tab. 6 und 116, Tab. 7). Ferner führt Sánchez García die spanischen Werke von Scoriggio (aber auch Porsile, de Bonis, de Thomas, Carlino, Parrino/Mutii, Vitale, etc. auf, vgl. Sánchez García 2000; Dies. 2007. In Nicola/Felice Stigliolas Programm (1593–1606) finden sich bspw. unter 82 Titeln nur zwei spanische Drucke: Die Tragödie des Neapolitaners Giovanni D. Bevilacqua La Reina Matilda (Bevilacqua 1597 – nicht in EDIT16 2014 katalogisiert) und die Oracion […] hecha en la muerte del Alto Rey de las Españas Don Phelipe […] (Filante 1599) (vgl. Kap. 6.4, Anm. 130).

83 Diese Tatsache ist auch mit der oben thematisierten fehlenden gewerkschaftlichen Organisation erklärbar.

84 Er veröffentlichte außerdem in Neapel den Dialog Pusilipo, ratos de conversacion, en los que dura el passeo (1622, bei Scoriggio). Ein ebenfalls in Neapel verfasstes Werk mit dem Titel Espejo de juventud gilt als verschollen. Ferner übersetzte und erweiterte er Tomaso Garzonis La piazza universale di tutte le professioni del mondo ins Spanische (Plaza universal de todas ciencias y artes, 1615, Madrid) sowie aus dem Portugiesischen die Historia y anual relación de las cosas que hicieron los padres de la Compañía de Jesús por las partes de Oriente y otras (1614, Lissabon).

85 Vgl. Guarini 1602, Permalink: http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ167218604 (Zugriff vom 20.10.2014). Erstmals wurde die Tragikomödie von Guarini 1590 in Venedig gedruckt. 1609 wurde das Werk in spanischer Übersetzung in Valencia publiziert; 1622 erfolgte eine zweite neapolitanische Edition auf Spanisch, 1628 die Übersetzung ins Neapolitanische von Domenico Basile bei Egidio Longo.

86 Vgl. Ahumada Mendoça 1641, Permalink: http://hdl.handle.net/2027/ucm.5317984770, (Zugriff vom 20.10.2014).Vom selben Autor stammen noch zwei weitere sermones auf Spanisch aus den Jahren 1642 und 1644 (vgl. Sánchez García 2007, 167, Nr. 3; Nr. 4).

87 Vgl. Bayarte Calasanz y Avalos 1677, URL: http://books.google.de/books?id=L5IXAGeDKtkC&pg=PP4&lpg=PP4 (Zugriff vom 20.10.2014).

88 Fadrique Moles verfasste ebenso die Relacion tragica del Vesuvio (Moles 1632, Neapel, bei Scoriggio).

89 So bevorzugte der Drucker Domenico Parrino in seiner Widmung an D. Luigi Francesco de la Cerda y Aragon des El Secretario del Rey (Bermúdez de Pedraza 1696) sein »proprio idioma, per più chiaramente mostrare la cordialità della mia umilissima osservanza.« (Bermúdez de Pedraza 1696, a15).

90 Der Sevillaner Pedro de Sant Domingo (1528–1606), Bruder im Konvent San Domenico von Neapel, wo er auch starb, erläutert in seinem autobiografischen Pilgerbericht El Devotissimo Viage de la Tierra Santa […] (Sant Domingo 1604, bei Vidal) im Leserhinweis die fachliche Hilfestellung eines spanischen Edelmanns: »No huuiera hecho estampar (aquest libro) si no fuera ayudado de vn Cavallero Español, el qual lo ha corregido, porque mi ignorancia no se estiende à tal atreuimiento, que osara à ponerse à stampar libros«. (Zit. nach Toda y Güell 1927, 544).

91 Das erste Viertel des 17. Jh.s stellt die niedrigste, das letzte Viertel die höchste Produktionsspanne dar. Auch die spanischen Drucke erreichen im Jahr 1632 mit vier Titeln den Jahreshöchstschnitt und werden ansonsten sehr ungleichmäßig produziert (vgl. Sánchez García 2000, 724).

92 Vgl. Bianchi/De Blasi/Librandi 1993, 105f. Vgl. ferner die Bibliografie gesammelter Werke anlässlich des Vesuvausbruchs von Furchheim [1897] 2011. Diese Drucke exemplifizieren das Potenzial von Krisen als ›Schaufenster‹ für Mehrsprachigkeit (vgl. Hafner 2011).

93 Sánchez García widmet sich den gedruckten »oraciones fúnebres del reino de Nápoles a Felipe II« (Sánchez García 2007, 43–62).

94 Santoro zählt 16 neapolitanische – ausschließlich literarische – Texte, darunter kanonische Dialektliteratur wie der Tasso napoletano oder Gian Battista Basiles Lo cunto de li cunti (Santoro 1986, 44f.).

95 Gemeint sind der italienische Dichter Torquato Tasso (L’Aminta, 1573; La Gerusalemme Liberata, 1575) und der neapolitanische Dicher Giambattista Marino (La Galeria, 1619; L’Adone, 1623).

96 In EDIT16 2014 sind 51 Editionen des besagten Ritterromans Amadis de Gaule verzeichnet, die alle in Venedig veröffentlicht wurden; nur zwei erschienen im Primo Cinquecento in spanischer Originalsprache (1519, Rom und 1533, Venedig).

97 Santoro referiert die Daten aus der bibliothekswissenschaftlichen Diplomarbeit von Maria Fusco, welche die in den neapolitanischen, französischen und englischen Bibliotheken tradierte neapolitanische Seicento-Produktion zusammentrug (Santoro 2008, 224, Anm. 75).

98 Davon weichen die Prozentzahlen der sprachlichen Distribution der von der British Library repertorisierten 746 secentine Neapels ab, und zwar deutlich bei den erfassten italienischen und lateinischen Titeln (66,7%: 30%), kaum jedoch bezüglich der spanischen Titel (3,3%) (vgl. Santoro 2008, 229).

99 Der Titel lautet: Dialogo e lettere amorose sopra la potenza d’amore (1625).

100 Die Pompe funerali celebrate in Napoli per Caterina D’Aragona, E Sandovale (Anonym 1697, bei Roselli) erschienen als Premiumdruck im Quart und sind eine umfangreiche Widmungsgedichtsammlung von 80 Beteiligten (vgl. insb. das Verfasserregister am Schluss, URL: http://books.google.de/books?id=jDSAIm9zFccC [Zugriff vom 10.08.2014]; vgl. Santoro 1986, 2, 146f.; Nr. 1, 254–256;).

101 Hier findet sich für die mehrsprachigen Druckwerke nur die kumulierte Angabe von 35 Titeln und keine Spezifizierung nach Sprachenpaaren.

102 Die lateinischen Editionen »costituiscono dei settori ›regole di ordini religiosi‹, ›patristica/sacra scrittura‹, ›diritto/dispute‹ e ›teologia‹ rispettivamente il 47,6%, l’81%, l’82,1% e l’80,4%.« (Santoro 1986, 46).

103 »110 delle 144 in latino fanno parte dei settori ›opere creative contemporanee‹ (85 presenze) e ›trattatistica retorico-grammaticale‹ (25 presenze, cioè il 49% dell’intero settore).« (Santoro 1986, 46).

104 Bei den von Santoro analysierten Katalogen handelt es sich um Bestände von Großbibliotheken, die für gewöhnlich auf die Sammlung administrativer Druckwerke keinen Schwerpunkt legen.

105 Der vollständige Titel lautet: Il fuggilozio di Tomaso Costo. Diuiso in otto giornate, nelle quali da otto gentilhuomini, e da due donne si raccontano diuersi, e non meno esemplari, che piaceuoli auuenimenti (1596, Neapel bei Carlino/Pace; in zweiter Auflage 1600 in Venedig bei Barezzi). Enthalten sind 422 Novellen, die an acht Tagen von acht Edelmännern, die in einem Haus am Meer am Fuße des Pusilippo residieren, erzählt werden. Costo (1545–1613) war Schriftsteller und Sekretär des Reichsadmirals Don Matteo di Capua (vgl. Lettere 1984, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/tommaso-costo_%28Dizionario-Biografico%29/ [Zugriff vom 10.07.2014]).

106 Theoretisch könnte es sich bei dem genannten Gebets-Libretto z.B. um das Handbuch Consuelo, y oratorio, y exercicio spiritual de obras deuotas y contemplatiuas, prouechosas a todo christiano (Anonym 1588b, Salviani) handeln (vgl. EDIT16, CNCE 59126). EDIT16 2014 verzeichnet mehrere religiöse Handbücher auf Spanisch.

107 Hier führen die Homophonien von sp. vino (›er kam‹/›Wein‹) – im Übrigen stuft Beccaria Verwechslungen mit sp. vino als äußerst frequent ein (Beccaria 1968, 304–308) – respektive von sp. plato (›Teller‹/›Geld‹) zur (tragischen) Komik.

108 Im Fuggilozio gibt es noch weitere Anekdoten, in denen Spanier involviert sind (vgl. Costo [1596] 1989, Kap. III, Nov. 108; Kap. VIII, Nov. 10) und die in Neapel (Kap. II, Nov. 39; Kap. III, Nov. 60; Kap. III, Nov. 90; Kap. III, Nov. 92), Rom (Kap. III, Nov. 89), Genua (Kap. IV, Nov. 56), auf Sizilien (Kap. IV, Nov. 35) und in Spanien spielen (Kap. III, Nov. 5; Kap. IV, Nov. 22; Kap. IV, Nov. 57; Kap. V, Nov. 14), teilweise mit direkter wörtlicher Rede auf Spanisch. In zwei fast identischen Situationen (Kap. III, Nov. 5; Kap. IV, Nov. 22) stellen sich ein sizilianischer Junge bzw. ein kalabrischer Diener in Spanien aufgrund der Verwechslung von »servidor« (süditalienischer Ausdruck für Verehrung oder ›zu Ihren Diensten‹, aber im Spanischen mit der Bedeutung ›Nachttopf‹) bloß.

109 Z.B. die Doctrina christiana del muy reuerendo padre maestro fray Domingo de Soto dela Orden de los predicadores, con vna exposiçion de los diez mandamientos tomada dela doctrina del muy reuerendo padre maestro Auila. Impressa enla muy noble ciudad de Napoles (1562, bei Scoto). Auch Juan Francisco de Guevaras Avisos y advertimientos de la diligencia que un señor deue usar en criar sus hijos (1602, bei Carlino) enthalten eine Doctrina Christiana (Guevara, 1602, 5–15).

110 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Werkschau der Santa Teresa, d.h. die neapolitanische Produktion ihrer spanischen und italienischen Drucke von Sánchez García 2007, 77–92.

111 Es entstanden folgende drei Berichte auf Spanisch: Relación trágica del Vesuvio (Moles 1632, bei Scoriggio) von Fadrique Moles; Brebe compendio del lamentable ynzendio […] (Grande de Lorenzana 1632, bei Roncallolo); Ampla, copiosa, y verdadera relacion del incendio […] (Sanz Moreno 1632, bei Scoriggio).

112 Vier Gesprächspartner – drei Spanier und ein Neapolitaner –, die dem Flair Neapels erlegen sind, unterhalten sich auf ihrem Spaziergang auf dem Posillipo, einem sechs Kilometer langen Hügelzug des gleichnamigen Stadtviertels südwestlich von Neapel mit Blick auf den Golf von Neapel. Das Buch ist durchweg auf Spanisch geschrieben. Nach dem Prolog folgt ein Lobgedicht auf den 1629 berufenen Vizekönig Fernando Enríquez-Afán de Ribera y Téllez-Girón: »La Nación Española, A la felicísima venida del Excelentísimo Señor Duqze de Alcalá, Virrey deste Reino de Nápoles.« (Vgl. Suárez de Figueroa 1629, URL: http://users.ipfw.edu/jehle/CERVANTE/othertxts/Pusilipo.pdf [Zugriff vom 10.09.2014]).

113 Vgl. den Artikel »Cristóbal Suárez de Figueroa«, URL: http://es.wikipedia.org/w/index.php?title=Crist%C3%B3bal_Su%C3%A1rez_de_Figueroa&oldid=77882215 (Zugriff vom 10.08.2014).

114 Uberte Balaguer 1678, URL: http://bvpb.mcu.es/es/consulta/registro.cmd?id=396951 (Zugriff vom 10.10.2014).

115 Vgl. Matute de Acevedo 1632, 2 Bde., Permalink: http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ176091104 und http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ176091207 (Zugriff vom 10.09.2014). Der Madrilene Fernando Matute de Acevedo war Rechtsprofessor in Salamanca und vizeköniglicher Berater in Sizilien (vgl. Pellicer y Pilares 1778, 5, URL: http://books.google.de/books?id=1SfJaRerPJsC&pg=RA1-PA5 [Zugriff vom 08.12.2014]).

116 Im Gegensatz zum Milanesado ist aber keine ausgeprägte Produktion im militärischen Bereich in Neapel zu verzeichnen. Einen der wenigen Militärtraktate stellt Francisco Antonio de Agurtos Tratado y reglas militares escritas por […] Francisco Antonio de Agurto, Marqués de Gastañaga […] (Agurtos 1685, bei Pitante) dar (mit Nachdruck 1695 in Barcelona).

117 Auch in der Sekundärliteratur gibt es keine Hinweise auf spanische Flugblätter oder Verwaltungsdrucksachen.

118 EDIT16 2014 registriert knapp 30 banni und um die 20 digitalisierte Pragmatiken, in denen die Sprachwahl verifiziert werden kann.

119 Eine genaue Verifizierung bzw. die Aufdeckung potenziell zwei- oder mehrsprachiger Verwaltungs- oder Rechtsdrucke kann nur durch Direktkonsultation in den entsprechenden Archiven und Bibliotheken erfolgen. Zu ungedruckten Verwaltungstexten vgl. das Korpus von Schwägerl-Melchior 2014, 125–407 und 420–482.

120 Z.B. Miguel Martínez del Villar: Discurso acerca de la conquista de los Reynos de Argel […], en Barcelona, por Sebastian di Cormellas y en Nápoles (Martínez del Villar 1619, bei Longo).

121 Z.B. die oben genannte Gesetzessammlung auf Geheiß der spanischen Regierung in Sardinien von Francisco de Vico (Anonym 1640, bei Longo), vgl. Kap. 6.4, Anm. 59.

122 Vgl. Suárez de Figueroa 1644, URL: http://users.ipfw.edu/jehle/CERVANTE/othertxts/Suarez_Figaredo_EspanaDefendida.pdf und URL: http://bdh.bne.es/bnesearch/detalle/bdh0000118044 (Zugriff vom 10.09.2014).

123 Vgl. Bermúdez de Pedraza 1696, Permalink: http://bdh.bne.es/bnesearch/detalle/bdh0000088413 (Zugriff vom 20.10.2014).

124 Ein Jahr später erschien ebenfalls bei Longo ein weiterer prestigebringender Nachdruck desselben renommierten Rechtsgelehrten Avendaño: »Per il valore di preziosa testimonianza del mondo della giurisprudenza castigliana, il De exequendis mandatis regum hispaniae era senza dubbio un valido supporto per quanti, nella Napoli del Vicereame, erano interessati ad approfondire la loro conoscenza del diritto spagnolo.« (Mondola 2012, 334).

125 Vgl. Tansillo 1613, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10268350-0 (Zugriff vom 10.08.2014).

126 Vgl. Guarini 1602, URL: http://users.ipfw.edu/jehle/CERVANTE/othertxts/Suarez_Figaredo_PastorFido_02y09.pdf und URL: http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ167218604 (Zugriff vom 10.08.2014).

127 Malvezzi selbst referiert auf eine italienische Version von 1638 auf schlechtem Papier und mit vielen Fehlern, die nicht bekannt (bzw. nicht überliefert) ist.

128 Balbo y Paz veröffentlichte zwei weitere Werke auf Latein in Neapel: das Geschichtswerk Monarchia Regum, sive accurata imperii synopsis (Balbo y Paz 1630, bei Maccarano) und die Rechtsschrift Consilia, seu Iuris responsa decisiua […] (Ders. 1639, bei Longo).

129 Vgl. Ros 1647, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11064725-6 und URL: http://www.cervantesvirtual.com/obra-visor/cataluna-desenganada--0/html/ (Zugriff vom 10.09.2014).

130 Dies lässt sich an vier Autoren exemplifizieren: 1. Der oben bereits erwähnte Bologneser Malvezzi, der Philipp IV. im Heer und am Hof diente, Gouverneur in den Niederlanden und Hofschreiber des Reichs war, ist ein Paradebeispiel für praktizierte literarische Mehrsprachigkeit und Übersetzungskompetenzen im Italienischen und Spanischen; seine Werke wurden oftmals jeweils in beiden Sprachen in den spanischen Territorien in Italien, den Niederlanden und Spanien veröffentlicht (vgl. Canonica 2002, 61–63, URL: http://cvc.cervantes.es/literatura/aispi/pdf/15/15_059.pdf [Zugriff vom 10.09.2014]). 2. Die (Sprach-)Biografie von Carlos de Tapia bringt es mit sich, dass der Neapolitaner mit spanischen Wurzeln, der als Senator in Madrid arbeitete und hohe Posten im Rechtsapparat Neapels bekleidete, den Discurso del’habilidad de la iuuentud (Tapia 1590) zweisprachig (Spanisch-Latein) schrieb. In seinem ebenfalls Pietro de Zuniga gewidmeten Specchio di mormoratori […] (Ders. 1592) nimmt Tapia Bezug auf die Widmung des Discurso und begründet seine Sprachwahl: »L’haver riceuuto V.S. Illus. così benignamente quel discorso dell’habilità della Gioventù, che nella lingua Spagnola questi anni adietro le dedicai […] ne si marauiglia V.S. Illust. se l’ho scritto in lingua Italiana, perche si come con il primo libro, & con quello che al presente si stampa, ho reso il tributo alla professione, con il secondo alla natione: ho uoluto con questo dar sodisfattione alla Prouincia, nella qual son nato.« (Tapia 1592, zit. nach Manzi 1971, 43). 3. Domenico Cerone publizierte mit El Melopeo y maestro (Cerone 1613, bei Gargano/Nucci) einen voluminösen, über 1.000 Seiten umfassenden Musiktratat in spanischer Sprache, die ihm durch Aufenthalte in Sardinien sowie in den königlichen Kapellen von Madrid und Neapel wahrscheinlich zu seiner zweiten Muttersprache wurde, vgl. Cerone 1613, URL: http://archive.org/details/imslp-melopeo-y-maestro-cerone-pietro (Zugriff vom 10.07.2014); zur Biografie von Cerone vgl. Ascarelli 1979, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/domenico-pietro-cerone_%28Dizionario-Biografico%29/ (Zugriff vom 07.07.2014). 4. Der kalabresische Rechtsgelehrte, Schriftsteller und Redner Filippo Filante schrieb, ebenfalls durch Regierungskontakte bestens vertraut mit dem Spanischen, die Oracion de Phelipe Phylantes Dotor de Leyes, Hecha en la muerte del Alto Rey de las Españas Don Phelipe, die sogar drei weitere Male in Neapel erschien (Filante 1599 bei Stigliola, 1599 bei Carlino, 1617 bei Vitale), vgl. Manzi 1971; EDIT16, CNCE 18984.

131 »[…] il Bevilacqua intorno al 1580 fu al servizio del Duca di Montalto e Principe di Paterno, Don Francesco Moneada. È probabile che in questo ambiente siciliano, profondamente ispanizzato, il Bevilacqua acquisì la conoscenza dello spagnolo. Di lui abbiamo una traduzione italiana in ottava rima del Ratto di Proserpina di Claudiano, e una raccolta di Rime divisa in due parti, opere pubblicate a Palermo nel 1586.« (Canonica 2002, 63f.).

132 Vgl. auch die komplette Dedikation in transkribierter Version, Bevilacqua 1597, URL: http://www.idt.paris-sorbonne.fr/html/Bevilaqua-ReinaMatilda-Dedicace.html (Zugriff vom 10.09.2014).

133 Die Korpusauswertung hinsichtlich der geografischen Verteilung der insgesamt 45 zweisprachigen Druckwerke (it-sp) im Seicento in Italien sieht wie folgt aus: o.O., Bologna, Cagliari, Turin (1); Palermo (2); Florenz (3); Rom (6); Neapel (7); Mailand (9); Venedig (13 – bedingt durch Erfolge wie Cristóbal de Las Casas’ italienisch-spanisches Wörterbuch mit sieben Editionen und die Berichte aus der neuen Welt des Dominikanerpaters und ehemaligen Konquistadoren Bartolomé de Las Casas; vgl. Tab. 2).

134 Vgl. das Lobsonett von Tiberio Conti auf den Autor Silvestre im Discurso sobre la carrera de la lanza armado: »E te per norma adduce in sì bell’arte / Nell’Idioma Tosco, e nell’Ibero / S’alza la Fama; e dice altro non chero / Per aguagliare il gran Francesco à Marte.« (Silvestre 1602, 14). Das zweisprachige Fechtbuch Escuelas de principiantes sei, so in der Approbatio zu lesen, »en dos Idiomas, Española, y Italiana para educacion de los que desean sauer lo pratico« geschrieben (Texedo Siçilia de Teruel 1678, a10v).

135 Vgl. Silvestre 1602, URL: http://iccu01e.caspur.it/ms/internetCulturale. php?id=oai%3Awww.internetculturale.sbn.it%2F Teca%3A20%3ANT0000%3ARMLE037799 (Zugriff vom 20.10.2014).

136 Vgl. Texedo Siçilia de Teruel 1678, URL: http://books.google.de/books?id=_TlMzlzX25QC (Zugriff vom 09.09.2014).

137 Dem Nachnamen Texedo/Tejedo nach zu schließen ist der Autor Spanier: Teruel ist eine Stadt in Aragon. Die Einfügung »Sicilia« lässt auf sein Wirken auf der Insel schließen. Nach dem ihm gewidmeten Lobsonett von oberster Stelle, nämlich »Don Juan de Chaues Abogado de los Reales Consejos, y Auditor General de las Galeras de España« und vor dem Haupttext ist Texedo ganzseitig porträtiert, eine Tatsache, die zusätzlich auf seine bedeutende Persönlichkeit schließen lässt.

138 Zur Sekretärs-Traktatistik und sprachlichen Kodifizierung im Italien des Cinque-/Seicento mit einem Überblick über die erschienenen toskanischen Abhandlungen vgl. Buono 2010, URL: http://dspace.usc.es/bitstream/10347/6017/1/303-314.pdf (Zugriff vom 10.09.2014).

139 Der Discorso politico intorno al Governo di Napoli di incognito autore berichtet von zwei »Secretarij pubblici, uno di Guerra et l’altro di Giustitia, li quali spediscono le suppliche, et un altro Secretario del Regno che si vende et è di molta autorità poiché interviene nelli interessi più gravi di Sua Maestà e nelli Consigli Collaterali.« (Zit. nach Pedìo 1971, 405) Comparato führt folgende Sekretärsposten im Verwaltungsapparat von Neapel auf: Segretario del Consiglio Collaterale/Regno, Segretario del Sacro Regio Consiglio, Segretario del Luogotenente, Segretario della Camera della Sommaria, Segretario della Gran Corte della Vicaria (Comparato 1974, 436–440). Vgl. auch Schwägerl-Melchior 2014, insb. 88–91 und 99–105.

140 Vgl. Venerosi 1686, Permalink: http://archive.org/stream/Scansione65A63NarrativaOpal#page/n0/mode/2up; Ders. 1652, URL: http://books.google.de/books?id=sI5BAAAAcAAJ (Zugriff vom 10.09.2014).

141 Vgl. Rossi y Samaniego 1686, URL: http://books.google.de/books?id=ZUioOEOChvYC; Ders. 1696, URL: http://books.google.de/books?vid=BNC:1001972920&hl=ca (Zugriff vom 10.09.2014).

142 »Questo trattato l’hò tutto in lingua Spagnuola composto presupponendo, che quando tu lettore ti vorrai servire di quest’ultimo tratrato [sic], avendo ben’ apreso il primo, lo debbia senz’ altra spiegatione intendere.« (Perles y Campos 1689, a7v).

143 Perles y Campos aktualisiert sozusagen Valenzuelas’ Cartas missivas und unternimmt die entsprechenden Streichungen für das Königreich Neapel, nämlich: »Al Gran Maestro de Malta« (in der »Cortesia«); »Al Vir. de Portugal«; »Al del Peru« (in den »Sobrescritos«) und ergänzt es um folgende Empfänger: »A otros Reyes«; »A los presidentes de los Consejos supremos«; »A los de Aragon«; »A los de Italia«; »A los Alcades de corte« (in der »Cortesia«); »Al de Flandes« (in den »Sobrescritos«) (vgl. Ders. 1689, 323–336).

144 Der Titel lautet weiter: Las Cortesias que se han de guardar, y fin de las Cartas, y antes de la firma. Los sobre escritos, que se han de poner, conforme a los Estados, Calidades, y Officios, y a la Prematica del Reyno (Paéz Valenzuela y Castillejo 1630, Cordoua). Diese Anthologie von fiktiven Musterbriefen war in Spanien ein regelrechter steadyseller und wurde bis 1796 mit 34 Editionen gleichmäßig gut verkauft (vgl. KVK).

145 Dieser Traktat befindet sich im Anhang seiner Lettere (Costo [1602 Venedig] 1604, Neapel bei Vitale). Er verspricht darin eine Anleitung für den »eccelente Segretario«: »Se tu acquistassi la pratica di molti, ò più linguaggi, dilettandoti di bene scrivere in essi, ti assicurerei d’un gran profitto: ma quando ciò non sia, fà che almeno mediocremente nel Latino, e perfettamente nel Toscano tu divenghi [sic] instrutto.« (Costo, zit. nach Anonym 1699, 17).

146 Der Neapolitaner Costo (1545–1613) ist u.a. Autor des Fuggilozio (Costo 1596), vgl. Kap. 6.4, Anm. 105.

147 Tatsächlich wird kein Vor- oder Nachname angegeben; hier müsste im französischsprachigen Raum das entsprechende Original bzw. die (Druck-)Vorlage gesucht werden.

148 Obwohl als Spanisch etikettiert in Sánchez García 2007, 183, Nr. 69.

149 Diese Information ist Toda y Güell entnommen (Toda y Güell 1930, IV, 338); ob es sich dabei um die jeweilige Übersetzung handelt oder um eigenständige Predigten, bleibt unklar.

150 Vgl. Kap. 2, Anm. 43. Zur Rolle des Lesers bzw. Nicht-Lesers siehe auch Schenda, dessen Erkenntnisse des 18. und 19. Jh.s auch zum Teil auf das italienische Seicento appliziert werden können (Schenda 1977, 452–455 und 461f.).

151 Zu den Osservationi vgl. Carreras i Goicoechea 1996 und Dies. 2002. Chierichetti stellt die Osservationi und den Paragone einander gegenüber (Chierichetti 1997, URL: http://www.contrastiva.it/baul_contrastivo/dati/barbero/chierichetti%20grammmatiche%20cinquecentesche-OCR.pdf (Zugriff vom 10.08.2014).

152 Von 1529–1577 in Neapel tätig als »tipografo, editore e libraio è una delle figure più rappresentative della tipografia napoletana del Cinquecento« (Zappella 1984, 12).

153 Nur erwähnt wird die Grammatik im Vorwort bei Medina Montero 2011, XII und in der Bibliografie konsultierter Grammatiken von Martinéz Gavilán 1989, 213 und von Sbarbi y Osuna 1891, 197, Permalink: http://www.archive.org/details/monografiasobrel00sbaruoft (Zugriff vom 10.12.2014). Repertorisiert ist die Secentina in Niederehe 1999, Nr. 1069; Gallardo 1888, III, Nr. 3471; Toda y Güell 1929, III, Nr. 3904.

154 Vgl. Sáez Rivera 2007, insb. 140–154, URL: http://eprints.ucm.es/7813/1/T30253.pdf und Ders. 2009, 91–97, URL: http://revistas.ucm.es/index.php/CFIT/article/viewFile/CFIT0909220081A/16420 (Zugriff vom 10.07.2014).

155 Vgl. ebenso Palaus Einschätzung als »libro muy raro« (zit. nach Saéz Rivera 2007, 125).

156 Vgl. Alessandri d’Urbino 1560, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10185827-7 (Zugriff vom 11.07.2014).

157 »la mirabil notitia c’hà V.E. della lingua Castigliana la qual talmente oltre la Italiana intende & parla« (Alessandri d’Urbino 1560, o.S.).

158 Der Aufbau ist folgender: »Retta scrittura e pronuntia« (Ders. 1560, 1–18v) A–Z, »Nomi« (39–61v, inklusive »nomi propi«, 58–61v), »Pronomi« (62–93r), »Verbi« (93v–132v), »Voci indeclinabili« (133r–141r), Errata, Imprimatur, Kolophon. Wahrscheinlich stand die zwei Jahre zuvor erschienene Gramática Castellana (Villalón 1558, Antwerpen, vgl. Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10185834-6 [Zugriff vom 01.12.2014]) von Cristóbal de Villalón Modell für Alessandri d’Urbino, so die in der Forschung vertretene These.

159 Der vollständige Titel lautet: Gramatica española,O’ modo de entender, leier, y escrivir Spañol [sic] Compuesta por el R. D. Josef Faustino Perles, y Campos Spañol [sic]. Dedicada Al Excelentiss.Se. Don Andres Avalos Prencipe [sic] de Montesarcho, Señor del Valle de Vitolano, y de la Castelucha. Del habito de Alcantara. In Napoli Per il Parrino, & il Mutii 1689. Con Licenza de Superiori, Permalink: http://hdl.handle.net/10366/124110 (Zugriff vom 10.08.2014).

160 Weder er selbst noch andere Titel mit seinem Autorennamen sind in biografischen Lexika wie dem Dizionario Biografico degli Italiani, dem Diccionario Biográfico Español der Real Academia de la Historia oder in Online-Metakatalogen zu finden.

161 Auch eine Recherche dieses Anagramms führte zu keinem Treffer; vermutlich handelt es sich hierbei um den Beinamen von Perles y Campos als Mitglied in einer der zahlreichen Akademien im Neapel des Seicento, vgl. Gianfrancesco 2010, 176–187.

162 Im KVK werden weltweit nur drei Exemplare gelistet, die sich in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg (Sign.: Spw 1712), in der Princeton University Library (Sign.: 3161.707) und in der Biblioteca General Histórica de la Universidad de Salamanca (Sign.: BG/53199) befinden; Letzteres liegt in online zugänglicher Kopie vor, Permalink: http://hdl.handle.net/10366/124110 (Zugriff vom 21.04.2015).

163 Saéz Rivera konnte nachweisen, dass Perles das Libro I zumindest zum großen Teil von Pierre Billets Grammatica francesa (Billet [1673] 1688, Madrid) abgeschrieben und auch Teile aus der Morphologie, z.B. die Behandlung von nur drei Kasus, übernommen hat (Perles y Campos 1689, 27f.) (Saéz Rivera 2007, 145f.).

164 Über den nicht begründeten Abbruch der Redensarten gerade beim Buchstaben M kann nur spekuliert werden: Hatte der Autor keine Zeit zur Vollendung? Wollten oder mussten die Drucker Platz sparen? War der Zeitdruck zur Vollendung der Grammatik zu groß, so dass dieser Teil einfach weggelassen wurde? Die Paginierung geht jedenfalls kontinuierlich weiter; zudem befindet sich am Ende ein Baum als Schlussvignette.

165 Zur Illustration mögen drei Redensarten dienen: »La muger de buen recaudo, inche la casa, hasta el texado. La femina di buon governo, riempie la casa fino al tetto.«; »Mas cerca estan mis dientes, que mis parientes. Più vicini stanno i miei denti, che li miei parenti.«; »Più valen amigos en la plaza, que dineros en cassa. Più vale un amico in piazza, che denari in cassa.« (Perles y Campos 1689, 313f., 320 und 316).

166 Worauf auch Saéz Rivera sein Augenmerk richtete – der neapolitanische Einfluss geriet bei ihm indessen völlig aus dem Blickfeld (Saéz Rivera 2007, 141f. und Ders. 2009, 92).

167 Die Hervorhebungen stammen von der Verf. Einige weitere Beispiele finden sich in Ambrosch-Baroua 2013, 240–242; eine ergänzende Analyse insbesondere der Besonderheiten auf der morphosyntaktischen Ebene wäre wünschenswert. Sáez Rivera analysiert die Grammatik unter dem Grammatikalisierungsaspekt des präpositionalen direkten Objekts (Sáez Rivera 2007, insb. 140–154).

168 La libraria del Doni fiorentino. Nella quale sono scritti tutti gl’autori uulgari con cento discorsi sopra quelli. Tutte le tradutioni fatte all’altre lingue, nella nostra et una tauola generalmente come si costuma fra librari (Venedig, bei Giolito), vgl. Doni 1551, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10178669-3 (Zugriff vom 20.10.2014). Vgl. Kap. 3, Anm. 19.

169 Vgl. Guasco 1586, http://data.onb.ac.at/rec/AC09920581 (Zugriff vom 20.10.2014).

170 »[…] tanto più che niuno altro [linguaggio; T.A.] ne suole tua padrona adoperare; ne sò come ella intenda bene il nostro.« (36v). Neben der Tatsache, dass dadurch ein besserer Austausch, v.a. »consolatione, che sogliono i servidori ricevere« (37) mit der Herrin möglich sei, eröffne die Spanischkompetenz die Möglichkeit »che per la buona qualità della tua mano a scrivere facesse […] tua padrona dissegno di adoperarti per sua secretaria, il che sarebbe con molta tua riputatione et honore.« (37v).

171 Sie besitzen in jeder Abhandlung, die sich mit den spanisch-italienischen Beziehungen befasst, quasi einen Stammplatz; mit Gallina 1959, Carreras Goioechea 2002 und Gruber 2014, 262–268 seien nur drei Beiträge aus den zahlreichen linguistischen Bezugnahmen herausgegriffen.

172 In England wurden bspw. The Spanish Grammer with certeine Rules teaching both the Spanish and French tongues (1590, London, bei Wolfe) und The Spanish Schoole-master (1591, London, bei Field, 1619 in 2. Aufl.) gedruckt. In Frankreich erschien die erste Spanischgrammatik im Jahr 1596 (La parfaicte Methode pour entendre, escrire, et parler la langue Espagnole, Paris, bei Breyel) (vgl. Ramajo Cano 1989, 31f. und 237f. mit weiteren Beispielen).

173 Gleichzeitig haben die Giolito mit Mirandas Übersetzungen des Dominikanerpaters Luis de Granada einen weiteren Verkaufsschlager im Angebot, zur Biobibliografie der Giolito vgl. Quondam 1977 und Nuovo/Coppens 2005 (Vgl. Kap. 3, Anm. 80).

174 Die Struktur und Beispiele stammen von Oudin. Die Grammatik wurde sukzessive angereichert durch Beispieldialoge (Dialoghi piacevoli, Plagiat von Minsheu 1599), Detti politici und eine exhaustive Nomenclatore (Plagiat von Oudin 1622). Im Jahr 1655 erschien die Erweiterung mit Französisch zur dreisprachigen Grammatik von Giovanni Alessandro Lonchamps, die auch in Mailand publiziert wurde (vgl. Kap. 6.2, Anm. 98 und Kap. 6.3.8.1).

175 In Italien selbst bleibt Franciosini übrigens weit über die beiden spanischen Jahrhunderte hinaus bis zum Anfang des 19. Jh.s das Standardlehrwerk.

176 Silvestri führt hingegen den geringen Abstand zwischen den Sprachen als Grund für den Stillstand an: »Il pregiudizio – tuttora radicato per quanto smentito dai fatti – per cui l’italiano fosse per uno spagnolo una lingua ›facile‹ credo giustifichi in gran parte lo scarso numero (una quindicina circa secondo il mio censimento) di grammatiche italiane dedicate a spagnoli nei citati secoli [XVI–XVIII; T.A.], ed anche il relativo ritardo nella pubblicazione della prima di queste, rispetto ai casi di grammatiche e manuali di insegnamento di altre lingue europee come lingue straniere o dello stesso italiano come lingua straniera in altri paesi.« (Silvestri 2001, 347f., URL: http://www.contrastiva.it/baul_contrastivo/dati/barbero/Silvestri_Arte%20de%20Trenado%201569.pdf (Zugriff vom 10.09.2014). Es stellt sich bei dieser Argumentation die Frage, warum jedoch Spanischgrammatiken für Italiener erstellt wurden.

177 Vgl. Las Casas 1570, Permalink: http://bvpb.mcu.es/es/consulta/registro.cmd?id=397562 (Zugriff vom 10.07.2014).

178 Der Titel lautet weiter: Compuesto per Francisco Trenado de Ayllon. Dirigido a don Inigo de Herrera y de Velasco &c. Con Privilegio. Medina del Campo Por Sanctiago del Canto Año de 1596, vgl. Trenado de Ayllon 1596, URL: http://fondosdigitales.us.es/fondos/libros/3392/5/arte-muy-curiosa-por-la-qual-se-ensena-muy-de-rayz-el-entender-y-hablar-la-lengua-italiana-con-todas-las-reglas-de-la-pronunciacion-y-acento-y-declaracion-de-las-partes-indeclinables-q-esta-lengua-nos-oscurecen-compuesto-por-francisco-trenado-de-ayllon/ (Zugriff vom 10.09.2014). Die Grammatik erschien zuvor im selben Jahr in Salamanca, vgl. Trenado de Ayllon 1596, Erratum. Mit dieser Grammatik hat sich ausführlich Silvestri 1997, URL: http://www.contrastiva.it/baul_contrastivo/dati/barbero/Silvestri_Arte%20de%20Trenado%201569.pdf (Zugriff vom 10.09.2014) und Ders. 2001, 15–23 beschäftigt.

179 Viel mehr als ein produktives Druckzentrum war Medina del Campo der zentrale Messeplatz für die Buchbranche in Spanien, das seinen Buchbedarf aus ökonomischen (schlechte Papierqualität; Mangel an qualifizierten Arbeitern; Konkurrenz von Billigimporten) und zensurrechtlichen Gründen fast ausschließlich von außerhalb (i.e. Basel, Antwerpen, Paris, Venedig, Lyon) decken musste (vgl. Pettas 2005, 4f. und IB16 2010, XXXIVf.).

180 Trenado de Ayllón war Doktor in Recht und Bürgermeister von Villalpando. Seine Italophilie zeigte sich an vielen Reisen nach Genua und Rom und in der Übersetzung von Petrarcas Rime, vgl. Canals 2005, 63f., URL: http://cvc.cervantes.es/literatura/aispi/pdf/22/II_05.pdf (Zugriff vom 10.01.2014).

181 Auch die Konsultation des Wörterbuchs von Las Casas (1570) wird empfohlen (Trenado de Ayllón 1596, 20v).

182 Vgl. hierzu Ramajo Caño 1987; Sanchéz Pérez 1992, insb. 23–55 und 85–126; Niederehe 1994; Saéz Rivera 2007.

183 Über den Autor Floratio Muzio konnten keine biografischen oder bibliografischen Informationen herausgefunden werden. Auch der Text selbst verrät nichts über ihn. Eventuell war er ein Schulmeister in Neapel.

184 Der Druck ist repertorisiert in Lengert (Lengert 1999, 20, Nr. 113), wurde meines Wissens aber noch nicht innerhalb der italienischen oder romanischen Phraseologie und Parömiologie näher beleuchtet. Das Frontispiz fungiert als Umschlagbild des von Sánchez García 2013 herausgegebenen Sammelbandes, wird aber darin nicht behandelt.

185 »[…] neqe humilem, nullque praetij (vt vulgus fortasse opinetur) nobis materiam proposuerimus ad iuuandam iuuentutem.« (Muzio 1636, a6).

186 »[…] quamplurima trilinguium ferè praecipuarum in praesentia (Latina .S. Itala, & Hispana) […].« (Muzio 1636, a5).

187 Bei den lateinischen Entsprechungen werden oft mehrere – teilweise bis zu 14 – Übersetzungen bzw. auch Zitate angeführt.

188 Muzio stützt sich auf drei Quellen: »Der sehr wissbegierige Leser soll aber bei den lateinischen Sprichwörtern (neben anderen) Manucius heranziehen, bei den italienischen Thomas Boni und bei den spanischen Hernando Nuñez, von denen ich nicht wenige ausgewählt habe: Diese haben mehr als genug Worte über diese Möglichkeit der Sprichwörter gemacht.« (Muzio 1636, a9).

189 Der neapolitanische Einfluss ist zu beobachten im Lexikon, z.B. carriniello ›Münze‹ (geprägt von Karl von Angiù), ire ›gehen‹, agiutare ›helfen‹, salza ›Soße‹ (vgl. D’Ascoli 1993) sowie in der Phonetik: Bspw. gibt es keine Hebung von vortonigem e zu i in Einsilblern (se statt si) und auch das zwischentonige -ar- ist erhalten (z.B. andarebbe statt anderebbe).

190 »In quorum numero Neapolitana haud in minimo habentur loco, prae ssensus acumine, facilitate, & copia, vt videre est: quòd quidquid verbi Neapolitanus dicat, & pronunciet, nil nisi Prouerbium dicere, & pronunciare videatur.« (Muzio 1636, a5).

191 »Neapolitana verò aliquantuium a suo proprio, vernaculoque; idiomate tot simus, haud aliam ob causam fecimus, quàm vt magis placerent politioris Italae lingae studentibus, & intelligenerentur: Ideò hetrusco (quoad concessum) nitore exornauimus, nec illa tamen tota mutauimus voce, & sono, nè prorsus a patrio prouerbij sensu, & gratia longè abesse viderentur.« (Muzio 1636, a9).

192 Vgl. Kap. 6.4, Anm. 5. Einen guten Überblick über die neapolitanische Dialektliteratur des Cinque- und Seicento bietet D’Ascoli 1996, 41–108.

193 Vgl. Luna 1536, http://193.205.158.207:8082/fabitaliano2/dizionari/SchedaCompleta.asp?_method=doquery&pcount=1&p0=0022671 (Zugriff vom 20.10.2014). Zu Lunas Wörterbuch vgl. Montanile 1996a, 47–74 und 101–133; Dies. 1996b.

194 Zur Rezeption von Bembo in Neapel vgl. Sabbatino 1986.

195 Luna war nicht der erste und einzige Vertreter einer Mischsprache bzw. eines »volgare aragonese« (Montanile 2006, 24). Bereits Giovanni Brancati übersetzte Plinius in einem »sermoni nostro quotidiano«, »non pur napolitano ma misto« (Dies. 2006, 26). Weitere neapolitanische Befürworter des Sprachmodells der »lingua comune« sind Benedetto Di Falco und der Grammatiker und Korrektor Tizzone Gaetano, vgl. Dies. 1996a; Dies. 2006.

196 Z.B. »Accendere il lume cioe appicciare«; »Cima cioe in coppa« (o.S.). Der erste Teil, tituliert mit »Breve introducione delle cose tosche«, besteht aus einer Liste von circa 200 nicht alphabetisch geordneten Latinismen, in die auch Hispanismen und Gallizismen eingestreut sind, etwa »hibere aggettivo da spagna«; »chero voce spagniuola«; »Sire voce francesca« (o.S.).

197 So erwähnt z.B. Galiani 1789 Luna in seiner Grammatik Del dialetto napoletano, in der er auch den bisherigen Gebrauch des Idioms Revue passieren lässt, nicht, vgl. Galiani 1789, URL: http://books.google.de/books?id=P4UHAAAAQAAJ& (Zugriff vom 10.08.2014).

198 Galiano/Mazzarella Farao: Vocabolario delle parole del dialetto napoletano, che più si scostano dal dialetto toscano, con alcune ricerche etimologiche sulle medesime degli Accademici filopatridi. Opera postuma supplita ed accresciuta notabilmente (1789, Neapel, bei Porcelli), URL: http://books.google.de/books?id=NxcJAAAAQAAJ& (Zugriff vom 10.08.2014).

199 In EDIT16 sind 73 mit »villanelle« enthaltene Titel gelistet, die ab den 1570er Jahren und hauptsächlich in Venedig gedruckt wurden – kein einziger Druck ist in Neapel selbst verzeichnet (vgl. EDIT16, Stand vom 20.10.2014).

200 Rak formuliert das damit verbundene Forschungsdesideratum: »Rimangono da ricostruire i loro modi di produzione, i loro itinerari e i loro lettori.« (Rak 1994, 80).

201 Vgl. Moro 2004, URL: http://jps.library.utoronto.ca/index.php/qua/article/download/9164/6134 (Zugriff vom 10.09.2014).

202 Noch vor Basiles berühmtesten beiden Werken (Lo cunto de li cunti 1634–1636; Le muse napoletane 1635) war seine erste literarische Überlieferung das neapolitanische Vorwort der Vaiasseide (Cortese 1604, Longo) seines Freundes Cortese. Bemerkenswerterweise wird der Paratext (Leserhinweis des Druckers, des Autors, Widmung) auch in den Folgeeditionen der Opere del Cortese (1612, 1628, 1666) komplett auf Neapolitanisch geschrieben.

203 Im Gegensatz zu sizilianischen Drucken, die sich auf Toskanisch bewusst an einen Leser vom Festland richteten (vgl. Kap. 6.2.4.2).

204 In zweiter Auflage 1700 ohne Latein, in dritter und vierter Auflage 1768 und 1770 mit Latein, in fünfter Auflage 1784 ohne Latein.

205 Diese erschienen 1605 in Mailand, 1608 in Neapel, 1611 in Mailand, 1624 in Venedig, 1652 in Neapel.

206 In chronologischer Reihenfolge sind noch drei weitere neapolitanisch-italienische secentine registriert: Gli penosi affetti, Egloga Pastorale, in Napolitana, e Toscana Lingua Di Battista Brigliano Dottor di Legge Napolitano (Brigliano 1628, Longo) (vgl. Santoro 1986), der Dialogo e lettere amorose sopra la potenza d’amore (Anonym 1625), eines der seltenen Beispiele für einen nicht karikaturalen Prosatext (vgl. Fulco/De Blasi 1992) und Bacco Arraggiato Co Vorcano Descurzo ntra de lloro (Bergazzano 1632) – ein zu Karneval verfasster komischer Versdialog zwischen dem Vulkan und dem Donner anlässlich des Vulkanausbruchs von 1631. Außer dieser achtseitigen Flugschrift im Format °16, in der nach dem neapolitanischen Gedicht die italienische Übersetzung folgt, veröffentlichte der Autor Giovanni Battista Bergazzano noch drei weitere Gedichte zu diesem Ereignis, aber nur in italienischer Sprache (vgl. D’Ascoli 1996, 98–101).

207 Fiorillo war renommiert durch die Rolle bzw. Maske des Capitan Matamoros in der Commedia dell’Arte; Berühmtheit erlangte er vor allem durch die Schaffung und Interpretation der Pulcinella, die als erste neapolitanische Figur gilt (vgl. Moro 2004, 47).

208 Dabei handelt es sich um die bereits zweite Auflage; die Erstausgabe ist nicht erhalten. Das Werk wurde bis 1789 dreimal nachgedruckt (als Anhang im ersten Wörterbuch des Neapolitanischen, dem Vocabolario delle parole del dialetto napoletano, Galiani 1789, 214–292). In der Forschung ist dieser sprachtheoretische Text mehrfach thematisiert worden, vgl. De Falco 1984; Bianchi/De Blasi/Librandi 1992, 650; Radtke 1997, 77–80; Haller 1999, 61f.; Ellena 2011, 202–205; Michel 2011, 172; Gruber 2014, 222–228.

209 Weitaus interessanter als Toscos definitorische Merkmale des napoletano illustre ist die Argumentation des Priesters Ferdinando Galiani, der den zweiten grammatikografischen Versuch nach Francesco Olivas Grammatica della lingua napoletana (Olivas 1728) darstellt. Galiani sucht in Del dialetto napoletano (Galiani 1789) eine Erklärung für das Verschwinden bzw. den Nichtgebrauch des Neapolitanischen nicht nur in der Hochliteratur, sondern auch im administrativ-rechtlichen Bereich ab dem Jahr 1554. Bis zu diesem Jahr seien alle unter aragonesischer Herrschaft entstandenen und handschriftlich in den Archiven und Prozessakten zu findenden Parlamentsakten, die er minutös aufführt, sowie »lettere di corrispondenza politica« und »capitoli di ben vivere« in neapolitanischer Sprache verfasst worden: »In tutti i quali atti non si scopre la minima alterazione di linguaggio.« (Ders. [1789] 1827, 135, 102). Den tragischen Wendepunkt und Prestigeverfall bilde die Mitte des 16. Jh.s, als Hieronnimo Seripanno als Kardinal und Botschafter Neapels bei Verhandlungen in Brüssel die toskanische Sprache verwendet habe und einige Jahre zuvor bereits das Spanische in der Cancelleria überhandnahm durch einen: »Sovrano straniero, che vi sostituì la sua lingua Spagnuola, volendo per massima di sua politica renderla la lingua universale dell’immensa sua dominazione. Da questo tempo in poi cadde il dialetto nostro nell’oblio dell’abjezione e quelche fu peggio assai, trovossi confinato alla sola oscena scurrilità. In vano si cercherebbero adunque dalla metà del decimosesto secolo fino al presente componimenti nè in prosa nè in verso di soggetto o serio, o almeno indifferente scritti nel dialetto Napoletano. Tutti non l’hanno riguardato che come unicamente atto a promuovere il riso colle buffonesche, e bassissime lepidezze.« (Ders. [1789] 1827, 120). Die spanische Herrschaft betrachtet Galiani also als negativen Faktor, der eine Unterbrechung im Gebrauch der neapolitanischen Muttersprache verursacht habe.

210 Aus demselben Jahr stammt die ebenfalls anonyme Opera nuoua, oue trouerete vn dialogo di due amanti. Et alcune stanze in lingua spagnuola, & altre villanelle non mai più date in luce. In Venetia: ad instanza di Zanmaria Cossatto libraro in Taranto (Anonym 1591?) (vgl. EDIT16, CNCE 68440).

211 Es könnte daher auch in Venedig gedruckt worden sein, wo auch viele villanelle erschienen (vgl. Kap. 6.4, Anm. 199).

212 Diese Form ist allerdings auch im Altneapolitanischen belegt, vgl. Ledgeway 2009, 428f.

213 Zu sprachlichen Stereotypisierungen von Spaniern in der italienischen Komödie vgl. Gruber 2010 und in literarischen Texten von deutschen Autoren vgl. Tschopp 2010.

214 Enthalten in der »Parte Seconda. Al rappresentare all’Improviso« (Perrucci 1699, II, 187–394). Vgl. Perrucci 1699, URL: http://vecchiosito.bnnonline.it/biblvir/perrucci/index2.htm (Zugriff vom 10.09.2014).

215 Interessanterweise führt Perrucci auf der nächsten Seite einen Saluto Calabrese alla Donna con bravura (Perrucci 1699, 276) auf, den er dann im Anschluss in »bona lingua«, d.h. ins Toskanische überträgt (Ders. 1699, 277), was im Falle des Spanischen nicht nötig zu sein scheint, und erklärt: »L’habbiamo volgarizzato Italiano, perche non tutti sanno i vocaboli strani di quella lingua, ne si ritrova Lessico, che gli porti, ove si possa ricorrere […].« (Ders. 1699, 278).

216 So waren die Spanier mit stereotypisierten Charaktereigenschaften wie Überheblichkeit, Einfältigkeit, Aufdringlichkeit und Koketterie Zielscheibe für Spott und Häme in der oben bereits vorgestellten Komödie Propalladia (1517, Neapel; vgl. Kap. 6.4, Anm. 41 und 72) und in der in Neapel spielenden Komödie L’Amor Costante (1540, Venedig) von Alessandro Piccolomini, Erzbischof von Siena (mit bemerkenswerterweise neun weiteren Editionen im 16. Jh.), vgl. Piccolomini 1540, URL: http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ180023307 (Zugriff vom 10.07.2014). Letzteres Stück wurde laut Titelblatt anlässlich des Besuchs von Karl V. in Siena von der Theater-Akademiegruppe der Intronati vorbereitet; besonders die teils ganz auf Spanisch gehaltenen Eingangspassagen sollten der Glorifizierung des Kaisers dienen. Allein der Titel der Komödie Las Spagnolas (1549, Venedig, mit ebenfalls neun Folgeeditionen im Cinquecento) von Andrea Calmo ist eine Überzeichnung, vgl. Calmo 1549, URL: http://ia600301.us.archive.org/7/items/laspagnolascomme00calm/laspagnolascomme00calm.pdf (Zugriff vom 10.07.2014). Ebenso wird in den von den Accademici Intronati di Siena aufgeführten Gli ingannati (Accademici Intronati 1554, Venedig) ein negatives Bild der spanischen ›Invasoren‹ gezeichnet; vgl. Accademici Intronati 1554, URL: http://www.liberliber.it/mediateca/libri/a/accademia_degli _intronati/gl_ingannati/pdf/accademia_degli_intronati_gl_in.pdf (Zugriff vom 10.07.2014). Vgl. hierzu Richer-Rossi 2000, 212–214; Fabris 2006, 183f.; 186f.; Sánchez García 2007, 19–42.

217 Im Melodram La fenice d’Avila Teresa di Giesù (Castaldo 1695, bei Parrino/Mutii) spreche die Figur der Lidora nach der Bewertung von Fabris »a language half between Castilian and Neapolitan« (Fabris 2007, 146).

218 Magaudda/Costantini vermuten, dass die anlässlich des Geburtstags der Königin Marianne 1675 dargebotene Oper El templo de Palas, Comedia Famosa (»con música italiana, pero con letro español«) die erste Oper auf Spanisch sein könnte; sie wurde vom Autor Francisco Avellaneda von Madrid nach Neapel geschickt und dort bei Fasulo gedruckt (Magaudda/Costantini 2009, 195).

219 Umgekehrt erging es spanischen Zuschauern im Milanesado, denen offenbar fortgeschrittene Kenntnisse im Italienischen fehlten. Wilhelm zitiert zwei Quellen aus dem Jahr 1551, in denen der spanische Gran Cancelliere Francesco Taverna bzw. der spanische Prinz Vicente Álvarez sechs- bzw. siebenstündigen Theateraufführungen in italienischer Sprache in Mailand beiwohnten, ohne den Text zu verstehen, und nur durch »los, que la [comédia, T.A.] entendían« (Wilhelm 2013, 140) über die guten Schauspielerqualitäten informiert wurden (vgl. Ders. 2013, 140f.).

220 Vgl. hierzu auch Riccio: »L’interesse suscitato nei napoletani dalla lingua spagnola emerse con evidenza nella Accademia degli Oziosi, presso la quale, agli inizi del XVII sec., la nobiltà napoletana ne coltivava lo studio.« (Riccio 2005, 13).

221 Vgl. auch die abgeleiteten Schlüsse zur Mehrsprachigkeit der schreibenden Personen aus der analysierten Verwaltungsdomäne von Schwägerl-Melchior 2014, insb. 413–415.

6.5 Kontrastive Ergebnisdiskussion der vier Teilkorpora

In den letzten vier Teilkapiteln wurden vier Kommunikationsräume des spanischen Italien vorgestellt: Sardinien, Sizilien, Mailand und Neapel. Welche Schlussfolgerungen bzw. Analogieschlüsse lassen sich, auch in Relation zu bestehenden Forschungsergebnissen, aus den analysierten Teilkorpora in einer vergleichenden Perspektive ziehen?

Es stellte sich heraus, dass der Fall Sardinien, so viel sei vorausgeschickt, im Vergleich zu den anderen drei rekonstruierten Territorien den Kontrastfall darstellt, da sich die Insel auf allen Betrachtungsebenen, die im Folgenden rekapituliert werden sollen – Produktion, Rezeption, Sprachreflexion, Repräsentationen – entgegengesetzt verhält. Ein erster fundamentaler Gegensatz, der die drei Ebenen gewissermaßen überwölbt, manifestiert sich in der Tatsache, dass die spanischen Habsburger auf Sardinien sprachplanerische Ideen intendierten und realisierten, während andernorts in Italien die spanische Sprache kein Politikum war. In Anlehnung an die berühmte Auszeichnung des Spanischen als »lengua compañera del imperio« von Antonio de Nebrija (Nebrija 1492) schlägt Büschges vor,

[…] angesichts der tatsächlichen Sprachenentwicklung in der Spanischen Monarchie während des 16. und 17. Jahrhunderts eher von den ›lenguas compañeras del imperio‹ [zu] sprechen. Damit korrespondiert das weitgehende Fehlen einer systematischen und konsequenten königlichen Sprachenpolitik jenseits eines Sprachpragmatismus zur Gewährleistung einer möglichst reibungslosen Verwaltung und Rechtsprechung. Darüber hinaus hätten Versuche einer systematischen Verdrängung der Volkssprachen ohne Zweifel zu einem massiven Protest der die lokalen Freiheiten und Privilegien verteidigenden lokalen politischen Eliten der europäischen Territorien geführt, während sich diese Problemlage im spanischen Amerika durch die grundsätzliche Unterwerfung der indigenen Bevölkerung und den Ausschluß der indigenen Eliten von der königlichen Verwaltung oberhalb der lokalen Ebene gar nicht erst stellte. […] Die Sprachenvielfalt im spanischen Herrschaftsbereich spiegelt daher letztlich nur die komplexe politische Struktur der ›zusammengesetzten Monarchie‹ der spanischen Habsburger wider. (Büschges 2007, 31)

Diese Aussagen, die auf der Untersuchung der drei Königreiche Valencia, Neapel und Neu-Amerika basieren, lassen sich anhand der eigenen Befunde und buchhistorischen Aufarbeitungen für Neapel, Sizilien und Mailand verifizieren. Entgegen der etablierten Forschungsmeinung lassen sie sich aber im Falle Sardiniens falsifizieren – bemerkenswerterweise wurde die Insel, gleichwohl zum europäischen Herrschaftsbereich der spanischen Krone gehörig, bisher nie in die Diskussion mit einbezogen.1 Wie in Kap. 6.1 gezeigt wurde, gebrauchten die kirchlichen und offiziellen Autoritäten in Sardinien tatsächlich die spanische Sprache als Instrument der Herrschaftsausübung und zeigten sich (in Bezug auf die religiöse Unterweisung) höchstens dem Insel-Idiom Sardisch gegenüber tolerant; die italienische Sprache sollte bewusst unterbunden werden und aus sprachpuristischen Gründen ›aus den Akten‹ verschwinden. Über die beabsichtigte und vollzogene Hispanisierung lassen sich folgende Vermutungen anstellen: Ist der Grund der sprachlichen Herrschaftslegitimation in der Tatsache zu suchen, dass Sardinien bereits seit der pisanisch-genuesischen Herrschaft keinen Autonomie-Status mehr besaß? Trug (zusätzlich) die isolierte Insellage sowie die geografisch bedingte interne Isolation, mit der das spezifische demografische – und sprachliche – Inselprofil (Küstenstädte versus Landesinneres; Cagliari versus Sassari) einherging, dazu bei? War ein ›Eindringen‹ in die Sprachensituation möglich, da Sardinien nicht von der questione della lingua tangiert wurde und zudem das Sardische durch die italienischen Eroberer einen Rückbau auf dem Gebiet des Rechtswesens erlitt, so dass die Insel über keine ausgebaute Sprache (mehr) verfügte?

Die Implementierungsbestrebungen zur Sicherung des eroberten Insel-Territoriums spiegeln sich in jedem Fall auch deutlich in der Buchproduktion wider, aus der eine sprachliche Distribution hervorgeht, die vor allem im 17. Jahrhundert quasi das Negativ der sprachlichen Verhältnisse der anderen drei erforschten kommunikativen Räume ist.

6.5.1 Produktion

Obwohl sowohl Neapel als auch Sizilien vor der Vereinigung der beiden Kronen im 15. Jahrhundert unter aragonesischer Herrschaft standen, bestand nur auf Sardinien eine Fortführung der katalanischen Tradition im Druck – und dies, obwohl die Insel erst knapp 100 Jahre später (1566) Teil der Gutenberg-Galaxis wurde. Die folgende Karte illustriert den jeweiligen Sprachenmarkt auf Basis von EDIT16 2014 (Mailand, Sizilien, Neapel) und auf Basis der eigenen sprachlichen Quantifizierung Sardiniens.

Tabelle 26: Sprachliche Distribution der cinquecentine (1501–1600) aus Mailand, Venedig, Neapel, Messina und Sardinien auf Basis von EDIT16 (Stand: 10.08.2014) (Sardinien auf Basis von Ambrosch 2015).

Tabelle 26: Sprachliche Distribution der cinquecentine (1501–1600) aus Mailand, Venedig, Neapel, Messina und Sardinien auf Basis von EDIT16 (Stand: 10.08.2014) (Sardinien auf Basis von Ambrosch 2015).

Abbildung 54: Sprachliche Distribution der cinquecentine (1501–1600) aus Mailand, Venedig, Neapel, Sizilien und Sardinien in Prozentzahlen auf Basis von EDIT16 (Stand: 10.08.2014); Sardinien auf Basis von Ambrosch 2015.

Abbildung 54: Sprachliche Distribution der cinquecentine (1501–1600) aus Mailand, Venedig, Neapel, Sizilien und Sardinien in Prozentzahlen auf Basis von EDIT16 (Stand: 10.08.2014); Sardinien auf Basis von Ambrosch 2015.

Konfrontiert man die Statistiken mit den Zahlen aus dem 17. Jahrhundert, so wird ein deutlicher Zuwachs der italienischen Sprache deutlich, in Bezug auf die spanische Sprache aber auch ein klarer Anstieg innerhalb der mailändischen und neapolitanischen Gesamtproduktion. In Venedig und Sizilien ist ein deutlicher Rückgang zu konstatieren; in Sardinien dominiert mit mehr als 60% die spanische Sprache im Buchmarkt.

Abbildung 55: Sprachliche Distribution der secentine (1601–1700) aus Mailand, Venedig, Neapel, Messina und Sardinien in Prozentzahlen auf Basis des CSCIB (vgl. Santoro 2008, 226f., 245 und 251); Santoro 1986; Lipari 1990; Ambrosch 2015.

Abbildung 55: Sprachliche Distribution der secentine (1601–1700) aus Mailand, Venedig, Neapel, Messina und Sardinien in Prozentzahlen auf Basis des CSCIB (vgl. Santoro 2008, 226f., 245 und 251); Santoro 1986; Lipari 1990; Ambrosch 2015.

Tabelle 27: Sprachliche Distribution der secentine (1601–1700) aus Mailand, Venedig, Neapel, Messina und Sardinien auf Basis des CSCIB (vgl. Santoro 2008, 226, 227, 245, 251); Santoro 1986; Lipari 1990; Ambrosch 2015.

Tabelle 27: Sprachliche Distribution der secentine (1601–1700) aus Mailand, Venedig, Neapel, Messina und Sardinien auf Basis des CSCIB (vgl. Santoro 2008, 226, 227, 245, 251); Santoro 1986; Lipari 1990; Ambrosch 2015.

Die Statistik der während der beiden spanischen Jahrhunderte in Sizilien, Mailand und Neapel hergestellten spanischen Druckwerke kann, je nachdem welcher Vergleichsmaßstab zu Grunde gelegt wird, unterschiedlich bewertet werden.

Im Verhältnis zur Gesamtproduktion der jeweiligen Druckorte muss dieser Produktionssektor als ein Randphänomen mit einem beschränkten Adressatenkreis betrachtet werden: Im Cinquecento entsprechen die spanischen Titel in der Buchproduktion Neapels – immerhin vizekönigliche Kapitale und einziges Druckzentrum des Mezzogiorno – lediglich circa 1,4%; im Seicento belaufen sich die Zahlen auf circa 2,9% aller neapolitanischen Editionen. Im Vergleich zum vorhergehenden Jahrhundert handelt es sich dabei um mehr als eine Verdoppelung, die allerdings in erster Linie mit einem allgemeinen Boom der Produktion zu begründen ist.

Belässt man rein quantitative Parameter als Bemessungsgrundlage für den Hispanisierungsgrad der spanischen Territorien untereinander, so liegt Neapel mit diesen Prozentzahlen ungefähr gleich auf mit der mailändischen spanischen Produktion mit circa 0,9% (16. Jahrhundert) und circa 3% (17. Jahrhundert) am Gesamtanteil, kann aber deutlich mehr Drucke vorweisen als Sizilien mit circa 0,4% im 16. Jahrhundert respektive als Messina im 17. Jahrhundert mit 0,08% (vgl. Lipari 1990)2 Marktanteil während der beiden Jahrhunderte; Sardinien bleibt als unvergleichbarer Sonderfall außen vor.

Im Vergleich mit allen anderen Druckorten Italiens ist Neapel auf Basis der selbst eruierten Daten – die, wie bereits mehrmals betont wurde, immer weitaus höher oder sogar doppelt so hoch lagen wie die bisher katalogisierten Titel (EDIT16 2014; CSCIB)3 – mit mehr als 240 hervorgebrachten (bisher katalogisierten) Editionen aus beiden Jahrhunderten vor Rom führend und übernimmt laut Sánchez García im Seicento »el rol de centro secundario […] en la galaxia del Imperio español« (Sánchez García 2000, 724). Mailand folgt an vierter, Sardinien an dritter, Sizilien immerhin an sechster Stelle.

6.5.1.1 Zur Rolle Flanderns und Venedigs in der spanischen Buchproduktion

Eine spezielle politische Patronage gerade der neapolitanischen oder der sizilianischen Presse allgemein oder einer Einzeldruckerei wie im Falle Sardiniens und Mailands, wo die Druckdynastie der Malatesta privilegiert wurde, existierte jedoch nicht. Im Gegenteil, weder in Sizilien, noch in Neapel, wo eine strenge Pressekontrolle herrschte, und nicht einmal in Venedig, das die nötigen Mittel und die bessere strategische Lage besessen hätte, gab es ein (vize-)königliches Interesse und finanzielle Fördermaßnahmen der spanischen Krone für (Groß-)Aufträge vor Ort4 oder nach Spanien, wie sie renommierten niederländischen Druckern im 16. Jahrhundert zuteil wurden: Martin Nutius, dem seine durch mehrjährige Spanienaufenthalte erworbenen Spanischkenntnisse ein entscheidender Vorteil waren, druckte in nur 18 Jahren (1540–1568) über 100 spanische Editionen5, darunter viele Erstausgaben wie beispielsweise die editio princeps des Orlando Furioso auf Spanisch aus dem Jahr 1549 – die im Übrigen auch der Vizekönig Neapels Pedro de Toledo besaß (vgl. Nicolini 1946, 254) – die Nutius 1554 und 1558 erneut auflegte6 (vgl. Peeters-Fontainas 1956, 18).

Abbildung 56: Ludovico Ariosto, Orlando Furioso Traduzido en Romance Castellano, Antwerpen 1549, Vorreden von Jéronimo de Urrea und Martin Nutius.

Abbildung 56: Ludovico Ariosto, Orlando Furioso Traduzido en Romance Castellano, Antwerpen 1549, Vorreden von Jéronimo de Urrea und Martin Nutius.

Nicht wenige der von ihm herausgegebenen Werke wie die Erfolgstitel von Antonio de Guevara und Pédro Mexia – die in Venedig übrigens in zahlreichen Übersetzungen erschienen – waren mit langjährigen Privilegien versehen (vgl. Ders. 1956, 13).7 Insgesamt genügte die von seiner Witwe und seinen Söhnen weitergeführte Offizin durch qualitativ hochwertige und vielfältige Druckwerke den höchsten Ansprüchen der »colonie espagnole d’Anvers« (Ders. 1956, 12). Selbst vom Antwerpen-Besuch von Karl V. und Philipp II. im Jahr 1549 dürfte Nutius profitiert haben: »Il est certain que notre librairie espagnole a reçu à cette occasion la visite de grands personnages qui encouragèrent notre imprimeur à multiplier ses éditions espagnoles.« (Ders. 1956, 17).

Zum königlichen ›Hausdrucker‹ des spanischen Königs wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Christoph Plantin (1555–1589), der in den 1570er Jahren die industrielle Fertigung liturgischer Drucke in spanischer (und französischer) Sprache für Spanien, die spanischen Niederlande und die spanischen Kolonien monopolisierte. Zwischen 1571 und 1575 verschiffte er über 15.000 Breviarien nach Spanien (vgl. Kingdon 1960, 146) – ein Auftrag seines Stamm- und Großkunden Philipp II.:

Plantin prospered during the years in which his biggest business was with the King of Spain. He bought several new presses, increased his stock of types, matrices, and foundry equipment, and in 1576 bought the building which the firm used for the next three centuries and which is now the site of the Plantin-Moretus-Museum. Most of his fixed capital which has survived seems to have been bought with Spanish profits. (Kingdon 1960, 148)

Diese niederländische Aktivität könnte eine Erklärung für die äußerst geringe Anzahl spanischer cinquecentine in den drei beleuchteten Territorien des spanischen Italien liefern: Bezogen die Spanier, auch die in Italien residierenden, ihre Bücher während des 16. Jahrhunderts vornehmlich aus den Niederlanden und konzentrierten sich zunehmend, obgleich eindeutig nicht in beträchtlichem Ausmaß, erst im 17. Jahrhundert, im Falle Neapels sogar erst gegen Ende des Jahrhunderts, auf lokale Standorte in Italien (vgl. Abb. 53; Abb. 54; Abb. 56; Abb. 57; Abb. 58; Abb. 59; Abb. 60)?8

Auf der Mikroebene wird diese Vermutung durch die Inventar-Analyse eines venezianischen Buchladens von 1602 gestützt: Die von Rhodes 2011 im Hinblick auf spanische Titel durchgeführte Sichtung ergab, dass die meisten der 24 Titel im Katalog des Buchhändlers Giovanni Battista Ciotti (1562–1627?) nicht aus Italien, sondern aus den Niederlanden, vornehmlich Antwerpen, stammten und auf der Frankfurter Buchmesse erworben wurden. Ferner sei daran erinnert, dass der auf volkssprachliche Texte spezialisierte Familienbetrieb der Giolito dei Ferrara, eine mit den Nutius vergleichbare Druckdynastie, nur 13 rein spanische Titel im ganzen Cinquecento hervorbrachte – bei einem zeitgenössisch gefärbten Verlagsprogramm im Umfang von 1.019 Titeln (vgl. Kap. 3, Anm. 80). Schließlich sind nur aktive Buchexport-Beziehungen von Italien nach Spanien der Familie Giunti bekannt. Dieses international erfolgreiche Druckerei- und Buchhandelsunternehmen, das im Laufe des 16. Jahrhunderts auch im von deutschen und italienischen Druckarbeitern dominierten Spanien ein Standbein durch Filialerrichtungen in Sevilla, Salamanca und Burgos aufbaute, wurde 1597 von Philipp II. sogar zur »Tipographia Regia« ernannt (vgl. Pettas 1995, 20; Ders. 2005, 31). Laut EDIT16 2014 druckten sie allerdings nur zwei spanische cinquecentine und exportierten aus Italien dem Katalog nach zu schließen eher lateinische Titel; aus Spanien importierten die Giunti nicht Bücher, sondern Wolle und Kuhfelle (vgl. Ders. 1995, 20).

Auf der Makroebene wirkt ein kursorischer Vergleich der Produktionszahlen hingegen eher relativierend: Die von Peeters-Fontainas 1965 repertorisierten Titel der Süd-Niederlande sind mit circa 1.215 Drucken aus den beiden Jahrhunderten – 584 cinquecentine und 631 secentine, die sich fast gänzlich auf die Druckorte Antwerpen, Brüssel und Löwen verteilen9 – um 17% nicht eklatant höher als die insgesamt circa 1.000 spanischen Titel aus dem vorliegenden Korpus.10

Die Rolle Flanderns in der spanischen Buchproduktion, die in ihrer Dynamik mit dem spanischen Italien allgemein und speziell mit Neapel auf der quantitativen und qualitativen Ebene vertieft kontrastiert werden müsste, kann ab 154011 im Vergleich mit Venedig und auch mit Neapel, für das ein Primat postuliert wird (Sánchez García 2007, 77; vgl. oben), mutmaßlich als die entscheidendere in der spanischen Habsburgermonarchie während des 16. und 17. Jahrhunderts betrachtet werden. Venedigs deklarierter Vorrang im spanischen Buchdruck lässt sich zumindest statistisch nur bis circa 1570 belegen; die bereits von Meregalli 1974 dokumentierte produktivste Phase der Lagunenstadt ist die zwischen circa 1550 und 1570 (vgl. Tab. 3) – sie koinzidiert nicht zufälligerweise mit der unermüdlichen (Übersetzungs-)Tätigkeit von Ulloa (†1570), der beweist, wie die spanische Buchproduktion meist mit einer entscheidenden, am Druckprozess beteiligten Person steht und fällt; Bidelli (†1654?) beweist dies ebenso Anfang des 16. Jahrhunderts in Mailand (vgl. Kap. 6.3.5.2).

Im 17. Jahrhundert tritt Venedig, wie bereits angeklungen, völlig in den Hintergrund, da sich die ›Eigenproduktion‹ spanischer Bücher in die einzelnen Territorien verlagert, wie ein Vergleich der spanischen Buchproduktion auf Basis der eigenen Daten im Zeitraffer zeigt:

Abbildung 57: Spanische Buchproduktion Venedigs, korpusbasiert (1501–1700).

Abbildung 57: Spanische Buchproduktion Venedigs, korpusbasiert (1501–1700).

Abbildung 58: Spanische Buchproduktion Mailands, korpusbasiert (1501–1700).

Abbildung 58: Spanische Buchproduktion Mailands, korpusbasiert (1501–1700).

Abbildung 59: Spanische Buchproduktion Neapels, korpusbasiert (1501–1700).

Abbildung 59: Spanische Buchproduktion Neapels, korpusbasiert (1501–1700).

Abbildung 60: Spanische Buchproduktion Siziliens, korpusbasiert (1501–1700).

Abbildung 60: Spanische Buchproduktion Siziliens, korpusbasiert (1501–1700).

Abbildung 61: Spanische Buchproduktion Sardiniens, korpusbasiert (1566–1700).

Abbildung 61: Spanische Buchproduktion Sardiniens, korpusbasiert (1566–1700).

Venedigs mäßige Produktivität im spanischen Sektor im Cinquecento und die empiriebasierte Unproduktivität im Seicento falsifizieren damit die Interpretation Venedigs als Inhaber einer »long-term role as a center for the publication of Spanish works […] in their original language« (Dandelet 2007, 437; vgl. auch Riccio 2005, 10 und Kap. 3.3.1). Eindeutig belegen die Korpusdaten jedoch die dominante internationale Rolle der Serenissima im Bereich der industriellen Übersetzungsproduktion vom Spanischen ins Italienische: Die hohe Zahl von 1.100 zum Großteil religiösen Editionen dokumentiert wiederum den Verzicht auf die spanische Originalsprache bzw. die Präferenz für die italienische Sprache (vgl. Abb. 13).

Während sich, wie skizziert, die spanische Verwaltung bzw. Regierung nicht sonderlich darum bemühte, direktiv oder aktiv am Druckprozess beteiligt zu sein – höchstens kontraproduktiv primär in Neapel dadurch, Kommunikation durch Zensurmaßnahmen zu verhindern (vgl. Lopez 1984) – gab es aber auch seitens der italienischen Drucker und Verleger keine nennenswerten inhaltlich-sprachlichen Umstellungen auf die spanische Präsenz oder etwa Anstellungen von hispanophonem Fachpersonal. Der Mailänder Herausgeber und Buchhändler Bidelli, ein »Selfmademan« (Cavagna/Wolkenhauer 2001, 219), der selbst die spanische Sprache beherrschte und die in der Lombardei vergleichsweise hohe Anzahl an Spaniern, vor allem aus dem Militärwesen, bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts mit spanischer Lektüre bediente, bestätigt als Ausnahme die Regel. Italien brauchte im quasi ureigenen Sektor des Druckwesens niemanden partizipieren zu lassen:

Italy probably produced four or five times as many books in the sixteenth century as did Spain. It is not surprising that so few printers or booksellers came from Spain to Italy, […] the Italians were quite capable themselves of printing books in Spanish to fulfil the needs of their Spanish overlords during the Spanish domination of a large part of their country. (Rhodes 2004, 325)

6.5.1.2 Sprachlehrwerkeproduktion im spanischen Italien

Die Zusammenfassung der lokalen Sprachlehrwerkeproduktion, die auch als Gegenentwurf zum ›klassischen‹ Forschungszugriff auf die internationale Produktion Venedigs von italienisch-spanischen Grammatiken und Wörterbüchern konzipiert war, zeigte das übliche ›1:3‹-Verhältnis. In Sardinien kann nicht von einer systematischen metasprachlichen Tätigkeit gesprochen werden, lediglich der Kleriker Vidal legte zwei in seiner ausführlichen Vorrede eingebaute zweisprachige Mini-Glossare vor (Vidal 1636; vgl. Kap. 6.1.5.2). Allerdings waren auch in den anderen drei Kommunikationsräumen Sprachlehrwerke, insbesondere originäre, spärlich gesät. Die in Sizilien sehr früh entstandenen, aber außerhalb gedruckten zwei- und dreisprachigen Wörterbücher des Schulmeisters für Latein Scobar (Scobar 1519/1520) entstanden in einem humanistisch durchdrungenen Schulkontext; die dort enthaltene Spanisch-Komponente ist eine Übernahme der direkten Vorlage des Wörterbuchs der sprachlichen Autorität Nebrija und entstand nicht aus der Erfordernis des spanischen Spracherwerbs. Demgegenüber ist das zweisprachige italienisch-spanische grammatische Compendio von Giuffredi (Giuffredi 1601), eine Adaptation einer bereits existierenden Grammatik, tatsächlich als Beleg für den insulären bzw. palermitanischen Sprachkontakt und Bedarf eines Regelwerks auf institutioneller Ebene zu werten; es wurde ebenso wie Scobar typischerweise außerhalb der Insel gedruckt. In Mailand gehört der Nachdruck der circa 70 Jahre zuvor erstmals erschienenen Introdutione nella quale s’insegna pronunciare la lingua spagnuola (Ulloa 1621) zum hispanisierten Verlagsprogramm von Bidelli, der damit höchstwahrscheinlich Italienern ein Begleitinstrumentarium zum spanischen Spracherwerb bieten wollte – eine strategische Maßnahme, um den Absatz seiner herausgegebenen spanischen Bücher weiter zu steigern. Ebenfalls ein Nachdruck ist die La Novissima grammatica delle trè lingue italiana, franzese e spagnuola (Franciosini/Lonchamps/Firenze 1667), deren Druck allerdings vor dem Hintergrund einer beginnenden Frankophilie der Lombardei weniger als Zeugnis für konkretes Interesse am Spanischen zu werten ist und für die Dreisprachigkeit der Zeit steht. Aus Neapel stammen schließlich das früheste erhaltene Zeugnis für spanische Grammatikografie im spanischen Italien, das auch im europäischen Vergleich eines der jüngsten darstellt, der Paragone della lingua Toscana e Castigliana (Alessandri d’Urbino 1560). Ebenso aus Neapel stammt das späteste überlieferte und bisher von der Forschung ignorierte Zeugnis einer Spanischgrammatik mit italienischer Metasprache: Die Gramatica española, O’ modo de entender, leier, y escrivir Spañol (Perles y Campos 1689) wurde, im Gegensatz zu internationalen Standardwerken wie Miranda und Franciosini, explizit auf die pragmatischen Bedürfnisse der neapolitanischen Rezipienten zugeschnitten, sprich Konversation und Geschäftsverkehr. Die Autoren der letzten beiden Gebrauchsgrammatiken sind bezeichnenderweise beide Geistliche – lässt man Scobar beiseite, handelt es sich damit bei allen Autoren um keine professori di lingue im strengen Sinn. Sowohl über die Berufspraxis der haupt- oder nebenberuflichen Sprachmeister als auch über die tatsächlichen Lernmotivationen liegen keine gesicherten Nachweise vor, zum Beispiel in Form von biografischen Zeugnissen, bzw. diese Selbstzeugnisse sind (noch) nicht erschlossen.12 Eine Systematisierung des insulären oder städtischen Fremdspracherwerbs der spanischen Sprache lässt sich anhand der aktuellen Quellenlage nicht feststellen.

6.5.2 Produktion und Rezeption

Die Rückschau der Grammatikografie und Lexikografie führt unmittelbar zu den Rezipienten der spanischen und mehrsprachigen Drucke, welche die Nachfrage bestimmten. Das folgende Diagramm gibt Aufschluss über die domänenspezifische Verteilung der spanischen Korpus-Drucke aus beiden Jahrhunderten (gleichwohl für die Verteilung eine Tendenziosität zu monieren ist, wie in Kap. 4.4 erwähnt wurde).

Abbildung 62: Diskursdomänenspezifische Verteilung der spanischen Druckwerke des Korpus im Vergleich (1501–1700); Datenset 13: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

Abbildung 62: Diskursdomänenspezifische Verteilung der spanischen Druckwerke des Korpus im Vergleich (1501–1700); Datenset 13: TISIT16–17, [21.04.2015], DOI: http://dx.doi.org/10.7910/DVN/YIVKM9 (Zugriff vom 23.04.2015).

In Venedig und Mailand wurden bevorzugt literarische ›internationale‹ Druckwerke auf Spanisch hergestellt: Während Venedig damit Gesamtitalien versorgte, deckte Mailand (zusammen mit den Geschichtswerken) die lokalen Bedürfnisse ab. In Neapel und Sardinien dominierten religiöse Editionen, was auf die dortige hohe Anzahl an religiösen Individuen (Kleriker, Mönche) und Kollektiven (Kirchen, Klöster, Konvente) zurückzuführen ist. Der vergleichsweise hohe Anteil an administrativen Titeln in Neapel und Mailand bescheinigt den hohen Status der Verwaltung als eine der Haupteinflusssphären Spaniens auf die Metropolen – überraschenderweise spiegelt sich diese Tatsache nicht auf Sardinien wider. In Sizilien zeichnen sich keine speziellen Bedürfnisse ab; die Diskursdomänen waren hier weitgehend gleich gewichtet.

Generell ist von gebildeten, elitären Rezipienten und Käufern auszugehen, welche die Druckwerke als unterhaltende oder berufsbezogene Lektüre nutzten. Zielgruppe der laut verlesenen cride (auf Katalanisch und Spanisch in Sardinien) bzw. gride (auf Italienisch und Spanisch in Mailand) waren demgegenüber alle Volksschichten der Insel bzw. die lombardischen Söldner.

Über Mehrsprachigkeitskompetenzen waren allgemein wenige Aussagen in den Paratexten und Texten zu finden; sie konnten daher nur implizit erschlossen werden. Die vorgefundenen metasprachlichen Indizien in den Sprachlehrwerken, aber auch in den anderen Druckwerken, über vorhandene oder fehlende Spanischkenntnisse der Italiener und Italienischkenntnisse der Spanier sind im Grunde paritätisch verteilt; definitive Schlussfolgerungen sind hier kaum möglich.13 Oftmals waren Sprachkenntnisse (selbst-)bezeugt, aber nur in einer unzulänglichen Form. Viele der Autoren waren, wie auch aus den Biografien herauszulesen war, von Berufs wegen häufig hoch mobil (zum Beispiel militärische Oberbefehlshaber in Mailand oder Kleriker) und in mehreren, das heißt alten und neuen Sprachen bewandert. Drucker waren in der Regel nicht mit der spanischen Sprache vertraut.

6.5.3 Praktiken von Mehrsprachigkeit

Hinsichtlich der bewussten Praktiken von Mehrsprachigkeit, die in den Druckwerken zum Vorschein traten, ließ sich generell gesprochen der Paratext als Hauptort für praktizierte Mehrsprachigkeit identifizieren: Hierin speisten meist mehrere, auch aus unterschiedlichen ›Disziplinen‹ oder Institutionen stammende Personen Diskurse ein, die je nach Diskurstradition und Intention sprachlich unterschiedlich gestaltet wurden. Latein, Italienisch und Spanisch oder noch weitere Sprachen konnten hier kopräsent sein, das heißt neben- oder nacheinander stehen, nicht jedoch – zum Beispiel innerhalb eines Lobsonetts – miteinander vermischt sein.

Eine Hauptdomäne für mehrsprachige Praktiken lässt sich nicht ausmachen. Die in Kap. 5 eruierte Rangfolge der Diskursdomänen in der italienisch-zweisprachigen Produktion macht pragmatisch-technische Bedürfnisse einer zweifachen bzw. gleichzeitigen – ›italienischen‹ wie spanischen – Rezipientengruppe deutlich, der damit eine nützliche Ergänzung der einen oder der anderen Sprache geboten war; dies wird aber in den meisten Fällen nicht metasprachlich expliziert.

Mehrsprachigkeit war ansonsten am greifbarsten in Theatertexten, gleichwohl es sich dabei um eine fingiert-expressionistische Mehrsprachigkeit handelt: In der Komödie dient Spanisch, das im Vergleich zu den anderen Sprachen und Varietäten keinen prominenten Platz einnimmt, wie Beccaria zurecht betont, »sì a caratterizzare, ma rivela soprattutto la sua funzione di ›registro‹: è una convenzione stilistica, non già un riflesso realistico« (Beccaria 1968, 270). Spanische Komödien sind wider Erwarten sowohl in Mailand, Neapel als auch in Sizilien kaum bezeugt und waren zudem für einen elitären Kreis bestimmt.

Überraschend ist die nicht gerade ausgeprägte Praxis von textinterner literarischer Mehrsprachigkeit. Der Paratext ausgenommen, kann man sogar sagen, dass sich in diesem dafür potenziell ›anfälligen‹ Bereich oder aber auch in anderen Domänen keine speziellen Formen oder gar neuen Traditionen des Schreibens durch das Zusammenleben von allochthonen Spaniern, Katalanen etc. und autochthonen Italienern herausbildeten.

6.5.4 Sprachreflexion und Perzeption

In Bezug auf die varietätenraumbezogene Konfiguration der zeitgenössischen Sprecher, die sich aus den Primärquellen und Druckwerken ›ablesen‹ ließ, ist festzuhalten, dass die spanische Sprache (oder eine spanische Varietät) zusammen mit dem Katalanischen nur als ein integrativer Bestandteil des gelebten Kommunikationsraums in Sardinien perzipiert wurde. Die gleiche Schlussfolgerung resultiert aus dem Vergleich der sozusagen professionellen Sprachreflexion in den vier Territorien. Auf Sardinien ging es dabei sowohl in der Auto- als auch Heteroperzeption um einen Kontrast zwischen Viel- und Einsprachigkeit, der von den Herrschenden auf spanischer Seite als nachteilig empfunden wurde; aus autochthoner Warte, das heißt in den Werken mit sprachreflektorischem Gehalt, bedeutete die Situation jedoch eine Chance. Da für die Insel kein Rückblick auf eigene literarische Ursprünge bzw. Erfolge möglich war wie zum Beispiel auf Sizilien, wo zunächst mit Arezzo (Arezzo 1543) Unabhängigkeitsbestrebungen und 100 Jahre später mit Galeano (Galeano 1645) interessanterweise Annäherungsbestrebungen an Italien ausschlaggebend für Sprachreflexion waren, erachteten die sardischen Diskutanten die bewusste Integration sowohl der toskoitalienischen als auch der spanischen Sprache zum weiteren Ausbau des Sardischen als unabdingbar. Damit schlägt auch in diesem Punkt die Insel im Vergleich zum konträren ›Terzett‹ einen Sonderweg ein: In den jeweiligen Verteidigungsschriften zur Statuserhöhung des muttersprachlichen Idioms in Mailand, Sizilien und Neapel, die »stets Teil eines umfassenderen Zeugnisses lokaler bzw. regionaler Identität« (Ellena 2012, 144) sind, sind zwar ebenfalls intertextuelle Verweise auf alte und neue Sprachen vorhanden, nie aber ist hier das Spanische im Sinne einer Prestigesprache inkludiert.

6.5.5 Typenbildung der Mehrsprachigkeitskonstellationen

Zusammenfassend sind damit in den beleuchteten spanischen Territorien zwei unterschiedliche Umgangsformen von Mehrsprachigkeit festzustellen: Der erste Falltypus, der nur auf die Sardegna spagnola zutrifft, manifestiert sich in einer Thematisierung oder gar Dramatisierung im Sinne einer problemzentrierten Sichtweise auf Mehrsprachigkeit. Der zweite Falltypus zeichnet sich durch eine starke Tendenz hin zur Vergleichgültigung bzw. Entdramatisierung von Mehrsprachigkeit aus.

Während in Sardinien mehrere Quellen die schwierigen Verständigungsprobleme, aber auch -chancen verlautbaren, ist auf der Schwesterinsel Sizilien, im Herzogtum Mailand und in Neapel eine tendenzielle Indifferenz gegenüber Sprachbarrieren von beiden Seiten, das heißt den italo- und den hispanophonen Kommunikanten, festzustellen (Sprachbarrieren innerhalb des italienischen Varietätensystems werden hingegen meist karikiert). In Sardinien scheitert die (Semi-)Kommunikation aufgrund der bezeugten quasi babylonischen Sprachen- und Varietätensituation innerhalb der Städte und der eklatanten sprachlichen Stadt-Land-Divergenz. Weder Latein noch das Toskoitalienische besitzen zudem auf der Insel einen hohen Stellenwert wie in Sizilien und auf dem Kontinent und werden vergleichsweise marginal distanzsprachlich verwendet, dafür werden Katalanisch und schließlich Spanisch im Zuge der sprachlichen Vereinheitlichungsbemühungen im Druck dominant gebraucht – das Gegenteil ist in den drei anderen Territorien der Fall. In Sizilien, Mailand und Neapel dient Sprachdifferenz allenfalls ›zum Lachen‹, meist durch irreguläre Gebrauchsweisen einzelner Lexeme,14 und scheint ansonsten nicht der Rede wert zu sein. Mehrsprachigkeit scheint hier so normal, dass sie kaum jemanden beeindruckt oder beeinträchtigt – und er dies schriftlich festhalten müsste. Selbst zwei- und mehrsprachige Drucke erscheinen in den meisten Fällen metasprachlich ›unkommentiert‹ und/oder unkommentiert in Bezug auf den gelebten Kommunikationsraum.

In Bezug auf die spanische Sprache lässt sich folgendes Fazit der Arbeit ziehen: Entgegen allen Erwartungen an die historische Konstellation ›spanisches Italien‹ spielt Spanisch in den spanischen Territorien mit Ausnahme von Sardinien lediglich eine untergeordnete Nebenrolle15 – die Schlussfolgerung ergibt sich aus einer Indizienkette: Die spanische Sprache ist lediglich von marginaler Bedeutung in der Buchproduktion (und im Buchhandel); darüber hinaus kann Spanisch keine, auch nicht durch die Herrschenden selbst geförderte, beachtliche gesamtgesellschaftliche Präsenz oder Wirkungskraft und des Weiteren auch keine buchstäbliche Repräsentativität im Bewusstsein der Zeitgenossen vorweisen.16 Institutionell – das heißt an Hof, Kirche, Akademie, Administration, Admiralität – gebunden, ist die spanische Sprache für das oberste, alphabetisierte und nicht zuletzt kaufkräftige Stratum der Gesellschaft, für das teilweise eine echte Mehrsprachigkeit17 und/oder teilweise eine rezeptive Mehrsprachigkeit anzunehmen ist, für bestimmte Zwecke und in bestimmten Diskurstraditionen, insbesondere der administrativen, quasi stillschweigend konventionalisiert.

Die Manifestationsform von Mehrsprachigkeit, die sich im Buchdruck im spanischen Italien widerspiegelt, ist folglich die der elitären Mehrsprachigkeit.18

1 Vgl. Lo Piparo 1987a, 472; Mazzocchi 2004, 310. Für Wilhelm stellt Latein die Herrschaftssprache der spanischen Krone dar (vgl. Wilhelm 2013, 146).

2 Für Gesamtsizilien fehlt bisher eine Erfassung und Auswertung der secentine in allen Sprachen.

3 Es kann also durchaus sein, dass auf Basis dieser höher liegenden Zahlen der Anteil der spanischen Buchproduktion an der Gesamtproduktion einige Prozentpunkte höher klettern würde, aber ohne die unbekannten Größen der italienischen und lateinischen Produktionszahlen können letztendlich keine Aussagen über die sprachliche Gesamtdistribution getroffen werden.

4 Der Vizekönig Toledo selbst schien, der Inventarliste seiner ca. 150 Bücher umfassenden Privatbücherei nach zu schließen, seine spanischen Werke, die quasi sämtlich in Spanien gedruckt wurden, entweder selbst aus Spanien mitgebracht oder diese von dort bezogen zu haben; die vielen lateinischen und italienischen Titel und Übersetzungen vom Italienischen ins Spanische und viceversa bezeugen aber auch Toledos sprachliche Flexibilität. Überraschend wenige Titel stammen aus Neapel selbst. Vgl. Nicolini 1946, URL: http://www.academia.edu/3827494/Benedetto_Nicolini_La_ Biblioteca_di_Don_Pietro_di_Toledo_Biblion_I _6-7_1946_pp._250-266 (Zugriff vom 25.02.2015) und Pane 1975a, 85f.

5 Neben 30 lateinischen, 13 flämischen und neun französischen Titeln vgl. Peeter-Fontainas 1956, 17 und die dortige Titelliste mit typografischen und bibliografischen Angaben (Ders. 1956, 33–98).

6 Vgl. Kap. 3, Anm. 49. Die Neuedition von Ulloa 1553 mit integrierten Ausspracheregeln des Spanischen stellt nach dem Lyoneser Druck von 1550 erst allgemein die dritte Edition und die erstgedruckte in Italien dar (vgl. Tab. 2).

7 Schon sein ehemaliger Arbeitgeber, der Verleger Jean Steelsius (1533–1575), war gleichermaßen bekannt für die Spezialisierung auf spanische Drucke (vgl. Peeters-Fontainas 1956, 11). Die Druckerei Nutius blieb in Familienhand bis 1639 und auch die Nachfolger setzten die ›Haustradition‹ der spanischen Produktion bis 1753 in Antwerpen fort (vgl. Ders. 1956, 16).

8 Ein systematischer Export aus Spanien selbst nach Italien ist höchst unwahrscheinlich, wie Pettas erläutert: »Printing in Spain was primarily für the local market and did not even satisfy local demand, since many books were imported from Lyons, Basel, Paris, Antwerp and Venice. The books produced by Spanish publishers in the 16th and 17th centuries were not widely exported to Europe. The market for their output, unlike that of their counterparts in Italy, France and Germany, was Spain and the New World. The great distances to overseas markets, the scarcity and high cost of skilled labor and paper and other printing materials, and competition from cheaper imports resulted in generally smaller press runs and a market which was chiefly domestic.« (Pettas 1995, 1f.).

9 Aufgenommen wurden insgesamt 1.413 Druckwerke bis zum Erscheinungsjahr 1799. Die Editionen zwischen 1701 und 1799 belaufen sich auf ca. 215 und sind in der obigen Auszählung nicht enthalten.

10 Die USTC-Abfrage nach Titeln in spanischer Sprache ergibt mit der folgenden geografischen Verteilung eine numerische Überlegenheit der Niederlande gegenüber Italien: 1. Spanien (9.227), 2. o.O. (1.444), 3. Niederlande (542), 4. »Italian states« (dazu zählt z.B. Avignon) (365), 5. Mexiko (249), 6. Portugal (245), 7. Frankreich (105) (Stand: 01.12.2014).

11 »Apart from multilingual dictionaries, there was little Spanish printing in the Low Countries before 1540, and those few editions that exist are very rare.« (Rhodes 2011, 51, Anm. 3). Venedig hat gerade während diesen ersten Dekaden die führende internationale Rolle inne.

12 »Aus didaktischer Sicht erscheint es vordringlich, mehr über die Unterrichtswirklichkeit zu erfahren, die […] nicht unmittelbar aus den Unterrichtsmaterialien erschließbar ist. Letztere verkörpern die Ebene der Bildungsideen, nicht aber die der Bildungswirklichkeit. Dieses Desiderat ist alles andere als leicht zu verwirklichen.« (Glück/Häberlein/Schröder 2013, 346).

13 Gruber interpretiert die metasprachlichen Hinweise auf vorhandene Spanischkenntnisse der Italiener in spanischen Sprachlehrwerken als Topos, der sich mit werbetechnischen Strategien erklären lasse (Gruber 2013, 287 und 294). Fakt ist aber auch, dass das Spanische als Literatur- und Hofsprache bis über die Hälfte des 16. Jh.s hinaus in Italien Prestige genoss, so dass sich z.B. auch Bembo für spanische Literatur interessierte (vgl. Kap. 1; Kap. 1, Anm. 6 und Anm. 14).

14 Wilhelm spricht in seiner Analyse von einer exotischen Funktionsweise des Spanischen (Wilhelm 2013, 144–146).

15 Im Übrigen war Spanisch, um am Ende auch auf den bisherigen Forschungsschwerpunkt zu sprechen zu kommen, auch im Lexikon nur vorübergehend präsent: Die in D’Agostino präsentierte Statistik macht deutlich, dass drei Viertel der Hispanismen, die inbesondere als Exotismen im 16. Jh. in die italienische Sprache gelangten, Ephemerismen sind, d.h. bereits im 18. Jh. als veraltet galten (D’Agostino 1993, 794 und 810–813). Zudem ist zumindest für Mailändisch und Sizilianisch ein kaum spürbarer lexikalischer spanischer Einfluss zu konstatieren, den Massariello Merzagora im Falle der Lombardei an der »comunità chiusa« spanischer Militärangehöriger, die auch zu keinen Mischehen führte, festmacht (vgl. Massariello Merzagora 1988, 215; Mazzocchi 2013, 157; Alfieri 1992, 825 und Kap. 6.2, Anm. 47); eine nachhaltige Stabilität der spanischen Sprache gilt diesbezüglich am wahrscheinlichsten in der neapolitanischen Lexik, aber auch hier gab es in erster Linie Reflexe im elitären Bereich wie Etikette, Mode, Pferdezucht, etc. (vgl. Riccio 2005; vgl. Kap. 6.4, Anm. 35, Anm. 36 und Anm. 50).

16 Lievens veranschlagt für Neapel »una comunità interletteraria contrassegnata da uno scambio costante tra modelli italiani e spagnoli, in cui anche la letteratura ›maggiore‹ si mostra recettiva e permeabile a suggestioni provenienti da quella ›minore‹.« (Lievens 2013, 7). Nach Weller »[…] blieb das Spanische auf lange Sicht lediglich eine europäische Volkssprache neben anderen und erlangte, anders als das Französische im 17. und 18. Jahrhundert, auch nie die Bedeutung einer gemeineuropäischen Hofsprache. In Politik und Diplomatie blieb das Latein zunächst weiter vorherrschend […]« (Weller 2010, 22).

17 Im Sinne von Ehlich kann erst von ›echter‹ oder ›praktischer‹ Mehrsprachigkeit gesprochen werden, wenn auch hinreichende Fremdsprachenkenntnisse mit einbezogen werden. Falls dem nicht so ist, sei von »fiktiver Mehrsprachigkeit« (Ehlich 2006, 17) auszugehen, wie sie der Autor für den Großteil des heutigen Europa annimmt (Ehlich 2006, insb. 15–17, URL: http://doc.rero.ch/record/17527 [Zugriff vom 10.12.2014]).

18 Gleichermaßen hat jüngst die Fall- und Vergleichsstudie von Glück/Häberlein/Schröder »gezeigt, dass die Eliten der Reichsstädte Augsburg und Nürnberg in hohem Grade mehrsprachig waren« und Mehrsprachigkeit gar »als Standesmerkmal städtischer Eliten in der Frühen Neuzeit« diente (Glück/Häberlein/Schröder 2013, 341).