Der bis 1796 dauernde Kampf um die Vorherrschaft zwischen Frankreich und Habsburg in Italien begann 1494: Als Erbe der Rechte der Anjous (1282–1442) auf das Königreich Neapel, das seit 1442 zusammen mit Sizilien unter aragonesischer Herrschaft stand, unternahm der französische König Karl VIII. einen Kriegszug nach Italien. Dem General Gonzalo Fernández de Córdoba y Aguilar gelang es, diesen und weitere Angriffe seitens der Franzosen auf Neapel bis 1503 abzuwehren und sie letztendlich zum Rückzug zu nötigen. Die Vizekönigschaft des Gran Capitán in Neapel dauerte allerdings nur bis 1506. Offiziell erwarb demnach Anfang 1504 Ferdinand II. von Aragón (1479–1516) das Königreich Neapel, dessen Erbtochter Johanna von Kastilien mit dem Habsburger Philipp dem Schönen vermählt wurde. Aus ihrer Ehe ging Karl I. hervor, der, 1519 zum römisch-deutschen König Karl I. und 1530 zum römischen Kaiser Karl V. (1530–1556) gewählt, in mehreren Kriegen 1535 das reiche Herzogtum Mailand sichern konnte – und damit die spanische Vorherrschaft in Italien.1 Nachdem die französische Krone bereits im Damenfrieden von Cambrai (1529) auf alle Ansprüche in Italien und auch in Flandern verzichtete, schied Frankreich mit dem Frieden von Cateau-Cambrésis (1559) für vierzig weitere Jahre als dominierende Großmacht aus und ermöglichte so die spanische Vormachtstellung Philipps II. (1556–98) – Sohn von Karl V., der nach dessen Abdankung Spanien und Burgund erhielt – sowie der Habsburger in Europa. Gemäß Braudel ging die Bellizität des Zeitraums vor 1559 so in die Epoche der pax hispanica über und das daraus resultierende »dritte Italien« von 1559 bis 1650 war von relativer Stabilität gekennzeichnet (Braudel 1974, 2156f.). Als »sistema di potenza regionale« (Musi 2004, 236) blieb Italien respektive die Lombardei, Neapel, Sizilien, Sardinien sowie der Stato dei Presidi2 ins spanische Herrschaftssystem, das als Paradebeispiel einer »composite monarchy« (Elliott 1992, 48)3 gilt, integriert. Bis zur Eroberung der österreichischen Streitkräfte 1707 während des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) entstand dadurch in Italien ein »spazio politico relativamente unitario e al tempo stesso assai differenziato« (Musi 2004, 236).4
Abbildung 1: Karte der Italia spagnola: Gebietsansprüche der spanischen Krone im 16. und 17. Jahrhundert in Italien (eigene Darstellung).
Die Regierungsstruktur gestaltete sich in den einzelnen spanischen Territorien auf italienischem Boden auf den ersten Blick analog; dennoch sei darauf hingewiesen, dass es sich um »three unique histories, relationships, and jurisdictions« handelte (Peytavin 2007, 356). Dem spanischen Monarchen war seit Antritt von Philipp II. (1556) bis auf Ausnahme von Sardinien, das bis 1705 unter die Zuständigkeit des Supremo e Reale Consiglio di Aragona fiel, der oberste Italienrat (Supremo Consiglio d’Italia) zur Seite gestellt, der sich aus einem Präsidenten, sechs Regenten – drei spanische Repräsentanten und drei italienische naturales – sowie letrados (Juristen) und weiteren Verwaltungsfunktionären formierte. Das Prinzip des gemischten hispano-italienischen Regierungsapparates setzte sich bis in die unteren Parlamente fort; in Mailand war beispielsweise im Zeitraum von 1561 bis 1706 ein Viertel (54 von 208) der Senatoren Spanier (vgl. Muto 2007, 269). An der Spitze Neapels stand der aus dem höchsten spanischen Adel stammende Vizekönig, dessen Amtszeit auf drei Jahre beschränkt war (eine Ausnahme bildete der sieben Mal in seinem Amt bestätigte Toledo), so dass in den zwei Herrschaftsjahrhunderten rund 40 Vizekönige allein in der süditalienischen Hauptstadt herrschten. Permanente visitas nach dem erfolgreichen Modell der Kanzlei von Valladolid, das auf Italien ebenso wie auf die anderen spanischen Herrschaftsgebiete appliziert wurde, das heißt regelrechte Inspektionen von Personen und Institutionen, ermöglichten die Autoritäts- und Funktionskontrolle der Verwaltung.5 Neben der Führungselite machte sich die spanische Autorität hauptsächlich in Form der militärischen Präsenz bemerkbar: Das spanische Defensivsystem gliederte sich in die statische, infanteristische Verteidigung der Fortifikationen der größten Städte und Küstenorte (pro Königreich ein stationiertes Heer) und in den Einsatz mobiler Einheiten wie Kavallerie und Galeeren,6 wobei auch hier eine ›Bemannung‹7 mit Hilfe der autochthonen italienischen Soldaten gewiss nicht ausgeschlossen war.
Diese zwei Jahrhunderte umspannende spanische Herrschaftsperiode in Italien wurde von namhaften italienischen, weniger spanischen Historikern gut ausgeleuchtet; die historischen Koordinaten brauchen an dieser Stelle nicht vertieft werden.8 Verkürzt könnte man mit Musi fünf essenzielle Charakteristika der spanischen Herrschaft festhalten: 1. Einheit von Politik und Kirche; 2. Existenz eines Führungslandes (Spanien); 3. gegenseitige Abhängigkeit der einzelnen ›Subsysteme‹: Italien wird strategisch-militärisch,9 insbesondere Mailand als »chiave del regno« bzw. »cuore della monarchia« (vgl. Ribot Garcia 1995, 100f.),10 aber auch Sizilien und Neapel als Hauptbastionen gegen die drohende Türkengefahr genutzt. Außerdem wird Italien ökonomisch – Sizilien als ›Kornkammer‹ und Seidenfabrikant, Neapel als Steuerlieferant während des wirtschaftlichen Niedergangs Spaniens – funktionalisiert;11 4. politische Verhältnisse zwischen Dominanz und Konsens, zwischen Integration, Repräsentation und Widerstand; 5. spanische Hegemonie in den internationalen Beziehungen (Musi 2004).
Die Migrationsvorgänge im Kontext sozio-ökonomischer, demografischer und kulturgeschichtlicher Entwicklungen infolge der direkten und indirekten Herrschaft Spaniens sind für die vorliegende Arbeit von größerem Interesse als die mikrohistorischen Details: Schließlich geht es um die Identifizierung der Auftraggeber, Produzenten und potenziellen Rezipienten der Druckwerke in spanischer Sprache sowie der zwei- und mehrsprachigen Drucke und Übersetzungen. Es liegt auf der Hand, dass »[d]uring the course of the sixteenth century the Spanish presence in Italy, which means the individuals and families that came to reside there, grew considerably« (Muto 2007, 253). Man muss davon ausgehen, dass sich die Migration sowohl in residenzieller Mobilität (bis hin zur italienischen naturalezza bzw. cittadinanza)12 als auch in politik- und arbeitsbedingten temporären Aufenthalten äußerte. Mobile Migrations- und Lebensmuster sind aber bisher nicht genügend erforscht, unter anderem aufgrund der in lokalen und zentralen Archiven stark verstreuten Dokumente:
But just how the thousands of Spaniards living in Italy shaped the broader contours of Italian society is a topic that still merits much further study. We still lack, for example, any comprehensive study of Spanish communities or settlements in Italy. Again, the detailed correspondence of Spanish ambassadors, agents, churchmen, pilgrims, merchants, and artists, among others, provides a solid archival base upon which to build such a study together with the thousands of wills left in Italian archives by the Spaniards who lived and often died there. (Dandelet/Marino 2007b, 13)
Aus historischer Sicht besteht also generell eine unsichere Quellenlage zur spanischen Präsenz in Italien, welche die sprachhistorischen und diachron migrationslinguistischen Recherchen erschwert. Dennoch wird in den Einzelkapiteln versucht, die migratorischen Aspekte bzw. Mobilitätsfacetten zu diskutieren.
Mailand und die drei süditalienischen Königreiche Sardinien, Sizilien, Neapel gelangten wie erläutert unter direkten Einfluss der spanischen Krone. Aber auch Rom befand sich unter dem Einfluss Spaniens.13 Quasi als eigene Kolonie der katholischen Monarchie spielte der Kirchenstaat eine zwar indirekte, jedoch durchaus nicht zu unterschätzende Rolle. Gleich zwei eingerichtete monatliche Kurierservices zwischen Madrid und Rom unter Philipp II. beweisen eindrucksvoll das enge Verhältnis (vgl. Dandelet 1997, 483).14 Die in diesem Fall ausgeübte ›weiche‹ Fremdpolitik der spanischen Könige – Dandelet spricht von »informal imperialism« (Dandelet 2001, 9) – bestand aus einer geschickten Kombination von militärischer Kontrolle,15 Bestechung und Patronage. Das Abhängigkeitssystem lässt sich wie folgt veranschaulichen:
Abbildung 2: Hierarchische Pyramide von Klientelismus in Rom (eigene Darstellung nach Dandelet 1997, 490).16
Rom verwandelte sich damit in eine aus vermutlich bis zu 30.000 Spaniern bestehende Enklave17 jeder sozialen Klasse wie Kardinäle, Kleriker, Botschafter, Soldaten, Hof- und Kaufleute, einfache Arbeiter, Intellektuelle und Künstler.18 Obwohl diese Immigranten aus sämtlichen Teilen des spanischen Territoriums kamen, bildeten sie eine solidarische Gemeinde mit sozialer Infrastruktur19 und einem ausgeprägten kollektiven Identitätsbewusstsein, stärker als dies in Spanien selbst der Fall gewesen sein dürfte, wie Dandelet argumentiert (Dandelet 1997, 487). Den institutionellen Nukleus der Kolonie bildete die 1579 gegründete Confraternita spagnola della Resurrezione. Diese war durch ihre karitative Tätigkeit, die Organisation von pompösen Festen, ritualisierten Prozessionen und Kanonisierungen weit mehr als der planmäßige, von Philipp II. 1579 proklamierte »lugar pío nacional« (zit. nach Dandelet 1997, 497).20
Eine »verdadera isla española« (García Cueto 2006, 302) etablierte sich ebenso in Bologna, obgleich in viel kleinerer Dimension. Hier existierte bereits seit 1369 das autofinanzierte und damit relativ autonome Colegio de España21 (auch synonymisch Colegio di San Clemente genannt), das im Seicento unter der Schirmherrschaft des spanischen Königs, des Papstes und eines spanischen Kardinals stand (vgl. García Cueto 2006, 36f.). Es diente traditionellerweise primär der Ausbildung von Beamten – die Kollegiaten wurden als bolonios betitelt – fungierte aber auch als kulturelles Epizentrum der spanischen Präsenz in Bologna: Ähnlich wie die Confraternita in Rom organisierte das Colegio identitätsstiftende Zeremonien und Feierlichkeiten, die auch auf die heimischen Bologneser zusammenführend zurückwirkten.22 Mit dem Colegio standen auch die meisten der 52 im 17. Jahrhundert aktiven spanischen Dozenten der Universität von Bologna in Verbindung. Neben dem Lehrpersonal gab es auch viele spanische Studenten des Studio boloñés, darunter Antonio de Nebrija in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, des Weiteren Mitglieder spanischer Herkunft der prestigereichen Accademia dei gelati wie auch in weiteren religiösen Orden involvierte Spanier (García Cueto 2006, 26f.).23 Dieser spanisch-italienische Sprachkontakt Bolognas liegt noch weitgehend im Dunkeln – ein Forschungsdesiderat bestünde im Aufsuchen und Überprüfen weiterer metasprachlicher Kommentare wie desjenigen von Antonio de Fuertes Biota. Der Kollegrektor entschuldigt sich in der Widmung an Philipp IV. der Relación a S. M. de las Fiestas y Certamen que hizo el Colegio Mayor de los Españoles en Bolonia al nacimiento del Ser. Príncipe D. Baltasar Carlos de Austria el año 1629 (Fuertes Biota 1630), in der er den stattgefundenen Poesiewettkampf mit italienischen und spanischen Teilnehmern dokumentiert, für eventuelle sprachliche Fehler: Diese seien geschuldet »a la larga ausencia de España, poco trato, y comunicación con Españoles, la conversacion con Italianos, entre quienes vivimos« (zit. nach García Cueto 2006, 44).
Kann der Ausdruck »porta d’Italia« (Rizzo 1992, 323) synonymisch für Mailand bzw. die Lombardei verwendet werden, so steht »testa di ponte« (Caciagli 1992, 63) metaphorisch für den Stato dei Presidi. Hierbei handelt es sich um einen 1557 durch Philipp II. annektierten Kleinstaatenverbund bzw. Flottenstützpunkt mehrerer toskanischer Hafen- und Festungsstädte.24 Auch diese Küstenzone, die mit den Verträgen von London und Florenz 1557 offiziell als spanisches Territorium Philipps II. beurkundet wurde – Cosimo I. wurde im Gegenzug der Großteil der bis 1555 unabhängigen Republik Siena überlassen – hatte primär eine militärisch-strategische Rolle inne. Durch diesen ›Appendix‹ des Königreichs Neapel konnten gleichzeitig der Kirchenstaat, die Toskana (Gefahr aus Frankreich) und das Tyrrhenische Meer (Türkengefahr) militärisch kontrolliert werden. Zwei spanische Autoritäten, ein ziviler Uditore Generale/Podestà und ein Governatore Militare, die dem neapolitanischen Vizekönig bzw. dem spanischen König unterstanden, verwalteten den Kleinstaat, dessen komplexe architektonische Festungsanlagen und die Versorgung mit Kriegsmaterial aus Neapel und Genua, die eine wichtige wirtschaftliche Achse bildeten (vgl. Martinelli 2006, 107f.). Circa 3.000 Soldaten umfasste die Garnison am Ende des 16. Jahrhunderts für den ganzen Stato, die damit die geschätzte Zahl von circa 2.000 einheimischen Bewohnern überstieg; einige der Soldaten waren in Kasernen, die meisten jedoch in privaten Unterkünften untergebracht – die Folge dieser direkten Kontaktsituation war unter anderem eine Bevölkerungsmischung (vgl. Caciagli 1992, 70).25 Eine Untersuchung zu den gesellschaftlich-kulturellen sowie sprachlichen Einflüssen im ›Staat der Befestigungen‹ fehlt allerdings, wie Caciagli bemängelt (Ders. 1992, 85). Dieses Manko gilt generell für die anderen gerade besprochenen spanischen Herrschaftsgebiete, in denen es Militäreinheiten gab (vgl. hierzu vor allem Kap. 6.3.2).
Obgleich die Militärpräsenz numerisch weniger stark war, als man vermuten könnte, tangierte die Anwesenheit von Soldaten durch direkte Nachbarschaft vermutlich am direktesten die allgemeine Bevölkerung in Italien – wie sich die Verständigung gestaltete, ist eine zweite Frage. In den städtischen Quartieri Spagnoli in Neapel ist die Haltung gegenüber den so genannten »bisoños«, den einfachen, rüpelhaften spanischen Soldaten, eher als negativ einzustufen (vgl. Kap. 6.4.2.2); insbesondere aber den ländlichen Bewohnern bereitete die Stationierung von spanischen Truppen wohl – ähnlich wie die Steuerbelastung – Probleme. Diese Vermutung, die Rizzo und Ribot García äußern (Rizzo 1992, 342; Ribot García 1995, 101), bestätigt die bisherigen Interpretationen der Beziehungen zwischen Spaniern und Italienern, die asymmetrisch gewertet werden (vgl. zum Beispiel Amelang 2007, 445): Spanien wird durch politisch-militärische Machtausübung und ökonomische Ausbeutung als dominanter Partner gesehen, Italien indessen eindeutig in der Leitrolle, was die Hochkultur betrifft. Als Argument gegen die erste Annahme könnte man anführen, dass es zum Beispiel im Gegensatz zu Sizilien und Neapel im Herzogtum Mailand zu keinen politischen oder sozialen Revolten gegen die spanische Regierung kam, dies hat allerdings nicht zu bedeuten, dass es keine Spannungen im Zusammenleben gegeben hätte.26 Im Unterschied zum extremen Urteil, welches Mazzocchi fällt – »[l]’Italia non si sentì mai spagnola (il che non vuol dire che avesse della Spagna un’immagine necessariamente negativa)« (Mazzocchi 2005, 394) –, wirft Croce einen differenzierten Blick auf die Kontaktszenarien und damit verbundene Einstellungen der Italiener gegenüber Spaniern:
I sentimenti delle popolazioni italiane erano assai diversi secondo le diverse forme e i diversi rappresentanti dell’immigrazione spagnuola con cui esse venivano a contatto. E se i guerrieri e cavalieri potevano ammirare la prodezza e lo spirito cavalleresco dei loro avversari, dei loro vincitori o dei loro fratelli d’arme; e i politici pregiare l’accortezza dei diplomatici e governatori, che la Spagna inviava; il popolo doveva dolersi, lamentarsi, sdegnarsi, e gridare anzitutto per le devastazioni e stragi alle quali assisteva, e delle quali era vittima, nelle guerre condotte in Italia dagli spagnuoli. (Croce 1917, 230f.)
Muto schließlich ist der Meinung,
[…] that the Spanish presence created potent models that influenced the social life of the Italian Peninsula, although it is perhaps excessive to speak of hispanicization. Even in the Italian provinces dependent on Spain, and even when these provinces were receptive to Spanish customs, they maintained a strong sense of their own identity, which was reiterated and confirmed in both individual and collective practices and behaviors. (Muto 2007, 254)
Lässt sich die These der schwachen Wirkungskraft der spanischen Präsenz auch auf die sprachlichen Verhältnisse übertragen? Ist es auch hier gewagt, von Hispanisierung zu sprechen oder gibt es Unterschiede je nach spanischem Territorium auf der Halbinsel? »[O]ne intuits that there were more early modern Italians who knew Spanish than Spaniards who knew Italian« (Amelang 2007, 452) – diese intuitive Annahme des Historikers muss zunächst anhand des sprachgeschichtlichen Forschungsstands (vgl. Kap. 3.2) und schließlich auch auf Basis der eigenen empirischen Befunde überprüft werden (vgl. Kap. 6).
Angenommen, man müsste die Gutenberg-Galaxis georeferenzieren, sie würde über Italien und speziell über Venedig besonders hell erstrahlen.27 Ungefähr 15 Jahre nach Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern bzw. dem dafür geeigneten Bleigießinstrument von Johan Gensfleisch zu Gutenberg28 druckten 1465 die zwei deutschen Prototypografen Konrad Schweinheim und Arnold Pannartz in Subiaco bei Rom die ersten lateinischen Inkunabeln Italiens. Die erste Früh- bzw. Experimentierphase von 1465 bis 1490 ist noch stark an die Manuskripttradition angelehnt – sowohl in Bezug auf die (ästhetische) Konzeption der Texte als auch was die Produzentenrolle angeht, denn hier schreiben und drucken weiterhin Gelehrte für gelehrte Leser. Der Inkunabelzeit29 folgt in Italien eine Phase der Hochblüte von 1500–1600, der sich dann von 1600–1750 eine Periode der Stagnation im Vergleich zu den Leistungen und Rekorden besonders aus der ersten Hälfte der vorangegangenen Epoche anschließt (vgl. Santoro 2008, 31–253).
Generell kann das Quattrocento als Ära der Wiegendrucke30 dahingehend rekapituliert werden, dass man sich nur allmählich von den ästhetischen und technischen Vorgaben der alten handschriftlichen Praxis löste und sich um exakte Imitation der Handschriften bei größtmöglicher Rationalisierung der Herstellungsprozesse bemühte. Die Auflagenzahlen waren eher bescheiden, der Durchschnitt lag bei circa 300 Exemplaren31; meist handelte es sich auch um ungebundene Druckerzeugnisse in großem Format, das erst ab circa 1480 verkleinert wurde (Füssel 1999, 91).
In fünf Städten – Venedig, Rom, Mailand, Florenz und Bologna, die auch im folgenden Jahrhundert ihren Status als größte Druckzentren beibehalten sollten32 – erschienen drei Viertel aller Bücher. Darüber hinaus wurden in 72 weiteren italienischen Städten und Dörfern Druckwerke hergestellt (vgl. Borsa 1980, 157), wobei die Lombardei die größte Dichte an Offizinen aufwies (vgl. Perini 1981, 769). Schätzungsweise 900 Drucker (vgl. Santoro 1983, 135), davon allein 300 in Venedig, das heißt Inhaber von Offizinen mit Hochdruckverfahren (vgl. Borsa 1992, 136), gab es in Italien im Quattrocento. Bei den meisten Typografen handelte es sich um Deutsche33 und zudem um Wanderdrucker34, die quasi die Monopolstellung innehatten.
Prinzipiell gab es aus wissenschaftlichen, politischen oder religiösen Bedürfnissen entstandene offizielle und, seltener, private Pressen, die das vormals klerikale Medien- und Lesemonopol (Klosterskriptorien und -bibliotheken) verdrängten. Sie hatten keine oder kaum Gewinnabsichten, da nur der lokale, maximal der regionale Buchbedarf abgedeckt werden sollte. Ganz anders als die lokale oder regionale Produktion in Kleinserie verlief die Entwicklung in Venedig ab ungefähr 1480: Das Buch gelangte hier zu seiner Marktreife und wurde zum industriellen Massenprodukt, das sowohl ›national‹ als auch international vertrieben wurde. Venedigs Charakter als Druckmetropole war stark kommerziell und wettbewerbsorientiert.35 Der Welt- bzw. Europavertrieb hatte auch sprachliche Konsequenzen; es ist nicht verwunderlich, dass das frühneuzeitliche Latein, neben Griechisch Bildungssprache der Humanisten und gemeinsames Kommunikationsmittel des gelehrten Europa, im Druck vorherrschte.
So wurden die katalogisierten 8.107 Wiegendrucke aus dem Indice generale degli Incunaboli (1943–1981) – geschätzt werden 13.000–14.000 Editionen – innerhalb Italiens zunächst ausschließlich auf Latein publiziert. Die Produktion von Druckerzeugnissen in der Volkssprache verzögerte sich bis 146936; erst an der Schwelle zum neuen Jahrhundert herrschte quasi Parität zwischen dem Druck auf volgare und dem auf Latein – ganz im Gegensatz zu England und Spanien, wo es von Anfang an mehr Bücher in der Volkssprache als auf Latein gab (vgl. Steinberg 1988, 120). »Erschwerend kommt hinzu, daß Italien ›sein‹ Volgare-Modell um 1500 noch nicht gefunden hat« (Koch 1988, 347). Dekadenweise steigerte sich der volgare-Druck von 21% (1469–80) auf 29% (1481–90) und schließlich auf 48% (1491–1500).37 Die Gesamtentwicklung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die sprachliche Verteilung nach Druckzentrum/-ort ganz unterschiedlich ausprägte. Für Florenz beispielsweise gilt die eben geschilderte Prädominanz des Lateinischen nicht; hier lassen sich von den insgesamt vermuteten 777 Wiegendrucken von Beginn an mehr volkssprachliche als lateinische identifizieren (557 : 210 bzw. 71,3% : 27%), mit einer Überlegenheit der religiösen und literarischen Diskursdomäne; hinzu kommen zwölf griechische Druckwerke (1,7%) (vgl. Santoro 2008, 85). Im Falle von Neapel stellt sich die sprachliche Verteilungssituation gerade umgekehrt dar und bleibt vom sukzessiven sprachlichen Vordrängen des volgare bzw. der Verdrängung des Lateinischen unberührt: 205 lateinische quattrocentine (69,5%) stehen hier 66 ›italienischen‹ (22,4%)38 und 24 hebräischen (8,1%) Frühdrucken gegenüber (vgl. Santoro 2008, 91).
Die Periode von 1500 bis 1515 markiert die ultimative Blütezeit des Buchdrucks in Italien und speziell Venedigs. Der »artigiano di lusso« (Belloni/Drusi 2007, 258) Aldo Manuzio setzt den Standard – seine Aldine waren ganz dem Humanismus verpflichtet und entwickelten sich zu begehrten Export-Artikeln und Nachahmerprodukten in ganz Europa.39 Nachdem der Römer in einer ersten Dekade ausschließlich mit der Herausgabe der griechischen Klassiker eine Buchmarkt-Lücke füllte und damit eine begrenzte, aber reiche Klientel bediente, brachte die Zusammenarbeit mit Bembo nach der Jahrhundertwende die literarische und sprachliche Neuorientierung. Es entstanden die »libelli portatiles in formam enchiridii« (vgl. Perini 1981, 782), das heißt erschwingliche Klassiker, insbesondere Petrarca und Dante, nun auch auf volgare (toscano) im papier-, das heißt kosteneinsparenden Oktavformat und im fehlerfreien, interpunktierten Kursivdruck, der dem Leser Platz bot für eigene Annotierungen.40
Das Bild der italienischen Typografie des 16. Jahrhunderts ist noch keineswegs so klar wie das der Protozeit des Buchdrucks, obwohl hier durch das konventionalisierte Druckimpressum (mit den drei Hauptangaben Ort, Jahr, Drucker/Verleger) keine Datierungsprobleme mehr auftreten. Generell gilt der Buchdruck im Gegensatz zum Quattrocento im 16. Jahrhundert als ›emanzipiert‹. Insbesondere nach den novità aldine (1501) konsolidieren sich zwischen 1515 und 1600 die im ersten Jahrhundert gewonnenen technischen Errungenschaften. Diese Zeit muss daher weniger aus der Perspektive der Produzenten und Distribuenten betrachtet werden, als aus jener der Rezipienten (vgl. Hirsch 1967). Gerade in diesem Jahrhundert wird deutlich, »dass eine solche Erfindung, wie die Technik bekanntlich überhaupt, eine Eigendynamik entwickelt, zum anderen, dass sie Bedürfnisse weckt oder verstärkt, die dann ihrerseits die technische Entwicklung weitertreiben.« (Gauger 1994, 76).
Die Hochphase gilt weiterhin vorwiegend für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, genauer bis zum Jahr 1555, »data assumibile per più ragioni […] come giro di boa nella navigazione del libro italiano dell’età rinascimentale« (Bottasso 1992, 35): Die großen poligrafi sterben aus (zum Beispiel Ruscelli †1566, Dolce †1568), der Erfolg von Übersetzungen lässt nach, das Ende der großen Druckerei-Dynastien (Sessa, Giunti, Scotto, Giolito) und der Beginn der Zensur (1557) setzen ein. Politische und kirchliche Autoritäten regeln die Herstellung, den Schutz und den Missbrauch von Druckerzeugnissen (vgl. Grendler 1988). In dieser Hinsicht stellt die Halbinsel im Vergleich zu anderen europäischen Ländern aufgrund der vorhandenen Doppelzensur durch den Kirchenstaat in Rom einerseits und durch die Gesetzgebungskompetenz der Republik Venedig andererseits einen Sonderfall dar. Für die Drucker bedeutete dies, sich in Zünften mit eigenen sanktionierten Gewerbeordnungen zu organisieren (zum Beispiel 1548 in Venedig, vgl. Brown 1891).
Welche salienten Merkmale der Drucke lassen sich im »Zeitalter der Konsolidierung« (vgl. Steinberg 1988, 193–343; Santoro 2008, 71–136) erkennen? Da es kaum Fortschritte rein technischer Art gibt, ändern sich weniger die Produktions- und Vertriebsmethoden als der Leserkreis, die Inhalte und die Sprachform der Drucksachen. Der dem Buch inhärente Doppelcharakter als Ware/Handelsgut und Text/Kulturgut oder, zeitgenössisch ausgedrückt als mercatanzia d’utile/mercatanzia d’onore41, verschiebt sich immer mehr zugunsten der ökonomischen Funktionalität. Die Leser profitieren von der Konfektionierung des Buches in Form einer nützlichen paratextuellen Rahmengestaltung: Die Druckwerke sind nun durchgehend ›etikettiert‹, das heißt mit einem paratextuellen Rahmen ausgestattet.42 Dadurch wird das Buch referenzierbar; die Referenz von Titel, Auflage, Band, Seitenzahlen, Index (vgl. Cormack/Mazzio 2005, 65), Druckerzeichen, etc. bietet einerseits angesichts der stetig wachsenden Menge an Büchern die universelle Nachvollziehbarkeit, insbesondere durch Katalogisierung (für Drucker, Buchhändler, Messen) und Eigenwerbung, andererseits erleichtern die Identifikations- und Orientierungshinweise die Leserezeption. Nicht nur die Präsentationsform wird im Zuge der Popularisierung des Buches als nun kollektives Kommunikationsmittel modifiziert, auch die Präsentations- bzw. Verkaufsorte vermehren sich (botteghe, piazze, Messen usw.). Die Rezipienten reagieren immer stärker auf das vorhandene Marktangebot: Das bisher gültige Prinzip, demzufolge das Angebot die Nachfrage regelt, wird nun umgekehrt. Aber auch inhaltlich regelt die Nachfrage das Angebot, so dass weniger elitäre Genres, dafür umso populärere Stoffe, und diese logischerweise immer mehr in der Volkssprache, gedruckt werden, wie zum Beispiel Kalender und Ritterromane,
[…] ma il boom più sorprendente è quello dei ricettari domestici, farmaceutici, chimici, enologici, industriali, esplicitamente destinati ad un vasto pubblico di profani, di cultori dei fai-da-te anziché ai professionisti, com’era stato dell’analoga – ma ben più ristretta – fioritura di pubblicazioni scientifiche affiorata soprattutto in Italia nell’ultimo quarto del Quattrocento. (Bottasso 1992, 39)
In der Lesergunst der im Übrigen immer noch äußerst geringen Leserzahl43 steht die moralische Nutzanwendung im Vordergrund: Erbauungs- und Belehrungslektüre (Katechismen, Kalender, etc.), die eher berufsbezogener Lektüre entspricht, sowie Sachliteratur. Das Buch transformiert sich langsam, aber stetig, vom Elite- zum Massenmedium; die privaten Abnehmer stammen immer noch, aber nicht mehr ausschließlich, aus dem gebildeten Bürgerstand. Das literarische Publikum im heutigen Sinn stellt nur einen kleinen Bruchteil dar.
Als Folge der Preissenkung, die aus den technisch-formalen Veränderungen, aber auch aus erhöhtem Konkurrenzdruck resultiert, vermindern sich die Druck- und Papierqualität.
In dieser Periode gibt es in Italien circa 2.000 Drucker, davon sind 493 allein in Venedig aktiv (Quondam 1977, 57). Darunter befinden sich wie bereits im vorherigen Jahrhundert jene hoch mobilen, von denen es manchmal nur Zeugnisse sporadischer Aktivität gibt, und solche, die dauerhaft und/oder in mehreren Generationen drucken und von denen manche auch ein Monopol innehaben,44 wobei sich ein fester Standort und Mobilität nicht ausschließen; in Süditalien sind ›Druckernomaden‹ sogar die Regel. Die bedeutendsten Familienfirmen des neuen Mediums können, da sie die notwendigen Mittel wie Kapital und kompetentes Fachpersonal besitzen und dadurch teure Zwischenhändler einsparen, großräumig denken und unterhalten italien- oder europaweite Filialnetze.45 Bei den Typografen handelt es sich nun, ab circa 1520, größtenteils um Norditaliener, von außerhalb kommen jedoch auch nach wie vor viele deutsche, flämische und französische Wanderarbeiter; Spanier sind augenfällig zu vernachlässigen – ein Kuriosum angesichts der teils massiven spanischen Präsenz, worauf in den entsprechenden Unterkapiteln des sechsten Kapitels gesondert eingegangen wird.
Insgesamt ist von circa 130 Druckorten mit mindestens einem (Wander-)Drucker/Verleger im 16. Jahrhundert auszugehen, die fast alle im Norden, das heißt nördlich von Rom, angesiedelt sind (vgl. Santoro 2008, 135).46 Sie produzierten insgesamt geschätzte 70.000 cinquecentine, von denen 18.000 im Short Title Catalogue of Books Printed in Italy and of Italian Books Printed in Other Countries from 1465 to 1600 now in the British Library (SCBI) (1988) und circa 67.000 Editionen in den filterbaren Online-Katalogen EDIT16 2014 und USTC 2014 repertorisiert sind. Bei EDIT16 handelt es sich um die momentan umfangreichste polyfunktionale Online-Nationaldatenbank aller in Italien (und im Ausland) entstandenen und in italienischen Bibliotheken aufbewahrten cinquecentine, die einer ständigen Ergänzung und Erweiterung unterliegt.47 Der Universal Short Title Catalogue (USTC) ist seit dem Jahr 2014 online verfügbar; er vereint alle europäischen nationalen Bibliografierungsprojekte (darunter auch EDIT16) bzw. alle in Europa bis zum Jahr 1600 (oder mit optionaler Zusatzeinstellung des Katalogs IB17 auch bis zum Jahr 1650) gedruckten Bücher in einem vielfältig durchsuchbaren Interface und mit einem gelungenen Interfacedesign.48
Annualisiert lassen sich die EDIT16-Titel wie folgt nach den mit Abstand meistgedruckten Sprachen, nämlich Latein und Italienisch, verteilen:
Abbildung 3: Sprachliche Verteilung der lateinischen und italienischen cinquecentine (1501–1600) nach EDIT16 (Stand: 10.08.2014).
Das folgende Schaubild zeigt die Distribution der Sprachen, auf denen nach den lateinischen und italienischen Titeln am häufigsten gedruckt wurde:
Abbildung 4: Sprachliche Verteilung der cinquecentine der anderen meistgedruckten Sprachen (1501–1600) nach EDIT16 (Stand: 10.08.2014).
Die aus dem USTC 2014 gefilterten Titel, die wie gesagt in sämtlichen europäischen Bibliotheken aufbewahrt werden, entsprechen mehr oder weniger den eben präsentierten Daten, allerdings weichen sie in zwei Sprachrubriken deutlich ab: So sind im USTC circa 100 spanische Druckwerke mehr und gut dreimal so viele französische Druckwerke wie in EDIT16 verzeichnet (der Sprachfilter »italiano-dialetti« ist hier inexistent):
Tabelle 1: Sprachliche Verteilung der cinquecentine (1501–1600) nach USTC (Stand: 22.09.2014).
Es ist richtig und auch von den Schaubildern abzulesen, dass »die Bücherproduktion vor allem ab 1540 explosionsartig« ansteigt – die lateinische verdoppelt, die italienische verdreifacht sich bis 1550 –, dass jedoch die volgare-Produktion »gegen Ende des Cinquecento die lateinische Produktion wohl überflügelt« (Koch, 1988, 348), wie Koch mutmaßt, muss anhand der Datenlage für die Halbinsel eindeutig vordatiert werden auf die 40er Jahre des 16. Jahrhunderts.49 Erstaunlich gering, vor allem im extremen Unterschied zu den italienischen Drucken, ist die Anzahl in EDIT16 von aktuell 239 Druckwerken in der Sprachrubrik »italiano-dialetti« (vgl. Kap. 2, Anm. 45), die wiederum interessanterweise ungefähr gleichgewichtet mit der der spanischen Titel (249) ist. Im Vergleich zu Französisch und Hebräisch liegt sie ihrerseits aber numerisch um ungefähr das Sechsfache höher.50
Wie gliedert sich nach EDIT16 die Buchherstellung in den sechs größten Druckzentren Venedig, Rom, Florenz, Mailand, Bologna und Neapel sowie in zwei als Vergleichswerte dienenden, kleineren Druckorten im Norden und extremen Süden Padua und Messina nach den ›größten‹ Sprachen, das heißt Lateinisch, Italienisch, Griechisch, Spanisch und »dialetti« auf?
Florenz bekräftigt seine primäre Stellung als Publikationsort für italienische Drucke wie bereits schon im Quattrocento mit einem im Gegensatz zu den anderen Zentren immensen Teilwert von über 80% der italienischen Sprache. In Venedig, Mailand, Bologna und Messina kann das Italienische einen leichten Überhang gegenüber dem Lateinischen für sich verbuchen; in Rom, Neapel und Padua liegt indessen eindeutig Latein vorne – eine Tatsache, die nicht verwundert angesichts des hohen Bedarfs an Büchern in lateinischer Sprache in der römischen Hauptstadt des Kirchenstaates, einer auf Recht spezialisierten Stadt wie Neapel und der Universitätsstadt Padua. Der Anteil an griechischen Werken fällt im Grunde nur in Venedig, und auch hier wider Erwarten nur wenig ins Gewicht (2,23%) (gefolgt von Rom und Neapel mit je 1,02% und 1,37%). Ganz ähnlich verhält es sich mit den nicht toskanischen Druckwerken (dialetti), die in Venedig und Bologna den höchsten Prozentsatz einnehmen, der aber im Vergleich mit Italienisch und Latein äußerst niedrig ausfällt. In Messina ist der Anteil an sizilianischen Büchern mit 2,78% vergleichsweise hoch.
In quantitativer Hinsicht und im gesamtitalienischen Vergleich werden gemäß EDIT16 2014 in Venedig die meisten spanischen Bücher gedruckt (79)51; Rom (59), Mailand (29), Cagliari (20) und Neapel (19) schließen sich an. Vergleicht man den spanischen Anteil an der jeweiligen Gesamtproduktion dieser Druckzentren prozentual, so ergibt sich, Cagliari ausgeschlossen, jedoch genau die umgekehrte Reihenfolge mit Neapel an der Spitze (1,23%), gefolgt von Mailand, Rom und Venedig (vgl. hierzu auch Kap. 6.5.1). In Bezug auf die spanischen Titel resultiert auf Basis des USCT 2014 die gleiche Anordnung, allerdings mit vor allem für Venedig und Rom höheren Zahlen: Venedig (118), Rom (105), Mailand (39), Cagliari (27), Neapel (19).
Kommt es bereits im Cinquecento zu einem leichten Qualitätsabfall, so wächst im letzten für die vorliegende Arbeit relevanten Zeitraum von 1600–175052 die Quantität der Bücher auf Kosten der Qualität weiter. Venedig muss Verluste im (Buch-)Handel hinnehmen. Die Neigungen der Leserschaft differenzieren sich weiter aus, wodurch das ›gelehrte‹ Buch randständig wird und vom libro di lettura, der (zeitgenössischen) Unterhaltungslektüre, reger Gebrauch gemacht wird (vgl. Santoro 2008, 235).
Die Betitelung der Zeitspanne von 1600 bis 1750 als »crisi della crescita« (Santoro 2008, 189–253) des Buchwesens ist eingebettet in eine gesamtitalienische Strukturkrise mit langfristigem Nachfragerückgang, die sich in mehrfacher Hinsicht bemerkbar macht. Politisch ist es während dieser 150 Jahre um Italien schlecht bestellt aufgrund des Dreißigjährigen Krieges und des Kampfes Frankreichs gegen die Habsburger (1598–1648) sowie des Niedergangs der spanischen Macht im Allgemeinen und im Besonderen auf italienischem Boden (1648–1713). Da Holland erste Welthandelsmacht wird, kommt es in Italien zum wirtschaftlichen Stillstand – primär sind Industrie und Landwirtschaft betroffen53; die rigide Steuerpolitik Spaniens trägt ebenso ihren Anteil bei. Zusätzlich wird Italien von einer schweren Pest (1656, Neapel) und weiteren Plagen und Naturkatastrophen (etwa der Ausbruch des Vesuvs 1632) geschwächt. Die Krise tangiert auch den kulturellen Bereich, obwohl in diesem Jahrhundert die ersten universitären und öffentlichen Bibliotheken (etwa die Biblioteca Laurenziana in Florenz; die Marciana in Venedig; die Ambrosiana in Mailand) entstehen, immer mehr Privatschulen in Form von Jesuitenkollegs und auch neue öffentliche und private Akademien, vorwiegend der humanae litterae, gegründet werden (vgl. Santoro 2008, 204).
Die italienische Typografie hat mit mehreren Problemen zu kämpfen: Weiterhin wirken Zensurgesetze – mit der Gründung von stamperie ufficiali durch kirchliche Institutionen54 und weltliche Obrigkeiten wurde die Kommunikationskontrolle noch zusätzlich verschärft –, die Niederlande und Frankreich gewinnen im Buchwesen unter anderem durch größere Toleranz gegenüber religiöser Verschiedenheit den Vorrang. Außerdem bedeutet die immer mehr um sich greifende Buchpiraterie, das heißt Raubdrucke und nicht korrekt lizenzierte Nachdrucke, finanzielle Verluste für Produzenten und Händler. Das Verschwinden der großen Humanistendrucker, die Venedig vormals Ruhm und Umsatz einbrachten, tut sein Übriges: »I Manuzio e i Giolito erano diventati riferimenti mitici a cui conformarsi nel tentativo di superare la povertà culturale delle scelte editoriali dell’oggi.« (Napoli 1990, 29).
Sieht man von Venedigs wirtschaftlichem Einbruch ab, lohnt sich die Druckkunst buchstäblich trotzdem, was auch die Gründung einiger Privatdruckereien durch vermögende Personen oder Familien beweist. Santoro warnt davor, die negativen Folgen des geringen Wirtschaftswachstums an ästhetisch-qualitativen Kriterien festzumachen und den Buchdruck des Seicento zu stigmatisieren als
[…] editoria in declino che ha attraversato una lunga fase di depressione, non tenendo nella dovuta considerazione che in quel periodo comunque furono per la prima volta impiantate stamperie in vari centri della penisola, comunque crebbe il numero degli operatori nel settore, comunque la produzione fu incrementata, comunque la possibilità di ›comunicare‹ fu accresciuta, comunque l’opportunità di divulgare certe idée e certe ideologie, prevalentemente ma non unicamente quelle conservatrici, fu maggiormente sfruttata, comunque i processi di alfabetizzazione e di acculturazione, che della diffusione dell’incremento della stampa sono causa ma anche effetto, fecero registrare ulteriori passi in avanti. (Santoro 2008, 211f.)
Trotz der unbestreitbaren technisch-formalen Stagnation und des Mangels an hochwertiger Qualität und Innovation ist also eine quantitativ nicht weniger signifikante Präsenz an Druckwerken zu verzeichnen. Die sich bereits im 16. Jahrhundert abzeichnende inhaltliche Dreiteilung der Buchproduktion in »libro dotto«, »libro di lettura« und »libro marginale« (vgl. Santoro 2008, 235–238) spitzt sich im Seicento zu, das zum »secolo del libro« (Petrucci 1988, 1276) wird, wobei besonders die Gegenwartsliteratur auch mengenmäßig die dominierende Rolle einnimmt:
Più libri significa anche più testi; ed è importante sottolineare che, proprio fra le opere in lingua, la maggior parte costituiva il prodotto di autori contemporanei; perché, se il Seicento fu il secolo del libro, esso fu anche il secolo dei produttori del libro, dai tipografi su su fino agli autori, che furono capaci di gettare in tipografia una vera e propria valanga di opere nuove. (Petrucci 1988, 1276)
Als »una delle due fonti più complete legate alla registrazione della produzione italiana secentesca« (Santoro 2008, 227) beinhaltet der Catalogue of Seventeenth Century Italian Books in the British Library (CSCIB) 12.366 secentine. Die diskurstraditionelle Rangordnung dieser Sammlung lautet: Religion, Literatur, Wissenschaften und Künste, Geschichte und Politik (Santoro 2008, 227). Auf Basis dieser katalogisierten Titel geht Santoro von 80.000 gedruckten Editionen des 17. Jahrhunderts aus, die er nochmals auf geschätzte 90.000–95.000 Editionen erhöht (Ders. 2008, 229). Damit hätte sich die Buchproduktion in diesem Jahrhundert bei ungefähr gleichbleibender Anzahl der Druckorte (circa 140), aber weit weniger Offizinen (circa 270) (vgl. Ders. 2008, 242) im Vergleich zum Cinquecento zahlenmäßig ungefähr um ein Drittel gesteigert.
In der sprachlichen Verteilungshierarchie nimmt die italienische Sprache eindeutig die Spitzenposition ein, wobei sich je nach Druckzentrum Unterschiede ausmachen lassen. Die Gesamtauswertung nach sprachlicher Distribution ist folgende: 8.437 Titel des CSCIB entfallen auf die italienische Sprache (68,24%), 3.679 auf Latein (29,73%), 110 auf Spanisch (0,89%) – davon 31 aus Rom, 24 aus Neapel, 20 aus Mailand und 14 aus Venedig55; 90 sind auf Griechisch (0,73%), vgl. folgende Grafik:
Abbildung 5: Sprachliche Verteilung der secentine des CSCIB (1601–1700) nach Santoro 2008, 229.
In Santoros Auswertung des britischen CSCIB nach sprachlicher Distribution fällt sofort die Prädominanz des Italienischen ins Auge, das nun die lateinische Sprache auf durchschnittlich circa 20% in den Druckorten mit größtem Produktionsvolumen auch und vor allem als Wissenschaftssprache zurückdrängt; die verständlichen Ausnahmen bilden der Kirchenstaat Rom und die Universitätsstadt Padua, die im 17. Jahrhundert noch einen lateinischen Anteil von gut 50% bzw. 56% vorweisen. Mit Ausnahme dieser beiden Städte ist also, auch in der Gegenüberstellung mit dem auf Basis von EDIT16 2014 entworfenen Schaubild (vgl. Abb. 3), eine weitere deutliche Vorwärtsentwicklung des Italienischen zu konstatieren.
Spanisch ist, wie erwähnt, am stärksten in Neapel, Mailand und Rom vertreten, wenn auch wieder, ähnlich wie die für das Cinquecento ausgewerteten Daten (vgl. Abb. 3), nur in sehr geringer Prozentzahl gemessen an der jeweiligen neapolitanischen (3,3%), mailändischen (2,85%) und römischen (1,17 %) Gesamtproduktion. Die von Santoro ausgewerteten prozentualen Verhältnisse in der Buchproduktion von Venedig, Messina, Florenz und Padua zeugen mit jeweils nicht einmal einem Prozentpunkt von äußerst marginalem Interesse an spanischen Druckerzeugnissen seitens der Produzenten – und wohl auch von fehlenden Kaufinteressenten. Diese These und die gerade genannten Mikrodaten gilt es in der vorliegenden Arbeit anhand der eigenen empirischen Daten zu überprüfen (vgl. Kap. 6).
1 Zum immensen Herrschaftsgebiet Karls V. mit farbiger Kennzeichnung des österreichischen, burgundischen, spanischen und aragonesischen Erbes sowie des eroberten Herzogtums Mailand vgl. die Karte »Impero di Carlo V«, URL: http://it.wikipedia.org/wiki/File:Impero_di_Carlo_V.png#mediaviewer/File:Impero_di_Carlo_V.png (Zugriff vom 20.11.2014).
2 Selbstverständlich weilten auch in Venedig Vertreter Philipps II. und seiner Nachfolger, d.h. vorwiegend spanische Botschafter; die Serenissima ließ sich allerdings nie längerfristig in das spanische System einspannen. Ebenso war Genua anders als viele italienische Städte vergleichsweise immun gegen fremde Vorherrschaft. Die Genuesen profitierten von den enormen Gewinnen, die sie als Bankiers der spanischen Krone und Ausrüster der spanischen Armeen und Flotten sowohl in der Alten als auch in der Neuen Welt machten (vgl. Pittioni 2007). Konsequenterweise hielten sich in Genua daher auch so genannte hombres de negocios auf, die laut Muto »in good numbers« (Muto 2007, 253) waren.
3 »Dennoch war die spanische Monarchie unter den Habsburgern zu keinem Zeitpunkt ›zentralistisch‹ oder gar ›absolutistisch‹ verfasst, vielmehr haben wir es im Falle der spanischen Königreiche geradezu mit dem Paradebeispiel einer composite monarchy zu tun, das heißt, die Institutionen und Rechtstraditionen der unter einer Krone vereinigten Territorien blieben in der Regel unangetastet.« (Weller 2010, 11; vgl. Ders. 2010, Permalink: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0159-2010101186 [Zugriff vom 18.08.2014]).
4 Im Utrechter Frieden von 1713 gingen die bisherigen spanischen Nebenländer in Europa im Wesentlichen an die Austrias, also Österreich, verloren, wobei das Königreich Neapel-Sizilien 1735 an eine Nebenlinie der spanischen Bourbonen zurückfiel, die wiederum 1806 von Napoleons Schwager Joachim Murat (1806–1815) vertrieben wurden. 1816 gelang es dem Bourbonen Ferdinand Neapel und Sizilien zum »Königreich beider Sizilien« (Regno delle due Sicilie) zu vereinigen, das bis 1860, d.h. bis zur Eroberung durch Giuseppe Garibaldi, bestand und schließlich an das neu geschaffene Königreich Italien angegliedert wurde.
5 Vgl. Peytavin 2007, insb. 363–375; Dies. 2003. Zur Verwaltung des spanischen Regno di Napoli vgl. Schwägerl-Melchior 2014, 70–124.
6 Vgl. Ribot García 1995, 103f.; vgl. Ders. 1995, URL: http://ddd.uab.cat/pub/manuscrits/02132397n13p97.pdf (Zugriff vom 10.08.2014).
7 Im Soldatenjargon »tripulár« genannt, wie aus einem Dokument des Vizekönigs Conde von Castrillo (1653–1658), der neapolitanische Soldaten rekrutierte, hervorgeht (vgl. Ribot García 1995, 106).
8 Vgl. in gesamtitalienischer Perspektive Dandelet 2007, Anatra/Musi 1994 und Musi 2004. Zum Königreich Neapel vgl. Croce 1967; Galasso 1994; Musi 2003; Ders. 2007; besondere Erwähnung verdient das umfangreiche und facettenreiche Werk zur Geschichte Neapels von Coniglio (z.B. zur neapolitanischen Gesellschaft Coniglio 1978 oder zur Wirtschaftsgeschichte Ders. 1955). Als wichtigste Erkenntniswerte aus der rezenteren historiografischen Forschung der vergangenen zehn Jahre destilliert Musi die Durchsetzung der beiden zusammenhängenden Konzepte »sistema imperiale« und »sottosistema« sowie des Begriffs Italia spagnola und die Akzentuierung der Kompromiss-Strategie, die in der Regierungspraxis der Territorien verfolgt wurde (entgegen einem für lange Zeit in der Forschung gängigen konfliktuellen Strategieverständnis) (vgl. Musi 2004).
9 Bspw. betrugen im Steuerjahr 1591–1592 die Militärkosten für Heer und Marine 1.091.299 Dukaten und stellten damit 55% der Gesamtausgaben des Vizekönigreichs Neapel dar (vgl. die aufgeführte Bilanz in Cipolla 1980, 64f.).
10 Rizzo führt diesbezüglich aus: »Occupare il Milanese significava controllare militarmente e diplomaticamente i numerosi Stati che si affacciavano sulla Pianura Padana. A sua volta, il controllo sull’Italia settentrionale risultava decisivo per proteggere Napoli e Genova, entrambe essenziali per la Spagna. Il possesso del Milanese consentiva inoltre agli Spagnoli di minacciare direttamente il fianco sud-orientale del territorio francese, fungendo – almeno secondo le speranze di Madrid – da deterrente contro l’eventuale risorgere di tentazioni espansionistiche francesi verso l’Italia. Milano, del resto, non era soltanto la ›clef d’Italie‹, ma costituiva il fulcro dell’intera strategia asburgica in Europa.« (Rizzo 1992, 325).
11 Vgl. zur kaum durch die spanische Hegemonie beeinflussten ökonomischen Lage Zentral- und Norditaliens Malanima 2007, zur ländlichen Wirtschaftspolitik Spaniens in Italien Marino 2007. Die rigorose Steuerpolitik lähmte vor allem die Agrarproduktion im Süden nachhaltig, was zu Protestbewegungen in Stadt und Land gegen den Verlust der politischen Freiheit und für die Herstellung der alten Privilegien führte – die berühmteste Ausschreitung, der antispanische Masaniello-Aufstand, begann im Juli 1647 in Neapel als Steuerrevolte und mündete im Oktober in die Absetzung des spanischen Vizekönigs, der im April 1648 bereits wieder durch Don Juan D’Austria ersetzt wurde (vgl. Kap. 6.4.1). Als zusätzlich negative Faktoren vor, während und nach der sozialen Umbruchzeit im Süden kamen Umweltkatastrophen (mehrere Vesuv-Ausbrüche von 1631, 1660, 1661; zwei Erdbeben von 1622 und 1626; Stürme; Hungersplagen in den Jahren 1624/1625 in Palermo und 1630 in Neapel) und schließlich die »Große Pest« im Jahr 1656 hinzu. Zur »katastrophalen Sterblichkeit« in Italien zwischen 1300 und 1700 vgl. Cipolla 1980, 179–183, 263f.
12 Zum Konnex von Herkunft, Sprache und neapolitanischer Stadt- bzw. Staatsbürgerschaft äußert sich Schwägerl-Melchior kritisch: »An den verschiedenen Möglichkeiten, die dazu führen konnten, als Regnicolo betrachtet zu werden, wird schnell ersichtlich, dass eine Gleichsetzung von Cittadinanza mit (einer) Erstsprache nicht möglich ist. Vorsicht ist hier auch aufgrund der zahlreichen Eheschließungen zwischen Spaniern und Neapolitanerinnen geboten, deren Kinder sowohl als Spanier als auch als Regnicoli und ggf. als Napoletani gelten konnten. Nur wenn konkrete Daten oder zumindest glaubwürdige Hinweise zu einzelnen Personen vorliegen können Zuordnungen vorgenommen werden.« (Schwägerl-Melchior 2014, 76f.).
13 Das ›spanische Rom‹ ist dank der Studien von Dandelet 1995; Ders. 1997; Ders. 2001 sowie von Vaquero Piñeiro 1994 historisch bestens ausgeleuchtet. Zu den kirchlich-religiösen Einflüssen Spaniens vgl. Amelang 2007; Firpo 2007; Borromeo 2007.
14 Auch der governatore von Mailand befand sich in ständigem Kontakt mit dem spanischen Botschafter am päpstlichen Hof (vgl. Signorotto 2006, LIX, URL: http://archivi.beniculturali.it/dga/uploads/documents/Fonti/Fonti_XLVI.pdf [Zugriff vom 10.08.2014]).
15 Exemplarisch dafür stehen der Sacco di Roma 1527 und der Krieg 1556/1557 gegen Gian Pietro Carafa (Papst Paul IV.).
16 Die spanische ›Fraktion‹ war nicht nur auf Spanier beschränkt, auch Italiener, die mit der Monarchie in Verbindung standen, waren dort integriert.
17 Bei dieser wahrscheinlich zu hoch gegriffenen Zahl, die auf einer impressionistischen Angabe eines Zeitgenossen aus dem Jahr 1582 beruht (vgl. Dandelet 1997, 498), handelt es sich um einen geschätzten Spitzenwert unter Philipp II., der ungefähr einem Drittel bis einem Viertel der Stadtbevölkerung entspricht. Unter Papst Urban VIII. (1623–1644), der mit Frankreich sympathisierte, reduzierte sich die nacion española auf 1.700 Spanier.
18 Dandelet vermittelt ein facettenreiches Bild aller spanischen Gesellschaftsschichten in Rom quasi von oben nach unten: vom Wohlstand bspw. eines Juan Perez Muñoz, der fünf Diener, fünf Häuser in Rom und eine Bibliothek mit 300 Büchern besaß, bis hin zu den von der Confraternità versorgten spanischen Waisenkindern (Dandelet 1997, 491–511, insb. 503–505).
19 Dazu zählen bspw. Einrichtungen wie die Chiesa di S. Maria di Monserrato degli Spagnoli und das Hospital de Santiago de los Españoles, deren Statuten auf Spanisch in Rom gedruckt wurden: Estatutos reformados y de nueuo institudos, con los quales se ha de gouernar la iglesia y hospital, de Nuestra Señora de Monserrat de Roma de la Corona de Aragon (Chiesa di S. Maria di Monserrato degli Spagnoli 1591) (EDIT16 2014, CNCE 13905) bzw. die Estatutos de la Yglesia y Hospital de Santiago y S. Il defenso de la naçion española de Roma (Iglesia-Hospital de Santiago de los Españoles 1650, URL: http://bvpb.mcu.es/es/consulta/registro.cmd?id=397011 [Zugriff vom 20.10.2014]).
20 Die Festivitäten werden auch in spanischen Druckwerken festgehalten, z.B. in der Descritione della festa fatta nella città di Roma da la natione spagnola. L’anno 1587. In piazza Nauona due hore auanti giorno con grandissima solenità (Anonym [1587?], Bologna) oder in La festa et ordine bellissimo che tiene la natione di Spagna, nel far la processione del Santissimo Sacramento la domenica di Resurretione (Accolti 1596, Rom) (EDIT16 2014; CNCE 16849; CNCE 156).
21 Zur Geschichte des Colegio vgl. Sorbelli 1936. Der Gründer des Kollegs, Nuño Álvarez, wird auch in einer in Bologna gedruckten Biografie auf Spanisch gewürdigt: Vida del bien aventurado syervo de Dios Nuño Albares Osorio Colegial que fue del insigne y mayor Colegio de los españoles de Bolonia (Breodes de Mazo 1630), vgl. García Cueto 2006, 44 und Anm. 173 – Autor und/oder Titel konnten weder in einem Katalog noch im Netz verifiziert werden.
22 Vgl. Froldi 1981, URL: http://cvc.cervantes.es/literatura/aih/pdf/07/aih_07_1_010.pdf (Zugriff vom 10.03.13).
23 García Cueto 2006 offeriert keine konkreten Zahlen oder Schätzungen von spanischen Immigranten und von Spaniern, die in Bologna Lang- oder Kurzzeitaufenthalte absolvierten. Bolognas Gesamtbevölkerung schwankte zwischen 1500 und 1700 zwischen 55.000 und 63.000 Einwohnern (vgl. Cipolla 1980, 15). Für das Jahr 1624 ist von einer Einwohnerzahl von 62.000 sowie 5,7% religiöser Bevölkerung (138 Priester; 3.431 Brüder und Schwestern) auszugehen (vgl. Dies. 1980, 99).
24 Ansedonia, Orbetello, Talamone, Porto Santo Stefano, Porto Ercole, Porto Longone, vgl. Caciagli 1992.
25 So finden die sprachlichen Einflüsse heute noch ihren Nachhall in spanischen Nachnamen und einigen Dialektwörtern der südlichen Toskana wie »aggarrare« (agguantare) oder »parrina« (piccola pergola), vgl. Caciagli 1992, 70.
26 So gab es bspw. eine satirische Reaktion auf eine von der spanischen Regierung herausgegebene Prematica (Pragmatik) in Mailand (vgl. Kap. 6.3.7.2).
27 Begünstigend war in erster Linie natürlich Venedigs Status als bedeutende Handelsmacht, die mit Deutschland über Handelswege und diplomatische Beziehungen und mit Padua als wichtiger Universitätsstadt vernetzt war. Es herrschte zudem ein Klima von wirtschaftlicher und geistiger Freiheit sowie religiöser Toleranz vor. Insbesondere konnte Venedig von den Papierfabriken am Gardasee und von der Etsch, die als Wasserstraße dem Transport von Papier diente, profitieren (vgl. Perini 1981, 792).
28 Einen entscheidenden, oftmals verkannten Beitrag zu der Erfindung hat auch die (technische) Entwicklung des Grundstoffes des Buchdrucks geleistet, nämlich das Papier (vgl. Müller 2014 zur bis heute unabgeschlossenen »Epoche des Papiers« bzw. der »weißen Magie«).
29 »Sie kann als die Zeit einer Mediendynamik gelesen werden, wie sie nur mit jener der Schrifterfindung selber, mit der Geschichte der Audiovision um 1900 und mit dem gegenwärtigen Medienumbruch verglichen werden kann.« (Schanze 2001, 405).
30 Die übliche Periodisierung von Frühdrucken (bis 1500) und Drucken nach 1501 hat sich auch in der italienischen Sprachgeschichte für das Quattro- und Cinquecento weitgehend etabliert; im Jahr 1600 endet meistens dann die sprachhistorische ›Zeitrechnung‹, da praktisch ein (literatur-)sprachlicher Standard, auch in orthografischer Hinsicht, erreicht sei. Der Einschnitt im Jahr 1500 ist allerdings nicht als konventionelles Ende der Inkunabelzeit zu interpretieren, sondern als Datum der Urheberschaft der »novità aldine« durch Manuzio und Bembo, vgl. Trifone 1993, 433f. (auch Tab. 1); Trovato 2006, 1275f. Im Gesamtkatalog der Wiegendrucke werden die weltweit existierenden Inkunabeln erfasst, vgl. GW, URL: http://www.gesamtkatalogderwiegendrucke.de/ (Zugriff vom 10.07.2014).
31 Eine Ausnahme bildete der Druck der Commedia (1490) mit 1.500 Kopien, während das vor allem populäre Buch der Fior di virtù nur 500-mal gedruckt wurde (vgl. Belloni/Drusi 2007, 257). Vgl. auch die in einem Tortendiagramm dargestellte Typologie der Inkunabelproduktion, u.a. der trecentisti in Marazzini 1994, 99.
32 Die Existenz mehrerer großer Druckzentren ist eine Besonderheit Italiens, während z.B. in Frankreich die Produktion in Paris und Lyon konzentriert war.
33 So waren mindestens 25 der 40 Druckereien in Rom im 15. Jh. in deutscher Hand, vgl. Fahy 1980, 5.
34 Ein sozusagen tragbares Atelier ermöglichte dies: Metalllettern, einige Werkzeuge und eine noch sehr einfache Presse passten in einen Reisesack.
35 Zu den Standardwerken zur Druckkapitale Venedig zählen Brown 1891, URL: http://ia600506.us.archive.org/14/items/venetianprinting00browrich/venetianprinting00browrich.pdf (Zugriff vom 07.07.2014); Di Filippo Bareggi 1988; Quondam 1978; Grendler 1992; Rhodes 1995. Es scheint paradox, dass zu dieser Stadt, aus der im Cinquecento Schätzungen zufolge 20 bis 24 Millionen Exemplare hervorgehen (vgl. Di Natale 2003, 15f.) und die damit mehr Druckwerke als jede andere europäische Stadt produziert sowie 56% der Gesamtproduktion Italiens abdeckt (in der Zeitspanne 1515–1530 sogar rund 74%, vgl. Santoro 2008, 160f.) kein Gesamtkatalog vorliegt, einige für die italienische Forschung sehr typische annali zu einzelnen wichtigen venezianischen Druckereien ausgenommen. In ihnen fehlen jedoch wiederum häufig wichtige bibliografische Informationen (zu den Giolito de’ Ferrara vgl. z.B. Bongi 1890/1895; Quondam 1977; Nuovo/Coppens 2005).
36 Beim ersten Buch in volgare handelt es sich um die Fioretti di S. Francesco (o.O.), vgl. Trovato 1991, 103.
37 Vgl. Quondam 1983, 589; Marazzini 1994, 99.
38 Die Bezeichnung ›italienische‹ Sprache trifft freilich erst auf das 19. Jh. zu, vgl. Hafner [u.a.]: »Für den Fall des Spanischen etwa ist die sprachliche Situation ab dem Ende des 15. Jh.s zugunsten des Kastilischen (castellano/español) weitgehend geklärt – für das frühneuzeitliche Italien hingegen ist es schlicht inakzeptabel, von Italienisch zu sprechen.« (Hafner [u.a.] im Druck). Trotz dieser korrekten Feststellung wird im Folgenden aus Gründen der Einfachheit von ›Italienisch‹ gesprochen, gleichwohl darunter stets die toskoitalienische (schriftsprachliche) Varietät verstanden wird.
39 Manuzios erfolg- und ertragreiche Aktivität beginnt in Venedig erst 1501 (und endet 1514, ein Jahr vor seinem Tod). Zur »World of Aldus Manutius« vgl. exemplarisch Lowry 1979 und Davies 1999, um nur zwei gewichtige Titel aus der noch nicht abgeebbten Literaturfülle zu nennen. Vgl. auch die digitale Ausstellung »In Aedibus Aldi. The Legacy of Aldus Manutius and His Press« mit zahlreichen Digitalisaten der 500 Titel umfassenden Kollektion der Brigham Young University’s Harold B. Lee Library, URL: http://exhibits.lib.byu.edu/aldine/ (Zugriff vom 18.08.2014).
40 Vgl. Trovato 1991, 143–164; Belloni/Drusi 2007, 261–267; Mehltretter 2009, 81–170. Manuzios’ Erfolg sei anhand einer zeitgenössischen Quelle veranschaulicht: »Am 19. Oktober 1516 schreibt Heinrich Glareanus aus Basel an Ulrich Zwingli: soeben lassen Wolfgang Lachner, Johan Frobens Schwiegervater, einen ganzen Leiterwagen voller Klassiker in den besten Aldus-Ausgaben kommen, der Freund möge rasch Aufträge und Geld schicken. Bei jeder solchen Sendung stünden 30 Abnehmer für einen da und rauften um die Werke. Die Nachfrage nach diesen Schätzen gleiche einer Raserei und befalle auch Leute, die von Büchern gar keinen Gebrauch machen könnten.« (Zit. nach Schottenloher, 1951, 127f.).
41 Vgl. Quondam 1977; ähnlich dichotomisierten bereits Febvre/Martin »marchandise« und »ferment« (Febvre/Martin 1958, XVIII).
42 Zur veränderten Präsentationsform der Druckwerke mit Schwerpunkt auf der Editionswidmung vgl. ausführlich Santoro 2008, 135–152.
43 Schätzungen gehen von 2% Lesefähigen in der deutschen Stadtbevölkerung um 1500 und von höchstens 4% um 1600 aus (vgl. Messerli 2010, 464); Rautenberg taxiert für die spätmittelalterliche Stadt 10–30% Lese- und Schreibkundige (Rautenberg 2003, 331). Gemäß De Matteo hatte Süditalien eine der niedrigsten Alphabetisierungsraten Europas (De Matteo 1998, 66). Cipolla betont die Wirkung der Reformation: »Solo nei Paesi protestanti la Riforma riuscì, soprattutto nel corso del secolo XVIII, a diffondere i rudimenti del leggere e dello scrivere tra la popolazione delle campagne. Nei Paesi cattolici la massa di contadini rimase analfabeta fino all’epoca moderna. Alla fine del Seicento gli analfabeti tra la popolazione adulta dell’Europa occidentale erano meno del 50 per cento solo nelle maggiori città. Altrove gli analfabeti rappresentavano dal 50 al 95 per cento.« (Cipolla 1980, 108).
44 Über Erstbelege und Mobilität der Drucker im Cinquecento informiert Ascarelli 1953 und chronologisch nach Zentren geordnet Santoro 2008, 160–188. Borsa führt 2.894 Drucker und Verleger, das 15. Jh. eingerechnet, auf, von denen 10,4% quasi Pendler sind, die also an mehreren Standorten arbeiten; allein 32% der Typografen seien in Venedig beschäftigt gewesen (vgl. Borsa 1992, 146).
45 Z.B. lassen sich die Giolito de’ Ferrari in Ferrara, Padova, Neapel, Pavia und Turin vertreten (vgl. Nuovo/Coppens 2005), die Druckerfamilie der Giunti in Italien, Lyon und Spanien (vgl. Pettas 1995; Ders. 2005; Santoro 2013a).
46 Vgl. hierzu auch die illustrative Karte mit allen italienischen Druckorten im Zeitraum zwischen 1465 und 1600 in Quondam 1983, 573 (auf Basis von Borsa 1980).
47 Vgl. EDIT16, URL: http://edit16.iccu.sbn.it/web_iccu/imain.htm (Zugriff vom 10.08.2014). Erfasst werden in EDIT16 – Censimento delle edizioni italiane del XVI secolo Titel von Druckwerken und die dazugehörigen Epitexte sowie biobibliografische Informationen zu Autoren und Druckern. Gesucht werden kann durch mehrere vorgegebene Filter, also durch Sortierung nach einer bestimmten Teilmenge von Datensätzen, z.B. nach Autor, Drucker, Druckort, Titel des Druckwerks etc. Unter anderem gibt es den für die vorliegende Arbeit wertvollen Filter »lingua«, der 21 Sprachen umfasst: Äthiopisch, Arabisch, Aramäisch, Armenisch, Altgriechisch (bis zum Jahr 1453), Deutsch, Französisch, Hebräisch, Italienisch, Katalanisch, Lateinisch, »mehrsprachig«, Neugriechisch, Portugiesisch, Serbisch, Serbo-Kroatisch, Spanisch, Syrisch, Tschechisch, Türkisch. Unter dem etwas unglücklich benannten Filter »italiano-dialetti« sind sämtliche nicht toskanischen volgari subsumiert wie etwa bergamasco, padovano, siciliano, etc. Seit September 2008 werden auch Digitalisate von Widmungsbriefen eingespeist (Stand zum 01.09.2014: ca. 1.350 Dedikationen, davon 1.276 in italienischer, 70 in lateinischer und vier in spanischer Sprache), vgl. »Progetto dediche«, URL: http://edit16.iccu.sbn.it/web_iccu/info/it/dediche.htm (Zugriff vom 08.09.2014).
48 Vgl. USTC, URL: http://ustc.ac.uk/index.php und http://www.ucd.ie/ibp/Introduction.html (Zugriff vom 22.09.2014). Die Suchfilter sind: Stichwort, Autor, Übersetzer, Verleger, Kurztitel, Drucker, Druckort, Erscheinungsjahr/Zeitraum, Land, Sprache, Format, Digitalisate, Klassifizierung – worunter 37 Thematiken fallen, von »academic dissertation« über »culinary art«, »linguistics and philology« bis hin zu »witchcraft and demonology«. Besonders hervorzuheben sind die benutzerfreundliche statistische Aufbereitung der Treffer im Überblick (links neben der Trefferliste), die Klassifizierungsmöglichkeit, die bei EDIT16 hingegen fehlt, sowie die Anzeige der bzw. Verlinkung zu den Digitalisaten der Druckwerke. Leider gibt es hier keinen differenzierten Filter in Bezug auf die Sprache wie »zweisprachig« oder »mehrsprachig« (Letzterer jedoch in EDIT16).
49 Das Jahr 1530 gilt gemeinhin als Wendepunkt, »una demarcazione netta tra uso regolare (bembesco) e uso irregolare (prebembesco o sub-bembesco) del sistema linguistico retorico ›volgare‹« (Mazzacurati 1980, zit. nach Belloni/Drusi 2007, 322). Aus einer genaueren Analyse nach Dekaden wird deutlich, dass die Verteilung zwischen 1535 und 1540 zugunsten des Italienischen ›kippt‹: Latein 2.075 : Italienisch 1.652 im Zeitraum 1520–1530; 1.076 : 1.317 im Zeitraum 1535–1540; 1.684 : 2.060 im Zeitraum 1530–1540 (vgl. EDIT16 2014, Stand: 10.09.2014).
50 Die anderen Sprachen sind wie folgt distribuiert: Äthiopisch (2), Arabisch (12), Aramäisch (1), Armenisch (6), Deutsch (6), Hebräisch (67), Katalanisch (19), Portugiesisch (5), Serbisch (2), Serbo-Kroatisch (12), Syrisch (6), Tschechisch (1), Türkisch (2), mehrsprachig (48), vgl. EDIT16 2014 (Stand: 10.09.2014).
51 Diese Zahl entspricht in etwa den von Meregalli errechneten 87 spanischen Druckwerken im Cinquecento (Meregalli 1974, 17; vgl. Kap. 3.3.1).
52 Wie bereits erwähnt wurde, war und ist das 17. Jh. der schwarzen Kunst in der sprachhistorischen Forschung von nachrangiger Bedeutung. Aber auch von buchhistorischer Warte aus wurde mehrfach die fehlende Aufarbeitung dieses Zeitraums (und ebenso im Übrigen der folgenden zwei Jahrhunderte), vor allem im Vergleich zu den vorliegenden Studien, Drucker-Chroniken und Katalogen zum Cinquecento beklagt (vgl. Perini 1981, 765; Santoro 1986, 1; Ders. 2008, 210).
53 Zum Wandel des ökonomischen Gleichgewichts in Europa (1500–1700) vgl. Cipolla 1980, 250–290.
54 Das römische Druckwesen schafft es dadurch, die Buchproduktion zwischen 1650 und 1680 sogar zu vervierfachen.
55 Meregalli errechnet für das 17. Jh. die doppelte Zahl, nämlich 31 spanische Titel (Meregalli 1974, 17; vgl. Kap. 3.3.1 und Kap. 6.5).